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Warum wir mit Frauen nicht so hart ins Gericht gehen sollten, von Constance Wu

Die 35-jährige Schauspielerin, die gerade die Verfilmung von Crazy Rich Asians abgeschlossen hat, fordert, dass wir Frauen unterstützen sollten, die auf der Suche nach ihrem Weg sind – auch, wenn wir nicht mit ihnen übereinstimmen

Reporter

Unser erster Ball fand an einem Samstagabend in der Turnhalle unserer Schule statt. Die Deckenlampen wurden gedimmt und eine Discokugel prangerte über uns. Luftschlangen und Ballons hingen von den Dachsparren; ein DJ spielte Pop. Und jedes Mal, wenn ein langsames Lied erklang, öffnete sich eine riesige Kluft in der Mitte der Turnhalle und die Mädchen strömten auf die eine Seite, die Jungs auf die andere. Erinnern Sie sich an den Film Die Zehn Gebote, an die Szene als Charlton Heston das Rote Meer teilt? So hat es sich angefühlt. Uns Mädchen war fast schwindlig und wir standen dort erwartungsvoll. Wir neckten uns gegenseitig auf die Art und Weise, wie wir uns gewünscht hatten, dass die Jungs uns necken würden. Auf der anderen Seite standen die Jungs. Ich kann nur erahnen, wie es ist, ein Junge vor der Pubertät zu sein, aber wie es für mich aussah, war es eine seltsame Kombination aus Selbstgefälligkeit, Dummheit und Herz.

Ich war nicht beliebt. Ich war klein, flachbrüstig und schüchtern. Aber ich wollte wirklich gerne tanzen und so beschloss ich den Raum zu durchqueren. Ganz allein, mit klopfendem Herzen ging ich direkt auf die Jungs zu. Der Schreck war ihnen ins Gesicht geschrieben. Uns allen. Die erwachsenen Anstandsdamen gaben sich amüsiert. Was zutiefst peinlich ist; es ist peinlich, wenn deine innere Angst andere belustigt. Auf jeden Fall ging ich direkt auf Sam Sablone zu, einen Jungen, mit dem ich noch nie gesprochen hatte, aber in den ich mich verknallt hatte und sagte…

„Hey Sam, willst du tanzen?“

„Ja“, sagte er, ohne zu zögern.

Er legte seine Hände auf meine Taille und ich legte meine auf seine Schultern. Mein erster Stehblues. Innerhalb einer Minute tanzten alle Stehblues. Mein einsamer Weg hatte alle zum Tanzen veranlasst.

Es hätte auch ganz anders kommen können. Es hätte auch ein traumatisches Erlebnis werden können. Ich, zurückgewiesen, wäre beschämt zurückgelaufen, und alle hätten mich verhöhnt. Stattdessen sagte Sam „Ja“ und es war ein Triumph. Aber die Leute sagen nicht immer „Ja“. Wir kennen bereits das Ende der Geschichte und feiern sie dadurch als Triumph und nicht als Trauma. Aber als ich diese Halle durchquerte, kannte ich das Ende nicht. Ich befand mich in der Mitte meiner Geschichte. Ich hatte die Situation nicht sorgfältig abgewogen (Sam hatte noch nie mit mir gesprochen! Mädchen sollten nicht die Jungs fragen!). Wenn ich es sorgfältig durchdacht hätte, hätte ich es nie getan. Ich begab mich stattdessen ohne Fahrplan ins Unbekannte. Allein.

Und diese Situation rufe ich mir immer wieder ins Gedächtnis, wenn meine Kollegen eine offenherzige Frau als problematisch bezeichnen. Ich versuche zu berücksichtigen, wie alleine sie mit ihrer Meinung ist. Je problematischer diese ist, egal wie gerechtfertigt die Kritik sein mag, desto einsamer ist es da draußen für sie. Manchmal ist das Überwinden dieser Einsamkeit schon selbst eine Art von Mut. Ich verteidige keine problematischen Frauen, noch versuche ich ihre Kritiker zum Schweigen zu bringen – in einem Umfeld von Heuchelei spielt Wachsamkeit durchaus eine Rolle. Aber Fehlerfreiheit ist kein Zeichen von Mut. Wir sind dazu bestimmt, zu versagen, zu irren – eben, menschlich zu sein. Ständige Wachsamkeit lässt dafür nicht viel Raum. Und der Grund, warum wir überhaupt erst für etwas kämpfen, ist, na ja … für die Menschheit. Wenn also eine Frau mit ihren Tweets von einem Fettnäpfchen ins nächste tritt, ihre eigenen Privilegien nicht erkennt, und sich einen Fauxpas nach dem anderen erlaubt … dann erinnere dich, dass sie gerade in der Mitte ihrer Geschichte steht. Gib ihr Zeit. Viel davon. Keiner von uns weiß, was noch passieren wird. Aber immerhin hat sie sich nach da draußen gewagt und läuft quer durch die Turnhalle. Vielleicht ist sie nur ein Mädchen, das wirklich gerne tanzen will.

*Namen wurden aus Gründen der Privatsphäre geändert

Crazy Rich Asians erscheint am 23. August

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