Coverstory

Eine starke Frau

mit

Jodie Foster

Sie ist ihr Leben lang vor der Kamera gestanden, viele ihrer Filme haben inzwischen Kultstatus. Aber in letzter Zeit war es ruhig um JODIE FOSTER. Jetzt tritt sie zurück ins Rampenlicht - und spricht mit SARAH BAILEY über ihre unvergleichliche Karriere vom Hollywood-Kinderstar zur Weltikone.

Foto Victor DemarchelierStyling Alison Edmond
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Es ist ein heißer Freitagnachmittag im Juni und die Ankunft von Jodie Foster im schicken Beverly Hills Hotel (in dem Gespräche von späten Mittagsgästen den Raum füllen) ist fast völlig unbemerkt geblieben. Und das trotz ihres auffälligen Hinkens – Sie erinnern sich vielleicht, dass sie bei der Oscar-Verleihung darüber scherzte, von Meryl Streep „I, Tonya’ed“ geworden zu sein. „Das ist eine wohl nie endende Geschichte. Erst hatte ich den Skiunfall, dann ein Blutgerinnsel…“, sie rollt mit den Augen und setzt sich hin.

Man muss gestehen, Foster ist eine regelrechte Meisterin der Anonymität. Ihr resolut unauffälliges Outfit (khakigrüne Hose, Utility-Sandalen in Metallic-Optik und Nylonrucksack) vermischt sich mit der Menge. Nur ihre Augen, dieses unverkennbare, stählerne Blau, lassen eine zweimalige Oscar-Gewinnerin vermuten, die im Alter von 13 in Bugsy Malone brillierte und in Das Schweigen der Lämmer Hannibal Lecter gegenüberstand.

Fosters aktuellster Film in ihrer sich über fünf Jahrzehnte erstreckenden Karriere, ist Hotel Artemis. Sie schlüpft in diesem dystopischen Sci-Fi-Juwel nach einer fünfjährigen Pause, die sie hauptsächlich mit Regieführen verbrachte, wieder in eine Schauspielrolle. Sie spielt einen relativ kleinen, doch zentralen Part als Krankenschwester, die Gesetzlose in einem Krankenhaus (inklusive Kneipenverschlag) im Untergrund behandelt. Der wohl radikalste Aspekt an der Rolle, auf den sich Foster und Debütregisseur Drew Pearce bereits vor dem Dreh geeinigt hatten, ist, dass sie darin nicht nur eine ihrem Alter entsprechende, sondern ältere Person spielt (mit den Falten einer Siebzigjährigen, die auf Fosters echte Haut gemalt wurden). „[Die Filmemacher waren] sich nicht so recht sicher“, lacht die Schauspielerin. „Besonders nach dem Schminktest. Ich musste meine Muskeln bewegen. Das habe ich schon dutzende Male mit Leuten durchgemacht, die ihren ersten Film drehen. Sie treffen eine Entscheidung und haben dann plötzlich Angst vor dieser Entscheidung. Man muss bei der Ausarbeitung eines Charakters dem Instinkt folgen, den man ursprünglich hatte, wissen Sie. Und ich hätte die Rolle nicht angenommen, hätte ich wieder einmal nur mich spielen wollen.“

„Mein ganzes LEBEN war ein Auf und Ab mit meiner Mutter. Es war eine INTERESSANTE, aber auch angespannte Beziehung – wundervoll, aber auch SCHMERZVOLL“

Bild oben: Hemdkleid von Burberry. Ohrringe von Kenneth Jay Lane. Dieses Bild: Mantel von Stine Goya. Sandalen von Gianvito Rossi.
Blazer und Hose von Max Mara. Sneakers von Common Projects. Ohrringe von Kenneth Jay Lane.

Da Rollen, in denen sie sich nicht selbst spielt, für sie jetzt Priorität haben, fragen wir uns, welche anderen kontraintuitiven Schauspielangebote sie derzeit spannend findet? „Ich weiß das letztlich immer erst, wenn ich eine Rolle sehe“, sie zuckt mit den Schultern. „Als ich noch jünger war, habe ich mir meine Rollen nicht selbst ausgesucht. Meine Mutter hat das für mich gemacht. Ich meine, wir haben ein wenig darüber gesprochen, aber manchmal habe ich gar nicht das gesamte Drehbuch gelesen, sondern nur meinen Part.“

Foster arbeitet seit ihrem dritten Lebensjahr; sie ist das jüngste von vier Kindern, alle von der unbezwingbaren, alleinerziehenden Mutter Brandy großgezogen. „Ich wuchs in gewisser Weise zum Partner meiner Mutter heran“, sagt die Schauspielerin. „Meine Mutter hat mich mein ganzes Leben lang begleitet, wir waren zusammen unterwegs, haben französische und deutsche Filme angesehen und darüber diskutiert, welche davon gut und welche schlecht waren. Sie hat mir die Dinge aufgetragen, die ihr nicht leicht von der Hand gingen. Es war eine interessante Beziehung – wunderbar, aber auch schmerzhaft und angespannt.“

Sweater von Michael Kors. Hose von La Ligne. Ohrringe von Kenneth Jay Lane.
Hemd und Rock von Nanushka. Ohrringe von Kenneth Jay Lane.

„Ich glaube, ich kenne keine FRAU, die nicht auf Ihre Zeit als 17- oder 18-Jährige zurückblickt und sagt: ‚WARUM habe ich das gemacht? Warum habe ich nicht NEIN gesagt?‘ “

Es ist schwer, sich von der psychologischen Akrobatik nicht überwältigt zu fühlen, die Foster sowohl als Schauspielerin (man denke an ihre Rolle als 12-jährige Prostituierte Iris neben Robert de Niro in Taxi Driver) als auch als Tochter im frühen Stadium ihrer professionellen Karriere abverlangt worden sein muss. Sie galt als die Ernährerin der Familie, aber hatte sie als Kind einer Alleinerziehenden vielleicht auch das übertriebene Gefühl, für das Glück ihrer Mutter verantwortlich zu sein? „Du fällst in diesen Ur-Zustand: ‚Wenn [Mama] verrückt wird oder zusammenbricht oder wenn sie kein Geld hat, wird sie mich verlassen‘ “, ist die ehrliche Antwort. „Das bedeutet, du musst stets dein Bestes geben, immer Topergebnisse erzielen, alle Bedingungen erfüllen, nur damit deine Mama dich nicht verlässt.“ Sie pausiert. „Dieses Gefühl begleitet mich immer noch, was verrückt ist, denn meine Mutter hat Demenz und baut sehr stark ab…“

Foster hat in ihrem Dasein als Mutter einen ganz anderen Weg eingeschlagen. „Es gab einfach so viele Überraschungen. Für mich war es eine sehr kreative Erfahrung. Deswegen habe ich wahrscheinlich nur so wenig gearbeitet, als die Jungs noch [kleiner] waren. Ein Tag voller Lego spielen und Songs über Erdnussbutter erfinden, hat mich glücklich gemacht“, sagt sie über ihre Kinder, Charles und Kit (jetzt 19 bzw. 16 Jahre alt). Letzteren hat sie zusammen mit ihrer ersten Partnerin Cydney Bernard großgezogen, einer „echten Seelenverbündeten“, wie Jodie Foster sie in ihrer berühmten Coming-out-Rede bei den Golden Globes 2013 bezeichnete. Heute ist Foster mit Fotografin und Künstlerin Alexandra Hedison verheiratet. Liebevoll erzählt sie die Anekdote über Alex, die Andy Puddicombe, dem Meditationsguru der Headspace-App, begegnet ist („Oh mein Gott, Jodie wird ausflippen, Jodie wird ausflippen“, ahmt die Schauspielerin ihre Ehefrau nach); aus diesem Treffen ergab sich tatsächlich ein Abendessen mit allen. „Ich meditiere jeden Tag, allerdings logge ich mich dazu in einem Online-Portal ein. Ich weiß, ganz schön lahm von mir!“, lacht sie und wirft einen prüfenden Blick in ihr leeres Latte-Glas. „Ich bin mir sicher, da war Kaffein drin.“

Kleid von Solace London. Ohrringe von Kenneth Jay Lane.

„Wir können nicht jeden MANN über 30 ins Gefängnis schicken. Wir müssen unsere Brüder und Väter lieben und verstehen lernen, WIE wir hierhergekommen sind und wer wir GEMEINSAM sind“

Kleid von Rick Owens. Ohrringe von Kenneth Jay Lane.

Was auch immer der Grund für ihre Redseligkeit sein mag, Foster spricht in den wärmsten Tönen von ihren Söhnen: dem „supercharmanten, superspontanen“ Älteren und dem „auf Wissenschaften fokussierten“ Jüngeren. Sie sagt, sie fühle sich nur wenig schuldig dafür, Charles (ein Naturtalent auf der Bühne, der sich aktuell in Comedy und Improv übt) nicht schon in jungen Jahren an Filmsets herangeführt zu haben. „Ich wollte nicht, dass sie von meinem Promi-Dasein erfahren. Als mein Sohn ungefähr vier war, dachte er, ich wäre Bauarbeiter“, erinnert sie sich.

Das Thema wechselt zur komplexen Frage, wie man Jungs vor dem Hintergrund der heutigen Verschiebung der Geschlechterrollen großzieht. „Zumindest die Schulen meiner Kinder unterstützen die richtigen Programme. Diesen Kindern wird die Wichtigkeit von Einverständnis ab der Mittelschule wirklich eingebläut“, sagt Foster, obwohl sie zugibt, dass die Situation nach wie vor verwirrend ist. „Nicht nur unsere Kultur verändert sich, wir Menschen tun das auch. Ich kenne keine Frau, die nicht stöhnend an die Zeit zurückdenkt, als sie 15, 16, 17 oder 18 Jahre alt war: ‚Warum habe ich das gemacht? Warum war ich damals so drauf? Warum war ich nicht selbstbewusster? Warum habe ich nicht Nein gesagt?‘ “

Sie war von der Dynamik der #MeToo-Bewegung besonders berührt, auch wenn ihr persönlicher Fokus nun ganz klar auf der Zukunft liegt. „Diese Übergangszeit ist einfach qualvoll. Man braucht einen Ver- und Aussöhnungsplan, klipp und klar“, sagt sie und nimmt damit Bezug auf die Worte von Erzbischof Desmond Tutu. „Wir können nicht einfach jeden Mann über 30 ins Gefängnis stecken. Wir müssen unsere Brüder und Väter lieben und uns darüber einigen, wie es so weit kommen konnte und wer wir künftig zusammen sein wollen.“

„Ich habe nicht denselben WEG genommen wie jemand, der mit 22 Jahren und zwei Cent in der Tasche nach HOLLYWOOD kommt. Es ist einfach ein ANDERES Leben“

Hemd und Hose von Stella McCartney. Ohrringe von Kenneth Jay Lane.
Sweater von Tom Ford. Hose von Rick Owens. Schuhe von Re/Done + Weejuns.

„Ich stelle meinen Selbstwert und mein geistiges WOHLBEFINDEN über alles andere. Wenn NICHT, weiß ich nicht, wo ich sonst heute wäre. Ich meine, es gibt eine Menge ehemalige KINDERSTARS, die es nicht geschafft haben“

Ich frage, ob ihre umfangreiche Schauspielerfahrung als Kind, darin eingeschlossen die Unterstützung ihrer branchenkundigen Mutter, ihr dabei geholfen hat, sie vor sexuellen Übergriffen am Set zu schützen. „Ich bin das Produkt einer seltsamen Anreihung von Gegebenheiten: Ich habe schon mit drei Jahren zu arbeiten begonnen, habe mit sieben meine Familie unterstützt, bin eine superstarke Mama mit einem außerordentlichen Selbstbewusstsein geworden, und ich war sehr jung, als ich berühmt wurde, sodass ich gelernt habe, reserviert zu sein… Ich glaube, es gibt genügend Gründe, warum mein Weg anders war, als der einer durchschnittlichen 22-Jährigen, die mit 2 Cent in der Tasche nach Hollywood kommt und einfach mehr als alles andere auf der Welt Schauspielerin werden möchte. Das ist ein ganz anderes Leben.“

Sie beeindruckt mit einer solchen Wortgewandtheit, dass es erstaunlich ist, dass sie keine öffentliche Sprecherin ist. „Ich glaube nicht, dass ich eine gute Sprecherin wäre, das passt nicht zu meiner Persönlichkeit. Ich diene – ich diene nur auf eine andere Weise. Manchmal suche ich Kontakt zu anderen Frauen in der Branche. Und auch Männern, von denen ich denke, sie könnten von meiner Überlebenserfahrung profitieren“, sagt sie mit leicht versagender Stimme. „Wenn es etwas gibt, für das ich mich vorbildhaft einsetze, dann ist es allen voran, das eigene Selbstwertgefühl und die psychische Gesundheit zu priorisieren. Ich weiß nicht, wo ich heute stände, wenn ich das nicht immer tun würde… Schließlich gibt es so viele andere ehemalige Kinderschauspieler, die es nicht geschafft haben.“

Unsere Zeit ist abgelaufen, wir sprechen noch über Wochenendpläne. Die Vorbereitungen für die LA-Pride sind in vollem Gange und ich frage mich, ob auch sie mitfeiern wird. „Jeder Tag ist für mich Pride-Tag“, lächelt sie. „Tatsächlich ist der ganze Juni von Gay Pride geprägt. Das ist mir erst seit gestern bewusst, als wir über die Flagge diskutiert haben. Meine Kinder werden [zur Parade] gehen. Mein Sohn sagte zu mir: ‚Vielleicht gibt es dieses Jahr nackte Körper zu sehen‘, worauf ich antwortete: ‚Warte mal, du hast mir nicht gesagt, dass es letztes Jahr nackte Körper zu bestaunen gab!‘ “ Sie lacht, mit vorgetäuscht empörter Stimme. Dann steht sie auf und verschwindet im warmen Abendlicht von LA.

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