Ich, Jane
mit
Jane Fonda

JANE FONDA ist seit fast 50 Jahren Aktivistin. Anlässlich des diesjährigen Internationalen Frauentages – und der lauter werdenden Forderung nach Gleichstellung – befragt Oscar-Gewinnerin BRIE LARSON die Ikone zu Feminismus, Angst und wie wir Wandel ermöglichen.
Brie Larson: Als ich mit der Schauspielerei begann, verkündete ich, dass dies meine Form des Aktivismus sei. Die Anderen meinten daraufhin, ich müsse unbedingt Jane kennenlernen. Daher fühle ich mich sehr geehrt, dieses Gespräch mit Ihnen führen zu dürfen.
Jane Fonda: Vielen Dank, das bedeutet mir viel.
BL: Wann haben Sie sich das erste Mal als Feministin bezeichnet?
JF: Ich bin in den 50er-Jahren aufgewachsen und es dauerte lange, bis Feminismus ein Teil meines Lebens wurde. Die Männer in meinem Leben waren wunderbar, aber sie verkörperten eine patriarchalische Denkweise. Ich fühlte mich bedeutungslos. Irgendwann habe ich beschlossen, mich nicht aufzugeben, um einem Mann zu gefallen. Als ich dann single war, wurde ich zum Inbegriff einer Feministin und schaute mir Eve Ensler in Die Vagina-Monologe an. Mit jedem Lachen verewigte sich der Feminismus direkt in meiner DNA. Wissen Sie, ich bin mit der Krankheit „es allen recht machen zu wollen“ aufgewachsen.
BL: Viele Frauen leiden an dieser „Krankheit“.
JF: Ja, kein Scherz. Ich erkläre Ihnen, welchen Einfluss ein Patriarchat auf Frauen hat. Ich wurde vergewaltigt, als Kind sexuell missbraucht, gefeuert, weil ich nicht mit meinem Chef schlafen wollte und dachte immer, dass es meine Schuld sei, ich nicht das Richtige gesagt oder getan habe. Ich kenne junge Mädchen, die vergewaltigt wurden und sich dessen nicht einmal bewusst waren. Sie dachten, sie hätten nicht klar genug „Nein“ gesagt. Eine der Errungenschaften der Bewegung ist es, zu erkennen, dass Vergewaltigung und Missbrauch nicht unsere Schuld ist.
„Die Männer in meinem Leben waren wunderbar, aber Teil einer patriarchalischen Denkweise
BL: Nachdem ich zwei Charaktere gespielt habe, die sexuell missbraucht wurden, habe ich viel mit Opfern von sexuellem Missbrauch gearbeitet. Sie können nicht in dem Glauben gelassen werden, es sei ihre eigene Schuld. Es ist eine Krankheit, sich alles gefallen zu lassen.
JF: Es ist eine Epidemie …
BL: Was antworten Sie denen, die meinen, als „Berühmtheit“ habe man nicht das Recht, Stellungzu nehmen?
JF: Jeder hat das Recht seine Meinung zu äußern. Künstler, Schauspieler, Schriftsteller und Dichter haben die Menschen schon immer über die Grenzen der Politik hinaus erreichen können. Vor kurzem habe ich mich in Alberta gegen Ölpipelines eingesetzt. Als ich durch den Flughafen ging, schrien die Leute: „Gehen Sie nach Hause, wir wollen Sie hier nicht.“ Doch wenn Sie der Meinung sind, das Richtige zu tun, dann machen Sie weiter, auch wenn Sie beschimpft werden.
BL: Es kann richtig zur Sache gehen, wenn man Missstände anprangert, insbesondere auf Social Media. Ich habe einige Rückschläge erlitten. Ich solle mich raushalten als „Elite“, da ich nicht wisse, wovon ich rede. Wenn einem das so häufig gesagt wird, glaubt man es leicht selbst.
JF: Es zeigt, dass Sie Erfolg haben und andere Sie zum Schweigen bringen möchten. Wenn Ihr Beitrag nicht von Bedeutung wäre, würde sich niemand daran stören.
BL: Hatten Sie jemals das Gefühl, dass Ihr Engagement Ihre Karriere beeinträchtigen könnte?
JF: Ich wurde erst mit 31 Aktivistin. Als ich herausfand, was in Vietnam passierte. Es wäre mir egal gewesen, wenn ich nie wieder hätte arbeiten können. Ich spielte sogar mit dem Gedanken, Vollzeit-Aktivistin zu werden. Meinen Vater hatte ich in Schrecken versetzt, denn in den 50er-Jahren wurden so noch Karrieren beendet. Vielleicht kehrt Hollywoods Schwarze Liste zurück.
„Jeder darf seine Meinung äußern. Auch Künstler, Schauspieler und Schriftsteller erreichen die Menschen
„Liebes, ich bin fast 80 Jahre alt. Langfristig schafft man es nur, wenn man auf sich aufpasst
BL: Danke, dass Sie diesen Anliegen Stimme gegeben haben. Es hat den Weg für so viele von uns geebnet.
JF: Sie können Ihren Aktivismus einbringen. Ich produzierte Filme, die meine Werte widerspiegelten: Coming Home, Das China-Syndrom und Warum eigentlich … bringen wir den Chef nicht um? Mein Schauspiel verbesserte sich als Aktivistin, meine Perspektive hatte sich erweitert.
BL: Das stimmt, die Empathie wächst. Für Short Term 12 – Stille Helden habe ich Pfleger in einer Rehaklinik begleitet und es brach mir das Herz. Ich dachte: „Ich will kein Schauspieler sein, es fühlt sich moralisch falsch an.“ Aber dann sahen so viele den Film und sagten mir: „Ich werde ein Kind adoptieren oder ich werde spenden.“ Das hat mir die Augen geöffnet. Was raten Sie der neuen Generation von Feministinnen?
JF: Sich bewusst zu machen, dass jegliche Form von Aktivismus Politik verändern kann. Das war in der Vergangenheit so und wird auch zukünftig so sein.
BL: Wie können sich diese Menschen bei der Regierung Gehör verschaffen?
JF: Sie können bereits im kleineren Rahmen tätig sein und sich in die Stadt- und Schulräte usw. wählen lassen. Da finden die Wahlen beinahe jährlich statt. Es gibt keinen Grund, erst auf die Präsidentschaftswahl alle vier Jahre zu warten.
„In den 60ern und 70ern wurden Proteste von Männern geführt. Aktivismus fühlte sich nicht liebevoll an
BL: Wie ist die neue Form des Aktivismus mit anderen Perioden des Aktivismus vergleichbar?
JF: In den 60er- und 70er-Jahren wurden Proteste meist von Männern geführt und waren männlicher. Aktivismus fühlte sich nicht so liebevoll an, wie es heute der Fall ist. Das macht einen Unterschied. Denken Sie an die unglaublichen Schilder beim jüngsten Protestmarsch für Frauen Reproduktionsrechte, das Gesundheitssystem, Behinderte, LGBTQ usw. – die Gesamtheit dieser Themen macht unsere Demokratie aus.
BL: Das gefällt mir sehr. Gibt es auch etwas, was Sie bereuen?
JJF: Keine bessere Mutter gewesen zu sein. Aber ich habe dazugelernt und weiß nun, was es heißt, Eltern zu sein. Es ist niemals zu spät. Ich versuche, das wieder gut zu machen. Wenn ich sterbe, möchte ich, dass meine Familie um mich herum ist. Ich möchte, dass sie mich lieben. Das muss ich mir verdienen.
BL: Wie empfinden Sie die Art, wie weibliche Sexualität heutzutage im Film dargestellt wird?
JF: Es ist erschreckend, wie viel junge Schauspielerinnen sich mittlerweile nackt vor der Kamera zeigen müssen. Aussehen ist noch wichtiger geworden.
BL: Sich sexy und weiblich zeigen, war verwirrend für mich. Ich ging zu Vorsprechen, bei denen sie ein freches, sexy Mädchen für die Rolle suchten. Ich kam in Sneakers und sie meinten, ich solle mit Minirock und Heels zurückkommen. Ich kam zurück und habe das Vorsprechen verpatzt. Ich fühle mich besser, wenn ich mich nicht kleide, um Männerträumen zu entsprechen.
JF: Bette Davis, Barbara Stanwyck und Mae West – sie waren sexy und stark, ohne sich zu entblößen. Sie wurden dafür angebetet.
BL: Bei meinem ersten Fotoshooting für eine Modezeitschrift existierte lediglich ein einziges Laufsteg-Modell. Ich fragte: „Kann man nur in der Zeitschrift erscheinen, wenn man in dieses Outfit passt?“ Betroffene Stille. Männer bekommen maßgeschneiderte Anzüge oder passende T-Shirts, aber wenn Sie als Frau nicht dem Bild entsprechen, ist das hinderlich für die Karriere.
JF: Das tut weh!
BL: Wir würden alle gerne der Spirale entkommen, dass unser geistliches Vermögen direkt mit unserem Körpergewicht korreliert.
JF: Ich begrüße, dass Sie das sagen. Wenn jemand damals, als ich anfing, gefragt hätte,was ich trage, hätte ich ihn für verrückt erklärt. Julie Christie schneiderte ihr verdammtes Kleid selbst, als sie einen Oscar für Darling gewann.
BL: Was ist der beste Rat, den Sie jemals erhalten haben?
JF: Wo soll ich anfangen? Die Definanzierung der amerikanischen Non-Profit-Organisation Planned Parenthood. Zehn Millionen amerikanische Frauen erhalten hier ihre Gesundheitsversorgung. Wenn das zusammenbricht, können sie nirgendwo hingehen. Unser System hat nicht die Kapazität, diese Frauen ohne Krankenversicherung aufzufangen.
BL: Wie schützen Sie sich bei so vielen Konflikten vor Burn-out?
JF: Liebes, ich bin fast 80 Jahre alt. Man braucht einen langen Atem. Langfristig ist das nur möglich, wenn man auf sich aufpasst. Ich schlafe jede Nacht mehr als acht Stunden, meditiere zweimal täglich eine halbe Stunde, esse gesund und trainiere. Aktivisten rate ich immer: „Das wird ein langer Kampf. Wir müssen stark bleiben.“
„Menschen stellen sich Alter wie einen Bogen vor: Geburt, Lebensmitte, Verfall. Es kann aber auch eine Treppe sein
BL: Wie hat Ihre Einstellung zu Ihrem Körper Ihren Aktivismus beeinflusst?
JF: Mein Training Fondas Bestseller-Fitnessprogramm half mir, für meine Überzeugungen zu kämpfen. Es ist einfacher, mutig zu sein, wenn man sich stark fühlt.
BL: Sie haben einmal gesagt, dass Sie älteren Frauen in Hollywood ein Gesicht geben möchten…
JF: Das war in meinen vierziger Jahren in meinem Buch Women Coming of Age. Ich hatte Angst, alt zu werden und zog mich 15 Jahre aus dem Geschäft zurück. Mit dem Kinofilm das Schwiegermonster kam ich 2005 zurück und erhielt auch die Rolle in Netflix Original-Serie Grace and Frankie und erkannte, dass wir auch alternden Frauen ein Gesicht geben. Menschen stellen sich Alter wie einen Bogen vor: Von der Geburt zur Lebensmitte und danach leiden wir unter Depressionen. Aber anstelle eines Bogens kann Altern auch eine Treppe nach oben sein; wir entwickeln uns weiter und sind als Person authentisch.
BL: Was ist der beste Rat, den Sie jemals erhalten haben?
JF: Es ist besser, interessiert zu sein, als interessant. Und von den Anonymen Alkoholikern: „Nein“ ist ein vollständiger Satz. Ich wünschte, ich hätte das gewusst, als ich jünger war.
BL: Ich habe gelernt, dass das Wort „Nein“ die einzige Möglichkeit ist, meine Karriere zu beeinflussen. Aussuchen konnte ich nicht, aber Jobs ablehnen.
JF: Da sind Sie mir weit voraus.
BL: Waren Sie sich der Gehaltsunterschiede bewusst?
JF: Auf der Höhe meiner Karriere in den 70er- und 80er-Jahren habe ich nie darüber nachgedacht. Ich habe nie besonders viel Geld bezahlt bekommen und auch nicht gedacht, dass ich es wert bin. Ich nahm die Dinge so hin. Ich bin so froh, dass sich die Leute heute dagegen wehren.
BL: Wie haben Sie Situationen bewältigt, in denen Sie ausgenutzt wurden?
JF: Sehr schlecht. Im Gegensatz zu Ihnen, Brie, hat es mich 60 Jahre gekostet, „Nein“ sagen zu lernen. Wenn ich das nur schon vorher gewusst hätte.
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