Verhaltensmuster
mit
Lily Collins

Schauspielerin LILY COLLINS kämpfte selbst mit Essstörungen. Im Magersuchtdrama To the Bone nähert sie sich bewusst diesem Thema und erzählt MARTI NOXON, Drehbuchautorin und Regisseurin des Filmes, wie sie sich ihren Dämonen stellte.
Mit 14 sprach Marti Noxon als Bodydouble für einen TV-Film über Anorexie vor und litt selbst zu dieser Zeit an Essstörungen. Nur ein zufälliger Schriftstellerstreik rettete sie davor, „eine professionelle Magersüchtige“ zu werden. Heute ist Noxon eine erfolgreiche Drehbuchutorin und Produzentin von großen TV-Shows wie Buffy die Vampirjägerin und Mad Men.
Ihr dunkler Humor zeichnet sich in ihrem neuen, sehr persönlichen Regisseurdebüt To the Bone mit Schauspielerin Lily Collins ab. Collins, 28, veröffentlichte vor Kurzem ihre Memoiren Unfiltered, eine Sammlung persönlicher Essays über ihre verschiedenen Lebensabschnitte: vom Versuch ihre Augenbrauen loszuwerden (jetzt ihr Markenzeichen), um in der Schule Anschluss zu finden, bis hin zu ihrem Kampf mit Essstörungen während ihrer Jugend. Das Buch trägt den Untertitel No Shame, No Regrets, Just Me – die perfekte Zusammenfassung ihrer Gespräche beim Mittagessen mit The EDIT in Los Angeles.
MARTI NOXON: Erzähl mir von Unfiltered. Hast Du Dich schon immer als Schriftsteller gesehen?
LILY COLLINS: Als Kind schrieb ich Gedichte, Songtexte und mit 15 für Zeitschriften – ich sah die Nummer der Redakteurin auf der Zeitschrift und habe sie einfach angerufen. Mit Unfiltered wollte ich andere dazu ermutigen, ihre Stimme zu nutzen und ich hätte nicht gedacht, dass ich dadurch meine eigene finden würde.
MN: Wann fand der Wandel statt?
LC: Während des Schreibens und der Dreharbeiten zu To the Bone. Ich beendete eine Woche bevor ich das Drehbuch bekam das Kapitel über meine Essstörungen. Ich ging mit Dir zu einer anonymen Gruppe, um darüber zu reden und erhielt zum ersten Mal die Fakten. Als ich an meiner Essstörung erkrankte, suchte ich nie medizinische Hilfe auf. Ich hatte nur diese Mythen in meinem Kopf, wie ich damit umgehen sollte. Mich der Wahrheit zu stellen, tat mir gut. In einer Szene im Film während der Gruppentherapie redeten wir über diese bizarre Euphorie, die wir durch die Erkrankung erleben. Das war mir vorher nicht bewusst. In diesem Moment hatte es Lily verstanden und nicht nur Ellen, mein Filmcharakter.
„Ich suchte nie medizinische Hilfe für meine Essstörung auf. Ich erschuf Mythen, um damit umzugehen.“
MN: Beim Schneiden des Filmes fühlte ich mich mit diesem Moment wirklich verbunden, das war wie ein Aha-Erlebnis.
LC: Von klein auf wollte ich diesem perfekten Bild entsprechen. Obwohl ich im Innersten zerrissen war, stellte ich sicher, dass mein Aussehen das nicht offenbarte. Ich stellte mir vor, dass die Leute von meinen Geheimnissen wussten und danach urteilten. Nun, da ich mein Innerstes nach außen kehre, fühlt es sich an wie ein Neustart und ich kann in meinen Rollen aufgehen.
MN: Es ist unfassbar, _To the Bone_ist glaube ich der erste Film über eine Person mit Essstörungen. Jemand las das Skript und meinte, das Thema sei nicht umfassend genug. Danach schickte ich ihm die Statistiken: Jede dritte Frau sagt, sie hat eine Essstörung. Ich denke, er sieht es jetzt anders. Was wir auch nicht ignorieren können ist, dass wir neben dem Druck auf uns selbst stets mit Schönheitsidealen bombardiert werden.
LC: Nach Ende der Dreharbeiten ging ich nach Südkorea, um Okja zu filmen. Ich esse kein rotes Fleisch, kannte viele der Speisen dort nicht und fand die Erfahrung alleine im Ausland zu sein sehr befremdlich. Ich sah nicht gesund aus, als ich zurückkam. Ich begann mit der Pressearbeit für Regeln spielen keine Rolle und man sagte mir, dass mich viele so nicht in den Zeitschriften zeigen wollten.
MN: Das ist großartig!
„Ich wollte schon immer dieses perfekte Bild von mir erschaffen, auch wenn ich im Innerste zerrissen war.“
LC: Nicht nur auf dem Cover – sie wollten mich so trotz des Filmes auch nicht in der Ausgabe zeigen. Niemand wusste von meiner Erkrankung und damals habe ich mich super aufgeregt, weil es ein wichtiger Moment für mich war. Aber es hat mir die Augen geöffnet. „Oh, das wird nun auch deine Karriere ruinieren, nicht nur die Gesundheit.“ Ich sagte meinem Presseagenten, dass ich alles dafür tun würde sofort fünf Kilo zuzunehmen. Ich hätte nie gedacht so etwas jemals zu sagen!
MN: Als mich Leute fragten, ob ich besorgt sei, dass Du rückfällig werden könntest während der Dreharbeiten zu To the Bone, erwiderte ich, dass wir natürlich dafür sorgten, dass Du viel Unterstützung bekommst, aber dass ich auch denke, dass Du zu ehrgeizig bist, um Dich dadurch aus der Bahn werfen zu lassen. Lange Zeit war Ehrgeiz für Frauen ein schmutziges Wort, aber da ich selbst ehrgeizig bin und diesen Ehrgeiz auch bei Dir erkannte, dachte ich, sie wird das schon schaffen.
LC: Es war toll – alle aus dem Team kamen auf mich zu und sagten, sie kannten das Problem von Schwester, Nichte oder Freundin; das selbe bei Autogrammstunden und einfach so, auf der Straße. Oder E-Mails mit den Zeilen „das ist meine Geschichte“. Dieser Film bringt Menschen ins Gespräch und bricht mit einem weit verbreiteten Tabu. Wir verstecken die Krankheit, indem wir uns komplett gegensätzlich darstellen. In Interviews lese ich oft: „Oh, ich trainiere nie und esse was ich will, ich habe einen guten Stoffwechsel.“
„Jemand sagte zu mir ‚Du siehst toll aus. Ich möchte wissen, wie Du das machst.‘ Das ist das Problem.“
MN: Es stellt sich auch die Frage der Verantwortung und ich hoffe, dass die Leute an Deiner Rolle erkennen, dass man in einer Falle sitzt. Man versuchst aufzuhören, aber kann es nicht und das ist schrecklich – die Kontrolle entgleitet Dir. Die Leute scherzten immer mit mir, „ich wünschte, ich hätte ein bisschen Magersucht.“
LC: Ich traf einmal eine alte Bekannte im Alter meiner Mutter und sie sagte zu mir: „Oh, wow, schau Dich an!“ Ich versuchte ihr zu erklären ich hatte für eine Rolle abgenommen und sie sagte, „Nein! Ich möchte wissen, wie Du machst, Du siehst toll aus!“ Ich stieg zu meiner Mutter ins Auto und sagte: „Das ist das Problem.“
MN: Wie hat Deine Mutter reagiert, als sie den Film sah?
LC: Am Anfang war sie ein bisschen schockiert. Das zweite Mal schaute ich am Ende zu ihr und sie schluchzte; es hat sie wirklich sehr ergriffen. Ich wusste, dass es mit dem Buch nicht einfach sein würde, über all’ das zu reden. Ich wollte nicht, dass sie sich verantwortlich fühlt; sie ist wie meine beste Freundin. Als sie den Film sah glaube ich, dass sie in Ellen sehr viel von mir erkannt hat. In einer Szene, ziehe ich mich aus, um von meiner Stiefmutter im Film, Carrie Preston, gewogen zu werden. Carrie machte ein Foto von mir auf ihrem Handy und zeigte es mir. Als ich mich darauf sah, blieb mir das Herz stehen und als meine Mutter den Film guckte, erkannte sie darin Lilys Reaktion; sie kennt mich am besten.
„Wir verstecken die Erkrankung perfekt. In Interviews lese ich oft: ‚Ich trainiere nie und esse was ich will.‘"
MN: Das Thema des Films bezieht sich auf jede Art von Belastung: Unvollkommenheit, Risiko und Traurigkeit als Teile des Lebens anzunehmen. Wenn man akzeptiert chaotisch und nicht perfekt zu sein, dann kann man ein fantastisches Leben führen.
LC: Das sind Keanu Reeves Worte! Ich erinnere mich, als wir bei ihm zuhause das Meeting hatten Reeves spielt Ellens Arzt: Die Türen öffneten sich mit Blick auf die Hügel Hollywoods und er erschien, „Hallo, ich bin Keanu.“ Es war wie in einem Film. Er sprach so sanft und freundlich und war voller Ideen. Und so unterstützend und sehr fürsorglich.
MN: Das erste Mal traf ich ihn im Chateau Marmont. Er kam auf einem Motorrad angefahren – eines seiner eigenen Designs – und trug eine Lederjacke, wie aus einem Hollywoodfilm. Er ist eine der wenigen Personen, über die man nie ein schlechtes Wort hört. Was ich jedoch nicht erwartet hätte, ist wie verletzlich er sich in seiner, für ihn sonst unüblichen Rolle zeigen würde.
LC: Wir hatten am Set wirklich eine Menge Spaß.
MN: Ich habe mich sehr bemüht, Humor mit hineinzubringen – wir nehmen unsere Arbeit oft zu ernst. Wir haben doch eigentlich so viel Glück hier und das versuche ich nie zu vergessen. Ich arbeitete einmal an einer medizinischen TV-Serie und scherzte über gefälschte Gehirnchirurgie! Das ist ja einfach nur Schauspielern.
LC: Das stimmt. Wir können die Geschichten anderer erzählen und in der Zwischenzeit ergründen wir unsere eigene.
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