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Exklusiv aus der Printausgabe: Lupita Nyong’o über Black Panther und Selbstakzeptanz

LUPITA NYONG’O ist die derzeit angesagteste Frau in der Branche. Gegenstand derartiger Begehrtheit zu sein, sei jedoch nur oberflächlich, sagt sie; das Einzige, was zählt, sei das Private. CAROLYN KORMANN lernt die kenianische, bahnbrechende Schauspielerin kennen und diskutiert mit ihr das Bewirken von Veränderungen in Hollywood, die Macht von Frauen, die Neudefinition von Schönheitsstandards bei dunkelhäutigen Menschen und warum niemand ihre Haare berühren sollte… Fotos MARIO SORRENTI. Styling CATHY KASTERINE

Reporter

An einem warmen Frühlingsmorgen finde ich Lupita Nyong’o, die 35-jährige, oscargekrönte Schauspielerin und internationale Schlüsselfigur, in einem Nest aus edelsteinfarbenen Kissen am Ecktisch eines leeren Restaurants in Fort Greene, Brooklyn. Sonnenlicht strömt durch die Fensterwand neben ihr. Sie wirkt ruhig und strahlend und begrüßt mich leise – offensichtlich nicht gern der auffällige Typ. Nachdem sie einen Hibiskustee bestellt hat, wendet sie sich an mich und fragt: „Was hat es mit dem Ring auf sich?“ Sie deutet mit dem Kopf in Richtung des Ringes, der an einer Kette um meinen Hals hängt. Sie übernimmt meinen Job, geht sofort auf die Sache ein, die ein bedeutungsloses Gespräch zwischen Fremden in einen intimeren Austausch verwandeln kann. Sehr aufmerksam und neugierig zu sein, ist aber einfach nur Nyong’os Art. Später sagt sie mir: „Das ist auch mein Job; die Umstände anderer Menschen sehr persönlich zu nehmen.“

Das mag für eine führende Frau in Hollywood eine unglaubwürdige Perspektive sein, aber es war in den letzten ca. zehn Jahren eines ihrer Leitprinzipien, seit sie aus ihrem Heimatland Kenia aufgebrochen ist, um sich als Schauspielerin in den USA einen Namen zu machen. „Es bestärkt einen Menschen mehr als alles andere, über die Erfahrungen anderer nachzudenken“, so Nyong’o. Das sei auch der Grund, warum sie Schauspielerin geworden sei. „Manchmal musste ich mich selbst daran erinnern, warum ich [die Schauspielerei] liebe. Es ist nicht wegen der Anerkennung. Ich liebe sie, weil ich es so genieße, die Welt mit den Augen anderer zu erleben.“

Während Frauen ihre Macht durch die #MeToo- und Time's Up-Bewegung zurückgewinnen, wirkt Nyong’o wie eine Frau, die ihre Kontrolle nie verloren hat. Seit sie 2014 bei den Oscarverleihungen die Auszeichnung als beste Nebendarstellerin für ihre fesselnde Darbietung in ihrem ersten Spielfilm 12 Years a Slave gewann, bleibt sie ihren Prinzipien treu; sie konzentriert sich auf die Arbeit, treibt dabei ihre Karriere stetig voran und bewahrt sich ihre Position an der Spitze – eine Errungenschaft, die sie zu schätzen weiß. In jüngerer Zeit spielte sie in Black Panther, dem Marvel-Studios-Disney-Franchise, das sowohl aus filmkritischer als auch aus finanzieller Sicht ein Erfolg war – vielmehr aber ein wichtiger Auslöser für eine globale Welle an kulturellem Stolz und Solidarität unter dunkelhäutigen Menschen. Im Mai kündigte sie dann zwei neue große Filmprojekte an: 355, ein von Jessica Chastain geschriebener Spionage-Thriller, der mit ihrer Unterstützung beim Filmfestival in Cannes für mehr als 20 Millionen Dollar verkauft wurde; und Us, Jordan Peeles Nachfolger des Kassenschlagers Get Out. Nyong’o ist außerdem Produzentin einer abgewandelten TV-Miniserie von Chimamanda Ngozi Adichies Bestseller-Roman Americanah, in dem sie auch die Hauptrolle spielen wird.

Mit zwei großen Beauty-Aufträgen – Lancôme und ab Juli Calvin Klein – verfügt sie auch über Kompetenzen jenseits der Schauspielbranche. Sie ist bereits viermal auf dem Cover der US-amerikanischen Vogue erschienen und Anfang des Jahres wurde sie vom ebenfalls US-amerikanischen Magazin The Hollywood Reporter zur berühmtesten afrikanischen Schauspielerin der Welt ernannt. Sie erkennt die Verantwortung, die mit dieser Berühmtheit einhergeht und geht mit viel Integrität und Bestimmtheit damit um. „Sie brachte immer eine wunderbar persönliche Perspektive und politisches Engagement in ihre Arbeit ein“, sagt Evan Yionoulis, eine ihrer Schauspielprofessoren an der Yale School of Drama, wo sie in den namenlosen Jahren unmittelbar vor 12 Years a Slave studierte. „Das wird jetzt auf die Art und Weise, wie sie mit ihrem Leben und Ruhm umgeht, übertragen.“

Im Oktober letzten Jahres veröffentlichte Nyong’o eine weit verbreitete Meinungskolumne für die New York Times, in der sie enthüllte, dass sie, wie viele ihrer Kolleginnen in Hollywood, von Harvey Weinstein sexuell belästigt worden war. In knackiger, klar verständlicher und ungenierter Schilderung gab sie zu verstehen, dass er ihr zweimal unverblümt ein Angebot gemacht habe. Beim zweiten Mal, nachdem sie ihn in einem Restaurant im Manhattener Stadtteil Tribeca getroffen hatte, sagte er zu ihr: „Kommen wir zur Sache. Ich habe oben ein privates Zimmer, wo wir unser verbleibendes Essen genießen können.“ Sie weigerte sich. Er sagte ihr, sie solle „nicht so naiv sein“, dass sie, wenn sie Schauspielerin werden wolle, „bereit sein müsse, so etwas zu tun“. Sie blieb standhaft und lehnte erneut ab. „Bei allem Respekt“, erwiderte sie, „Ich würde nachts nicht schlafen können, wenn ich das tun würde, also muss ich passen.“ Sie sagte damals, dass sie die Kolumne einfach schreiben musste, denn es war genau zu der Zeit, als Frauen seine Schandtaten mehr und mehr an die Öffentlichkeit zu tragen begannen. Und ihr ging es erst besser, als sie den Stift zur Hand nahm.

Sie zeigte den groben Entwurf ihrer Geschichte ihrer Mutter, der sie einen Großteil ihres Erfolgs zu verdanken hat und die ihren Nachrichtenbeitrag zu 100 Prozent unterstützte. „Ich weiß nur zu gut, wie sehr sie die Person, die ich heute bin, beeinflusst hat“, sagt Nyong’o und spielt mit dem kleinen, goldenen Elefanten, der an einer langen Goldkette um ihren Hals hängt. (Sie liebt Elefanten – die in ihrem Heimatland natürlich heimisch sind – und unterstützt NGOs, die für deren Schutz vor Jagd, Wilderei und Lebensraumverlust kämpfen.) „Ich mag zwar aus einer sehr patriarchalischen Welt kommen, aber meine Familie ist genau das Gegenteil. Mein Vater hat auf meine Mutter gehört. Meine Mutter stand zu ihrem Wort. Ich hatte nie das Gefühl, dass sie sich von meinem Vater abwendete. Sie hatte die Macht, Nein zu sagen, und davon hat sie auch Gebrauch gemacht.“

Die Kellnerin kommt mit unseren Getränken zurück und wir bestellen Essen – für sie Gemüse, Eier und Lamm. „Ich nehme immer dasselbe“, sagt sie. Sie hat eine liebliche Stimme und spricht in einem eleganten Ton, der mühelos zwischen witzig und aufrichtig hin und her springt. Ihre Augen sind groß und ausdrucksstark und ihre Haare zu einem Dutt hinten zusammengebunden. Sie trug die Haare letzten Herbst, als sie ein Fotoshooting für das britische Magazin Grazia hatte, in ähnlicher Weise, sagt sie. Als sie sich nach der Veröffentlichung auf dem Cover sah, war sie schockiert. Der Fotograf hatte ihre neckischen Korkenzieherlocken herausgeschnitten, sodass sie einen geraden Igelschnitt zu haben schien. Sie postete Vorher-Nachher-Fotos auf Instagram (wo sie derzeit sechs Millionen Anhänger hat): „Ich bin enttäuscht, dass @GraziaUK mich für ihr Cover eingeladen hat und dann mein Haar auf den Fotos so bearbeitet hat, dass es ihrer Vorstellung von Schönheit entspricht (glatt und gerade).“ Sie fügte das Hashtag #dtmh (don't touch my hair ) hinzu, was soviel wie „berühre ja nicht meine Haare“ bedeutet – ein Satz, der durch Solange Knowles’ gleichnamige Single auf ihrem letzten Album berühmt wurde (eine brillante, leidenschaftliche und tiefe Meditation über ihre Erfahrung als Afroamerikaner). Hunderttausenden Menschen gefiel dieser Post von Nyong’o. Grazia und der Fotograf, der für die retuschierten Bilder verantwortlich war, haben sich inzwischen entschuldigt.

Ich mag zwar aus einer sehr patriarchalischen Welt kommen, aber meine Familie ist genau das Gegenteil. Mein Vater hat auf meine Mutter gehört. Meine Mutter stand zu ihrem Wort

„Mein Haar wurde schon immer gemieden“, erklärt sie. „Ich meine, wie oft hörst du, dass du mit solchen Haaren keinen Job bekommst?“ Ich frage, ob das auch heute noch zutrifft. „Oh ja“, antwortet sie. „Natürlich afrikanisches, krauses Haar wird oft als unzivilisiert oder wild dargestellt.“ Auf Instagram fügte sie ihrem ursprünglichen Beitrag einen Zusatz hinzu: „Es erfüllt mich, auf dem Cover eines Magazins zu erscheinen, denn es ist eine Gelegenheit, anderen dunkelhäutigen Menschen mit krausem Haar, aber besonders unseren Kindern zu zeigen, dass sie wunderschön sind, genauso wie sie sind.“

Zu diesem Zweck hat sie ein Kinderbuch mit dem Titel Sulwe geschrieben, das die US- amerikanische Verlagsgruppe Simon & Schuster Anfang 2019 veröffentlichen wird. „Ich dachte, ich würde das an einem Wochenende schreiben. Wie falsch ich lag. Es hat zwei Jahre gedauert.“ Das Buch erzählt die Geschichte eines kleinen Mädchens, wie sie ihre dunkle Haut zu akzeptieren lernt. Die Schauspielerin beschloss, es 2014 zu schreiben, nachdem sie eine Rede bei den ESSENCE Black Women in Hollywood Awards gehalten hatte. „Die Rede handelte davon, dunkle Haut in einer Welt zu haben, in der traditionell westliche Merkmale – helle Teints und seidiges Haar – das Schönheitsideal prägen, sowie davon, meine eigene Reise von einem unsicheren Menschen hin zum Status der Selbstakzeptanz zu schildern.“ Die Rede verbreitete sich wie ein Lauffeuer. „Ich war berührt, dass sie bei so vielen dunkelhäutigen Menschen Anklang fand, nicht nur bei Schwarzafrikanern. Und ich begann zu erkennen, dass es eine demografische Gruppe gab, die diese Botschaft wirklich hören musste, aber meine Rede nicht hören konnte. Ich wollte zu Kindern sprechen, bevor sie ein Alter erreichen, in dem die Welt ihnen einzureden versucht, dass sie nicht wertvoll sind.“

Nyong’o war die erste schwarze Frau, die Lancôme repräsentierte, nachdem sie im Jahr 2014 einen großen Endorsement-Vertrag unterzeichnet hatte. Letzterer stellte für die Marke eine Verschiebung hin zu dem dar, was sie damals diplomatisch als „die Idee [bezeichnete], dass Schönheit nicht diktiert werden sollte, sondern Ausdruck der Freiheit einer Frau sein sollte, sie selbst zu sein“. Ihre jüngste Calvin-Klein-Kampagne für den neuen Duft „Women“ zeigt sie neben zwei weiblichen Ikonen, die von Nyong’o wegen ihres Einflusses auf sie ausgewählt wurden – Katharine Hepburn und Eartha Kitt. „Indem sich diese Frauen den Normen ihrer Zeit widersetzten, definierten sie sie“, sagt Nyong’o. „Das strebe auch ich an.“

Nyong’o wurde in Mexiko-Stadt geboren, wuchs aber in Nairobi in einer großen und politisch bedeutenden Familie auf. „Wir stehen uns sehr nahe“, sagt sie. Sie hatte 12 Tanten, die immer da waren. „Einige von ihnen waren etwas komisch“, lacht sie. „Aber insgesamt haben sie mir ein wirklich gutes Basisverständnis dafür gegeben, was Weiblichkeit ist und sein kann.“ Nyong’os Sinn für Stil entwickelte sich früh; zu ihren Must-haves gehörten Latzkleider aus rotem Kord und ein süßes, lila-rosa Blumenkleid, das sie im Detail beschreibt. „Ich trug es zu jeder Veranstaltung. Es ist in gewisser Weise in dem Stil gehalten, den ich heute immer noch trage“, gesteht sie.

Als sie in einer privaten katholischen Grundschule war, liebte sie es, Fantasiewelten zu spielen. „Meine Mutter nannte mich liebevoll einen Weltraumkadetten, weil ich in meine eigene Welt reisen würde. Ich konnte mich Stunden mit mir selbst beschäftigen.“ Zu der Zeit hatte sie wiederkehrende Albträume über die Zeichentrickfigur des Roten Teufels, der auf der Verpackung ihres Lieblingseis abgebildet war. In ihrer Vorstellung verwandelte er sich in einen ausgeprägten Bösewicht, der sie von einem Nebenfluss des Flusses Nairobi, der durch die Gegend floss, terrorisierte. „Der Rote Teufel kam fast jede Nacht zu mir“, sagt sie. „Er lungerte immer in den Regengräben vor unserem Haus und wartete förmlich auf mich.“

Mein Haar wurde schon immer gemieden. Ich meine, wie oft hörst du, dass du mit solchen Haaren keinen Job bekommst? Natürlich afrikanisches, krauses Haar wird oft als unzivilisiert oder wild dargestellt

Abseits ihrer imaginären Welt umgab ihre Familie eine echte Gefahr. Ihr Vater, Peter Ayang’ Nyong’o, ein Akademiker, der an der Universität von Nairobi Politikwissenschaften lehrte, und sein Bruder Charles waren damals leidenschaftliche und öffentliche Gegner des unterdrückerischen und autoritären Präsidenten Kenias. 1980 soll Charles infolge seines politischen Aktivismus ermordet worden sein. Niemand wurde je angeklagt, aber für Peter war diese Botschaft genug. Er floh nach Mexiko und bekam eine Stelle als Gastprofessor an der örtlichen Universität. Seine Familie schloss sich ihm im folgenden Jahr an, und Lupita, das zweite von sechs Kindern, wurde geboren; ihr Name ist die Verniedlichungsform von Guadalupe. Nyong'o kehrte zwar noch vor ihrem ersten Geburtstag nach Kenia zurück, doch ihr Vater lebte bis 1987 im politischen Exil in Mexiko. Nach seiner Rückkehr setzte er seine Oppositionskampagne fort und wurde mehrmals festgenommen.

Obwohl ihre Eltern versuchten, sie vor den aktuellen Geschehnissen zu schützen (sie wusste beispielsweise nicht, dass ihr Vater inhaftiert wurde, wenn er jeweils nicht da war), spürte sie, dass etwas nicht stimmte. Sie erinnert sich daran, wie Familienmitglieder die Dokumente ihres Vaters verbrannten, oder an Tage, als ihre Mutter sie hinter zugezogenen Vorhängen von der Schule fernhielt; das Haus zu verlassen, war an diesen Tagen nicht sicher.

Dennoch verbrachte sie eine relativ glückliche Kindheit, mit dem Gefühl von Normalität zu Hause. Sie war schon immer eine Schauspielerin. „In den Ferien versammelte ich alle Kinder meiner Kirchengemeinschaft und erfand Theaterstücke. Ich bin so froh, dass es damals noch keine fotofähigen Handys gab. Die Fotos und Videos würden mich jetzt verfolgen. Manche Dinge muss man einfach ruhen lassen, wissen Sie.“ In der Highschool fand sie heraus, dass ihr das Lernen leichter fiel, wenn sie zum Beispiel Naturwissenschaften bildhaft nachspielen würde. „Wir haben das Herz gespielt. Buchstäblich. Das ist die Arterie…“, erklärt sie und hebt dabei ihren rechten Arm wie eine Tänzerin dramatisch an, um die Blutbahn darzustellen. „Und das ist die Vene…“ Ihr linker Arm geht nach unten. „Mein ganzer Körper wurde eingesetzt.“

Mit 16 Jahren war sie Teil einer semiprofessionellen Inszenierung von Romeo und Julia, in der sowohl Kinder als auch Erwachsene mitspielten. „Sie war außerordentlich bemüht und konzentriert“, erzählt mir Saheem Ali, ein Freund von damals, am Telefon. Er spielte Mercutio. „Der Regisseur sagte, ich könne nach Hause gehen, wenn ich fertig bin, aber ich erinnere mich, dass ich geblieben bin, nur um Lupita bei ihrer Rede im Grab zuzusehen. Sie war so fesselnd.“ Nach dem Stück haben sich die beiden aus den Augen verloren, aber kamen in den letzten Jahren durch einen gemeinsamen Freund in New York wieder zusammen. „Es war erstaunlich zu sehen, wie sie diese abrupte Veränderung meisterte und dabei doch dieselbe Person blieb, die sie vor 20 Jahren war.“

Vor dem College kehrten Nyong’o und ihre Schwester nach Mexiko zurück, um einen siebenmonatigen Sprachkurs im mexikanischen Bundesstaat Guerrero zu besuchen. „Meine Gesamteinstellung und mein Selbstwertgefühl sind kenianisch geprägt“, sagt sie mir. „Aber für meine Mutter war es wichtig, mich wissen zu lassen, dass ich woanders geboren wurde; deshalb habe ich mich mit diesem Ort immer verbunden gefühlt, habe das Bedürfnis verspürt, ihn besser kennenzulernen. Ich bin das einzige Familienmitglied, das dort geboren wurde. Es hat mich zu etwas Besonderem gemacht“, fügt sie mit einem scheuen Lächeln hinzu.

Unmittelbar nach ihrem Abschluss im Jahr 2012 wurde sie für 12 Years a Slave gecastet. „Es war surreal. Ich war von Angst geplagt“, sagt sie. „ Und fühlte mich wie eine totale Betrügerin: ‚Wie kann es sein, dass ich neben den Leuten spiele, die ich in meiner Kindheit gesehen habe?‘ Jeden Tag musste ich mir sagen, dass es doch egal sei, wer diese Rolle spielt, sondern es vielmehr darum gehe, welche Rolle sie spielten. Ich kenne Michael Fassbender als Person nicht, aber ich kann Master Epps kennenlernen.“ Die Dreharbeiten im heißen Sommer von New Orleans abzuhalten war besonders anstrengend – es waren lange Tage bei fast 42⁰, intensiver Konzentration und Schmerzen, aber auch Freude.

[Die Rede] handelte davon, dunkle Haut in einer Welt zu haben, in der traditionell westliche Merkmale – helle Teints und seidiges Haar – das Schönheitsideal prägen, sowie davon, meine eigene Reise von einem unsicheren Menschen hin zum Status der Selbstakzeptanz zu schildern

Die Universität absolvierte Nyong’o auf dem Hampshire College im US-amerikanischen Massachusetts, hauptsächlich weil ihr Vater einigen Professoren dort nahestand. Sie studierte Filmwissenschaften und Afrikanistik. „Ich wollte gerne auf eine Uni der Ivy-League gehen, aber das war zu teuer“, sagt sie. (Sie verwirklichte ihren Traum über kurz oder lang und besuchte Yale für das Masterstudium.) „Hampshire war sehr wohlwollend. Doch ich war besorgt. Man muss sich dort seine Hauptfächer selbst zusammenstellen. Ich mochte das nicht. Ich kam aus einem sehr strukturierten Hintergrund und habe die Freiheit, seiner eigenen Nase zu folgen, nicht verstanden. Was ich gelernt habe, war allerdings von unschätzbarem Wert: Mich auf mich selbst zu verlassen, mich selbst zu organisieren und zu motivieren. Ich habe Selbstdisziplin gelernt, weil sie mir nicht aufgezwungen wurde.“

Nach ihrem Abschluss zog sie nach New York und erhielt eine Stelle im Verwaltungsbereich. Nebenher bemühte sie sich um gelegentliche kleinere Schauspielrollen und Model-Einsätze. Sie fühlte sich zunehmend unglücklich und verloren. Als sie 24 wurde, packte sie eine Lebenskrise. „Ich wusste nicht, was ich mit meinem Leben machen wollte, also flog ich nach Hause, setzte mich mit mir selbst auseinander und versuchte, die Dinge klarer zu sehen. Ich rief mir ins Gedächtnis, dass ich ein Zuhause hatte und Menschen, die mich liebten.“ Ihre Mutter gab ihr ein von einer Freundin geschriebenes Selbsthilfebuch. Auf einem willkürlichen Familienausflug in der Savanne, umgeben von Elefanten, gestand sie sich endlich ein, dass sie Schauspielerin werden wollte.

Sie kehrte in die USA zurück, um die Yale School of Drama zu besuchen, ein dreijähriges Programm zu dessen Absolventen Meryl Streep und Frances McDormand gehören. Sie setzte sich gegen fast 1000 andere Bewerber um einen der begehrten 15 Plätze im Kurs durch. Ihr Professor, Yionoulis, bestätigt auch, dass sie sich durch „ihre Anmut, ihre Haltung, ihre echte Hingabe, sich selbst zu erfinden, und ihre Großzügigkeit gegenüber ihren Mitschülern“ ausgezeichnet hätte. „Sie hatte ein echtes Gespür für Freundlichkeit. Man merkt, wenn sich jemand wirklich um die Erfolge seiner Klassenkameraden und natürlich auch seine eigenen bemüht. Lupita war stets einer dieser Menschen. Ihr war Konsens heilig.“ Eine ihrer besonders bemerkenswerten Darbietungen war die eines Teufels, nämlich ihres Kindheitspeinigers, im Stück Dr Faustus Lights the Lights von Gertrude Stein. „Sie war so kräftig und verführerisch – einfach wunderbar“, sagt Yionoulis. „Sie hat sich sprichwörtlich in diesen Teufel hineinversetzt.“

Es war jedoch der Film Black Panther, der sich als das intensivste und anstrengendste, aber auch als das beglückendste Dreherlebnis entpuppte. Die Darsteller wussten, dass es sich dabei um etwas ganz Besonderes handelte. „So etwas hatten wir noch nie gesehen“, schwärmt Nyong’o. „Wir wussten, dass es ein Volltreffer sein würde.“ Sie legt ihre Gabel nieder, ihre Augen weiten sich. „Aber mit so einer stürmischen und leidenschaftlichen Reaktion auf Seiten des Publikums hätten wir nie gerechnet. Die Leute waren begeistert und regelrecht vernarrt in den Film! Sie sprachen in den höchsten Tönen davon, verkleideten sich fürs Kino, präsentierten ihre Kultur – und zwar nicht nur die afrikanische – in der Öffentlichkeit … In Südkorea beispielsweise erschienen zu unserem kurzen Pressetermin alle Interviewer in jeweiliger Nationaltracht aus ganz Asien.“ Auch der Austausch, den der Film zwischen Afrikanern und Afroamerikanern ins Leben gerufen hat, sei unglaublich mitreißend. „Ich war kurz nach der Filmveröffentlichung in Nigeria“, spricht sie weiter, „und ein Mann sagte zu mir: ‚Wie geht es meinen Cousins Boseman und Jordan?‘“ (Damit bezog er sich auf ihre Filmpartner Chadwick Boseman und Michael B. Jordan.) „Eine solche Verbundenheit hatte ich zuvor in Afrika noch nie gehört. Der Film hat definitiv einen längst überfälligen Dialog über unsere gemeinsame Identität geschaffen.“

Seit sie 2014 bei den Oscarverleihungen die Auszeichnung als beste Nebendarstellerin für ihre fesselnde Darbietung in ihrem ersten Spielfilm 12 Years a Slave gewann, bleibt sie ihren Prinzipien treu; sie konzentriert sich auf die Arbeit, treibt dabei ihre Karriere stetig voran und bewahrt sich ihre Position an der Spitze – eine Errungenschaft, die sie zu schätzen weiß. In jüngerer Zeit spielte sie in Black Panther, dem Marvel-Studios-Disney-Franchise, das sowohl aus filmkritischer als auch aus finanzieller Sicht ein Erfolg war – vielmehr aber ein wichtiger Auslöser für eine globale Welle an kulturellem Stolz und Solidarität unter dunkelhäutigen Menschen. Im Mai kündigte sie dann zwei neue große Filmprojekte an: 355, ein von Jessica Chastain geschriebener Spionage-Thriller, der mit ihrer Unterstützung beim Filmfestival in Cannes für mehr als 20 Millionen Dollar verkauft wurde; und Us, Jordan Peeles Nachfolger des Kassenschlagers Get Out. Nyong’o ist außerdem Produzentin einer abgewandelten TV-Miniserie von Chimamanda Ngozi Adichies Bestseller-Roman Americanah, in dem sie auch die Hauptrolle spielen wird.

„Ich musste mich wieder mit der Möglichkeit des Scheiterns vertraut machen und damit klarkommen. Und ich musste mich von der Notwendigkeit befreien, zu den Besten gehören zu wollen; das war schließlich auch nie ausschlaggebend für meinen Erfolg. Ich hätte mir im Leben keine solch große Auszeichnung für 12 Years a Slave erträumt, ich habe nur einfach versucht, Patsey so gut wie möglich zu spielen. Also rief ich mir immer wieder den einen Aspekt ins Gedächtnis, auf den ich mich konzentrieren sollte: meine Fähigkeiten. Allein deshalb habe ich die Rolle in Star Wars angenommen.“ Zwar schien das damals nicht die naheliegendste berufliche Übergangswahl zu sein, aber wie bei allem, was Nyong’o tut, hatte es einen bestimmten Zweck. „Was mir J. J. [Abrams, der Regisseur,] bot, war die Chance, eine Figur zu spielen, die nicht von meinem Körper abhing“, erklärt sie. „Ich konnte arbeiten, ohne gesehen zu werden“, sagt sie mit einem weiteren tiefen Lachen. „Das hat mich angesprochen.“

Abgesehen vom Star Wars-Franchise und bevor sie mit den Proben für ihren nächsten Blockbuster Black Panther begann, brillierte sie im Dschungelbuch (nur Stimme) und in Queen of Katwe, einem Film über ein junges Mädchen in Uganda, das eine überdimensionale Begabung für Schach hat. Mit Eclipsed gab Nyong’o außerdem ihr Broadway-Debüt – ein Stück über fünf liberianische Frauen im Jahr 2003, die den zweiten Bürgerkrieg in ihrem Land überlebt haben.

Wir wussten, dass es ein Volltreffer sein würde. Aber mit so einer stürmischen und leidenschaftlichen Reaktion auf Seiten des Publikums hätten wir nie gerechnet. Die Leute waren begeistert und regelrecht vernarrt in den Film…

Als der glamouröse Trubel um die Filmveröffentlichung zu guter Letzt etwas abzuklingen begann, zog sich Nyong’o inmitten all ihrer anderen Projekte zu einem zehntägigen Schweige-Retreat im Vipassana Meditationszentrum zurück. „Ich habe dort so viel gelernt. Es hat mich förmlich umgehauen. Man setzt sich täglich mit der Technik der Meditation auseinander. Das waren die härtesten zehn Tage meines Lebens. Aber es waren auch die erholsamsten zehn Tage.“ Sie meditiert weiterhin täglich und treibt regelmäßig Sport mit einem Trainier. „Das Leben wird dadurch lebenswerter“, sagt sie. Und Schlaflosigkeit sei seither kein Thema mehr für sie. „Stress raubt mir Schlaf. Aber Stress wird nun aus meinem Leben verbannt, hehe.“

Ihr Blick fällt auf jemand, der das Restaurant verlässt. „Ich dachte, es wäre ein Freund gewesen, der eigentlich gar nicht in der Stadt sein sollte“, sagt sie. Nyong’o scheint gern in Brooklyn zu leben. „Mir gefällt es, dass ich spontan mit einem Freund um die Ecke zum Biomarkt gehen kann. Neulich habe ich The Shining gesehen.“ (Nyong’o gesteht, dass ihr Horrorfilme schnell Angst einjagen; dennoch hat sie in letzter Zeit viele Gruselfilme angeschaut, um sich auf ihre Rolle in Us vorzubereiten.) „Als der Abspann kam, war mir klar: ‚OK, ich brauche Gesellschaft, ich kann jetzt nicht alleine sein.‘ Ich rief einen Freund an und er kam sofort vorbei.“ Saheem Ali, ein Freund aus Nairobi, der jetzt in Manhattan lebt, sagt mir, dass Nyong’o genau dasselbe für ihn tun würde. „Sie ist eine äußerst loyale Freundin. Wenn du sie brauchst, lässt sie alles stehen und liegen und ist für dich da. Sie ist eine Person, die zu ihrem Wort steht.“

Auch wenn sich Brooklyn für sie wie zu Hause anfühlt, vermisst sie ihre Familie. Vor kurzem ist sie zum ersten Mal seit zwei Jahren zu ihnen nach Kenia gereist. „Jeder hat jetzt ein Baby! Es gibt eine ganz neue Generation, die ich überhaupt nicht kenne. Ich musste einfach hinfliegen und Zeit mit ihnen verbringen.“ Auch sie will eines Tages Mutter werden, doch das hätte aktuell keine Priorität für sie. Ich frage sie, ob sie verliebt ist. „Das hat mich noch nie jemand gefragt“, lächelt sie verstohlen. „Sehr raffiniert von Ihnen.“ Sie hält inne, bevor sie antwortet. „OK. Bin ich nicht“, sagt sie schließlich und fügt dann hinzu: „Ich bin wahnsinnig verliebt in meine Nichte. Wenn ich Bilder und Videos von ihr in Tansania sehe, platzt mein Herz vor Liebe. Ich liebe sie abgöttisch und sie weiß es nicht einmal.“

Ich frage sie, wie es sich anfühlt, von so vielen Menschen auf der ganzen Welt geliebt und begehrt zu werden. „Sie wären überrascht. Die Liebe der Öffentlichkeit und die Liebe im Privaten sind nicht miteinander zu vergleichen. Dort, wo ich begehrt werde, bin ich abwesend. Meistens bin ich gar nicht da.“ Ihre digitale Casio-Armbanduhr beginnt zu piepen – unsere Zeit ist um. „Das Einzige, was zählt, ist das Private – jemandem in die Augen sehen zu können“, sagt sie abschließend. „Die weitläufige Liebe von außen ist nur oberflächlich.“

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