Coverstory

Eine Klasse für sich

mit

Amelia Dimoldenberg

Amelia Dimoldenberg

Mit ihrem charakteristischen trockenen Humor und eigenwilligen Charme hat AMELIA DIMOLDENBERG ihr Format Chicken Shop Date von einer Low-Budget-Idee auf YouTube zu einem globalen kulturellen Phänomen etabliert. Im Gespräch mit LAURA JORDAN spricht sie über Selbstvertrauen vor der Kamera, ihre ganz eigene Definition von Promi-Interviews und wie es ihr gelang, sowohl die Modewelt als auch Hollywoods Elite für sich zu gewinnen

Foto Kuba RyniewiczStyling Kristen Neillie
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Dieses Bild: Oberteil, Hose und Sonnenbrille von Alaïa. Obiges Bild: Kleid von Versace; Schuhe von Victoria Beckham; Ohrringe von Fernando Jorge

Während der Pariser Couture-Woche im Juli saß Amelia Dimoldenberg bei der intimen Balenciaga-Show – der Abschiedskollektion von Kreativdirektor Demna – in der ersten Reihe. Die Komikerin und Moderatorin gehörte zur exklusiven Gästeliste, neben Größen der Modewelt und Hollywoods Elite. Eine von ihnen: Nicole Kidman, die schnurstracks auf Dimoldenberg zusteuerte. „Sie rannte auf mich zu, drängte alle zur Seite und sagte nur: ‚Ich bin regelrecht besessen von dir. Ich muss in deine Show!‘ Das war schon verrückt.“

Mittlerweile hat Dimoldenbergs YouTube-Erfolgsformat Chicken Shop Date über drei Millionen Abonnenten und feierte im vergangenen Jahr sein zehnjähriges Jubiläum – darunter waren Berühmtheiten wie Jennifer Lawrence, Billie Eilish, Daniel Kaluuya, Keke Palmer und Cher. Die 31-Jährige schreibt Jack Harlow (über 19 Millionen Aufrufe – Tendenz steigend) zu, dass er ihr geholfen habe, ein amerikanisches Publikum zu erreichen. Die Folge mit ihrem „Helden“ Louis Theroux – und dem daraus entstandenen Jiggle Jiggle-Hype (einfach mal googeln) – bleibt für sie ein echter „Ist das wirklich passiert?“-Moment. Mittlerweile habe sie bereits die meisten ihrer Traum-Dates in der Show gehabt, dennoch nennt sie Nathan Fielder, Miss Piggy, Skepta und Giggs als Gäste, mit denen sie gerne ihre Chicken Nuggets teilen würde. Ein paar Tage nach unserem Gespräch veröffentlicht sie eine Folge mit Formel-1-Star Damson Idris. „Ein echtes Traum-Date. So charmant – auf die köstlichste Art. Ich liebe es, wenn die Gäste mitflirten und sich wirklich auf die Date-Idee einlassen. Er hat das Konzept auf jeden Fall verstanden.“

Das Format der Show ist recht simpel: Dimoldenberg trifft sich auf ein „Date“ mit einem prominenten Gast. Doch der Umgangston ist einzigartig. Trocken, skurril, auf charmante Art unbeholfen – die Britin tänzelt mit Leichtigkeit zwischen flirtendem Interesse und kühler Zurückhaltung, stellt absurde Fragen und lässt bewusst Pausen, die ein wenig zu lange dauern. Kein Wunder, dass Prominente das Format lieben: Auf einer durchchoreografierten Pressetour wirkt das Ganze außerordentlich erfrischend – und bietet zusätzlich die Gelegenheit, den Fans zu zeigen, dass man Spaß versteht und über sich selbst lachen kann.

Wir treffen uns einen Tag nach der Balenciaga-Show, Dimoldenberg ist wieder in ihrer Wohnung in East London. („Ich sehe jetzt total anders aus!“, lacht sie laut – gestern noch im schwarzen Glamour-Outfit von Balenciaga, heute im kurzen Stretchkleid und mit nassen Haaren.) Auf ihrem weichen Sofa zusammengerollt erzählt sie, dass ihre Ambitionen mit Chicken Shop Date von Anfang an ziemlich groß waren. Ihr Ziel war es, dass die Show „ein ebenso wichtiger Bestandteil einer Pressetour wird wie ein Auftritt bei [der britischen Talkshow] Graham Norton… Eine auf Comedy ausgerichtete Show, in der man eine ganz andere Seite von Promis zu Gesicht bekommt.“ Und genau das hat sie erreicht. „Es gab Dinge, die mich überrascht haben, aber ehrlich gesagt wollte ich immer, dass es dieses Level erreicht. Ich habe daran geglaubt.“

„Ein Großeil meiner Arbeit besteht darin, CLEVER genug zu sein, die Atmosphäre zu deuten – zu verstehen, was FUNKTIONIEREN wird und was UNTERHALTSAM ist“

Kleid von Simkhai; Ring von De Beers; Ring (Mittelfinger) von By Pariah

Der rebellische Charakter ist Teil des Reizes – doch Dimoldenberg bezeichnet sich selbst als Perfektionistin mit einer starken Arbeitsmoral (denn: Mühelosigkeit wirkt nur dann überzeugend, wenn sie sorgfältig vorbereitet ist). Wie bringt sie den spontanen Zauber der Show mit ihrem hohen Anspruch in Einklang? „Die Show ist inzwischen ein gut geöltes System, und ich habe ein Gespür dafür entwickelt, was funktioniert und was nicht“, erklärt sie. „Aber das liegt auch daran, dass ich mit einem großartigen Team arbeite. Die wichtigste Erkenntnis aus meiner bisherigen Zeit in der Branche ist, wie entscheidend es ist, sich mit leidenschaftlichen Menschen zu umgeben. Ich habe ein kleines, flexibles, fantastisches Team, das mir dabei hilft, perfekt zu sein.“ Ihre Schwester Zoe gehört dazu. „Ich glaube wirklich, dass die Show und mein Erfolg ganz eng mit unserer Beziehung zusammenhängen.“

Auch wenn das Konzept der Show im Kern gleichgeblieben ist, hat sich Amelia Dimoldenberg weiterentwickelt. Der respektlose Witz ist zwar nach wie vor in Hülle und Fülle vorhanden, aber: „In zehn Jahren, wie auch im Leben allgemein, wächst man, wird selbstbewusster. Ich habe das Gefühl, dass ich einfach selbstsicherer geworden bin – in mir selbst und in der Show. Die Dynamik hat sich ein wenig verändert. Ich glaube, ich bin inzwischen viel freundlicher.“ Sie hat auch gelernt, ihren Ton an den jeweiligen Gast anzupassen. Es würde sich „falsch“ anfühlen, sagt sie, „wirklich harsch zu sein gegenüber einer ganz süßen, jungen Musikerin“, während ein Hollywood-Star damit eher umgehen könne. „Ein großer Teil meiner Arbeit besteht darin, klug genug zu sein, den Raum zu lesen – zu verstehen, was funktionieren wird und was unterhaltsam ist. Und das ist bei jedem Gast anders.“

Diese Fähigkeit hat sie auch auf ein weiteres Format übertragen: Red-Carpet-Berichterstattung. Ihren typischen Witz bringt sie nun auf die roten Teppiche der Oscar-Verleihungen, der 50-Jahr-Feier von Saturday Night Live oder zahlreicher Filmpremieren. „Ich habe es früher geliebt, Red-Carpet-Interviews zu schauen – zu Zeiten von MTV … bevor alle komplett medientrainiert waren. Die Leute waren damals viel offener, ehrlicher, authentischer.“ Kein Wunder also, dass derzeit Gerüchte kursieren, Dimoldenberg könnte eine eigene Show bei Apple TV bekommen – auch wenn das zum Zeitpunkt dieses Gesprächs noch unbestätigt ist.

Ihre Rolle als Red-Carpet-Reporterin markierte jedenfalls ein neues Level ihres Berühmtheitsgrades. Als sie dem Schauspieler Andrew Garfield begegnete – zunächst bei den GQ Men of the Year Awards 2022, dann bei den Golden Globes 2023 – war das Internet sofort fasziniert von der flirty Chemie zwischen den beiden. Wird da was? Oder doch nicht? (Wurde es nicht – aber das Spekulieren machte Spaß.) Im vergangenen saß Garfield schließlich in Sam’s Chicken in Harlesden gegenüber von Dimoldenberg. „Die Hysterie, die das ausgelöst hat, hätte ich nie vorhergesehen“, gibt sie zu. Sie vergleicht die Flut an euphorischen Nachrichten, die sie daraufhin erhielt („Alle so: ‚Oh mein Gott! Oh mein Gott!‘“) mit dem Gefühl, sich zu verloben. „Man bekommt all diese Nachrichten – und will einfach nur das Handy weglegen.“

Dieser „spezielle Moment“ mit Garfield markierte einen Wendepunkt in ihrer Karriere: Sie ist inzwischen eine echte Prominente – ganz unabhängig von ihrer Show. Diesen Sommer wurde sie von Charli XCX (ebenfalls eine ehemalige Chicken Shop Date-Gästin) gefragt, ob sie als „Apple Girl“ beim Londoner LIDO-Festival auf der großen Leinwand den viralen Tanz anführen wolle. Als die Nachricht kam, versuchte sie gar nicht erst, cool zu tun. „Charli schrieb: ‚Kein Problem, wenn nicht!‘ – Was meinst du mit ‚kein Problem, wenn nicht‘?! Ich habe mein ganzes Leben auf diese Nachricht gewartet!“, lacht sie laut.

Kurze Zeit später wurde Amelia Dimoldenberg gemeinsam mit Charli XCX, Lily Allen und Dua Lipa nach Lipas Show im Wembley-Stadion fotografiert – eine Girl-Gruppe, die das Internet erneut zum Beben brachte. Es sei jedoch nicht der bloße Kontakt zu Prominenz, der sie antreibe. Sie fühle sich sogar „unangenehm“ dabei, über prominente Freundschaften zu posten. Solche Abende geben ihr vielmehr ein Gefühl von Gemeinschaft: „Zu diesen Events zu gehen, ist eine Möglichkeit, dieses Smalltalk im Büro-Gefühl zu haben – wo man sich darüber austauschen kann, wie es ist, Teil dieser Branche zu sein.“

Kleid von Simkhai; Ohrringe von Vintage Chanel

„MODE interessiert mich im Hinblick auf ihren kulturellen Stellenwert und was sie über IDENTITÄT, Politik, Wirtschaft, Musik aussagt – also alle ASPEKTE des Lebens“

Ihre Einstellung zu Ruhm ist realistisch und ausgewogen. Sie sei „mega dankbar dafür“, dass Menschen sie auf der Straße ansprechen, um ihr zu sagen, wie sehr sie ihre Arbeit schätzen: „Manche Leute arbeiten jahrelang in ihrem Beruf und erfahren nie, ob sie einen guten Job machen – deshalb sehe ich es als echtes Privileg, diese Art von Feedback zu bekommen.“ Gleichzeitig gibt sie zu: „Es ist einfach kein normaler Lebensstil. Es bringt eine gewisse Grundangst mit sich, die ich im Alltag ständig spüre.“ An den Wochenenden liebt sie es, „normale Dinge“ zu tun: Pub, Park, Kino, Grillabende.

Dimoldenberg wurde nicht in den Ruhm hineingeboren, wuchs aber gemeinsam mit ihrer Schwester in einem kulturell geprägten Elternhaus im Zentrum Londons auf. Ihre Mutter war Bibliothekarin, ihr Vater Stadtrat der Labour-Partei. Die junge Amelia hatte schon als Kind eine „alte Seele“ und wollte „unbedingt schon 30 sein“. Ihr Kindheitstraum war es, einmal Chefredakteurin der Vogue zu werden („Und, na ja – noch ist Zeit. Ich habe gehört, Anna Wintour tritt zurück“, sagt sie völlig nüchtern). Sie studierte an der Central Saint Martins School of Art und schloss mit einem Bachelor in Fashion Communication ab – mit Schwerpunkt auf Modejournalismus.

Oberteil und Hose von Alaïa; Armreif von David Morris; Ringe (Mittelfinger) von By Pariah, Anita Ko; Ringe (Ringfinger) von De Beers, David Morris

Ihr scharfer Blick und ihr echtes Interesse an Mode sind geblieben. Einige herausragende Momente: Maßgeschneidertes Versace bei den diesjährigen Oscars; verführerischer Vintage-Cavalli auf der Vanity Fair-Party am selben Abend; eine goldene LaQuan Smith-Robe im Stil von griechischer Göttin trifft Studio 54 bei den Golden Globes 2023. Auch in ihren Chicken Shop Date-Outfits spiegelt sich ihre verspielte Interviewhaltung wider – bewusst kontrastiert mit dem grell beleuchteten, abwischbaren Fast-Food-Ambiente.

„Mode interessiert mich im Hinblick auf ihren kulturellen Stellenwert – was sie über Identität, Politik, Wirtschaft, Musik aussagt – also über jeden Aspekt des Lebens. Das finde ich wahnsinnig spannend.“ Und Kleidung habe ganz konkret Einfluss auf das Selbstbewusstsein: „Ich glaube wirklich, dass der Kleiderschrank alles verändert – wie andere einen behandeln, wie man sich selbst fühlt.“

Bereits während ihres Studiums an Saint Martins entwickelte Dimoldenberg Chicken Shop Date als YouTube-Serie – doch die Idee entstand schon früher, als sie in einem Jugendclub erstmals Beiträge für ein Popkultur-Magazin schrieb. Ursprünglich hatte sie das Format als Kolumne vorgeschlagen. Heute, mit dem Bewusstsein, wie schwer es sein kann, in die Kreativbranche hineinzukommen, möchte sie gezielt etwas zurückgeben. Diesen Monat startet sie die Dimz Inc. Academy – ein Programm, das jungen Menschen die Werkzeuge und Ressourcen an die Hand geben soll, um Karrieren im Bereich digitale Medien zu starten. Erster Schritt: ein kostenloses, einwöchiges Programm für 18- bis 24-Jährige, in Zusammenarbeit mit der jugendorganisation Spiral Skills – inklusive praktischer Erfahrung mit Dimoldenberg selbst. „Ich freue mich riesig, dieses Projekt zum Leben zu erwecken – als Möglichkeit, der nächsten Generation von Talenten die Unterstützung zu geben, die sie brauchen. Und auch, um meinen Teil beizutragen, wenn es darum geht, faire Chancen zu schaffen.“

„Mach es auf deine EIGENE Art… So, dass es sich für dich RICHTIG anfühlt… anstatt zu versuchen, dich in eine Norm zu zwingen“

Kleid von Simkhai; Schuhe von Khaite; Ohrringe von Fernando Jorge

Ein weiteres Highlight steht im September an: eine Ausstellung zum zehnjährigen Jubiläum von Chicken Shop Date. Als immersives Pop-up im Zentrum Londons geplant, wird es interaktive Workshops und Diskussionsrunden geben. „Das Ganze wird präsentiert als 10 Jahre einer Idee, verbunden mit 10 Ratschlägen für junge Menschen, die ihre eigene Idee verwirklichen wollen – ganz egal, was das ist.“ Und was ist der beste Rat, den sie geben würde? „Mach es auf deine eigene Art“, sagt sie. „So, wie es sich für dich richtig anfühlt. Lehne dich da rein – anstatt zu versuchen, dich in irgendeine Schablone zu pressen.“ Und außerdem: „Umgib dich mit Menschen, die an dich glauben.“ In diesem Moment hat sie einen Anruf mit ihrer Schwester – ein Videoschnitt wartet.

Zum Abschied bedanke ich mich bei ihr für das Gespräch, das angenehm unaufgeregt war – ohne das üblich PR-Marionettenspiel. „Ich glaube, ich bin einfach mehr daran interessiert, ich selbst zu sein“, lächelt sie. „Und ich merke, dass ich das auch immer mehr in meiner Arbeit will. Chicken Shop Date war immer eine überhöhte Version meiner selbst – aber je länger ich das mache, desto mehr will ich einfach ich sein.“