Im Rampenlicht
mit
Vanessa Kirby

VANESSA KIRBYs wundervolle Darstellung in Pieces of a Woman hat ihr in dieser Saison der Preisverleihungen zahlreiche Nominierungen als beste Schauspielerin eingebracht – aber die Dreharbeiten haben sie auch auf einer sehr persönlichen Ebene verändert. Mit KATIE BERRINGTON spricht sie über Dankbarkeit, Trauer und wie die Vorbereitung auf die Rolle auf einer Entbindungsstation der beste Nachmittag ihres Lebens war
Ihre erste Oscar-Nominierung feierte Vanessa Kirby während eines nationalen Lockdowns. Das bedeutete eine Party zu zweit zu Hause, inklusive Luftballons und Champagner von ihrer Schwester und einem Abend voller Videogespräche mit Freunden. Auch wenn es diesmal etwas legerer als gewohnt zuging – in den vergangenen Jahren waren die Feierlichkeiten geprägt von Frühstücksterminen, Mittagessen und Presseveranstaltungen in L.A. – hätte sie es nicht anders gewollt. „Ich habe davon erfahren und war ganz zittrig und dann durfte ich die ganze Nacht lang die Hand meiner Schwester halten und mit meinen besten Freunden plaudern“, sagt sie mit einem Lächeln und kann es noch immer nicht wirklich glauben, als ich ihr am nächsten Tag gratuliere. „Ich durfte es in Ruhe genießen und dafür bin ich sehr dankbar.“
Während wir über Zoom plaudern – Kirby befindet sich in ihrem Zimmer in ihrer Wohnung im Süden Londons, die sie sich mit Freunden und ihrer jüngeren Schwester Juliet, einer Regieassistentin, teilt – zählt Kirby die vielen Dinge auf, für die sie dankbar ist. Sie ist dankbar für die Zeit, die sie mit ihrer Schwester im Lockdown verbringen konnte: „Sie hat dieses Jahr für mich ausgemacht“, sagt Kirby. „Jede Stunde habe ich mit ihr verbracht.“ Sie ist auch dankbar dafür, dass zwei ihrer Filme in dieser außergewöhnlichen und herausfordernden Zeit veröffentlicht werden konnten: Im Filmdrama The World To Come spielen sie und Katherine Waterston zwei verheiratetet Frauen im Amerika der 1850er, die inmitten schwieriger Umstände eine Affäre beginnen; und Pieces of a Woman ist ein tragisches Portrait vom Trauma eines Paares, das sein neugeborenes Baby verliert. Beide Filme wurden von Kritikern gelobt und für die herzzerreißende Darstellung der trauernden Martha im letzteren Film hat Kirby Nominierungen als beste Schauspielerin für einen Golden Globe, BAFTA, SAG, Critics’ Choice Award und nun den Academy Award erhalten.
Kirby, 32, beendete die Dreharbeiten zu The World To Come und Pieces of a Woman direkt nacheinander und flog nur Wochen bevor die Pandemie begann und die Filmbranche dicht machte nach Hause. „Um ehrlich zu sein, wusste ich nicht, ob die Filme jemals veröffentlich werden würden. Die Kinos waren geschlossen und keiner der Filme war zu dieser Zeit bei Netflix oder einem anderen Vertreiber unter Vertrag. Es herrschte fünf Monate lang komplette Stille. Ich hatte keine anderen Projekte geplant und bereitete mich daher auch auf nichts vor. Ich war eine Dreizehnjährige und eine Rentnerin zugleich“, erzählt sie von ihrer eigenen Erfahrung dieser Zeit, doch fügt schnell hinzu, dass sie sich glücklich schätzen konnte, da viele andere schwere Herausforderungen und Tragödien zu meistern hatten.
„Filme, in denen für ein VIERTEL der Zeit eine Frau bei der GEBURT zu sehen ist, hätten vor ein paar Jahren noch keine FINANZIERUNG bekommen“
Dann, nach Monaten des Nichtstuns im Lockdown, klopften plötzlich die Filmfestspiele in Venedig an der Tür. Fast alle Events in der Branche waren abgesagt worden und so war es „surreal“ dort im September beide Filme bei der Premiere in einem Theater mit Publikum zu sehen. The World To Come erhielt den Queer-Lion-Preis für den besten Film mit LGBT-Themen und Queer Culture und Kirby gewann den Volpi Cup als beste Schauspielerin für ihre Darstellung in Pieces of a Woman. In Anbetracht der Thematik schien dies noch unglaublicher, sagt sie.
Der Film, bei dem Kornél Mundruczó Regie führt, beginnt mit einer fast 30-minütigen ungeschnittenen Szene einer Hausgeburt, die in einer Tragödie endet. Er taucht tief in den quälenden Schmerz von Martha ein und behandelt den anschließenden Zerfall ihrer Beziehungen. „Filme, in denen für ein Viertel der Zeit eine Frau bei der Geburt zu sehen ist, hätten vor ein paar Jahren noch keine Finanzierung bekommen“, sagt Kirby. Die Geburtsszene ist erschütternd, doch es ist unmöglich wegzusehen. Sie wurde in vier Versionen an zwei Tagen gedreht, mit nur einer kurzen Probe davor, und die wenigen Dialoge wurden größtenteils improvisiert.
Um sich vorzubereiten, begleitete Kirby eine Freundin, die auf einer Entbindungsstation eines Londoner Krankenhauses arbeitet und durfte sogar bei einer Geburt anwesend sein – eine Erfahrung, die sehr beeindruckend für sie war. „Es war der beste Nachmittag meines Lebens, würde ich sagen“, erzählt sie lächelnd und schüttelt ihren Kopf immer noch voller Staunen. „Ich hoffe, ich darf es eines Tages selbst erleben.“
Die Erlebnisse von Frauen durch ihre Arbeit sichtbar zu machen und zu ehren, ist für Kirby scheinbar von großer Bedeutung. Sie betont, dass sie und Waterston in The World To Come Charaktere spielen, die im Mittelpunkt der Erzählung stehen und aus einer Zeit stammen, in der es nur wenige Hinweise auf das Leben von Frauen gibt. „Sie lebten unter sehr schwierigen Umständen, erst recht, wenn man eine Frau war und wenn man jemanden liebte, der das gleiche Geschlecht hatte… In dieser Zeit konnte es fatal sein, irgendwelche Risiken außerhalb dessen einzugehen, was von einem erwartet wurde.“
„Viele Filme zeigen diese SAUBER gezeichneten weiblichen Archetypen, die FILMVERSIONEN von Frauen sind, und damit kann ich mich nicht IDENTIFIZIEREN“
Kirby sucht bewusst Rollen aus, die eine Herausforderung darstellen und von denen sie lernen kann – „Eine meiner ersten Fragen ist immer: ‚Ist es etwas, das mir Angst macht?“ – und fühlt sich hingezogen zu ehrlichen Darstellungen von der Unordnung, die das menschliche Leben mit sich bringt. „Viele Filme zeigen diese sauber gezeichneten weiblichen Archetypen, die Filmversionen von Frauen sind, und damit kann ich mich nicht identifizieren“, sagt sie.
Eine Erkenntnis über die problematische Darstellung von Frauen auf der Leinwand kam Kirby bei den Dreharbeiten zu der Serie The Crown, in der sie Prinzessin Margaret spielt. Sie und Claire Foy (die Königin Elisabeth II spielte) warteten gerade auf ihren Einsatz am Set. „Claire fragte mich: ‚Fühlst du dich stark bei dieser Rolle?‘ und ich sagte: ‚Ja, ich habe wirklich das Gefühl, dass ich den Freiraum habe, die Arbeit zu machen, die ich schon immer machen wollte.‘ Sie stimmte zu und uns wurde klar, dass das möglich war, weil wir die Protagonistinnen unserer eigenen Geschichte waren.“
Als nächstes wird Kirby wieder in die Rolle der White Widow für den Film Mission: Impossible 7 schlüpfen, der später dieses Jahr veröffentlicht werden soll. Diese großen Blockbuster mögen weit entfernt sein von ihren Anfängen auf der Bühne, aber ihre Liebe zum Handwerk hat sich nicht geändert.
„Ich erinnere mich daran, wie ich meinen ersten Lohn erhielt und es traf mich wie ein Blitz, während ich vom Theater in Bolton zurück in meine Wohnung ging“, entsinnt sie sich. „Es ist das größte Geschenk, den ganzen Tag lang etwas zu machen, das man wirklich liebt. Ich wache mit diesem Gefühl auf und gehe mit diesem Gefühl schlafen, also könnte man sagen, ich fühle mich noch immer wie das Mädchen, das vom Theater nach Hause geht.“