Eine Frau für sich
mit
Carey Mulligan

Sie spielte komplexe, willensstarke Heldinnen und wurde so zum Star, aber hinter den Kulissen fühlt sich CAREY MULLIGAN weniger wohl. In kuscheligen Mänteln und klassischem Strick erzählt sie EMMA SELLS von Fehlern, Menschlichkeit und ihren Zukunftshoffnungen
Carey Mulligans Komfortzone ist nicht wie unsere Komfortzone. Das beweist so ziemlich jeder Film, den sie in den letzten 14 Jahren gemacht hat. Von ihrer Rolle als Klon Kathy, die mit dem Zweck der Organspende in Alles, was wir geben mussten geschaffen wurde, bis hin zur radikalisierten und wütenden Maud Watts in Suffragette – Taten statt Worte; oder Sissy, eine lädierte und eigensinnige Sängerin im Film Shame. Sie fühlt sich immer wieder zu komplexen, differenzierten Frauen hingezogen, die man nicht immer mag oder gern anschaut. „Für mich war es so: ‚Oh, das ist ziemlich beängstigend. Ich weiß nicht, wie man das macht‘“, sagt sie über die Wahl ihrer Rollen. „Gefolgt von: ‚Oh, dann sollte ich es wahrscheinlich annehmen.‘“
Wir treffen uns an einem Montagmorgen im Electric in West London, wo sie Stammgast ist – eine willkommene Ausrede für Mulligan, um sich zu schminken und das Haus zu verlassen, sagt sie. Die 33-Jährige hat vor kurzem mit ihren Freunden einen Filmclub gegründet und sie gehen einmal im Monat in das benachbarte Kino, wo sie versuchen, die lauten Essensgeräusche zu tolerieren. Sie ist früh dran, wirkt sofort herzlich und gut gelaunt und trägt eine einfache Jeans zu einer Bluse und Stiefeln. Die Schauspielerin wohnt mit ihrem Mann und den gemeinsamen Kindern, Evelyn (3) und Wilfred (1) in der Nachbarschaft. Seit sechs Jahren ist sie mit dem Musiker Marcus Mumford verheiratet. Eine junge Familie zu haben, hat ihre Arbeitsweise unweigerlich verändert. Sie hat jetzt weniger Zeit, monatelang zu recherchieren oder zu schreiben, um sich auf einen Filmcharakter vorzubereiten. Auch muss sie eine Rolle heute so sehr überzeugen, dass sie es in Kauf nimmt, nicht immer rechtzeitig für die Kinder zu Hause zu sein. „Nachdem ich An Education gedreht hatte, sagte mein Agent, mit dem ich seit meinem 18. Lebensjahr zusammenarbeite, zu mir: ‚Du bist an einem seltenen Punkt, an dem du geduldig auf die richtigen Dinge warten kannst. Du solltest nichts annehmen, es sei denn, du möchtest nicht, dass jemand anderes die Rolle übernimmt‘“, sagt sie. „Als Mutter hat sich für mich kaum etwas verändert. Ich achte weiterhin darauf, dass ich etwas ausschließlich aus dem richtigen Grund tue.“
Mulligan wird für ihre Theaterauftritte genauso gefeiert wie für ihre Filme. Trotzdem glaubt sie, dass sie so schnell nicht wieder auf die Bühne treten wird. „Es ist toll, weil ich den ganzen Tag mit meinen Kindern verbringen kann“, sagt sie, „die eigenen Kinder ins Bett zu bringen ist das Beste. Es kann ein totaler Albtraum sein, aber es ist auch etwas Schönes.“
„Man sieht oft keine Frauen, die Dinge [in Filmen] vermasseln und einfach MENSCHLICH sind. Früher habe ich Jobs gehabt, wo das INTERESSANTE an der Rolle einfach wie BOTOX wegretuschiert wurde“
„Moralisch anstößige ENTSCHEIDUNGEN scheinen für Frauen ziemlich oft herausgefiltert zu werden, aber nicht bei MÄNNERN. Für Männer ist es ziemlich sexy und COOL, dass sie schroff sind und nach Rauch stinken, aber bei Frauen sagen alle: ‚Oh, nein!‘“
Momentan treiben Frauen in Hollywood ihre eigenen Projekte voran, um sich für bessere Filme und Rollen einzusetzen. Mulligan möchte sich ihnen anschließen – sie arbeitet an der Biographie von Kate Webb, eine australische Journalistin, die von der Việt Cộng während des Vietnamkriegs gefangen genommen wurde. Mit der Regieführung hat sie allerdings noch ihre Probleme. „Ich verliere schnell das Interesse, wenn ich mich zu früh in etwas einmische“, sagt sie. „Es klingt verwöhnt, aber es ist das Beste, wenn man ein fertiges Skript bekommt und damit arbeiten kann, ohne in dessen Entstehung involviert zu sein. Aber werde ich mich dann weiterhin darüber beschweren, dass es nicht genug interessante Rollen gibt und darauf hoffen, dass andere Frauen sie erschaffen? Es gibt Leute, die außergewöhnliche Dinge tun, wie Reese Witherspoon und Jessica Chastain. Ich weiß nicht, ob ich aktuell in meinem Leben die Möglichkeit dazu habe. In Zukunft hoffe ich ebenso Erstaunliches zu tun, aber momentan liegt es für mich außer Reichweite.“
Ihr neuester Film Wildlife wird von dem Schauspieler Paul Dano gedreht, der das Drehbuch zusammen mit seiner Partnerin Zoe Kazan (beide langjährige Freunde von Mulligan) geschrieben hat. Der auf einem Roman von Richard Ford basierendem Film spielt in Montana in den 1960er-Jahren und behandelt das Aus der Ehe zwischen Hausfrau Jeanette (Mulligan) und ihrem Mann Jerry (gespielt von Jake Gyllenhaal). „Ich dachte, sie hat einen außergewöhnlichen Charakter“, sagt Mulligan. „Sie hat eine Affäre, sie macht Fehler, sie ist nicht perfekt. Man sieht oft keine Frauen, die Dinge vermasseln und einfach menschlich sind. Früher habe ich Jobs gehabt, wo das Interessante an der Rolle einfach wie Botox wegretuschiert wurde und der Regisseur sagte: ‚Ja, wir haben es getestet und das Publikum mag es wirklich nicht, wenn sie nicht nett ist.‘ Moralisch anstößige Entscheidungen scheinen für Frauen ziemlich oft herausgefiltert zu werden, aber nicht bei Männern. Für Männer ist es ziemlich sexy und cool, dass sie schroff sind und nach Rauch stinken, aber bei Frauen sagen alle: ‚Oh, nein!‘“.
„Plötzlich realisiert man, dass die ZWANZIGER vorüber sind und nie zurückkommen werden. Ich erinnere mich, dass ich vor Jahren einmal durch Los Angeles GEFAHREN bin. Ich hörte Musik und es fühlte sich so an, als könnte alles passieren. Manchmal höre ich jetzt den gleichen SONG und es ist wie ein Weckruf“
Jeanette geht mit der Zeit. „Wenn sie plötzlich merkt, dass sie 34 ist und sich fragt, wo ihr Leben geblieben ist?“ Mulligan kann sich damit gut identifizieren. „Ich habe mit meinen Freunden darüber gesprochen, wie man plötzlich realisiert, dass die Zwanziger vorüber sind und nie zurückkommen werden“, sagt sie. „Ich erinnere mich, dass ich vor Jahren einmal als Single durch Los Angeles gefahren bin. Es war drei Uhr morgens und ich hörte Musik. So, als wäre nichts unmöglich. Alles könnte passieren. Manchmal höre ich jetzt den gleichen Song und denke ‚wow!‘. Das ist wie ein Weckruf. Zum Glück bin ich verheiratet, habe zwei Kinder und einen guten Job. Alles ist wunderbar, obwohl ich das Gegenteil davon habe.“
Mulligan hat die alltäglichen Aspekte der Schauspielerei schon immer geliebt. Es hat jedoch Jahre gedauert, bis sie sich mit den Auftritten auf dem roten Teppich, Fotoshootings und Pressetermin abfinden konnte. „Ich finde es jetzt viel einfacher“, sagt sie. „Als ich jünger war, habe ich es viel zu ernst genommen, weil ich es nicht besser wusste. Es ging alles so schnell. Ich ging zur Premiere von Stolz und Vorurteil, aber wir waren 12 Leute und niemand fotografierte mich alleine. Dann drehte ich An Education und in Los Angeles folgte die Zeit der Preisverleihungen. Ich hatte ehrlich gesagt keine Ahnung, was mit mir los war. Ich bin völlig ausgeflippt und war ziemlich paranoid über alles; die Leute, die mich beurteilten oder was man über mich sagte. Es ist schade, denn es hätte Spaß machen sollen, aber das hat es nicht.“
Angesichts ihrer schauspielerischen Entscheidungen nehmen viele Menschen an, dass Mulligan schrecklich seriös sei. Sie nimmt ihre Arbeit sehr ernst, aber ist auch wirklich lustig. Sie spricht über die vielen Fehler, die während der Broadway-Produktion von Dennis Kellys Girls and Boys Anfang des Jahres passierten (von einem Teil des Sets, das ihr auf den Kopf fiel, bis hin zur versehentlichen Überdosierung an Erkältungsmedikamenten), oder wie sie die letzte Vorstellung mit 15 Freunden feierte und sie zusammen im Hotelbett Love Island schauten. Sie versprüht eine Fröhlichkeit, die man besitzt, wenn man die Arbeit nicht mit nach Hause nimmt. Dennoch musste sie Opfer bringen. Die Proben von Girls and Boys riefen Tränen und Panikattacken hervor, die zum Teil von ihrer Nervosität verursacht wurden. „Ich wusste nicht, wie man Witze macht, ein Publikum zum Lachen bringt oder was ich mit meinen Händen machen soll“, sagt sie. „Als ich das Drehbuch las, lachte ich auf der ersten Seite. Ich wollte das Publikum dazu bringen, dasselbe zu tun, aber ich wusste nicht wie.“
Dass Mulligan wirklich lustig ist, können Sie selbst in der Audioaufzeichnung ihrer Performance hören. Sie hat das perfekte Timing und einen trockenen Humor. Wird Sie künftig nach mehr Rollen suchen, die ihre lockere Seite zeigen? Wohlmöglich eine Blockbuster-Liebeskomödie oder ein Multi-Franchise-Superheldenfilm? „Nein, ich glaube nicht“, lacht sie. „Ich bin die erste in der Schlange, die Jurassic World sehen will. Wirklich. Das und Mamma Mia sind Filme, die ich mir ansehen möchte. Eine passende Rolle für mich habe ich darin jedoch nie gesehen. Vor allem möchte ich jedoch einen Animationsfilm machen. Ich habe jahrelang darüber geredet und niemand hat mir einen Pixar-Film oder ähnliches angeboten. Ich will eine dumme Stimme aufsetzen und kein Make-up bei der Arbeit tragen müssen. Was für ein Traum.“
Wildlife erscheint am 11. April 2019
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