Strahlend schön
mit
Paloma Elsesser

PALOMA ELSESSER feiert einen Erfolg nach dem anderen in der Modebranche und beweist, dass sich archaische Beauty-Konventionen endlich verschieben. Doch wie hat das einflussreiche Model ihren Aufstieg an die Spitze geschafft? Im Gespräch mit LYNETTE NYLANDER erzählt sie, wie sie sich für den Wandel einsetzt, dass sie ein neues Lebensgefühl empfindet und wie wichtig die Gemeinschaft ist
Das Jahr 2021 ist erst ein paar Tage alt und Supermodel Paloma Elsesser reflektiert in ihrem New Yorker Apartment und macht Pläne für die Zukunft. Ungeschminkt und mit strahlendem Teint spricht sie über Ihren Wechsel ins neue Jahr. „Ich habe das Gefühl, einige monumentale Dinge im Jahr 2020 hinter mir gelassen zu haben und ich bemerke definitiv einen frischen Energieschub. Doch auch Dinge, die in der Vergangenheit okay waren, empfinde ich nicht mehr als so gut. Zum Beispiel das Gefühl, körperlich und mental überarbeitet zu sein – das gibt mir nicht mehr die gleiche Zufriedenheit. Durch die Welt zu fliegen und viele Shows zu buchen sind nicht mehr meine Prioritäten, vor allem in Anbetracht der Tatsache, dass es für viele ein so schmerzhaftes Jahr war.“
Covid-19, Polizeigewalt gegen Afroamerikaner und eine umstrittene Wahl machten das Jahr 2020 zu einer Herausforderung und ließen nur wenig Raum zum Feiern. Doch es wurde dadurch auch ein systemischer Wandel in allen Branchen in Gang gesetzt. In der Modeindustrie bemüht man sich beispielsweise um mehr Diversität und Nachhaltigkeit – Themen, für die Elsesser sich seit Beginn ihrer Modelkarriere 2015 stark macht. Als eines der wenigen Plus-Size-Models of Color in der Luxusmodebranche hat sie sich ihre eigene Nische erarbeitet. Auf ihren Social-Media-Kanälen vermischt sie gekonnt Persönliches mit politischen Themen und Pop-Kultur. Dass sie statt üblichem Small Talk Offenheit und Ehrlichkeit zeigt, hat ihr in den letzten Jahren zu großer Beliebtheit in den sozialen Medien verholfen (im Moment zählt sie 350.000 Follower auf Instagram).
„Ich weiß, dass, wenn ich GEBUCHT werde, es mehr bedeutet, als einfach nur über den CATWALK zu laufen oder bei einer KAMPAGNE mitzumachen“
„Ich hatte nie Schwierigkeiten, Freunde zu finden und Gemeinschaft ist mir sehr wichtig – sie ändert sich fortlaufend. Deine beste Freundin kann deine Gemeinschaft sein. Deine Familie kann deine Gemeinschaft sein. Und meine Gemeinschaft heute unterscheidet sich von der, die ich als Jugendliche hatte“, überlegt sie und meint vermutlich auch ihre neue globale Reichweite.
Elsesser hat sich nach und nach in der Modeindustrie hochgearbeitet. Mit der Zeit wurde sie für immer mehr prestigeträchtige Jobs gebucht und hat so auf ihrem Weg nach oben einige Barrieren überwunden. Nach Laufstegauftritten für prominente Labels wie Alexander McQueen, Lanvin, Fendi und Salvatore Ferragamo sowie Kampagnen für Marni, Coach und Fenty Skin, wurde das vergangene Jahr von zwei bahnbrechenden Erfolgen gekrönt, die für jedes Model etwas Besonderes sind: sie zierte das Cover der amerikanischen Vogue und erhielt als erstes Plus-Size-Model of Color den Preis für Model of the Year von Models.com.
„Models mit großen Größen waren bis vor Kurzem in solchen Kampagnen nicht zu sehen“, erklärt sie. „Ich weiß, dass, wenn ich gebucht werde, es mehr bedeutet, als einfach nur über den Catwalk zu laufen oder bei einer Kampagne mitzumachen. Ich frage mich: ‚Was verlangt meine Position von mir?‘ Persönlich mag ich es nicht, eine Vorreiterin zu sein – es kann angsteinflößend sein, das erste Plus-Size-Model of Color zu sein, das etwas macht, aber es ist auch sehr inspirierend.“ Elsesser hat tatsächlich in relativ kurzer Zeit einen kometenhaften Aufstieg in die höchsten Reihen des Modelolymps hingelegt, vor allem, wenn man bedenkt, dass sie aufgrund mangelnder Repräsentation diesen Karriereweg nicht immer als eine ihr mögliche Option gesehen hat.
„Es gibt VIELE, die Kleidung noch immer nur an sehr dünnen weißen Frauen sehen wollen. Doch es gibt auch viele Menschen, die etwas ANDERES sehen wollen. Ich selbst möchte das auf JEDEN Fall“
Die gebürtige Kalifornierin wurde als Tochter einer afroamerikanischen Mutter und eines chilenisch-schweizerischen Vaters in eine große und eng verbundene Künstlerfamilie von Kreativen und Akademikern hineingeboren. Auch wenn sie nicht wohlhabend aufwuchs, war sie durch ihre Kindheit in Los Angeles mit extrem privilegierten Menschen in Kontakt und besuchte hauptsächlich weiße Privatschulen – eine Erfahrung, die schwierig für sie war, obwohl ihre Liebenswürdigkeit sie anpassungsfähig machte. „Ich bin immer auf der Suche nach Anschluss und habe sie auf kleine und große Weise gefunden… meine Mutter hat mir erzählt, dass ich mich als Fünfjährige dauernd mit Fremden unterhielt!“ sagt sie lachend.
Nach der High School zog Elsesser nach New York City, um Psychologie und Literatur an der The New School zu studieren („ich dachte, ich würde eine praktizierende Psychologin werden“), wo sie nach eigenen Angaben „in das Kuddelmuddel der Kunst- und Skater-Szene“ eintauchte, die Downtown unterwegs war. „Ich hatte die Möglichkeit, meine Unabhängigkeit auszuleben und ich glaube, ich blühte im Nachtleben auf. Es tat mir gut, die gesellschaftlichen Zwänge von L.A. hinter mir zu lassen.“
Doch mit der neugewonnenen Freiheit holten sie auch alte Dämonen wieder ein und Elsesser litt unter Drogen- und Alkoholabhängigkeit, bevor sie die Sucht vor neun Jahren überwand. „Ich denke, die Umstände waren wirklich so, dass mein Leben unkontrollierbar geworden war. Obwohl ich immer gemocht wurde, fühlte ich mich noch nie so niedergeschlagen. Es war mir zu diesem Zeitpunkt nicht bewusst, aber ich war in einem Teufelskreis, in dem ich mich selbst belog, und war am Tiefpunkt angelangt. Da wurde mir klar, dass sich etwas ändern musste“, sagt sie.
Nachdem sie als Hostess in einem Restaurant gejobbt sowie Streetwear-Mode verkauft hatte, bot sich ihr im wahrsten Sinne des Wortes eine goldene Chance. Die legendäre Visagistin Dame Pat McGrath fragte sie, ob sie die Muse des ersten Produkts der Pat-McGrath-Labs-Kollektion, Gold 001, werden wollte. „Ich wusste nicht viel über Mode, aber ich wusste, sie war und ist noch immer die Visagistin schlechthin. Von ihr bestätigt und bekräftigt zu werden, war extrem wichtig für mich“, verrät Elsesser. Und diese Bewunderung beruht auf Gegenseitigkeit. „Als ich Paloma das erste Mal sah, wusste ich sofort, dass sie die Schönheit einer Generation sein würde“, erinnert sich McGrath. „Sie hat nicht nur zeitlose Züge, sondern auch einen lebhaften Geist – genau das, was eine Muse für Labs ausmacht.“
Durch McGraths Unterstützung wurden auch andere Labels, Designer und Redakteure auf sie aufmerksam, die von ihrer außergewöhnlichen Schönheit, ihrer erfrischenden Sichtweise und der fröhlichen Energie, die sie überallhin mitbringt, begeistert waren. Elsesser erinnert an die Supermodels der 90er (inklusive einprägsamen Mononyms) und schafft den Spagat zwischen kommerziell und cool. Sie wirkt in einer künstlerischen Laufstegshow von Eckhaus Latta ebenso überzeugend wie in einer fröhlichen Kampagne mit pinken Wangen geschminkt von Glossier. Elsesser lässt beides gleich verführerisch wirken.
„MODE war nie und sollte nie dafür verantwortlich sein, die WELTANSCHAUUNG zu verändern, doch spielt sie eine Rolle? ABSOLUT“
„Wenn ich ans Set komme, möchte ich zeitlose Bilder schaffen, ich möchte aber auch den Tag für alle schön gestalten. [Die Kreativteams, mit denen ich arbeite] sind nicht einfach nur Menschen, sie sind Menschen, zu denen ich eine Beziehung habe, die ich mag und die mich mögen“, sagt sie. „Das sind nicht nur Leute, mit denen ich Party mache, sondern wir sehen uns 60 Mal im Jahr, wissen Sie? Selbstverständlich frage ich dann nach, wie es den Familien geht. Ich finde, genau so sollte Arbeit sein. Die Modebranche kann verletzend und voreingenommen sein. Ich möchte die Person im Raum sein, die dir dieses Gefühl nicht gibt.“
Trotz Elsessers einnehmender positiver Ausstrahlung wird sie aufgrund ihrer wachsenden Bekanntheit vermehrt Ziel von Kritik in den sozialen Medien. „Ich sehe Kommentare von Leuten, die sagen: ,Sie ist zu fett. Sie ist nicht groß genug. Sie kann nicht laufen.‘ Es verletzt mich, aber das ist Teil der Öffentlichkeit. Ich weiß, dass es viele gibt, die Kleidung noch immer nur an sehr dünnen weißen Frauen sehen wollen. Wirklich sehr viele Leute. Doch es gibt auch viele Menschen, die etwas anderes sehen wollen. Ich selbst möchte das auf jeden Fall.“ Obwohl sie Anerkennung für sich und andere Plus-Size-Models erlebt, weiß sie, dass die Branche noch einen langen Weg vor sich hat.
„Die durchschnittliche Frau in Amerika trägt meine Kleidergröße 42, es gibt aber auch Frauen mit viel größeren Größen als meiner, die überhaupt nicht repräsentiert werden und mir ist auch klar, dass ich nicht jeden repräsentieren kann“, sagt Elsesser. „Ich kann nicht Symbol für eine Frau mit Kleidergröße 48 sein. Das sollte ich auch nicht und das versuche ich nicht, denn ich teile diese Erfahrung nicht. Aber ich weiß auch, dass man irgendwo beginnen muss. Dabei versuche ich, mir meine eigenen Privilegien vor Augen zu halten, dass je mehr marginalisierte Menschen es gibt, desto mehr unterdrückte Menschen gibt es auch. Die Modebranche kategorisiert meine Schönheit als ‚so revolutionär, so verrückt, so überraschend‘ und sagt, dass ich mutig wäre – und das ist komisch für mich. Ich fühle mich emotional und spirituell am schönsten, wenn ich von einer Gruppe Menschen umgeben bin, die ich liebe. Wo gelacht und geliebt wird und ich nicht über körperliche Eigenschaften nachdenke. Dann fühle ich mich am wohlsten.
Obwohl es Elsesser nichts ausmacht, über Unrecht in und außerhalb der Modewelt zu sprechen, sieht sie sich nicht als Aktivistin. „In der Vergangenheit habe ich das Gefühl gehabt, ich muss das sagen. Ich denke, dass mein Verständnis von dem, was um mich herum passierte, und [dass] es mir nichts ausmachte, über Dinge zu sprechen, [bedeutete, dass] ich plötzlich als Aktivistin gesehen wurde. Doch manche Menschen widmen ihr ganzes Leben dem Aktivismus, dem Organisieren sowie der Theorie. Ich sehe mich nicht als Aktivistin. Mode war nie und sollte nie dafür verantwortlich sein, die Weltanschauung zu verändern, doch spielt sie eine Rolle? Absolut. Und ich trete dafür ein, dass die Modeindustrie sich weiterhin selbst in die Verantwortung nimmt.“
Die Welt liegt ihr zu Füßen und einige der wichtigsten Meilensteine ihrer Branche hat sie bereits erreicht – was plant das Model, das sich für Wandel einsetzt, als nächstes?
„Ich würde selbst gerne Kleidung kreieren, speziell für meinen Markt und darüber hinaus“, erzählt sie. „Ich weiß, dass ich keine Modedesignerin bin, aber meine Herangehensweise wäre eine andere. Außerdem würde ich gerne ein Buch in Essay-Form schreiben. Das habe ich an der Uni studiert, bevor ich meine Modelkarriere begann. Es gibt vieles in meinem Leben, das ich gerne teilen würde, wie ich meine Abhängigkeit überwunden habe, und ich möchte diejenige sein, die meine Geschichte erzählt. Mein Ziel ist es nicht, das berühmteste Model zu werden, es ist mir wichtiger als Mensch respektiert zu werden. [Und] zu wissen, dass ich in meiner Zeit in der Modebranche, egal, wie kurz oder lang, für mehr Veränderung zum Guten als zum Schlechten verantwortlich war.“
MEHR DAZU
Yara Shahidi über ihren 20. Geburtstag und die globale Gemeinschaft