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Hunter Schafer

Coverstory Hunter Schafer

HUNTER SCHAFER, die bereits als Künstlerin erfolgreich war, ist jetzt vor allem als Hauptdarstellerin der HBO-Hitserie Euphoria bekannt. Hier spricht sie mit HANNA HANRA über ihre aufkeimende Schauspielkarriere, das Co-Schreiben und die Co-Produktion von Jules Sonderfolge der Kultserie und die persönlichen Herzensprojekte, auf die sie sich 2021 freut

Foto Daria Kobayashi RitchStyling Sean Knight
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Dieses Bild: Kleid von Alaia. Handschuhe von Emilia Wickstead. Strumpfhose von Dries Van Noten. Bild oben: Jacke von Jacquemus. Ohrringe von Sophie Buhai.

Hunter Schafers wilde und zauberhafte Energie kommt selbst über Zoom direkt zum Vorschein. „Wie spät ist es bei Ihnen? Oh, spääääät“, sagt sie, bevor sie meinen Hund erblickt, der gerade am Laptop vorbeispaziert: „Oh wow, wer ist denn das?!“ Es ist 19.00 Uhr und es ist schwierig, ihrem Zauber nicht zu erliegen.

Ein Grund dafür könnten ihre beeindruckenden Erfolge sein, über die wir heute sprechen werden. Im Alter von 22 Jahren ist sie bereits Star einer der erfolgreichsten Serien des Senders HBO: Euphoria aus dem Jahr 2019. Es war ihr Debut als Schauspielerin – sie und Emmy-Gewinnerin Zendaya spielen die Hauptrollen. Als Model war Schafer schon auf vielen Laufstegen unterwegs und wurde kürzlich zum Werbegesicht von Shiseido ernannt. Darüber hinaus ist sie eine begabte Künstlerin. Und als sie noch Schülerin an der High School war, klagte sie den Staat North Carolina an, was dazu führte, dass Trans*-Menschen eine Toilette ihrer Wahl benutzen können.

Sie wuchs in North Carolina auf und sah sich nie als Darstellerin – sie wollte nach New York ziehen, um Kunst zu studieren (und wurde auch an der Central Saint Martins aufgenommen), was sie plante mit Modeln zu finanzieren. Wie auch für viele andere, die in Kleinstädten aufwuchsen, waren New York, London oder L.A. die Orte, um eine gleichgesinnte Gemeinschaft zu finden. Da ist es erwähnenswert, dass Schafers Durchbruch als Schauspielerin sie wieder zurück in eine solche Kleinstadt führte, auch wenn es eine fiktive ist, und sie so diese Zeit teilweise neu durchlebte.

Kleid von Alaia. Handschuhe von Emilia Wickstead. Strumpfhose von Dries Van Noten. Stiefel von Bottega Veneta.

„Ich kann es nicht GLAUBEN, dass ich dafür bezahlt wurde, mich an der SCHAUSPIELEREI zu versuchen. Nur, um es einfach auszuprobieren. Sie haben mir eine CHANCE gegeben“

Euphoria, das von Sam Levinson kreiert und geschrieben wurde, folgt einer Gruppe von Teenagern, die sich in der Welt zurechtfinden: Themen wie Sex, Sucht, Freundschaften, Liebe, Trauma, Missbrauch, Sexualität und Identität werden in der Serie behandelt. Nachdem Schafer die Rolle angenommen hatte, arbeitete sie mit Levinson daran, ihren Charakter Jules Vaughn, ein fesselnder Neuzugang an der East Highland High School, zu entwickeln.

Wie viele der anderen Charaktere hat es Jules in der Serie oft nicht leicht. „Viele ihrer Herausforderungen überschneiden sich auch mit denen von Sam und mir“, erzählt Schafer, die diese Erfahrung auch nutzt, um Teile ihres eigenen Lebens zu verarbeiten. „Ich weiß, dass nicht jede Serie so funktioniert, doch Sam ist so kollaborativ, offen und ermunternd. Die Arbeit an dieser Rolle war die kathartischste künstlerische Erfahrung, die ich jemals hatte.“

Kleid von Dion Lee. Stiefel von Bottega Veneta.

Doch an Sets von TV-Serien zu arbeiten ist nicht leicht. Hinter der Kamera sehen zig Leute zu, während man sich emotional und verletzlich zeigt oder eine intime Sexszene dreht. Schafer scheint jedoch daran gewachsen zu sein. „All diese Erfahrungen haben mich so viel gelehrt, auch wenn sie furchteinflößend waren“, sagt sie. „Doch es ist gut, sich aus seiner Komfortzone herauszutrauen. Ich kann es nicht glauben, dass ich dafür bezahlt wurde, mich an der Schauspielerei zu versuchen. Nur, um es einfach auszuprobieren. Sie haben mir eine Chance gegeben.“

Und diese Chance hat sich bewährt. Während des Lockdowns schrieb Levinson zwei Folgen, die als Brücke zwischen dem Finale der ersten und dem Beginn der zweiten Staffel fungieren – eine visuelle Coda für das emotionale Ende, das unter den Zuschauern Unglauben, Schock und Tränen auslöste. Schafer schrieb nicht nur an einer der zwei Episoden mit, sondern half auch, eine zu produzieren. „Während der Ausgangsbeschränkungen riefen [Sam und ich] uns regelmäßig an, um zu quatschen und Ideen auszutauschen. Wir begannen damit, ein anderes Skript zu schreiben, doch das wurde dann beiseitegelegt“, sagt sie. „Er dachte über verschiedene Möglichkeiten nach und aus irgendeinem Grund war Jules gerade ein Trend auf Twitter. Das half uns festzulegen, wofür wir uns letzten Endes dann entschieden haben. Ich habe geholfen, das finale Skript zu schreiben und war bei der Vorproduktion dabei und half, die Filmeinstellungen und das Storyboard zu planen. All das floss in meine Darstellung ein, da ich nun ganz andere Aspekte des Skripts kannte.“

Es scheint, dass Schafer während des Lockdowns recht beschäftigt war. „Ich lebe im Moment aus dem Koffer und finde es gar nicht so schlecht“, lacht sie. Sie begann mehrere Schreibprojekte, doch unterbrach sie wieder. „Ich schlief einfach nicht und dieses Projekt erledigte sich dann von selbst.“ Sie räumte schließlich ihr Apartment in L.A. aus, das sie in der Nähe des Euphoria-Studios gemietet hatte, und fuhr zurück nach North Carolina.

„Für meine mentale Gesundheit war es ein interessantes Jahr. Jeder war gezwungen, in sich zu gehen und sich mit vielen Dingen auseinanderzusetzen. Ich persönlich habe das noch nie zuvor gemacht und dieses Jahr wurde ich dazu gezwungen. Das stellte den Großteil meiner Zeit in der Quarantäne dar“, lächelt sie. „Mich Dingen zu stellen und die Arbeit als Bewältigungsmechanismus zu nutzen.“

Wie Jules hat sich auch Schafer in der High School einer Geschlechtsumwandlung unterzogen. Doch zu dieser Zeit waren Trans*-Menschen in der Popkultur fast nicht vertreten, speziell in Fernsehen und Film. Ihnen wurden ausschließlich tragische Handlungsbögen angeboten oder sie wurden ausgegrenzt.

Es gab nicht viele Rollen für Trans*-Schauspieler. Jetzt Teil von etwas so Wunderbarem (und Traurigem) voller Nuancen und Komplexität wie Euphoria zu sein, war bestimmt eine belebende Erfahrung. Wie hat sie sich gefühlt, als die Serie zum ersten Mal veröffentlicht wurde?

„Ich glaube nicht, dass ich stellvertretend für irgendeine GEMEINSCHAFT sprechen sollte! Doch wenn es um INDIVIDUELLE und emotionale Erlebnisse geht, bewegt mich nichts so sehr wie ein MOMENT mit einer anderen Transfrau“

Hemd von Nanushka. Rock von Ceffin. BH von Eres.
Hemd und Rock von Jacquemus. Ohrringe von Sophie Buhai.

„In den ersten paar Wochen, nachdem sie herauskam, war ich etwas ängstlich, da ich glaube, dass die Leute es erst nicht verstanden“, erinnert sich Schafer. „Doch letztendlich konnten die Menschen sich damit identifizieren und schrieben mir, dass sie sich gesehen fühlten oder [dass sie] ihr wahres Ich zeigen oder über etwas bestimmtes nachdenken konnten und das ist etwas ganz Besonderes.“

Im Alter von 17 Jahren brachte Schafer den Staat North Carolina vor das US-Bundesgericht, um ein Gesetz anzufechten, das Trans*-Menschen vorschrieb, die Toilette gemäß dem Geschlecht zu benutzen, das ihnen bei der Geburt zugeordnet wurde.

Das Gesetz wurde aufgehoben, zum Teil sicherlich auch dank Schafers Einsatz. Doch dabei ging und geht es ihr nicht unbedingt darum, Sprachrohr für Trans*-Menschen zu sein.

Kleid von Gauchere. Handschuhe von Dries Van Noten.

„Ich glaube nicht, dass ich stellvertretend für irgendeine Gemeinschaft sprechen sollte! Doch wenn es um individuelle und emotionale Erlebnisse geht, bewegt mich nichts so sehr wie ein Moment mit einer anderen Transfrau. Dann mache ich… [sie kreischt laut]. Es ist eine Wellenlänge, die besonders und wichtig ist. Wann immer ich eine andere Transfrau oder ein lesbisches Paar sehe, denke ich mir, ‚Ja!‘ Es ist ein gutes Gefühl, zu wissen, dass man nicht alleine ist.“

Wenn man öffentlich über irgendein Thema spricht, das mit Trans*-Rechten zu tun hat, wird es schnell politisiert, doch das ist weit entfernt von einer Diskussion mit Menschlichkeit.

„Es interessiert mich viel mehr, es in etwas wie der [Euphoria-Sonder-] Folge zu behandeln, da es einen philosophischeren Zugang zu Trans*- und queeren Themen zulässt und es emotionaler und abstrakter ist. Ich denke, das ist relevanter“, sagt Schafer.

„Normalerweise trage ich nicht viel MAKE-UP, doch wenn ich mich SCHMINKE, dann habe ich SPASS damit“

Kleid von Paco Rabanne.
Kleid von Paco Rabanne. Stiefel von Khaite.

In der Serie ist Jules Stil farbenfroh und chaotisch. Sie schminkt sich gewagt und trägt Superminis und Sneakers mit Plateausohle. Schafers Look ist heute mit einem einfachen gestreiften Oberteil etwas zurückhaltender. Ihr blondes Haar ist zurückfrisiert, dazu trägt sie ein Nasenpiercing. Sie erzählt, dass sie in der Entwicklungsphase von Euphoria Kostümdesignerin Heidi Bivens voller Begeisterung Moodboards mit verträumten, mädchenhaften Outfits schickte – so wie sie sich wünschte, dass sie sich in der High School gekleidet hätte.

Vor Kurzem hat Schafer einen Vertrag mit Shiseido als globale Markenbotschafterin unterzeichnet. „Ich finde sie haben so einen coolen, künstlerischen Zugang zum Schminken. Normalerweise trage ich nicht viel Make-up, doch wenn ich mich schminke, dann habe ich Spaß damit“, sagt Schafer. Ihre Rolle hat auch dazu geführt, dass sie sich weiterentwickelte und darüber nachdachte, durch was sie sich schön fühlt. „Ich fühle mich ganz ehrlich wie ein komplett veränderter Mensch im Vergleich zum Beginn des Jahres“, sagt sie voller Freude.

Kette von Loren Stewart. Kleid von Gauge81.

Dieses sehr eigensinnige Jahr neigt sich dem Ende zu und ein neues steht vor der Tür. Wo sieht Schafer denn ihre Zukunft – mit so vielen Möglichkeiten in greifbarerer Nähe? Aus dem Koffer lebend und mit einer großen Auswahl an kreativen Verwirklichungsmöglichkeiten: Sie ist die fleischgewordene Definition jugendlicher Agilität. „Ich weiß nicht, wohin es mich als nächstes zieht“, verkündet sie. „Der Drehbeginn der zweiten Staffel steht an, das macht mich sehr glücklich. Seit Euphoria bin ich ständig auf Achse. Ich versuche, es stabil zu halten, eine Karriere aufzubauen. Ich möchte weiterhin schreiben und an meinen eigenen Projekten arbeiten. Doch abgesehen davon ist noch alles offen. Ich weiße ganz ehrlich nicht, was gerade ansteht.“

Sie macht eine kurze Pause, als jemand an der Türe klopft. „Man denkt, man sollte etwas tun oder produktiv sein und manchmal… wissen Sie, es ist wichtig, sich einfach nur existieren zu lassen.“