Wie Model Liya Kebede die Welt der Ökomode revolutioniert
Von Schultagen in Addis Ababa zum internationalen Supermodel, LIYA KEBEDE weiß, unkonventionelle Wege einzuschlagen. Als sich also die Möglichkeit ergab, die äthiopische Kunsthandwerks- und traditionelle Webebranche wiederzubeleben, stellte sie sich den Herausforderungen. LIZZIE WIDDICOMBE hat die ungeahnte Entrepreneurin getroffen. Fotos von CASS BIRD. Styling von GEORGE CORTINA
Stellen Sie sich einmal ein von einem internationalen Supermodel geführtes Modelabel vor. Wie genau sieht der Standort aus? Marmorböden? Espressomaschinen? Frauen in Stilettos? Die Büroräume von Lemlem, das von Model Liya Kebede in Afrika gegründete Resortlabel, könnten ferner von dieser Vorstellung nicht sein. Jüngst zog die Firma in eine alte Loft in New York City. An dem Tag meines Besuchs ist auch von Dekor keine Spur – von ein paar Mitarbeitern am PC und einer Handvoll farbenfroher, handgewebter Kleidungsstücke einmal abgesehen. „Was haben Sie erwartet?“, fragt Kebede. „Ich weiß es nicht genau. Es ist sehr…“, antworte ich. Sie zieht ihre Augenbrauen hoch und erwidert „Downtown?“
Was viele nicht wissen, ist, dass Kebede aus der äthiopischen Hauptstadt Addis Ababa stammt. Oder, dass sie im Jahr 2000 ins Rampenlicht katapultiert wurde, als sich Tom Ford dazu entschied, das damals unbekannte Model für eine Gucci-Show zu casten. Die darauffolgenden Jahre waren von Erfolg geprägt: Kebede lief über die renommiertesten Catwalks der Welt, erschien auf Werbeplakaten für Estée Lauder (das Label kürte sie zur offiziellen Markenbotschafterin) und zierte die Cover diverser Modemagazine. Carine Roitfeld widmete ihr sogar eine ganz Ausgabe von Vogue Paris – das bis dato erste Mal in der Geschichte des Magazins. Der Sprung vom Model zur Gründerin eines Fashionlabels mag zwar wie ein ungewöhnlicher Wechsel erscheinen, doch wenn man sich die Gründung der Brand etwas genauer anschaut, wird klar, warum sich Kebede für diesen Weg entschied.
Heute würde die Firma als missionsgesteuertes Business beschrieben werden, doch vor zehn Jahren, als das Label noch in den Kinderschuhen steckte, dachte Kebede nur an eins: „Ich war einfach davon überzeugt, dass ich etwas reparieren musste.“ Damals war sie in Addis Ababa, um ihre Familie zu besuchen, als sie von Regierungsvertretern gebeten wurde, einen lokalen Markt zu besuchen, wo Weber habesha kemis (traditionelle Baumwollkleider, die äthiopische Frauen zu besonderen Anlässen tragen) verkauften. Die Kleider wurden mithilfe einer Methode, die über Jahrhunderte von einer Generation an die nächste weitergegeben wurde, von Hand gewebt. Doch die Menschen in Äthiopien kauften lieber westliche Kleidung.
„Ich bin Entrepreneurin, aber das war zu 100 Prozent ein Zufall. Ich hatte kein Bedürfnis, ein Label zu lancieren
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„Es ist ein tolles Gefühl, wenn ich jemanden sehe, der Lemlem trägt. Dann werde ich daran erinnert, wieviel wir auf die Beine gestellt haben
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„Ich sah einen riesigen Markt mit unzähligen Webern vor mir, doch niemand kaufte ihre Ware“, erinnert sich Kebede. Die Kunst des Webens starb langsam, aber sicher aus. Obwohl sie damals noch nicht wusste, wie, war sie sich bewusst, dass sie den Menschen des Landes helfen wollte. Als Botschafterin der Weltgesundheitsorganisation hatte sie jahrelange Erfahrung im Bereich Gesundheitsfürsorge für Mütter gesammelt und war sich der Unzulänglichkeit von Auslandshilfe bewusst: „Man ist immer damit beschäftigt, irgendwie Geld aufzutreiben.“
Die missliche Lage der Weber motivierte Kebede dazu, ein wirtschaftlich nachhaltiges Projekt auf die Beine zu stellen. „Ich bin Entrepreneurin, ja, aber das war zu 100 Prozent ein Zufall“, so Kebede. „Ich hatte eigentlich kein Bedürfnis, ein Label zu lancieren.“ Doch nach und nach tat sie genau das: Mit ihrem eigenen Kapital stellte sie einen Designer, einen Stylisten und ein paar Weber an und beauftragte sie damit, westliche Kleidung mithilfe traditioneller Methoden herzustellen. Heute verkauft Lemlem seine Designs, die inzwischen von 250 Webern gefertigt werden, an Partner aus der ganzen Welt – von dem Four-Seasons-Boutiquehotel in Hawaii bis hin zu Net-A-Porter. Fünf Prozent des Erlöses werden an die Lemlem Foundation gespendet, die Kunsthandwerkerinnen in Afrika unterstützt. „Es ist ein tolles Gefühl, wenn ich jemanden sehe, der unsere Kleidung trägt. Dann werde ich daran erinnert, wieviel wir über die Jahre auf die Beine gestellt haben.“
Als Gründerin und Kreativdirektorin des Labels setzt sich Kebede regelmäßig für Kollaborationen mit diversen Designern ein. Jüngst schloss sie sich mit Valentinos Pierpaolo Piccioli zusammen, um eine verspielte Kollektion an „Puffer-Kleidern“ (in Anlehnung an Picciolis Designs für Moncler) ins Leben zu rufen. Kebede half Piccioli dabei, die Kleider mit farbenfrohen Details zu versehen, die den traditionellen habesha kemis Tribut zollen. „Diese Details verpassen den Designs eine gewisse Wärme sowie eine ganz neue Dimension“, erklärt sie. „Sie verbinden Dinge, von denen man erst einmal erwarten würde, sie könnten nicht miteinander verbunden werden.“ Ähnlich wie Liya Kebede selbst.
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