Unverblümt
mit
Shailene Woodley

SHAILENE WOODLEY ist bekannt für ihr Talent, ihren Gerechtigkeitssinn und ihre Hingabe, so einfach wie möglich zu leben: Sie besitzt nur die Essentials, die mühelos in einem kleinen Koffer Platz finden. Die letzten zwei Jahre brachten jedoch Veränderungen mit sich, die die Schauspielerin beinahe dazu veranlassten, Hollywood den Rücken zu kehren. Hier erzählt sie JENNIFER DICKINSON, weshalb sie fast fortgegangen wäre und wie Big Little Lies sie dazu bewegte, zu bleiben.
„Als ich sieben Jahre alt war“, erzählt Shailene Woodley, „sagte ich: ‚An dem Tag, an dem ich auf dem Cover einer Zeitschrift lande, werde ich aufhören‘, weil ich nie wollte, dass diese Branche in meinem Leben mitmischt.“ Zu diesem Zeitpunkt war sie schon zwei Jahre lang im Showbusiness und fühlte sich von dem Gedanken des Ruhmes und dessen Eingriff in alle Lebensbereiche abgestoßen.
Und hier sind wir nun zwei Jahrzehnte später und sie schmückt bereits zum zweiten Mal das Cover dieses Magazins und war von Vanity Fair bis hin zum New York Magazine der Star unzähliger weiterer. Sie hat die Dreharbeiten zur zweiten Staffel von Big Little Lies kurzzeitig unterbrochen, um die Werbetrommel für das brillant zermürbende Filmdrama Die Farbe des Horizonts zu rühren, in dem Woodley an der Seite des britischen Schauspielers Sam Claflin spielt. Der Film basiert auf der wahren Geschichte von Tami Oldham und Richard Sharps und deren Erfahrung im Jahr 1983, als die von einem Hurrikan erfasst wurden und für 41 Tage lang auf offener See verharren mussten. Woodley (26) selbst sagt, sie sei für die Dreharbeiten „bis ans Äußerste ihrer Grenzen gegangen.“ Von den täglichen Fahrten aufs offene Meer, den Sprüngen ins Wasser als Pinkelpause, wenn die Toilette auf dem Boot mal wieder nicht funktionierte, bis hin zu dem Verzicht auf Abendessen über einen Monat jeden Tag, um Oldhams langsamen Hungertod zu verbildlichen.
Also, sie scheint doch noch fest verankert in der Branche. Ist sie also keine Frau ihres Wortes? Oder hat Hollywood ihr den Kopf verdreht? Weder noch, verspricht sie auf dramatische und zugleich aufrichtige Art und Weise: „Ich habe den besten Job der Welt. Ich könnte weinen, wenn ich darüber spreche. Und es kann so vergänglich sein, das rufe ich mir jeden Tag in den Sinn. Was ich mache, kann mir jederzeit weggenommen werden.“
„Der GEDANKE an Rote-Teppich-Events und Fashion war so überwältigend, dass ich mich lieber von ALLEM fernhielt. Wenn ich gerade keinen Film drehte, dann arbeitete ich irgendwo auf einer Farm und konnte mich so an etwas klammern, das sich ECHT anfühlte“
Die Schauspielerei fällt ihr scheinbar leicht. Co-Stars loben Woodley in höchsten Tönen, wie George Clooney, mit dem sie in The Descendants spielt und Kate Winslet, an deren Seite sie in Die Bestimmung – Divergent mitgewirkt hat und die Woodley als eine der besten Schauspielerinnen ihrer Generation bezeichnet. Aber alles, das damit einhergeht? Das war ein Kampf.
„Die Kombination aus Magazinen, Presseauftritten, Rote-Teppich-Events und Fashion, all das war so überwältigend, dass ich mich lieber von allem fernhielt“, sagt die Schauspielerin während sie an ihrem Kräutertee in einem entspannten LA-Café nippt. Sie trägt eine lässige Lederjacke und Jeans und überraschenderweise einen hellen rosafarbenen Lippenstift. „Mir liegt es einfach nicht, etwas halbherzig zu machen. Wenn es darum ging, dass ich für ein bestimmtes Bild, das ich von mir kreieren sollte, auf eine besondere Art schauen oder auf eine besondere Art sprechen sollte, dann hat mich das schon abgeschreckt. Wenn ich gerade keinen Film drehte, dann arbeitete ich irgendwo auf einer Farm und konnte mich so an etwas klammern, das sich echt anfühlte.“
„Ich wollte keine Schaufensterpuppe sein, die von jemandem GEKLEIDET und dann auf dem roten Teppich AUSGESETZT wird… Wenn das nicht dein Ding ist, kann das deine SEELE belasten“
Während Woodley schon immer selbstsicher auftrat – vielleicht dank ihrer Eltern, die beide als Therapeuten tätig sind – wirkt sie jetzt heiterer. Es scheint, als habe sie einen Weg gefunden, die sehr unterschiedlichen Einflüsse in ihrem Leben auf einen Nenner zu bringen. Letzten Monat erschien sie in Ralph Lauren bei der Met Gala in Begleitung von Ansel Elgort. Was veranlasste sie, zu solch einem extravaganten Event zu gehen, obwohl sie sonst nach der Devise „Weniger ist mehr“ lebt? „Ich hatte die Gelegenheit, etwas zu erleben, zu dem ich vielleicht nie wieder die Möglichkeit bekomme“, sagt sie schlicht. „Ich war diesbezüglich aber schon immer polarisierend. Als ich in der Highschool war, ging ich in Secondhand-Läden shoppen, um seltsame Outfits zusammenzustellen. Als ich The Descendants drehte, sagten mir Studios, ich solle mich kosmopolitischer kleiden, was für ein 18-jähriges Mädchen so ein seltsames Wort ist. Ich stellte so viel von meinem Wunsch, in diesem Umfeld kreativ zu sein, hinten an, weil ich keine Schaufensterpuppe sein wollte, die von jemandem gekleidet und dann auf dem roten Teppich ausgesetzt wird. Oft sehen wir dieses Muster bei jungen Frauen in der Branche: Sie verlieren ein bisschen an Gewicht, wenn sie erfolgreich sind, dann verändern Sie ihre Haarfarbe oder ihre Haut ist plötzlich makellos. Es läuft so viel hinter den Kulissen ab, also wenn das nicht dein Ding ist, kann das deine Seele belasten.“
„Mode ist wieder AUFREGEND, weil ich jetzt einen authentischen Look KREIEREN kann. Ich denke, am Ende macht das Gefühl der KONTROLLE den Unterschied“
Lange Zeit war nichts davon Woodleys Ding. „Ich wollte nur sicherstellen, dass mein physisches Erscheinungsbild mit meinen mentalen Ansichten und Standpunkten in Einklang ist“, sagt sie. „Jetzt empfinde ich anders. Mode ist wieder aufregend, weil ich jetzt einen authentischen Look kreieren kann. Ich denke, am Ende macht das Gefühl der Kontrolle den Unterschied.“
Im Moment filmt die Schauspielerin eine zweite Staffel von Big Little Lies. Wie auch ihre Co-Stars Laura Dern und Zoë Kravitz und die Executive Producer Reese Witherspoon und Nicole Kidman ist sie gleichermaßen stolz auf das TV-Phänomen, aber für Woodley repräsentiert die Serie etwas, das noch bedeutender ist. Bevor sie das Drehbuch bekam, überlegte sie, ob sie die Schauspielerei an den Nagel hängen sollte. „Es gab einen Punkt in meinem Leben, direkt vor Big Little Lies, da fühlte sich das Schauspielern wie eine Sackgasse an. Ich merkte, dass es an der Zeit war, etwas Neues zu machen. Ich rief meine Agenten an und sagte: „Bitte sendet mir keine weiteren Drehbücher, ich muss andere Wege beschreiten.“ Sie respektierten mich und schickten mir fast ein Jahr lang nichts, bis Big Little Lies kam. Ich wusste nicht, um was es sich handelte oder wer daran beteiligt war, ich sagte nur: „Danke, ich bin immer noch nicht interessiert.“ Meine Agenten blieben hartnäckig und enthüllten die eindrucksvollen Namen des Projektes. „Ich las es, verliebte mich in das Drehbuch und dann rief mich Laura Dern an, mit der ich bei Das Schicksal ist ein mieser Verräter zusammengearbeitet hatte, und das war schließlich wirklich der Auslöser.“
„Es gab einen PUNKT in meinem Leben, direkt vor Big Little Lies, da fühlte sich das Schauspielern wie eine SACKGASSE an. Ich merkte, dass es an der Zeit war, etwas NEUES zu machen“
Was hatte Woodley dazu gebracht, der Schauspielerei den Rücken zu kehren? Zu diesem Zeitpunkt drehte sie die Verfilmung des Jugendromans Die Bestimmung – Divergent und der Science-Fiction-Film und Hollywoods Durst nach jugendlicher Qual mögen wohl nicht ganz unschuldig daran gewesen sein. Die Schauspielerin besteht darauf, dass sie „die Filme für nichts in der Welt ändern würde“, gibt aber zu, dass „der letztere für alle eine harte Erfahrung war. Das hat mich wirklich davon überzeugt, dass ich meine menschlichen Erfahrungen außerhalb dieser Branche machen sollte, um mich dann wieder in die Schauspielerei zu verlieben und so ist es mir mit Big Little Lies geschehen.“
Das Konzept von weiblicher Solidarität ist sicherlich das Bedeutendste, das Sie aus der Serie und den darauffolgenden Preisverleihungen mitgenommen hat. Fünf starke weibliche Hauptrollen in einer Serie sind sicherlich ein ungewöhnliches Zusammenkommen und die Beziehungen zwischen den Schauspielerinnen stellten sich auch außerhalb der Leinwand als ebenso bereichernd heraus. „Ich weiß nicht, ob ich jemals mit einer Gruppe von Frauen zusammengearbeitet habe, bei der Konkurrenz nicht im Weg von schwesterlicher Solidarität stand“, sagt Woodley. „Jede einzelne Person setzte sich für die anderen Mitglieder ein. Wie beim Met Ball 2016; alle hatten Einladungen, aber nur ein paar konnten gehen, weil wir weiter filmen mussten, also gingen Nicole und Zoë und alle anderen blieben zurück und drehten weiter.“
„Ich weiß nicht, ob ich vor Big Little Lies jemals mit einer Gruppe von FRAUEN zusammengearbeitet habe, bei der Konkurrenz NICHT im Weg von schwesterlicher SOLIDARITÄT stand“
Während die Schauspielerei für Woodley nun wieder auf der Tagesordnung steht, verfolgt sie seit den Präsidentschaftswahlen 2016 noch eine weitere Leidenschaft: die Politik. Ich glaube nicht, dass ich 2020 kandidieren werde, aber es ist nichts, was ich ausschließen würde“, sagt sie. Die Schauspielerin unterstützte Bernie Sanders – zum Teil aufgrund seiner Ansichten zu Themen wie der Dakota Access Pipeline. Woodley selbst wurde während eines Protestes gegen das Bauprojekt entlang des Indianerreservats Standing Rock verhaftet.
Unmittelbar nach dem Vorfall schrieb sie einen offenen Brief und drängte uns alle, nicht schweigend zuzusehen. Auf lange Sicht fühlte sich Woodley jedoch hin und hergerissen. „Nach Standing Rock wünschten sich so viele Leute, dass ich etwas in die Wege leite und ich musste einen Schritt zurücktreten“, erklärt sie. „Warum geschehen Events wie Standing Rock überhaupt erst? Aufgrund systematischer Fehler; und ich als emotionales Wesen kann nicht anders, als daran zu glauben, dass wenn man die Gesetzgebung ändern will, man in den Köpfen und Herzen beginnen muss. Wir müssen zu Menschen werden, die bereit sind, auf unsere eigene S *** zu schauen, bevor wir mit dem Finger auf andere zeigen und wir müssen uns gegenseitig zur Rechenschaft ziehen.“
Wie fühlt es sich an, so etwas wie ein Hollywood-Aushängeschild für Aktivismus zu sein? „Aktivismus ist wichtig“, argumentiert sie, „aber ich denke, dass dieser häufig als Übergangslösung dient, anstatt herauszufinden, wie man die Ursache eines Problems verändern kann. Ich denke wirklich, dass alles gelöst werden könnte, wenn man jungen Menschen Empathie beibringen würde. Viele denken, dass es eine sehr idealistische Art ist, die Welt zu betrachten, aber ich hätte keine bessere Lösung, die funktioniert. Bis mir jemand eine andere Lösung vorstellt, werde ich einfach weiterhin die Meinung vertreten, dass Empathie und Mitgefühl den Unterschied machen.“
Als die „Time’s Up“-Bewegung zur Sprache kommt und deren Momentum in Hollywood, sagt Woodley, dass man ihr dafür keinen Verdienst zuschreiben könne, außer dass sie an den Golden Globes 2018 in Begleitung der Aktivistin Calina Lawrence teilgenommen habe. Sie war mit ihrem Freund, dem fidschianischen Rugbyspieler Ben Volavola, im Ausland als der Harvey-Weinstein-Skandal ans Licht kam, und das erste Treffen, über die neue Organisation fand am Vorabend der Preisverleihung statt. Eine Woche später postete sie eine Instagram-Nachricht und gab zu, dass sie diese Tage danach gebraucht habe, um das ungeheure Ausmaß des Abends zu verarbeiten. „Es entstand dieses Gefühl der Verletzlichkeit und Wahrheit, das den Autopiloten aussetzte, mit dem wir uns scheinbar alle vorher eine Weile durch die Welt bewegten“, erklärt sie. „Ich denke, diese Empfindung rührte daher, dass es das erste Mal war, dass sich jeder die Zeit nahm, zu erkennen, dass wir alle ziemlich gleich sind. Die Häuser, in denen wir leben, mögen anders aussehen, die Geldbeträge unserer Bankkonten mögen unterschiedlich sein, aber das Gefühl von Einsamkeit, Leid und Trennung ist universell.“
Woodley selbst bezeichnet schon seit Jahren keinen Ort mehr als ihr „Zuhause“ und sieht eine Basis als Verschwendung von Ressourcen an, wenn so viel Zeit am Drehort verbracht wird. Zwischen den Drehs kommt sie bei Freunden auf der Couch unter. Jetzt aber sehnt sie sich danach, mit Volavola, den sie während der Dreharbeiten zu Die Farbe des Horizonts auf den Fidschi-Inseln kennenlernte, Wurzeln zu schlagen. „Gott sei Dank – für meine Freunde. Sie sind mir gegenüber so tolerant, aber jetzt möchte ich ein eigenes Zuhause besitzen“, sagt sie. „Ich führte jahrelang ein sehr minimalistisches Leben – Zahnbürste, Deo, zwei Jeans, ein Paar Leggings für Yoga, Pullover und Jacke. Wirklich nur essentielle Dinge. Ich habe mir die frivolen Freuden eines menschlichen Lebens und menschlicher Erfahrungen verweigert.“
Jetzt geht sie so vielen wie möglich davon nach, meistens gemeinsam mit Volavola, der heute Abend aus Paris zu ihr nach LA reist. „Ich liebe es älter zu werden; es ist die aufregendste Sache. Jedes Jahr liebe ich mich ein bisschen mehr und grabe das Leben ein wenig weiter um“, lächelt sie. „Manchmal erlebst du Höhen und manchmal Tiefen, aber im Moment ist das Leben wirklich, wirklich gut.“
Die Farbe des Horizonts erscheint am 12. Juli 2018.
Die in diesem Artikel dargestellten Personen stehen nicht in Verbindung mit NET-A-PORTER und unterstützen weder die Inhalte noch die gezeigten Produkte.