Incredible Women

Sian Clifford aus Fleabag über Selbstliebe und neue Karriereschritte

SIAN CLIFFORD, den meisten als Phoebe Waller-Bridges Serienschwester in Fleabag bekannt, erzählt von ihrem Leben und ihrer Karriere außerhalb des preisgekrönten Serienhits. Mit SARAH BAILEY spricht die britische Schauspielerin über ihre intuitive Verbundenheit mit Waller-Bridge, wie aus ihrem Burnout die Wellness- und Meditationswebsite Still Space entstanden ist, und ihre neuen TV-Serien Quiz und Two Weeks to Live

Foto Anya HoldstockStyling Viktorija Tomasevic
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Sian Clifford – die Schauspielerin, die wir wohl auf ewig mit ihrer sensiblen und brillanten Darstellung komplexer Schwesternliebe in der Rolle der Claire, in Phoebe Waller-Bridges Erfolgsserie Fleabag in Verbindung bringen werden – sitzt beim späten Frühstück mit Toast und gekochten Eiern in einem Hotel im Londoner Osten. Der sanfte Start in den Tag ist ein kleiner, aber bewusster Akt der Selbstliebe – es ist der Morgen nach den British Independent Film Awards („Gestern Abend fragte mich jemand, wie ich denn mit dem plötzlichen Erfolg zurechtkäme.“ Augenrollen. „Ich arbeite seit 13 Jahren als Schauspielerin…“). Und bei diesem Treffen soll es nicht nur um ihre Rolle in der wohl bedeutendsten TV-Serie des vergangenen Jahrzehnts gehen, sondern auch um Meditation, den Umgang mit Burnout und ihre Nebenaktivität als Gründerin der Wellnessplattform Still Space.

Die Geschichte der Freundschaft zwischen Clifford und Waller-Bridge ist schon oft erzählt worden – die beiden lernten sich vor 16 Jahren, während ihrer ersten Woche an der Schauspielschule, in der U-Bahn kennen. Ebenso die Kämpfe, die Waller-Bridge austragen musste, weil sie den Part der Claire Clifford geben wollte, statt dem Druck nach einem bekannteren Namen nachzugeben („Ich habe mich in der Öffentlichkeit deutlich dazu geäußert, dass sie sich für mich eingesetzt hat.“). Tatsächlich wurde die Rolle der Claire von beiden gemeinsam entwickelt, „in einem wunderbaren kleinen Sketch mit dem Titel ,Use your vote‘, den wir in einem ziemlich muffigen, dunklen Theater, dem Southwark Playhouse, aufgeführt haben, mit der Stimme ihrer Mutter als Voiceover. Das war das erste Mal, dass ich Claire gespielt habe… 2009, eine ganze Weile her.“

Es war Jahre später als Clifford den ersten Drehbuchentwurf von Fleabag in den Händen hielt und dachte: „Das ist das Beste, was ich je gelesen hab. Es war irgendwie neu und entsprach genau dem Zeitgeist. Wunderbar toll, und voller Liebe. Es war mir egal, ob ich den Part bekommen würde oder nicht, weil ich hin und weg war, dass wir [die Serie] machen würden.“

Nun ist die Verbindung zwischen Clifford und Waller-Bridge so tief, dass „wir auch weiterhin zusammenarbeiten wollen, es läuft einfach. Unsere Gespräche… manchmal müssen wir gar nichts sagen, ein Blick reicht. Ich weiß nicht, ob ich das mit jemandem anderen je erleben werden, dieses blinde Vertrauen in Gedanken und Ideen.“

Ihre erste Begegnung mit der Wellnesswelt hatte Clifford vor neun Jahren. „Ich war pausenlos beschäftigt; es gab Arbeit ohne Ende…“ Privat aber lief es weniger gut und so verbrachte sie einige Zeit in einem Retreat in Irland. „Da entdeckte ich all diese Dinge. Mir wurde wieder bewusst, dass ich mich, als ich noch viel jünger war, auch schon dafür interessiert hatte, aber es war lange Zeit verborgen, all diese magischen, mystischen Dinge. Ich spürte sofort eine tiefe Verbundenheit. Damals habe ich zum ersten Mal meditiert und zum ersten Mal Yoga gemacht. Es war großartig, ich verlor mich total in dieser Welt und ließ mich in verschiedenen Bereichen ausbilden, Ernährung, transzendente Meditation, buddhistische Meditation… Ich vergrub mich quasi in dieser alternativen Landschaft.“

Ich wollte die Illusion zerstören, dass Business und Burnout gleich Erfolg sind

Die Idee, eine Wellnessplattform zu gründen, um ihre neuen Erkenntnisse mit anderen zu teilen, kam später. „Ich war in LA und unterhielt mich mit einem Freund über eine Kunstinitiative, die sein Cousin in New York ins Leben rief. Ich ging schlafen, wachte aber um 2 Uhr nachts auf und griff zum Notizbuch. Dann hörte ich zwei Stunden lang nicht auf zu schreiben. Ganz oben auf die Seite schrieb ich ,Still Space’; es fühlte sich an wie ein Geschenk.“ Die Idee war simple: „Ich wollte die Illusion zerstören, dass Business und Burnout gleich Erfolg sind.“

Das war 2015, noch vor der ersten Staffel von Fleabag. Clifford lebte den klassischen kreativen, aber unsteten Lifestyle, hier ein Job, da ein Job. „Ich begann [Meditationskurse] in London zu geben. Aber dann kam das Burnout, weil ich drei Jobs hatte: einen fürs Geld, zwei aus Leidenschaft. Ich hatte mir sechs Wochen gegeben, um das Projekt vollständig auf die Beine zu stellen.“ Sie ist sich der Ironie bewusst, dass sie erst zusammenbrechen musste, bevor sie sich ihre eigenen Ratschläge zu Herzen nehmen konnte. Unsere Kultur „betrachtet das Beschäftigtsein als Tugend, als Maß für Erfolg“, erklärt sie. „Und erst, wenn man am Boden liegt und nicht mehr aufstehen kann, beginnt man, sich damit auseinanderzusetzen.“

Sie beschreibt einen kleinen, aber entscheidenden Moment, der ihr über die Panik hinweghalf. „Ich schrie mich selber an: ,Ich weiß nicht, was ich machen soll!‘, als ihr ihre innere Stimme zuflüsterte, dass sie eigentlich nur Star Wars sehen wollte, aber nicht konnte, weil sie schlichtweg zu viel zu tun hatte. Zwischen panischen Fluchtgedanken und ihrer intuitiven inneren Stimme begann ein Kampf, den die innere Stimme glücklicherweise gewann. „Ich ging ins Kino und sah mir Star Wars an, und ich schwöre bei Gott, dass mir das das Leben gerettet hat. Es gab mir solche Energie.“ Am nächsten Tag buchte sie eine Reise, nach Glastonbury, und während sie dort auf einer Bank saß, spürte sie, wie sie von einer Gefühlswelle überrollt wurde. Sei realisierte, dass es das erste Mal seit sechs Monaten war, dass „ich absolut nichts tat. Und das ist der wahre Grund, warum Still Space existiert.“

In der darauffolgenden Zeit, die nicht einfach gewesen sein kann, ließ sie sich zur Teilnahme am „New Wise Voice of 2016“-Wettbewerb überreden, der von der Zeitschrift Psychologies und deren Verlag Hay House ausgeschrieben war. „Innerhalb kürzester Zeit erstellte ich eine unglaubliche Menge an Inhalten, es war wie eine Schulung. Ich konzentrierte mich auf intuitives Teilen, weil mein Ego nicht im Weg stehen durfte. Es waren glaube ich 46 Beiträge innerhalb von drei Tagen.“

Ich sprach darüber, dass ich mich mein ganzes Leben über von dieser maskulinen, anstachelnden Energie hatte dominieren lassen. Und dass ich lernen musste, mich davon zu lösen, um einer sanfteren Version meiner selbst eine Chance zu geben

Sieht man ihren Erguss an Ehrlichkeit und emotionaler Intelligenz heute bei YouTube, denkt man: ,Natürlich musste sie gewinnen’ (so war es dann auch). Nur wenig später hielt sie auf einer Konferenz von Psychologies_und Hay House eine Rede vor 1000 Zuschauern. „Es gab Standing Ovations und ich brach auf der Bühne – unbeabsichtigt – in Tränen aus. Ich sprach darüber, dass ich mich mein ganzes Leben über von dieser maskulinen, anstachelnden Energie hatte dominieren lassen. Und dass ich lernen musste, mich davon zu lösen, um einer sanfteren, in gewisser Weise sich ergebenden Version meiner selbst eine Chance zu geben und darauf zu vertrauen, dass sich schon alles zusammenfügt.“ Sie lächelt. „Am Ende jenes Jahres war _Fleabag dann bereits passiert.“

Wenig überraschend löste der Erfolg von Fleabag 1 und 2 eine Lawine an Arbeit aus. In der neuen Sky-Komödie Two Weeks To Live spielt sie die Mutter von Maisie Williams. Und in Quiz, Stephen Frears’ Dreiteiler über einen Betrugsversuch bei der britischen Version von Wer wird Millionär?, der in Kürze beim britischen Sender ITV gezeigt wird, ist sie Seite an Seite mit Matthew Macfadyen zu sehen. Das hat zur Folge, dass Still Space noch eine Weile im Betamodus bleibt („Die Website ist fertig, aber noch nicht live“). Bis dahin findet man ihre Videos bei YouTube, außerdem hat sie eine Einführung in die Meditation für PORTER LeserInnen aufgenommen [zum Ansehen ans Ende der Seite scrollen].

Meditationsneulingen – und jenen, die es ausprobiert und aufgegeben haben (wie ich) – empfiehlt sie, sich erreichbare Ziele zu setzen. „Ich rate immer dazu, zum Beispiel mit 30 Sekunden zu beginnen, was einige lächerlich finden. Aber so wissen sie, dass sie es schaffen können. Und es sollte auch nicht länger sein, weil wirklich das Gefühl entstehen soll, dass man es schaffen kann. Es soll ein Erfolgserlebnis geben.“ Ihr Top-Tipp ist, alle Power und Konzentration auf das Ausatmen statt auf das Einatmen zu setzen. „Das entspannt den Vagus-Nerv, der entlang der Wirbelsäule verläuft und dem Nervensystem mitteilt, dass Sie sicher sind.”

Hören Sie auf die innere Stimme. Ihre Intuition ist eine äußerst zuverlässige Stimme. Aber sie ist sehr leise…

„Das Wichtigste an Wellness ist meiner Meinung nach Kontinuität. Es sind diese 30 Sekunden im Laufe des Tages, die Sie vorwärtsbringen“, erklärt sie. „Sie selbst sind Ihr wichtigstes Markenzeichen, Ihr Support, Ihr Verbündeter, Ihr Liebhaber, all das. Wenn Sie das verinnerlichen können, überleben Sie alles. Wäre ich im letzten Jahr nicht an diesem Punkt gewesen, hätte mich alles ziemlich aus der Bahn werfen und überfordern können. Denn nie hätten wir erahnen können, was aus Fleabag werden würde.“

Cliffords offene Worte zum Thema mentale Gesundheit und zur Unbeständigkeit von Erfolg sind so überzeugend, dass ich mich den ganzen Tag lang mit ihr unterhalten könnten. Aber es ist nur noch Zeit für zwei Fragen. Erstens, welchen Rat würde sie allen PORTER LeserInnen geben? „Hören Sie auf die leisen Stimmen. Ihre Intuition ist eine konstante und äußerst zuverlässige Stimme. Aber sie ist sehr leise.”

Und eine weniger ernste Frage, hatte sie – wie Claire – je eine Frisur, die sie wie ein Bleistift aussehen ließ? „Haha, keine, mit der ich wie ein Bleistift aussah, aber definitiv eine, die mich zum Heulen gebracht hat. Und es war nicht mal so gravierend, nur etwas kürzer, als ich wollte. Traumatisch. Haare sind alles; ein so großer Teil unserer weiblichen Identität hängt von unseren Haaren ab. Also ja, ich verstehe es.”

Und so ist es. Sie versteht alles.

Dieser Artikel erschien am 17. Januar 2020.

EXKLUSIV-VIDEO

Sian Clifford spricht im PORTER-Video über Wellness und Meditation und verrät, mit welchen Tipps Sie besser schlafen, zu sich selbst finden und entspannen können – inklusive einiger Atemübungen zum Ausprobieren. Vor allem aber erklärt sie, wie wir netter zu uns selbst sein können (und weshalb Freundin und Kollegin Phoebe Waller-Bridge für sie ein ähnlich kathartisches „Geschenk“ ist).

Sian Clifford steht nicht in Verbindung mit NET-A-PORTER und unterstützt weder die Inhalte noch die gezeigten Produkte.