Das Designer-Interview: Joseph
LOUISE TROTTER, Kreativdirektorin der begehrten britischen Marke Joseph erzählt EMMA SELLS wie Sie Kleidung kreiert, die cool und komfortabel zugleich ist
Als wir am Küchentisch in ihrer Pariser Wohnung sitzen sagt Louise Trotter, Kreativdirektorin des Londoner Labels Joseph: „Ich kann mich immer noch an meine erste „Joseph-Hose“ erinnern und wie ich dafür sparte. Ich habe einen Monat von Toast mit Bohnen gelebt.“ Nach dem Fotoshooting ist sie nun in ihrem Freizeitlook – in Jeans von Vetements, einem T-Shirt und einer coolen Nerdbrille. „Aber zu dieser Zeit musste man ein Paar „Joseph-Hosen“ besitzen – es war der Schritt ins Erwachsenenalter, wie ein Meilenstein. Ich hatte das Gefühl, es geschafft zu haben.“
Da war sie nicht allein. In den 90ern strömten Frauen in Scharen zu Josephs bahnbrechendem Shop auf der Londoner Fulham Road: Sowohl der charismatische Gründer Joseph Ettedgui, als auch das Label erreichten Kultstatus. Heute, dank Trotter, ist Joseph wieder ein ernst zu nehmender Modeanwärter und beliebt für zeitgenössische, dezente Coolness. Joseph ist bei Stilikonen für luxuriöse Essentials gefragt und versprüht gleichzeitig Kreativität und Frische. Im Klartext: Die Kleidung begeistert zutiefst.
Paris ist nicht nur das Zuhause von Trotter, ihrem Mann und drei Kindern, sondern auch der Sitz des Designstudios von Joseph. Der Rest des Unternehmens ist in London ansässig und Trotter ein Stammkunde bei Eurostar. Sie teilt sich ihre Zeit zwischen den beiden Metropolen ein. Dies spiegelt sich ihrer Meinung nach auch im Label wider. „Wenn ich hier in Frankreich bin, dann folge ich dieser Art der Klassizität“, sagt sie. „Sie kaufen Käse im Käseladen und Brot in der Bäckerei. In Großbritannien geben Modetrends viel mehr den Ton an und jeder folgt ihnen. Wenn ich in London bin, habe ich ein größeres Verlangen nach Dingen und werde zum Konsumenten, in Paris bin ich zufriedener und wählerischer. Ich denke, beide Seiten funktionieren ganz gut zusammen.“
Trotter hat seit 2009 die kreative Kontrolle inne und ihre Leidenschaft für das Label ist tief verwurzelt. „Mode ändert sich und die Dinge ändern sich. Die „Joseph-Frau“ hat für mich aber etwas Beständiges“, sagt sie. Deshalb kommt sie immer wieder auf zwei Themen zurück: Die Uniform und einen Mix aus maskuliner und femininer Mode. Das Erstere ist einerseits von ihrer eigenen Schuluniform inspiriert, die sie zerschnitt und neu designte („Dieses Gefühl der Rebellion ist etwas, an das ich mich immer erinnere, wenn ich an eine Uniform denke“) und andererseits von der Uniform, die Ettedgui für Frauen kreierte; in seiner pragmatischen, maskulinen Vorgehensweise, um die perfekte Hose oder das perfekte Hemd zu entwerfen. Und Zweiteres? „Androgyner Style wird immer mit Joseph in Verbindung gebracht, weil es eine männlich-weibliche Marke ist“, sagt Trotter. „Es geht dabei nicht um typische Schönheit, sondern Schönheit, die kleine Fehler hat und ihr eigenes Gefühl des Intellekts verkörpert. Die „Joseph-Frau“ kauft nicht unbedingt Joseph, wegen eines offensichtlichen Logos oder Erkennungsmerkmales. Die Marke spricht die an, die ein stärkeres Gefühl für den eigenen Stil haben. Joseph zu tragen heißt nicht, einem Club beizutreten, sondern seinen eigenen Stil zu zeigen.“
„Joseph ist ein maskulin/feminines Label. Es verkörpert nicht unbedingt die typische Schönheit
“
Diese Philosophie spiegelt sich in der H/W17-Kollektion wider. Von den passgenauen Klassikern, wie dem marineblauen Peacoat oder der khakifarbenen Hose, in denen Adwoa Aboah die Laufstegshow eröffnete, bis hin zu Must-haves, wie dem rosa Rollkragenpullover oder den kirschroten weiten Hosen. Die Philosophie spiegelt sich auch in den Frauen selbst wider: Eine bunt gemischte Parade wunderschöner, interessanter Frauen mit Attitüde.
„In dieser Saison verlief unser Casting sehr individuell, es gab kein bestimmtes Rezept“, sagt Trotter. „Jedem Mädchen wurde gesagt, ‚Wir wollen Dich wegen Dir und Deiner Persönlichkeit. Sei wie Du bist und laufe wie Du möchtest‘. Es war toll, wie ermächtigt sich die Mädchen fühlten. Ich glaube, dass man das wirklich sehen konnte.”
„Kleidung soll nicht nur schön aussehen, sondern etwas sein, das man wirklich lebt und trägt
“
Trotter, die in Sunderland in England aufwuchs, wollte schon seit ihr „Modedesigner“ ein Begriff war, diesen Beruf nachgehen. Frauen in ihrem Leben inspirierten sie: Zu ihren frühesten Erinnerungen zählen,wie ihre Großmutter, eine Näherin, an der Nähmaschine saß und ihre Mutter, sie mitten in der Nacht zur Anprobe von Jacken und Kleidern, die sie nähte, weckte. Diese Ambitionen waren unter ihren Freunden wohl eher unüblich.
„Ich wuchs im Nordosten Englands in den 70ern und 80ern auf und wenn man dort sagte, man wolle Modedesigner werden, dann war das, als wolle man Astronaut werden und zum Mond fliegen“, lacht sie. „Ich denke, meine Eltern und viele Lehrer dachten früher: ‚Sie ist eigentlich ganz intelligent, das muss sie doch nicht machen‘.“
Entschlossen studierte Trotter in Newcastle, bevor sie nach London und dann nach Paris ging. Schon früh in ihrer Karriere kreuzte sich ihr Weg mit Joseph Ettedgui, als sie für Whistles und Gründerin Lucille Lewin arbeitete. „Sie waren Erzfeinde und er grüße mich nur, um sie zu ärgern“, lacht Trotter.
In den vergangenen achteinhalb Jahren hat sie die Modelinie um Schuhe und Taschen erweitert, eine Menswear-Kollektion hinzugefügt und nach viel Zögern einen permanenten Platz bei der London Fashion Week an Land gezogen. Dies gibt dem Label nicht nur ein breiteres Publikum, sondern hat auch die Messlatte bezüglich der Qualität der Kleidung angehoben und zwingt Trotter und ihr Team bewusst und fokussiert zu arbeiten.
„Es ist interessant eine kommerzielle Pre-Kollektion zu kreieren und dann mit starken Pieces, eine Show aufzustellen“, sagt sie. „Jeder kann individuell diese Statement-Pieces mit luxuriösen Essentials kombinieren. Ich mag das, so funktioniert die Garderobe einer modernen Frau. Wir besitzen alle viele weiße T-Shirts, Jeans und schwarze Hosen und dann kaufen wir jede Saison ein oder zwei von diesen Must-haves. So betrachte ich auch die Shows: Sie können diese besonderen Pieces kaufen und sie zur Hauptkollektion kombinieren.“
Obwohl sie darauf besteht, dass sie nicht die typische „Joseph-Frau“ repräsentiert (stattdessen nennt sie unter anderem Model Stella Tennant), ist es diese Mischung aus Weiblichkeit und Praktikabilität, die ihre Kleidung so ansprechend macht. „Kleidung ist nicht nur da, um hübsch auszusehen, sie ist etwas das man lebt und trägt“, sagt sie. „Ich hasse es, wenn Kleidung nicht passt oder unangenehm sitzt und nur im Kleiderschrank hängt. Das ist die Herausforderung, die ich mir und dem Designteam stelle, um sicherzustellen, dass wir Kleidung kreieren, die die Leute wirklich tragen wollen und sich gut darin fühlen.“ Mit dieser Philosophie können wir uns gerne anfreunden.
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