Coverstory

Die Entertainerin

mit

Julia Louis-Dreyfus

Coverstory: Julia Louis-Dreyfus

In Kult-Shows wie Saturday Night Live, Seinfeld und der gefeierten Politkomödie Veep – Die Vizepräsidentin bringt die preisgekrönte Schauspielerin JULIA LOUIS-DREYFUS ihr Publikum seit über 35 Jahren zum Lachen – auch als sie gegen ihre Krebserkrankung kämpfte. Die First Lady of Funny spricht mit JANE MULKERRINS über Politik, starke Frauen und wie sie gelernt hat, „die guten Dinge“ zu priorisieren

Foto Tiffany NicholsonStyling Katie Mossman
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Hollywood ist kein Ort, der normalerweise für Bescheidenheit bekannt ist. Doch Julia Louis-Dreyfus – eine der am meisten ausgezeichneten Darstellerinnen der amerikanischen Fernsehgeschichte – stellt einige ihrer schillernden Preise bewusst nicht zur Schau. „Ich möchte sie nicht alle zusammen aufbewahren, das fühlt sich irgendwie protzig an“, sagt sie mit einem Augenzwinkern. „Deshalb zeige ich nur manche davon, andere habe ich unter einem Bett verstaut.“ Die 58-jährige Schauspielerin besitzt eine Rekordzahl von Emmys (acht für Schauspielerei und drei für Filmproduktion) und erhielt neun Mal den Screen Actors Guild Award und einen Golden Globe. Letzteren gewann sie für ihre Rolle als Elaine Benes, die sie acht Jahre lang in der bahnbrechenden TV-Komödie Seinfeld spielte. Während andere Schauspielerinnen Mühe gehabt hätten, sich von einer karriereprägenden Figur wie Elaine zu lösen, umging Louis-Dreyfus diese Gefahr, indem sie sechs Emmys in Folge für ihre Darstellung der Selina Meyer in der HBO-Serie Veep – Die Vizepräsidentin erhielt. Darin verkörperte sie nicht nur die Figur der affektierten, machthungrigen Selina, sondern fungierte auch als Produktionsleiterin.

Sicherlich würde man bei Selina keine Preise unter dem Bett finden, aber Louis-Dreyfus behauptet, dass sie der narzisstischen Politikerin trotzdem sehr ähnlich ist. „Es ist toll, jemanden zu spielen, der so selbstbesessen ist; es erinnert mich an mein inneres zweijähriges Kleinkind“, schwärmt sie. Es mag toll sein, aber die Schauspielerin verabschiedet sich von ihrem Alter Ego, wenn die letzte Staffel von Veep am 12. Mai in den USA ausläuft. „Es ist definitiv bittersüß“, nickt sie.

„Warum gilt eine STARKE Frau als kompliziert? Warum ist es so schwer für uns, uns durchzusetzen?Jedes Mal, wenn ich mich für eine Sache EINSETZE, fragt eine Stimme in meinem Kopf, ob ich mich ZURÜCKHALTEN sollte“

Bild oben: Jacke von Balenciaga. Tanktop von Re/Done. BH persönliches Eigentum. Jeans von Rag & Bone. Stiefel von Valentino. Ring von Jennifer Fisher. Dieses Bild: Blazer und Hose von Tibi.

Wir treffen uns in einer großen Hotelsuite in Manhattan. Louis-Dreyfus entschuldigt sich für ihre Begrüßung im Trainingsoutfit – kurze Leggings, Turnschuhe und ein gestreiftes T-Shirt. „Ich wünschte, ich würde tragen, was Sie tragen“, sagt sie über meinen klassischen Lederrock und Mantel aus Faux Fur mit Leopardenprint. Sie findet, dass die Kälte des Raumes der einzige Nachteil ist. Sie geht ins Schlafzimmer, um sich ihren Mantel anzuziehen. „Jetzt sehe ich komisch aus“, lacht sie und knöpft ihn zu. „Erzählen Sie einfach allen, dass ich unter dem Mantel nackt bin. Das lässt mich cooler erscheinen.“

In den sieben Jahren nach der Erstausstrahlung von Veep hat sich die amerikanische Politik stark verändert, wobei die Realität zum Teil absurder ist als jede fiktive Komödie. „Zweifelsohne hat Trump unseren Job erschwert“, sagt Louis-Dreyfus. Veep repräsentiert aber auch eine fortschrittlichere politische Landschaft, da es bereits eine Frau als Präsidentin gab. „In erster Linie wollte ich, dass die Show besonders lustig ist. Aber wäre es nicht schön, wenn sie auch zum Gespräch über Frauen in Machtpositionen anregt?“, fragt sie rhetorisch. „Warum gilt eine starke Frau als kompliziert? Warum ist es so schwer für uns, uns durchzusetzen? Ich fühle es selbst. Jedes Mal, wenn ich mich für eine Sache einsetze oder eigensinnig auf mein Arbeitsumfeld reagiere, fragt eine Stimme in meinem Kopf, ob ich mich zurückhalten sollte.“ Sie verweist auf die vielen scharfsinnigen Politikerinnen unserer Zeit, die darauf hindeuten, dass sich Einstellungen verändern. „Ich bin ein großer Fan von [der Senatorin von Kalifornien] Kamala Harris und ich bewundere AOC [Alexandria Ocasio-Cortez, Kongressabgeordnete der Demokraten]“, sagt sie. „Sie ist zäh wie Leder, das gefällt mir sehr. Elizabeth Warren [die Senatorin von Massachusetts] ist eine Power-Frau.“

Jacke von Balenciaga. Tanktop von Re/Done. BH persönliches Eigentum. Jeans von Rag & Bone. Stiefel von Valentino. Ring von Jennifer Fisher.

„Wenn ich keine TV-Serie gehabt hätte, die sich auf mich VERLÄSST, wäre ich [mit meinem Krebs] wohlmöglich nicht an die ÖFFENTLICHKEIT gegangen. Aber es gab 200 Leute, die darauf gewartet haben, dass ich ZURÜCK zur Arbeit komme“

Jacke von Nanushka. Kleid von Magda Butrym.

Dass Louis-Dreyfus schließlich eine Politikerin porträtiert, muss Schicksal sein. Geboren wurde sie in New York City, wo ihr verstorbener, in Frankreich geborener Vater Gérard Louis-Dreyfus der wohlhabende Vorsitzende eines Energieunternehmens war. Den Großteil ihres Lebens wuchs die Schauspielerin jedoch in Washington D.C. auf. „Meine Familie war nicht in der Politik, aber ich ging mit vielen Kindern von Politikern zur Schule. Das Leben dort bringt Politik einfach mit sich“, sagt sie.

Ihre Eltern ließen sich scheiden, als sie ein Jahr alt war. Nachdem die Familie nach Washington D.C. umgezogen war, heiratete ihre Mutter Judith, die als Schriftstellerin und Sonderpädagogin tätig war, Laurence Thompson Bowles, den Dekan der George Washington University Medical School. Er arbeitete auch für die medizinische Organisation Project Hope, die Ärzte in Entwicklungsländern unterrichtet. „Wir lebten in Tunesien, Kolumbien und auf Sri Lanka, aber je nur für drei oder vier Monate am Stück. Wir kamen immer wieder nach D.C. zurück.“ Das Comedy-Gen, glaubt sie, hat sie von beiden Seiten. „Meine Eltern sind beide auf ihre eigene Art sehr lustig. Meine Mutter und ich teilen einen Sinn für dunklen Humor und mein Vater konnte sehr frech sein. Wir haben nicht ständig Witze gemacht, aber Humor war bei beiden immer präsent.“

„Zur Arbeit zu gehen war [während der Chemotherapie] deshalb eine FREUDIGE Ablenkung. Sich mit KREATIVITÄT den Lebensunterhalt zu verdienen, Menschen zum Lachen oder Weinen zu bringen, ist ein GESCHENK“

Sie studierte Schauspiel an der Northwestern University, wo sie sich The Second City, eine der bekanntesten Improvisationstheatergruppen Amerikas, zu deren Absolventinnen auch Tina Fey und Amy Poehler gehören, anschloss. Louis-Dreyfus wurde dort 1982 entdeckt und gefragt, ob sie an der NBC-Serie Saturday Night Live mitwirken möchte. Die Erfahrung war keine schöne. „Es war so frauenverachtend und überhaupt nicht frauenfreundlich“, trauert sie der Zeit nach. „Aber ich war 21 und als Künstlerin unvorbereitet. Eine Kombination dieser zwei sehr negativen Dinge machte es schwer, aber ich habe viel gelernt.“

1986 zog sie mit dem Schriftsteller und Komiker Brad Hall, mit dem sie schon zu Unizeiten zusammen war, nach Los Angeles. „Ich war auf der Suche nach einem Job, aber das Leben in Los Angeles hat mir nicht gefallen. Ich dachte immer: ‚Ich gehe zurück nach New York‘“, sagt sie kichernd. „Ich erinnere mich, wie ich zu Brad sagte: ‚Wenn wir eine Familie haben, werde ich meine Kinder unter keinen Umständen hier großziehen.‘“ Das Paar ist seit 32 Jahren verheiratet und hat zusammen zwei Söhne – Musiker Henry (26) und Charlie (21), der gerade sein letztes Studienjahr an der Northwestern University, der Alma Mater seiner Eltern, absolviert. Beide sind in Los Angeles geboren und aufgewachsen. „Ich bin froh, meine Söhne in meiner Nähe zu haben – ich mag ihre Gesellschaft sehr“, strahlt sie.

Mit der Art von trostlosem Pathos, die selbst Fernsehautoren selten zur Sprache bringen, wurde Louis-Dreyfus am Morgen nach dem Gewinn des Emmys im September 2017 mit Brustkrebs diagnostiziert. Auf Instagram verkündete sie die Nachricht ihren 1,2 Millionen Followern so: „Jede achte Frau bekommt Brustkrebst“, schrieb sie. „Heute bin ich diejenige.“

„Wenn ich keine TV-Serie gehabt hätte, die sich auf mich verlässt, wäre ich damit wohlmöglich nicht an die Öffentlichkeit gegangen“, gibt sie zu. „Aber es gab 200 Leute, die darauf gewartet haben, dass ich zurück zur Arbeit komme. Und ich wollte die Gelegenheit nutzen, um auf etwas Wichtiges aufmerksam zu machen“, fährt sie fort. „Das allgemeine Gesundheitssystem war für mich bereits vor der Diagnose ein wichtiges Thema – aber das ist es heute umso mehr.“ Sie unterzog sich sechs Runden einer Chemotherapie, die extreme Übelkeit und Durchfall verursachte. Ihr fiel es schwer, das Essen im Magen zu behalten und es entwickelten sich wunde Stellen im Gesicht und Mund.

Cardigan von Totême. Kleid von Bernadette. Ring (rechte Hand) von Laura Lombardi. Ring (linke Hand) von Jennifer Fisher. Stiefel von Alexandre Birman.

„Wir filmten nicht, aber ich habe Drehbücher gelesen. Die Runden meiner Chemotherapie lagen je drei Wochen auseinander, also ging ich danach immer zu Lesungen“, sagt sie. „Die kumulative Wirkung der Chemotherapie habe ich gegen Ende definitiv mehr gespürt. Zur Arbeit zu gehen war deshalb eine freudige Ablenkung und ich war so froh, die Kraft dazu zu haben. Sich mit Kreativität den Lebensunterhalt zu verdienen, Menschen zum Lachen oder Weinen zu bringen, ist ein Geschenk“, sagt sie nachdrücklich. „Ich liebe es und dafür arbeite ich gerne hart.“

Trotzdem sagt sie: „Ich war besorgt und fragte mich, ob mein Gehirn die Arbeit [das Drehen] wieder mitmachen würde. Ich muss viel auswendig lernen und machte mir Sorgen um meine Fähigkeiten.“ Sie trainierte ihren Kopf, um vorbereitet zu sein. „Ich fing an, Tricks zu üben und versuchte, Gedichte und andere Dinge auswendig zu lernen. Ich denke, es war hauptsächlich tröstlich für mich, diese in meinen Kopf zu bekommen.“

„Ich will den ERFOLG von Seinfeld nicht [mit einer Reunion] missbrauchen. Es war etwas BESONDERES für mich und ist nun schon eine Weile her. So ETWAS möchte man nicht kaputtmachen“

Obwohl Louis-Dreyfus seit mehr als 30 Jahren in Kalifornien lebt, behält sie die sachliche Haltung einer New Yorkerin bei. Man kann sich kaum vorstellen, dass sie eine alternative Einstellung zur Behandlung annehmen würde. „Die Leute waren sehr nett und schickten mir alle möglichen Sachen, wie Kristalle, Engel und Lotionen“, lächelt sie mit verschmitztem Blick. „Ich achte jedoch nun mehr darauf, was ich esse. Ich habe zwar immer gesund gegessen, aber habe Änderungen vorgenommen.“ Sie fügt hinzu, dass der Krebs „meine Prioritäten endlich ins rechte Licht rückte, wobei dies nicht wirklich viel Aufwand benötigte. Ich würde aber definitiv sagen, dass ich die guten Dinge noch mehr wertschätze. Es klingt kitschig, aber das ist die Wahrheit.“

Zu den „guten Dingen“ gehört das Vorantreiben der Entwicklung und Produktion ihrer eigenen Projekte, wie beispielsweise Downhill, eine schwarze Komödie, die auf dem schwedischen Film Höhere Gewalt basiert und Will Ferrell als Co-Star hat. Sie hält nicht an der Vergangenheit fest, auch nicht an den guten Dingen wie Seinfeld, trotz häufiger Fragen über ein mögliches Revival. „Ich will den Erfolg nicht missbrauchen. Die Serie war etwas Besonderes für mich und ist nun schon eine Weile her“, sagt sie achselzuckend. „So etwas möchte man nicht kaputtmachen.“ Was die Auszeichnungen unter ihrem Bett betrifft, fühlt und fühlte sie sich davon nie angetrieben. „Geschichten zu erzählen motiviert mich“, sagt sie. „Eine wirklich gute Erzählung, in die man eintauchen und der Welt mitteilen kann, ist für mich die größte Inspiration im Leben.“

Die letzte Staffel von Veep – Die Vizepräsidentin startet am 18. Juni 2019.

Blazer von Isabel Marant. Kleid von Lee Mathews. Stiefel von Alexandre Birman.

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