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Gegen den Strom

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Tessa Thompson

Gegen den Strom: Interview mit Tessa Thompson

Authentisch, beeindruckend und bereit, ihrer Stimme ein Gehör zu verleihen: TESSA THOMPSON ist eine der aufregendsten Schauspielerinnen Hollywoods, die sowohl auf dem Bildschirm als auch abseits der großen Leinwand begeistert. In den strukturierten It-Pieces der Saison teilt sie ihre Ansichten über Rasse und Sexualität und erzählt, warum sie mit Janelle Monáe „auf einer Wellenlänge liegt“. Von JANE MULKERRINS

Foto Nagi SakaiStyling Catherine Newell-Hanson
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Die Nägel seien nicht ihre erklärt TESSA THOMPSON und wackelt mit den extravaganten, glänzenden rosa Krallen von der anderen Seite des Tisches aus in meine Richtung – sie gehören zu Bianca, ihrem Singer-Songwriter-Alter-Ego im Film Creed II. Sie hat die Dreharbeiten zum zweiten Teil von Creed – Rocky’s Legacy (2015) am Vortag in Philadelphia abgeschlossen. „Ich kann nichts mit diesen Dingern machen, und außerdem breche ich sie ständig ab“, sagt sie. „Bianca ist mir aber ziemlich ähnlich. Sie genießt die Einsamkeit, träumt davon, sich einen Namen zu machen und geht vorsichtig mit ihrem Herzen um.“ Thompson schaut auf ihre Hände. „Also ist es schön, mal was Neues zu haben, sozusagen als physische Verwandlung und Einstiegspunkt in meine Rolle.“

Nach fast einem Jahrzehnt geprägt von intelligenten Rollen in smarten, aber relativ kleinen Filmen wie For Colored Girls – Die Tränen des Regenbogens und Dear White People, wurde die 34-jährige Thompson im vergangenen Jahr in den Mainstream katapultiert. Auf der kleinen Leinwand spielt sie in HBOs gehaltvollem Drama Westworld die Bösewichtin Charlotte Hale; auf der großen Leinwand ist sie hingegen als Valkyrie in Thor: Tag der Entscheidung zu sehen. In Letzterem räumt sie mit den Stereotypen von Superhelden auf – ihre Darstellung der traditionell weißen, blonden nordischen Göttin ist hier dunkelhäutig und bisexuell.

Gleichzeitig ist sie abseits der Leinwand ein aktives Mitglied der „Time's Up“-Bewegung und vielleicht das perfekte Poster-Girl nach der #MeToo-Krise – eine kompromisslose, komplexe Schauspielerin, die sich kompromisslose, komplexe Charaktere sucht. „Das hier ist nicht nur ein Job, das ist mein Leben“, erklärt sie. „Also frage ich mich, wie ich es verbringen möchte. Was soll meine Geschichte sein?“

„Mein Charakter Bianca ist mir ziemlich ähnlich. Sie genießt die EINSAMKEIT, träumt davon, sich einen NAMEN zu machen und geht VORSICHTIG mit ihrem Herzen um“

Bild oben: Top von A.W.A.K.E.. Hose von Maison Margiela. Ohrring (Teil eines Paars) von Laura Lombardi. Dieses Bild: Kleid von Paco Rabanne. Höschen von Baserange.

Wir treffen uns zum Frühstück in einem Restaurant in der Nähe von Thompsons Zuhause in Silver Lake, der Hipster-Hochburg von LA. Sie ist eine fröhliche, enthusiastische, offene Person. Ihre Positivität scheint dem „yes“-Tattoo zu entsprechen, das unter dem Ärmel ihrer bedruckten Spitzenbluse von Rodarte hervorspitzt. Neben ihrer beeindruckenden Arbeit auf der Leinwand, ist Thompson in letzter Zeit dank ihrer engen Beziehung zu Sängerin Janelle Monáe ins Rampenlicht gerückt. Ihr letzter Film Sorry to Bother You – das Regiedebüt von Rapper Boots Riley, der auch das Drehbuch geschrieben hat – stellt einen weiteren Karrieredurchbruch für Thompson dar. Wie so viele der Filme, für die sie sich entschieden hat, geht auch diese etwas surrealistische Geschichte auf die Komplexität des Themas Rassen ein. Der Protagonist, gespielt von Lakeith Stanfield, ist ein afroamerikanischer Mann in einer Parallelversion des heutigen Oakland, Kalifornien, dem gesagt wird, er könne es im Telesales-Bereich nur zu etwas bringen, wenn er seine „weiße Stimme“ einsetzen würde. „Schwarze in Erzählungen des magischen Realismus zu sehen, ist etwas, wonach ich mich wirklich gesehnt habe“, so Thompson. „In meiner Kindheit war ich stets inspiriert von Filmen wie Being John Malkovich und Adaption – Der Orchideen-Dieb, aber es fühlte sich immer so an, als wären sie für jemanden wie mich nicht zu erreichen.“ Dieser Film, sagt sie, ermöglichte es ihr „anders auszusehen und Grenzen zu überschreiten“, nicht zuletzt, da für die physische Transformation neun Stunden Bleaching und Färben erforderlich waren, um das Regenbogenhaar ihres kunstbegeisterten Charakters zu erzielen.

Kleid von Cecilie Bahnsen.
Blazer von Christopher Kane. Hose von JW Anderson. Sneakers von Nike. Ohrring (Teil eines Paars) von Laura Lombardi.

[In meiner Familie] kann man alles sein, was man möchte. Ich fühle mich zu Männern und zu Frauen HINGEZOGEN. Egal, ob ich eine FRAU [oder] einen Mann mit nach Hause bringe, es gibt keine DISKUSSIONEN“

Kleid von Cecilie Bahnsen. Hose von Iro. BH von Baserange. Ohrring (Teil eine Paars) von Laura Lombardi.

Neben ihrer beeindruckenden Arbeit auf der Leinwand, ist Thompson in letzter Zeit dank ihrer engen Beziehung zu Sängerin Janelle Monáe ins Rampenlicht gerückt.So besticht die Schauspielerin durch einen herausragenden Auftritt im glamourösen Musikvideo zu Monáes Dirty Computer, einem der bisher angesagtesten Alben des Jahres 2018. „Das ist so eine gute Platte! Ich bin sehr stolz, Teil des Ganzen gewesen zu sein“, strahlt sie.

Das Album zelebriert Femininität, Queerness, sexuelle Grenzenlosigkeit und Selbstakzeptanz mit fröhlich homoerotischem Inhalt in ausgelassener Form, einschließlich einer Szene im unverschämt anzüglichen Video zur Single Pynk, in dem Thompson ihren Kopf durch die Beine von Monáes „Vagina-Hose“ steckt. „Ich bekomme SMS von Freunden, die sagen: ‚Würdest du Janelle bitte ausrichten, dass ich mich dank ihr vor meiner Familie geoutet habe?‘ “, schwärmt Thompson. „Ich glaube, dass dieses Album den Menschen wirklich hilft und wahrscheinlich einige Leben rettet.“

Ihre Mitarbeit in diesem Video hat auch die ohnehin schon fieberhafte Spekulation verstärkt, dass die beiden mehr als nur Freunde sind. „Es ist schwierig, denn Janelle und ich sind einfach sehr private Menschen. Wir versuchen beide, unser Bedürfnis nach Privatsphäre und Freiraum mit dem Wunsch, unsere Stimme und unseren Einfluss zu nutzen, in Einklang zu bringen“, sagt sie. „Ich kann gewisse Dinge dank meiner Familie als selbstverständlich erachten – völlige Freiheit, die Tatsache, dass man alles sein kann, was man möchte. Ich fühle mich zu Männern und zu Frauen hingezogen. Egal, ob ich eine Frau [oder] einen Mann mit nach Hause bringe, es gibt keine Diskussionen.“ Sie legt plötzlich Messer und Gabel beiseite. „Diese Vereinbarung war mir auch im Umgang mit Janelle wichtig. Ich möchte, dass jeder die Freiheit und Unterstützung erfahren kann, die ich von meinen Lieben bekommen habe“, fährt sie fort. „Aber bei so vielen Menschen ist das nicht der Fall. Kommt mir also eine Verantwortung zu, darüber zu reden? Soll ich meine Person in aller Öffentlichkeit vorstellen?“

„Janelle und ich lieben uns SEHR. Wir sind uns so nahe und liegen auf einer WELLENLÄNGE. Wenn die Leute darüber SPEKULIEREN wollen, was wir sind, stört mich das nicht“

Kleid von Richard Quinn. Boots von Balmain. Ohrring (Teil eines Paars) von Laura Lombardi.
Kleid von Richard Quinn. Boots von Balmain. Ohrringe (Teil eines Paar) von Laura Lombardi.

Dem Internet würde das mit Sicherheit sehr gut gefallen. Es gibt unzählige Geschichten, die sich detailliert über jeden Auftritt der beiden auslassen und etwas aus den jeweils gewählten Outfits herauszulesen versuchen. Thompson scheint davon unbeeindruckt. „Wir lieben uns sehr, wir sind uns so nahe“, sagt sie. „Wir liegen auf der gleichen Wellenlänge. Wenn die Leute darüber spekulieren wollen, was wir sind, ist das okay. Es stört mich nicht.“

Thompsons Weltlichkeit ist das Ergebnis ihrer Erziehung. Als Tochter eines schwarzen Musikers aus Panama und einer halb weißen, halb mexikanischen Mutter wuchs Thompson hauptsächlich in Los Angeles auf. Ihre Eltern trennten sich, als sie drei Jahre alt war. Als sie sieben war, zog ihr Vater nach Brooklyn in New York, wo sie dann oft Urlaub machte. Auf der Suche nach einem Ort, der vielfältig war, wechselte sie mehrmals die Schule, sodass sie nicht aus der Masse hervorstechen würde oder sich deswegen nicht schikanieren lassen müsste. „Vor allem eine Schule war wirklich rassistisch; ich wurde dort sehr gemobbt“, erinnert sie sich. „Kinder lassen das einfach über sich ergehen, sie sind ziemlich belastbar, aber meine Mutter war damit überhaupt nicht einverstanden.“

Kleid von Richard Quinn. Boots von Balmain. Ohrring (Teil eines Paars) von Kenneth Jay Lane.

In der Highschool fand sie Wege, die Rassendiskriminierung auf ihre eigene Art und Weise zu untergraben: Sie gründete eine „Harmoniegruppe unterschiedlicher Rassen“, bei der 20 Schüler aus jeder an der Schule vertretenen Rassengruppe regelmäßig Pyjamapartys organisierten. Thompson schloss sich der Gruppe als schwarze Studentin im ersten Jahr und als mexikanische Studentin im zweiten Jahr an. „Und im dritten Jahr sagte ich dann: ‚Dieses Jahr trete ich als Weiße bei‛, und alle sagten nein, das dürfe ich nicht.“ Nichtsdestotrotz war das für einen Teenager ein ausgeklügelter Kommentar zur Rassenidentität. „Ich schätze, ich war mir der Möglichkeiten, mit denen sich Identität schöpfen lässt, schon immer sehr bewusst“, erklärt sie. „Wenn ich alle meine Haare unter einer Mütze versteckte, behandelten mich die Leute plötzlich anders, weil sie mich für einen Jungen hielten. Ich glaube, das hat mich zur Schauspielerei inspiriert. Ich schaue mir Leute häufig an und frage mich, wie sie sich gefunden haben.“

Top von A.W.A.K.E.. Hose von Maison Margiela. Ohrring (Teil eines Paars) von Laura Lombardi.

„Ich schätze, ich war mir der Möglichkeiten, mit denen sich IDENTITÄT schöpfen lässt, schon immer sehr bewusst. Ich glaube, das hat mich zur SCHAUSPIELEREI inspiriert. Ich schaue mir Leute häufig an und frage mich, wie sie sich GEFUNDEN haben“

Genau wie eine steigende Anzahl an Schauspielerinnen hat auch Thompson damit begonnen, eigenes Material zu entwickeln und zu produzieren. Ihr erstes Projekt basiert auf der wahren Geschichte von Doris Payne, einer 87-jährigen, afroamerikanischen Juwelendiebin aus Atlanta, die Thompson zwei Jahre lang versucht hat aufzuspüren. „Eine Menge Leute sind immer wieder bei ihr aufgekreuzt und wollten ihre Geschichte erzählen, aber sie waren entweder nicht die richtigen Leute oder es war nie der richtige Zeitpunkt“, sagt sie. „Aber ich bin nun die richtige für sie, denke ich; und komme zur richtigen Zeit.“

Neben ihren schauspielerischen Leistungen hat Thompson in den letzten Jahren stetig durch ihren Stil beeindruckt; auf dem roten Teppich ist sie in markanten Kleidern von Altuzarra, Roksanda und Mary Katrantzou zu sehen. „Das machen Schauspielerinnen jetzt so… Zugegebenermaßen wäre ich lieber im Jogginganzug, aber natürlich lasse ich mir so eine Gelegenheit, auf dem roten Teppich zu laufen, nicht entgehen!“, schwärmt sie. Thompson wurde zusammen mit Kirsten Dunst, Grimes und Rowan Blanchard für Rodartes H/W18-Lookbook abgelichtet. Würde sich ihr eine große Kampagne bieten, „würde sie diese mit Sicherheit nicht ablehnen“. „Kampagnen bieten dir Freiheit. Viele Schauspielerinnen machen damit das große Geld“, erklärt sie. "Und wenn du eine schwarze Frau bist, ist es umso wichtiger, in der Öffentlichkeit zu stehen und diese Art von internationaler Präsenz zu haben. In den Köpfen der Leute verkaufen sich unsere Gesichter nämlich nicht; wenn wir also Kampagnen bekommen, überzeugen sie die Leute vom Gegenteil.“

„Es ist wirklich einfach, diese Kampagnen als dilettantisch abzuschreiben“, fügt sie hinzu. „Ich glaube aber nicht, dass sie das sind. Ich denke, sie sind wichtig.“ Und genau das macht Thompson aus – eine Bedeutung im scheinbar Stumpfen, ja sogar in einer Handvoll künstlicher, rosa Fingernägel zu finden.

Sorry to Bother You erscheint am 6. Juli (US); noch kein deutsches Erscheinungsdatum

Kleid von Cédric Charlier. Ohrring (Teil eines Paars) von Laura Lombardi.

Superheldin Tessa

Schauen Sie sich das Video an, in dem unser Coverstar verrät, welche Frauen sie verehrt und darüber spricht, das Marvel-Universum zu transformieren. Plus: diese coolen Moves sollten Sie sich nicht entgehen lassen…

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