Geballte Frauenpower

Heute ist die platinblonde Designerin Donatella Versace eine der mächtigsten Frauen der Fashionwelt. Vor 20 Jahren trauerte sie um ihren Bruder und musste sich zugleich um die Zukunft der mit dem Medusa-Emblem versehenen Megabrand ihrer Familie kümmern. „Wow, Donatella!“ ist das erste, was Penélope Cruz zu mir sagt, als ich sie auf ihre von Kritikern gefeierte Rolle als Donatella in American Crime Story: The Assassination of Gianni Versace anspreche und dieser Ausruf könnte als inoffizieller Untertitel der Serie dienen. „Die Firma trotz dieses riesigen tiefen Schmerzes, den sie fühlte, aufrechtzuerhalten, das ist wahre Stärke“, sagt Cruz hochschätzend.

Die Nähe zu ihren eigenen Geschwistern ist nur einer der Gründe, weshalb die 43-jährige Cruz, die heute leger in einem grauen Kaschmir-Hoodie und blauen Jeans erscheint, glücklich ist, wieder zurück in ihrer Heimatstadt Madrid zu sein. Letzten Winter verbrachte sie für die Dreharbeiten von Kenneth Branaghs Film Mord im Orient Express in London. Dieser Aufenthalt verdeutlichte ihr umso mehr, dass sie grundsätzlich nicht für graue Tage und „Dunkelheit ab 16 Uhr nachmittags geschaffen ist – es beeinflusst das Gehirn“, sagt sie mit einem betonten Säuseln. Aber diese kleine jahreszeitlich bedingte Bedrücktheit war es wert, denn dort konnte sie ihrem Co-Star Josh Gad, alias die Stimme von Olaf, dem Schneemann aus Disneys Die Eiskönigin – Völlig unverfroren, eine exklusive Darbietung entlocken. Die Stimmaufnahmen hütet sie „wie Schätze“ auf ihrem Smartphone und spielt die Audio-Clips ihren Kindern vor (deren Namen und Alter wir auf ihren Wunsch hin aus diesem Artikel weggelassen haben), wenn sie sich elterliche Bonuspunkte einheimsen möchte. „Ich kenne Olaf und das macht mich zur coolsten Mutter der Welt“, strahlt sie.

Für den Rest von uns, ist die Tatsache, dass sie „mit Olaf befreundet ist“, nicht vergleichbar mit den anderen Leistungen die Cruz in ihrer Karriere sonst noch so vorzuweisen hat. Sie war zum Beispiel mit ihrer Auszeichnung für ihre Rolle in Vicky Cristina Barcelona im Jahr 2008 die erste Spanierin, die einen Oscar gewann. In ihrer Dankesrede wies sie darauf hin, dass dies der Stoff sei, aus dem Träume gemacht sind – insbesondere für ein Mädchen wie sie es war: Cruz stammt aus einem Vorort Madrids, dem Arbeiterviertel Alcobendas und machte sich im Alter von 19 Jahren auf den Weg nach New York, um Tanz zu studieren. Durch das Filmbusiness lernte die Schauspielerin auch den Spanier Javier Bardem kennen, der einst in ihrem ersten großen Film Jamon Jamon, neben der temperamentvollen Fabrikarbeiterin Cruz, den Stierkämpfer und Teilzeit-Unterwäsche-Model spielte. Das Paar heiratete in 2010. Nun haben die beiden zwei Oscars zu Hause – und zwei Kinder.

Natürlich galt dieser Anruf der tatsächlichen Donatella. Als Veteran des roten Teppichs wurde Cruz vielfach vom Hause Versace gekleidet. „Ich sagte zu Donatella, dass mich das die ganze Nacht wachhalten wird, denn es ist nicht nur eine riesige Verantwortung jemanden zu spielen, der lebt, sondern für den ich auch so großen Respekt empfinde. Und sie sagte mir, wenn jemand mich verkörpern sollte, dann bin ich froh darüber, dass du das sein wirst. Ihre Worte gaben mir die Freiheit, es zu tun. Ich glaube sie konnte meiner Stimme entnehmen, dass alles mit Respekt behandelt werden würde.“

Ein wichtiger Teil der Darstellung ihres Charakters war es natürlich, Donatellas Stimme zu mimen. Dies war bereits Cruz zweite italienische Rolle: 2009 spielte sie bereits neben Sophia Loren im Musical Nine – aber in der unverwechselbaren Art und Weise der Designerin zu sprechen, ging noch darüber hinaus. Ihre Stimme ist viel tiefer als meine und somit arbeitete ich monatelang mit dem Stimmcoach Tim Monich. Ich wollte keine Karikatur, keine Imitation Donantellas wiedergeben, ich wollte sie wirklich fühlen. Donatella versprüht Rock’n’Roll – selbst wenn sie nur auf einem Stuhl sitzt, macht sie das mit Attitüde.“

Mithilfe von Musik hielten sie und Édgar Ramírez, der Gianni spielt, diese Haltung auch in den Drehpausen aufrecht: „Wir hörten viel Prince und Opern und fanden, dass beide sehr gut zu Versace passten.“

Während The People v. O.J. Simpson Rassenprobleme aufgreift, durchziehen die Themen Geschlecht und Sexualität die zweite Staffel von American Crime Story. Gianni Versace wurde vor seiner Villa in Miami von Andrew Cunanan (gespielt von Darren Criss aus Glee) getötet, einem Fanatiker, der während einer Zeit von weit verbreiteter Homophobie, seinen Hass auf homosexuelle Männer richtete, und dessen Faszination mit Stars und Prominenten sich in eine mörderische Obsession verwandelte.

„Diese Geschichte macht einem wieder bewusst, wie verrückt unsere heutige Welt doch ist“, sinniert Cruz. „Du fängst an das Konzept des Ruhms in Frage zu stellen und wie Teenager und sehr junge Menschen damit aufwachsen, etwas zu idealisieren, das wie Gift ist.“ Sie sei besorgt, dass soziale Medien uns unter Druck setzen, eine Erfahrung, die früher ausschließlich Prominente machten, sagt sie, aber Stars seien auf diesen Druck zumindest etwas besser vorbereitet. „Es spielt keine Rolle, ob du von 200 oder zwei Millionen Menschen beurteilt wirst, wenn du nicht in der Lage bist, mit dem Druck von Meinungen, Manipulation und Mobbing umzugehen; und das macht es gefährlich.“

Es ist unmöglich, das Thema der Schattenseiten des Ruhmes zu thematisieren, ohne auch über den Hollywoodskandal der sexuellen Belästigung zu sprechen. Immerhin gewann Cruz ihren Oscar für eine Rolle in einem Film, für den Woody Allen Regie führte und der von Harvey Weinstein produziert wurde.

Sie legt Ihre Hand auf mein Knie. „Ich weiß, auf was Sie hinaus möchten,“ sagt sie, bevor sie hinzufügt, dass sie vor den Enthüllungen in der The New York Times keine Ahnung von dieser Problematik in Hollywood hatte. Sie war sich bewusst, stellt sie klar, dass bestimmte hochkarätige Männer „auf professionellem Niveau schwer zu bewältigen seien; dass sie schwierig waren, oder dass Mobbing stattfand – das war klar. Aber diese anderen Dinge, die ans Licht gekommen sind…“ Ihre Augen weiten sich.

Sie weiß natürlich, dass Hollywood mit einer sehr unterschiedlichen Haltung Männern und Frauen gegenübertritt. „Seit ich 25 Jahre alt bin, fragen mich Journalisten, ob ich Angst vor dem Älterwerden habe. Das ist eine irrsinnige Frage und ich habe mich immer geweigert, darauf zu antworten. Einem Mann würden sie niemals eine solche Frage stellen.“

„Natürlich sind diese Dinge auf einem ganz anderen Level, als das, worüber wir gerade gesprochen haben. Das eine baut jedoch auf dem anderen auf und ich betrachte es als Teil der allgemeinen Unterdrückung von Frauen“, sagt Cruz leidenschaftlich.

Die „Me Too“-Kampagne zeigte, wie weit verbreitet der Missbrauch ist und dass auf diese Enthüllungen sowohl Taten als auch Worte folgen müssen, betont sie nachdrücklich. „Es muss die Regeln unserer Branche und aller anderen Branchen ändern, in denen Frauen auf so viele unterschiedliche Weisen unterdrückt werden. Es kann nicht nur etwas sein, das ein paar Monate lang die Schlagzeilen dominiert, bevor wir zum nächsten Thema übergehen.“

Für ihre Kinder – ein Junge und ein Mädchen – habe sie eine neue Herangehensweise gefunden, Geschlechterrollen in Erzählungen im wahrsten Sinne des Wortes zu verändern, sagt Cruz. „Märchen sind so wichtig, weil sie die ersten Geschichten sind, die du aus dem Mund deiner Eltern zu hören bekommst“, erklärt sie. „Wenn ich meinen Kindern abends Märchen vorlese, verändere ich immer die Enden – immer, immer, immer, immer. Vergiss Cinderella und Dornröschen und all das – diese Geschichten sind voll von Macho-Attitüden. Das kann sich darauf auswirken, wie Kinder die Welt sehen. Wenn du nicht vorsichtig bist, fangen sie an zu denken: „Oh, die Männer können also alles entscheiden.“

Cruz revolutionäre Märchenheldinnen lehnen Heiratsanträge ab oder machen selbst den Antrag, sagt sie. Ein Beispiel? „In meiner Version von Cinderella sagt der Prinz ‚Möchtest du heiraten?‘, und sie sagt ‚Nein, danke, ich möchte keine Prinzessin sein. Ich möchte Astronautin oder Köchin werden‘.“ Cruz lacht und schließt ein imaginäres Buch. Zweifelsohne würde Donatella ihr zustimmen.