Die junge Wilde
mit
Olivia Wilde

Schauspielerin OLIVIA WILDE ist alles andere als eine stille Schönheit. Mit MARISA MELTZER spricht sie über die Ehe, Sexismus und die Arbeit mit Scorsese.
Es war für Olivia Wilde gar nicht so leicht, aus dem Haus zu kommen. Ihr knapp drei Jahre alter Sohn Otis durchlebt gerade eine emotionale Phase. „Wenn ich mit ihm spiele, ist er ein Engel, aber sobald ich gehe, schreit er ,Mamaaaa!’, als würde ich die Titanic betreten“, lacht die Schauspielerin. „Er ist so dramatisch… als Kind zweier Schauspieler vielleicht unvermeidbar.“
Doch sie hat es geschafft und unser Interview in einem Restaurant in der Nähe ihres Hauses in Brooklyn, das sie mit ihrem Verlobten, Schauspieler Jason Sudeikis, bewohnt, kann beginnen. Die beiden sind seit vier Jahren verlobt; ob darauf eine Hochzeit folgt, steht für sie nicht groß zur Debatte. Beide waren bereits einmal verheiratet. Es gäbe also keine Eile, so Wilde. „Wir sind sehr eng miteinander verbunden. Bevor man Kinder hat, ist die Ehe der höchste Bund, doch dann kommt ein Kind und man merkt, dass man damit ja schon einen Bund fürs Leben geschlossen hat.“
„Mir war nicht KLAR, dass STILLEN kontrovers ist; diese Sexualisierung ist SCHOCKIEREND“
Otis stand im Mittelpunkt diverser Kontroversen in der Klatschpresse. Auslöser dafür waren Fotos, die Wilde ins Netz gestellt hat, auf denen Otis nackt oder sie beim Stillen zu sehen ist (die Bilder stammen aus einem Glamour-Shooting). „So bekommt man zumindest ein umfassendes Bild von der Sicht der Allgemeinheit“, kommentiert sie diplomatisch. Verständnis für die Empörung hat sie dennoch nicht, noch gibt es etwas zu beschönigen. „Mir war nicht klar, dass Stillen kontrovers ist; diese Sexualisierung in den Medien ist schockierend.“
Wilde (ein Künstlername, den sie sich im Teenageralter als Hommage an Oscar Wilde ausgesucht hat) hält nichts von Zurückhaltung. Die Öffentlichkeit sieht ihr bezauberndes, graziles Äußeres, doch privat besticht sie durch Witz und Wissen. Schnell wird mir klar, dass ich es mit einer überaus intelligenten Frau zu tun habe (oder was wissen Sie über die haitische Innenpolitik?).
Die 33-Jährige spielte in der TV-Serie Vinyl, einer Chronik der Musikbranche im New York der 70er-Jahre mit (selbstverständlichdürfen da auch Sex, Drugs and Rock ’n’ Roll nicht fehlen). Produziert wurde die Serie von Mick Jagger und Martin Scorsese. Für Wilde war es eine einmalige Chance, mit dem renommierten Regisseur zusammenzuarbeiten.
„Scorsese ist wie ein Filmstudent, der zum ersten Mal Regie führen darf. Für ihn ist jeder neue Film ein Geschenk. Sein Enthusiasmus färbt auf alle um ihn herum ab.“
Wilde spielte darin Devon Finestra, eine gelangweilte Ehefrau und Mutter, die einer längst verblassten Existenz als Model und Stammgast in Andy Warhols,Factory’-Atelier hinterhertrauert.Die Kostüme sind eine Story für sich. In der Pilotfolge, die kurz nach Wildes Entbindung gedreht wurde, wandelt die Schauspielerin in prächtigen Kaftanen durch das Vorstadthaus ihrer Serienfigur. Doch Finestra durchlebt eine Verwandlung, so sehen wir sie später nicht mehr als Hippie, sondern in edlen Vintage-Kleidern von Ossie Clark und Halston.
Wenn Otis (benannt nach Otis Redding) das Talent für theatralische Auftritte von seinen Eltern geerbt hat, könnte Wilde ihren Wissensdrang und den Hang zur Direktheit auch von ihren Journalisten-Eltern haben – ihre Mutter war Produzentin der US-Nachrichtenshow 60 Minutes. Auf die Kindheit in Washington D.C. und die Internatszeit an der Phillips Academy in Massachusetts folgten Castingjobs und erst danach Auftritte in Fernsehserien wie O.C., California und Dr. House mit Hugh Laurie („dem nettesten, professionellsten und lustigsten Mensch auf Erden“). Hinzu kamen Rollen in Indie-Filmen, darunter Drinking Buddies (bei dem sie auch an der Produktion beteiligt war) und jüngst das Drama Meadowland (ebenfalls von ihr mitproduziert), in dem sie eine Mutter spielt, die mit dem Verschwinden ihres Kindes zu kämpfen hat.
Meadowland war eine völlig neue Erfahrung – und nicht ohne Herausforderungen. Als Produzentin musste Wilde Geldgeber für den Film gewinnen. „Viele sagten: ,Kommen Sie wieder, wenn das Projekt steht.’ Mein Antwort: ,Es steht; wir haben eine Regisseurin, eine Schauspielerin, einDrehbuch…’ Trotzdem hieß es: ,Nein, finden Sie erstmal einen männlichen Darsteller.’ Als würden wir Frauen so ein Projekt zum Zeitvertreib machen.“
„Sexismus ist in Hollywood Gang und Gebe, er ist institutionell verankert. Die Leute merken gar nicht, was sie da eigentlich von sich geben, weil die Kommentare von Männern und Frauen kommen. Und dann heißt es, ohne ein Mann sei ein Projekt unvollständig.“
Doch sie habe Hoffnung. „Inzwischen werden die Rufe lauter, Frauen um ihres Geschlechts willen einzustellen. Das mag unbequem sein, aber nur so lassen sich Veränderungen bewirken. Früher war es mir wichtig, eine attraktive Schauspielerin zu sein. Das hat mein Selbstwertgefühl extrem beeinträchtigt. Zum Glück habe ich das hinter mir gelassen. Heute ist mein Äußeres nicht mehr der wichtigste Faktor.“
„SEXISMUS ist institutionell verankert. Es heißt, OHNE einen Mann sei ein Projekt UNVOLLSTÄNDIG“
In der Tat haben andere Dinge jegliche Äußerlichkeiten in den Hintergrund gedrängt. Sie ist überzeugte Feministin, Teilhaberin einer geheimen Bar in Fairfax, LA, leistet seit mehr als sechs Jahren Freiwilligenarbeit in Haiti und hat sich die Filmrechte an einem Roman gesichert – an welchem, sagt sie nicht. Die Produktion und Regie wird sie selbst übernehmen.
Wilde ist davon überzeugt, dass sich die Selbstwahrnehmung junger Schauspielerinnen wandelt. Als Beispiel nennt sie Juno Temple, die ebenfalls in Vinyl mitspielt. „Sie ist immer sie selbst gewesen und hat nie versucht, andere zu imitieren.“ Sie führt Lena Dunham und Emma Watson als Vorbilder in Sachen Talent und politisches Engagement auf und bezeichnet Jennifer Lawrence als „bestes Beispiel einer intelligenten Frau, die sich nichts gefallen lässt.“
„Die Medien drücken jedem gerne ein Label auf. Da ist ,die Mutter, die Aktivistin, die Hübsche.’ Aber“, sagt Wilde mit Nachdruck, „wir sind die Summe dieser Dinge.“ Sie selbst ist es ohne jeden Zweifel.
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