An der Spitze
mit
Julia Garner
Mit Rollen im Netflix-Hit Ozark sowie dem Film der Stunde The Assistant befindet Schauspielerin JULIA GARNER sich zur Zeit in Karriere-Bestform. Auch in ihrem Privatleben ist alles rosig, wie ERIN CUNNINGHAM herausfand. Aber erinnern Sie sie bitte nicht an Ihre Dankesrede bei den Emmys…
Julia Garner versucht sich an den Moment zu erinnern, als sie letzten September den Emmy als beste Nebendarstellerin in einer Dramaserie entgegennahm. Es ist allerdings ein bisschen schwierig, denn sie erinnert sich nur, dass sie ein „komplettes Blackout“ hatte.
„Ich kann mich an gar nichts erinnern“, erzählt die Schauspielerin, die uns als Hitzkopf Ruth Langmore aus der Netflix-Serie Ozark vertraut ist. „Als ich die Bühne betrat, den Preis entgegennahm und ins Publikum schaute, sah ich so viele Menschen und dachte mir nur, ‚Was zum Teufel?‘ Es war furchteinflößend.“
Obwohl sie von den berühmten Zuschauern („ich sah Michael Douglas und Catherine Zeta-Jones direkt in die Augen, was mich total aus der Bahn warf“) abgelenkt war, schaffte es Garner, ihrem Co-Star Jason Bateman zu danken, den sie „von Anfang an ihr Vorbild“ nannte. Sie würdigte auch ihre Rolle und ihren Werdegang, der sie zu diesem Moment geführt hatte. „Jeden Tag wird mir aufs Neue bewusst, was für ein Glückspilz ich bin“, erzählt sie, gibt aber auch zu, wie nervös sie war. Bestätigt wurde sie dann im Stil von Fleabag. „Phoebe Waller-Bridge sagte mir, sie fand meine Rede toll“, lacht sie, während sie sich erinnert, dass sie irgendwann nicht mehr aufhörte, über Schokolade zu reden. „Ich sagte Backstage [zu ihr] ‚Ich finde dich toll‘ und sie [antwortete], ‚Ich fand deine Rede toll‘. Es war so reizend von ihr. Ich sagte, ‚Nein, sie war furchtbar!‘“
„Ich bin noch immer ein bisschen aufgeregt, wenn ich daran denke. Ich kann gar nicht glauben, dass ich überhaupt nominiert war, um ehrlich zu sein. Es war beängstigend surreal.“ Sie hätte wohl besser auf ihren Co-Star gehört, dann wäre Garner – die als eine der Favoritinnen in ihrer Kategorie galt – vielleicht nicht so überrascht gewesen.
„Ich war schon immer eine große FILMLIEBHABERIN. Ich bin mit den KLASSIKERN aufgewachsen und war immer FASZINIERT von Schauspielern wie Bette Davis, Vivien Leigh, Marlon Brando und Meryl Streep“
„Jason war sicher, dass ich gewinnen würde und ich sagte nur, ‚Nein, nein, nein, nein, nein‘“, erzählt sie. Garner räumt aber ein, dass ein Grund für diese Überraschung ihre Angewohnheit ist, im Internet keine Artikel über sich selbst zu lesen, außer die eine oder andere Kritik.
Auch wenn sie sich für diesen Moment nicht bereit gefühlt hat, hat Garner bereits über ein Jahrzehnt auf diesen Gewinn hingearbeitet. Aufgewachsen in New York City mit kreativen Eltern – ihre Mutter war Comedian vor ihrer Tätigkeit als Therapeutin, wie sie zu Gast in der „Israelischen Version von Saturday Night Live“ erzählt. Ihr Vater ist Maler und Kunstlehrer – sie glaubt, ihre Berufswahl ist daher nachvollziehbar.
„Ich war schon immer eine große Filmliebhaberin. Ich bin mit den Klassikern aufgewachsen und war immer fasziniert von Schauspielern wie Bette Davis, Vivien Leigh, Marlon Brando und Meryl Streep.“
Schon als sie klein war, meldete Garners Mutter sie zum Schauspielunterricht an, um ihr zu helfen, ihre Schüchternheit zu überwinden. „Ich mochte das Gefühl, mich im Moment zu verlieren und nach ‚Cut‘ einfach wieder in die Realität zurückzukommen. Ich dachte mir, ‚was ist diese außerkörperliche Erfahrung?‘“
Bereits als Teenager startete sie ihre Karriere, schaffte es aber nicht, sich die Rolle in ihrem ersten wichtigen Vorsprechen zu sichern – eine Hauptrolle in der amerikanischen Version der britischen Serie Skins. Trotzdem war es ein Schlüsselerlebnis, denn dadurch lernte sie Casting-Direktorin Susan Shopmaker kennen, die die damals 16-Jährige nur ein paar Monate später im Drama Martha Marcy May Marlene aus dem Jahr 2011 neben Sarah Paulson und Elizabeth Olson besetzte.
Garner glaubt, dass ihr Erfolg seitdem auf zwei Dingen beruht. Erstens ihrem Arbeitsethos „arbeite hart und sei freundlich.“
„Ich sehe Schauspieler, die außergewöhnliche Künstler sind, die hart arbeiten und auch gut sind. Aber sie sind nicht erstklassig. Und dann treffe ich sie und mir wird bewusst, dass sie auch keine erstklassigen Personen sind. Der Grund, warum sie nur gut und nicht erstklassig sind, ist die Seele, die ihnen fehlt. Sie wollen jemanden mit Seele, verstehen Sie?“
Zweitens meint sie, dass Schauspieler nicht auf einen einzigen Durchbruch in ihrer Karriere bauen– oder sich auf ihren Lorbeeren, falls sie welche bekommen – ausruhen sollten. „[Wir] brauchen verschiedene Durchbruchs-Momente, immer wieder.
Ozark, in dem Garner neben Stars wie Bateman und Laura Linney spielt, „war mein erster wirklich großer Durchbruch“, sagt sie. „Es machte mich bekannt.“ Eigentlich war Ruth „nicht als große Rolle geplant“. Doch Garners kecke und ausdrucksstarke Interpretation der Rolle begeisterte das Publikum und verhalf der Serie zum Erfolg. Die New York Times nannte Ruth das Herz von Ozark, mit harter Schale aber weichem Kern. Das war auch Garners Eindruck der Rolle und warum sie sich ursprünglich dafür begeisterte.
„Ich wusste nicht, dass die Serie so erfolgreich sein würde“, erzählt sie. „Denn manchmal gibt es Shows mit Starbesetzung und bekanntem Autor und Regisseur und sie haben keinen Erfolg. Daher habe ich mir nichts erwartet. Aber nur durch die Szene von meinem Vorsprechen wusste ich, dass Ruth so sympathisch war. Ich wusste, das war meine Rolle.“
„Ruth war in VIELERLEI Hinsicht noch ein KIND. Jetzt ist sie mehr zur FRAU geworden“
Die dritte Staffel kommt diesen Frühling heraus und Garner ist seit vier Jahren eng mit ihrer Rolle verbunden – einer brillanten Kriminellen, die Schimpfwörter mag. Man kann sogar sagen, sie sind zusammen aufgewachsen.
„In der ersten Staffel war Ruth in vielerlei Hinsicht noch ein Kind. Jetzt ist sie mehr zur Frau geworden. Ich glaube aber, sie ist in einem Alter – und ich kann das sagen, weil ich im selben Alter bin – das ziemlich komisch ist. Es ist der Übergang von einer jungen Erwachsenen zu einer richtigen Erwachsenen. Das ist, was die Leute nicht verstehen. Eine 20-Jährige ist nicht wirklich erwachsen. Du bist noch immer ein Kind,“ lacht sie. „Ich kann nicht glauben, dass ich mit 26 sage, eine 20-Jährige ist ein Kind!“
Garners neuestes Filmprojekt The Assistant, in dem Kitty Green Regie führt, war eines der ersten Ergebnisse der #MeToo-Ära, als es 2019 herauskam. Garner spielt Jane, die Assistentin eines männlichen Managers in der Entertainment-Industrie (es wird vermutet, die Rolle wurde von Harvey Weinstein inspiriert), der nie vor die Kamera tritt. Gesichtsausdrücke und Körpersprache stehen im Vordergrund – Dialoge sind begrenzt. So zeigt der Film die verschiedenen Formen von Manipulation und missbräuchlichem Verhalten auf.
„Jede Art von Missbrauch ist FURCHTBAR. Besonders traurig ist es, wenn du MISSBRAUCHT wirst und es nicht einmal weißt. Es ist sehr MANIPULIEREND“
„Jede Art von Missbrauch ist furchtbar“, sagt Garner über die wichtigen Themen, die der Film anspricht. „Besonders traurig ist es, wenn du missbraucht wirst und es nicht einmal weißt. Es ist sehr manipulierend.“
Glücklicherweise musste die Schauspielerin dies in der Filmindustrie nie persönlich erleben. „Natürlich mache ich mir Sorgen. Du bist immer wachsam. Aber mir ist es noch nie passiert,“ sagt sie. „Ich kenne aber Leute, die es selbst erlebt haben, und ich kenne Leute, die in einem sehr schwierigen Umfeld arbeiten mussten. Und das ist das Problem. Kitty hat es auch immer bei Presseveranstaltungen gesagt und ich stimme ihr voll und ganz zu: Wenn nur Harvey Weinstein das Problem gewesen wäre, dann wäre es jetzt gelöst. Es ist aber viel größer. Es geht um Missbrauch. Punkt.“
Garner kann eine Vielzahl von Rollen spielen – sie kann Traurigkeit und Unbehagen hervorrufen, man bringt Sie aber genauso leicht zum Lachen. Noch auf ihrer Liste stehen ein historischer Film, und sie würde gerne die Ära der romantischen Komödien der 1990er wiedererwecken (Harry und Sally ist ihr Lieblingsfilm). Aber nicht nur ihre Arbeit ist eklektisch, sondern auch ihr Modegeschmack.
„Ich habe Mode schon immer geliebt. I habe Kleidung schon immer geliebt,“ erzählt sie, während sie an die paar „Fashion-Dinge“ denkt, die sie schon gemacht hat. Sie war das Gesicht der F/S16-Kampagne von Miu Miu – „Miuccia Prada und Steven Meisel? Da musste ich nicht lange überlegen“ – und letztes Jahr war sie der Star der Kate Spade Kampagne, fotografiert von Tim Walker.
Sie hatte auch einen Auftritt im Pirelli-Kalender (2019, mit Misty Copeland und Gigi Hadid). Sie lief auch für Alexander Wangs letzte Balenciaga-Show über den Laufsteg und fand diese Erfahrung „sehr lustig“, aber auch furchteinflößend… „Ich musste so schnell gehen, denn das normale Gehen des Models hinter mir war Laufen für mich!“
Trotzdem sagt Garner, sie beschäftige sich nicht mit Trends. „Ich trage immer, was an mir gut aussieht, denn ich glaube, das Wichtigste an der Mode ist, dass sie Selbstbewusstsein verleiht. Du kannst etwas Wunderschönes tragen, doch wenn du dich nicht wohlfühlst, dann siehst du auch nicht gut aus. Aber wenn du einen Kartoffelsack trägst, du dich aber gut darin fühlst, wirst du auch gut aussehen!“
Eine ähnliche Herangehensweise hat sie auch, wenn sie Karriere-Entscheidungen trifft. „Ich finde, Kunst ist am interessantesten, wenn sie sich selbst widerspricht“, sagt sie. „Ich versuche, mich daran zu halten. Nicht nur im Film, sondern auch in der Mode“ – das schließt auch das Kleid mit ein, das sie zu ihrer Hochzeit letzten Winter trug.
„Ich finde, KUNST ist am interessantesten, wenn sie sich selbst WIDERSPRICHT. Ich versuche, mich daran zu halten, wenn ich eine Rolle SPIELE“
Im Dezember hat Garner Mark Foster, den Sänger der Indie-Band Foster the People geheiratet. Sie trug eine Robe mit kurzen Ärmeln aus weißer Spitze und mit hohem Kragen von der New Yorker Designerin Danielle Frankel, kombiniert mit einem Pelz-Umhang.
Das Paar lernte sich vor sieben Jahren beim Sundance Film Festival kennen. Sie waren zuerst enge Freunde und wurden 2017 ein Paar. Sechs Monate später ließ Foster einen Ring anfertigen und zehn Monate später machte er ihr den Antrag. Sie heirateten kurz vor Silvester im New Yorker PUBLIC Hotel, ein perfekter Ausklang für Garners bisher ereignisreichstes Jahr.
„Bei den Emmys war ich verlobt und im Dezember war ich verheiratet,“ erzählt sie von ihren größten Momenten im Jahr 2019. „Der Emmy hat mich ehrlich gesagt mehr überrascht. Ich wusste, ich würde Mark heiraten, ich wusste nur nicht, dass er an diesem Tag den Antrag machen würde.“
„Es ist amüsant, dass Leute mich immer fragen, was ist die größere Sache? Der Emmy oder der Ehemann? Und ich sage immer, sie haben beide immense Bedeutung, aber auf unterschiedliche Weise.“
The Assistant erscheint Ende dieses Jahres.