Coverstory

Den Wandel im Blick

mit

Amber Valletta

Sie zählt zu den legendärsten Supermodels aller Zeiten, und der Name AMBER VALLETTA ruft unweigerlich Assoziationen mit High-Fashion, Jetset, Stil und Glamour hervor, weniger Klimawandel und Umweltschutz. Doch die Schauspielerin und Aktivistin hat es sich zum Ziel gesetzt, sich für eine besser Welt stark zu machen, koste es was es wolle – einschließlich Demonstrationen mitsamt Verhaftung. Mit EVE BARLOW spricht sie über Mode, Selbstvertrauen und ihre größten Ängste

Foto David LuraschiStyling Helen Broadfoot
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Amber Valletta marschiert mit offenen Augen durchs Leben und steht zu ihrer kompromisslosen Direktheit. Als Pionierin in Sachen nachhaltiger Mode ließ sie sich während der Klimaproteste im vergangenen November in Washington DC gemeinsam mit Jane Fonda sogar verhaften. Ihr Bewusstsein für die Umwelt rührt von ihrer Kindheit auf dem Lande bei ihrer Mutter in Tulsa, Oklahoma. Die Wochenenden verbrachte sie bei ihren Großeltern auf dem Bauernhof, wo sie frei herumstreunen konnte, Furten baute und im Heu spielte. „Die schönsten Erinnerungen habe ich an Aktivitäten im Freien“, erzählt sie – wir sitzen in einem Outdoor-Restaurant in Palisades, einem Küstenviertel von LA, wo sie inzwischen zu Hause ist. Im Sommer ging es zum Blue Whale of Catoosa, einer Teichanlage etwas abseits der Route 66. „Es war eine braune Plörre voller Schlangen und Dreck. Wir fanden es toll!“

Sie berichtet, dass auch ihre Mutter einst beim Demonstrieren mit einer Gruppe amerikanischer Ureinwohner gegen den Bau eines Kraftwerks verhaftet wurde. „Meine Mom trug ein Band mit der Aufschrift ,NO NUKES‘“. Sie waren erfolgreich. Bevor Valletta an den kürzlichen Protesten in Washington teilnahm, sprach sie mit ihrer Mutter am Telefon über deren Erinnerungen. „Ich wollte verhaftet werden“, sagt sie. „Ich hatte das Bedürfnis, meine Stimme zu erheben, meine eigene Stimme zu finden. Es ist mir egal, was andere über mich denken. Ich möchte nicht auf der Zuschauertribüne sitzen, ich möchte mit Leib und Seele auf dem Spielfeld sein. Meine Verhaftung sollte symbolträchtig sein. Es ist es mir wert, um mein Leben zu kämpfen und somit zu demonstrieren, dass jedes Leben den Kampf wert ist.“

„Ich hatte das Bedürfnis, meine STIMME zu erheben, meine eigene Stimme zu finden. Es ist mir EGAL, was andere über mich DENKEN“

Obiges Bild: T-Shirt von Ninety Percent. Shorts von GOLDSIGN. Hut von Gigi Burris. Ringe von Poppy Finch und Sophie Buhai. Dieses Bild: Jacke und Hose von Casasola.

An dieser Stelle wird sie emotional. Ihre Augen werden feucht, ihre Stimme zittert. Man kann deutlich die Angst, die Wut, aber auch die Zuversicht heraushören. „Ich glaube mit aller Kraft daran. Ja, ich stelle mich der öffentlichen Meinung und riskiere es, dafür ins Gefängnis zu gehen“, sagt sie. Sie erzählt davon, wie sie laut protestierend in eine Straße zwischen dem Supreme Court und Capitol Hill lief, die Gebäude fest im Blick, während sie verhaftet wurde. „Ein prägender Moment. Dies ist die größte Krise, die uns bevorsteht. Damit will ich weder Krankheiten wie Krebs, Aids, Diabetes oder Suchtkrankheiten ignorieren, aber es wird nichts mehr geben, wofür wir kämpfen können. Nichts anderes zählt.“

Valletta kommuniziert auf eine Art und Weise, die bewusst macht, welch großes Privileg es ist, auf der Welt zu sein, lebendig zu sein und dass wir die Natur um sich herum schätzen müssen. „Es treibt mir die Tränen in die Augen. Ich werde irgendwann tot sein, aber was geschieht mit meinen Urenkeln? Sollen sie in einer Welt aufwachsen, in der sie das hier nicht mehr erleben können? Eine Welt ohne Elefanten oder Wale, dafür mit einem abstoßenden Ozean voller Plastik und Müll? Eine Welt, in der sie keinen Fisch mehr essen, nicht mehr an den Strand gehen, keine Korallen mehr sehen können? In der sie nicht mehr Ärzte, Wissenschaftler werden oder selber Dinge erschaffen können? Wir betrachten das alles als selbstverständlich, das ist ein tragischer Fehler.“

Ohrringe von Meadowlark.
Kleid von Casasola. Ohrringe von Meadowlark. Ringe von Poppy Finch und Sophie Buhai.

In den 90ern war Amber Valletta nicht unbedingt für ihren Umweltaktivismus, sondern vielmehr als Model bekannt: Ganze 16 Mal war sie auf dem Cover der amerikanischen Vogue zu bewundern. Sie gehörte zur Ära der Supermodels und teilte sich eine WG mit 90er-Ikone Shalom Harlow. In dieser Zeit lief sie für Prada, Gucci, Versace und dergleichen über den Laufsteg. Der erste Akt ihres Lebens verlief wie ein Wirbelsturm. „Ich fing mit 15 an zu modeln!” Innerhalb weniger Jahre verdiente sie mehr Geld, als sie es sich je hätte vorstellen können. „Irgendwann aber fehlte da etwas, ich wusste nur nicht genau, was es war. Mal war ich melancholisch, mal aus Angst wie gelähmt, dann bin ich wieder von Party zu Party gezogen.“ Nach ihrem Umzug nach LA und der Geburt ihres Kindes mit ihrem zweiten Ex-Ehemann Chip McCaw im Jahr 2000 wechselte sie zur Schauspielerei. Ihre erste große Filmrolle war in Schatten der Wahrheit von Regisseur Robert Zemeckis.

Jacke und Hose von Casasola.

„Irgendwann aber FEHLTE da etwas, ich wusste nur nicht genau, WAS es war. Mal war ich melancholisch, mal aus ANGST wie gelähmt, dann bin ich wieder von Party zu Party gezogen“

T-Shirt von Ninety Percent. Ohrringe von Laura Lombardi. Ring von Sophie Buhai.

Als Al Gore die Klimadebatte in Gang setzte, besuchte Valletta Seminare an der NYU. „Am Anfang drehte sich noch alles um Ozon“, erinnert sie sich. Kalifornien und das Muttersein hatten etwas in ihr geweckt. „Ich glaube an Umweltschutz und daran, die Menschen vor Chemikalien in Nahrungsmitteln zu schützen.“ Die US-Amerikanerin trat dem NRDC (Natural Resources Defense Council) zum Schutz natürlicher Ressourcen bei, um sich in Sacramento für eine Reinigungsaktion am Long Beach einzusetzen. Es dauerte nicht lange und ihr Interesse für die Modewelt stand hinten an.

Aktuell plant Valletta, eine Dokumentation mit dem Titel The Changing Room zu finanzieren. „Wir wollen Modekonsumenten das Thema Nachhaltigkeit näherbringen – und zwar auf unterhaltsame Weise. Die Modebranche hat durchaus das Potenzial, als Change Agent zu agieren.“ Die 45-Jährige verfügt über einen ganzen Schatz an Tipps und Ratschlägen: Wer in Zukunft moralisch vertretbarer shoppen will, dem empfiehlt sie, in hochwertige, zeitlose Key Pieces zu investieren. Ihr universeller Look? „Jeder kann ein Tanktop oder ein tolles T-Shirt tragen. Dazu ein oder zwei Blusen. Luxuslabels produzieren normalerweise nicht zu viel, damit sind Sie auf der sicheren Seite. Außerdem ein schicker Blazer, ein Paar Stiefel und stylishe Turnschuhe. Das sind meine Essentials.“ Marken, die ihre moralische Effizienz nicht offen kommunizieren, verblüffen Valletta. „Sie haben Angst, dass sie nicht genug tun. Meine Antwort darauf ist, dass man es doch zumindest auf die Etiketten schreiben könnte, wie Inhaltsstoffe. Es ist der Mangel an Transparenz, der uns ans 20. Jahrhundert fesselt. Aber wir befinden uns bereits seit 20 Jahren im 21. Jahrhundert. Zeit für den Aufbau der Branche!“

Ihren Sohn Auden (19) ermutigt sie, sinnorientierte Entscheidungen zu treffen. Egal, für welchen Weg er sich entscheidet, nützlich soll er sein. „Seine Generation hat keine andere Wahl“, sagt sie. „Man kann nicht mehr einfach Broker oder Anwalt werden, um Geld zu scheffeln. Man kann Spaß haben, aber nicht nur zu den eigenen Gunsten.“

„Wir wollen KONSUMENTEN das Thema NACHHALTIGKEIT näherbringen. Die Modebranche hat durchaus das Potenzial, als CHANGE AGENT zu agieren“

Hemd von Emma Willis. Jean von Goldsign. Ring von Poppy Finch. Halskette von Meadowlark.

Spaß war ihr eigener Anreiz, als sie in seinem Alter war. Sie wollte einen Sommer in Europa verbringen. „Ich wusste nichts über das Modeln, aber die Schauspielerei gefiel mir. Ich dachte, damit würde man garantiert berühmt werden!“. In Mailand entdeckte sie den Reiz der Unabhängigkeit. Modeln war wie Schauspielern. Im darauffolgenden Sommer kehrte sie zurück, und fand sich plötzlich in einem Studio wieder, dessen Wand mit allen Covern der italienischen Vogue verziert war. Die Modewelt war neu für Valletta. Sie hatte nie zuvor von Fotografen wie Steven Meisel, Francesco Scavullo und selbst Peter Lindbergh gehört. Sie griff nach einem Titelblatt, auf dem Linda Evangelista zu sehen war. „Zu dem Zeitpunkt wusste ich nichts von ihr“, erzählt sie. „Aber sie war ein Charakter. Und mir wurde klar, dass das die Art der Arbeit war, die ich machen wollte – interessante Geschichten erzählen.“

Rock und Top von Matteau. Ring von Sophie Buhai.

Im Alter von 18 Jahren erschien Valletta zum ersten Mal selbst auf dem Cover der Vogue. „Als ich mir den Kurzhaarschnitt zulegte, wurde schlagartig alles anders“, sagt sie. Die Idee dazu kam ihr an einem Set in Frankreich, inspiriert von Hairstylist Yannick D'Is. „Ich war 17, sah aber viel älter aus. Niemand hatte damals kurze Haare. Grunge gab es noch nicht. Ich sagte zu ihm: ,Ich will mir meine Haare abschneiden‘. Und er erwiderte: ,Nicht nötig‘. Als er fragte, wie alt ich sei, fiel ihm die Kinnlade herunter: ,Du solltest dir definitiv die Haare abschneiden“. Und plötzlich hieß es nicht mehr ,that girl‘, sondern ,who’s that girl?“

Sie teilte sich eine Wohnung mit Harlow und freundete sich mit Kate Moss und Christy Turlington an. Die Supermodel-Clique der 90er ging der heutigen Emanzipations-Rhetorik voraus. Fühlten sie sich feministisch? „Niemand machte sich Gedanken darüber, ob wir ein Statement setzten“, sagt Valletta. Die „Schwestern“ sind noch immer in Kontakt (Valletta trifft sich mit Moss in London), sie gaben sich stets gegenseitigen Halt in der oftmals eiskalten Modebranche. „Wir stritten uns, heulten gemeinsam, unterstützten uns, verloren Aufträge an die jeweils anderen. Einfach alles.“

Auch ging es damals weniger ums eigene Ego, zumindest nicht in der Öffentlichkeit. „Wir hätten nie die Polaroidkamera auf uns selbst gerichtet“, spöttelt sie. „Wir hätten nie mit Flügen in Privatjets geprahlt. Deshalb gab es auch so einen Aufruhr, als Linda [Evangelista] verkündete, [für weniger als 10.000 US-Dollar am Tag würde sie gar nicht erst aufstehen]. Bei Instagram reden heute alle so. Und dabei machen die Leute nicht mal was!“ Valletta selbst hasst Selfies. „Dabei fühle ich mich extrem unwohl. Ich will, dass sich Dinge verändern, nur das ist mir heute wichtig.“

Kleid von Envelope1976. Ringe von Poppy Finch.

Vor einigen Jahren aber hatte Valletta allen Grund, die Kamera auf sich selbst zu richten. Sie outete sich als Suchtkranke. Inzwischen ist sie seit 25 Jahren clean und trocken. „Ich dachte, niemand würde zusehen“, lacht sie. Sie spricht von einer Rede, die sie bei einer „Invite only“- Veranstaltung von MindBodyGreen gab, die aber im Internet geteilt wurde. Darin spricht sie über den Drogen- und Alkoholmissbrauch während ihres Highlife-Lebens. „Ich hatte damals kein Problem damit, wenn man mich high oder betrunken sah. Warum sollte ich mich jetzt dafür schämen, dass ich clean bin und sage: Ich habe eine Krankheit, die ich nicht unter Kontrolle habe?“ fragt sie. „Nur trocken habe ich eine Überlebenschance. Egal, wie sehr ich das Leben und meine Familie liebe, wenn man mich mir selbst überlässt und ich etwas trinke oder Drogen nehme, bin ich tot. Damit würde ich alles ruinieren.“

Am Ende geht es immer um Verantwortung. Ein neues Jahrzehnt ist angebrochen und Amber Valletta könnte nicht entschlossener sein. „Ich selbst möchte die Person sein, die ich anstrebe zu sein”, fasst sie zusammen. „Und ich will nicht nur davon sprechen, sondern es auch leben. Ich will mir die Freiheit geben, auch mal schlechte Tage zu haben, traurig zu sein, wütend zu sein, andere zu lieben und zu akzeptieren. Selbst Menschen, die meiner Meinung nach falsch liegen. Das ist zwar schwierig, aber ich möchte mich auf dieser Welt so rücksichtsvoll wie möglich fortbewegen.“ Und in dem Wissen, dass es Valletta gibt, fühlt sich die Welt auch schon etwas sicherer an.

Jacke und Hose von Stella McCartney.

Amber Valletta steht nicht in Verbindung mit NET-A-PORTER und unterstützt weder die Inhalte noch die gezeigten Produkte.