Unverblümt
mit
Shailene Woodley

Mit ihrer Rolle als Edward Snowdens Freundin im Biopic enthüllt SHAILENE WOODLEY neue spannende Seiten einer der umstrittensten Geschichten dieses Jahrzehnts. Zum Glück nimmt sie kein Blatt vor den Mund…Von NATALIE EVANS-HARDING
Als ich erfuhr, dass dieser Film gedreht wird, bat ich meine Agentur um ein Treffen mit Oliver Stone“, sagt Shailene Woodley, während sie einen Tee in einer Bar im New Yorker SoHo trinkt. Der dreifache Oscar-Gewinner, Drehbuchautor und Regisseur veröffentlicht bald seinen neuen Film Snowden, der die Hintergrundgeschichte desCIA-Whistleblowers Edward Snowden beleuchtet, der Hunderte von geheimen staatlichen Dokumenten veröffentlichte.
Mit Stone zu arbeiten war für den Star aus Die Bestimmung und The Descendants eine wichtige Erfahrung. Sie bricht damit aus ihren Teenager-Rollen aus, um Lindsay Mills, die Freundin von Joseph Gordon-Levitt aka Snowden zu spielen, eine Rolle, die der seit vier Jahren im Business tätigen Woodley Kritikerlob und eine treue Fangemeinde einheimste. Mit nur 24 Jahren wird sie bereits als Kassenmagnet gehandelt, obwohl ihr das wenig bedeutet. „Oliver hatte mich damals einfach noch nicht gekannt“, sagt Woodley und zuckt mit den Achseln, „ich denke nicht, dass er meine früheren Filme gesehen hat.“
Und was macht eine hartnäckige Schauspielerin wie sie in diesem Fall? Sie schreibt ihm einen Brief. Und es funktionierte.„Ich wollte ihn einfach treffen, um ihm als junge, heranwachsende Frau zu sagen, dass ich ihm für diesen Film dankbar bin, weil er unser Leben verändern wird“, sagt sie. „Zudem danke ich ihm auch für die schnelle Umsetzung“, sagt sie. „Es gibt wirklich keinen anderen, der das so schnell wie Oliver Stone hätte umsetzen können.“
Wahrscheinlich hat sie Recht, denn jemand mit weniger Einfluss hat vielleicht nicht das nötige Studio dazu. Der Regisseur traf sich mit dem im russischen Exil lebenden Snowden, dessen Wohnort nicht bekannt ist, für ein Gespräch und einen kurzen Auftritt im Film. Woodley hingegen besuchte seine Freundin Lindsay vor den Dreharbeiten in Washington.
„Ich wollte mich bei Oliver Stone für diesen Film bedanken, weil er unser Leben verändern wird“
„Ich denke jeden Tag an Lindsay, obwohl wir die Dreharbeiten vor einem Jahr abgeschlossen haben. Sie lebt jeden Tag damit und obwohl sie bereits über ein Jahrzehnt mit ihrem Partner zusammen ist, akzeptiert sie seine Schweigepflicht bei der NSA. Dann sagte er ihr jedoch, dass er für ein paar Tage beruflich wegfahren müsse und alles, was sie sie später sieht, ist sein Gesicht auf jeglichen Fernsehstationen“, sagt Woodley. „Sie musste lernen, mit den Konsequenzen zu leben und ihre Gefühle zu ordnen. Er darf jetzt nicht mehr in die Staaten zurückkehren. Deshalb muss sie sich entscheiden, ob sie weiterhin in ihrem Land wohnen will oder zu ihm nach Russland ziehen möchte. Ihr Leben hat sich aufgrund seiner Entscheidung drastisch verändert. Ihr Partner ist jetzt ein gefahndeter Mann und Reporter klopfen jeden Tag an ihre Tür. Lindsay arbeitete als Yoga- und Pole-Dance-Lehrerin. Die Medien haben sie deshalb auseinandergenommen und gesagt: ‚Edward Snowdens Freundin ist eine Stripperin‘. „Nein, sie ist eine Fitness-Lehrerin!“, sagt Woodley bestimmt. „In der Filmbranche erwartet man solche Sachen, aber sie hatte sich das nicht ausgesucht.“
Woodley ist aufrichtig und leidenschaftlich. Ihre Ansichten sind fundiert und gut argumentiert. Sie betont Dinge, die ihr am Herzen liegen. Als sie begann, in den Nachrichten über Snowden zu lesen, klebte sie ein Pflaster auf die Kamera ihres Computers, da sie sich schon seit Längerem mit Überwachungssystemen auseinandersetzt (eines ihrer Lieblingsbücher ist 1984 von George Orwell). Woodley hat einen ausgeprägten Sinn für Gerechtigkeit, wie etwa wenn es um das Thema sexuelle Aufklärung geht. „Als junge Frau lernt man nicht, wie man sich selbst befriedigen kann oder wie sich ein Orgasmus anfühlen sollte. Ich wollte immer ein Buch schreiben, dass ‚Viele Wege führen zum richtigen Masturbieren‘ heißt. Würde der Schulunterricht darüber aufklären, gäbe es weniger Herpesfälle im Alter von 16 und Schwangerschaften mit 14. Auch über Photoshop weiß man zu wenig. Als wir Die Bestimmung filmten, hatte ich schreckliche Akne, aber man würde das niemals denken, denn die Make-up-Artists können alles verdecken. Manchmal frage ich mich, ob man so etwas nicht einfach zeigen sollte…“
„Lindsays Freund ist ein gefahndeter Mann. Reporter klopfen deshalb inzwischen täglich an ihre Tür“
Wir sprechen 45 Minuten lang über die kommende Präsident-schaftswahl. Woodley ist eine Befürworterin von Bernie Sanders. Social Media vergleicht sie mit Narzismus: „Menschen wird jeden Tag gesagt, wie umwerfend und stark sie sind. Nach einer Weile glauben sie das auch und werden realitätsfremd. Und Hollywood ist sowieso ein ungesundes Pflaster – Frauen werden immer dünner, ein wenig blonder und die Lippen voller. Weil es dieses Frauenbild gibt, passen sich alle an.“
Woodley ist eine interessante Gesprächspartnerin. „In Hollywood ist es nicht leicht, ein politisches Gespräch zu führen“, gibt sie zu. „Die meisten Leute dort sind so privilegiert, dass sie die restlichen 99% der Amerikaner nicht einmal wahrnehmen. Solche Leute tun sich schwer, eine andere Ansichtsweise zu verstehen.“
Zu ihrer Weltanschauung hat sicherlich auch die fortschrittliche Erziehung ihrer Eltern beigetragen. Woodleys Vater arbeitete als Psychologe und ihre Mutter als psychologische Beraterin. Sie pflegten stets ein offenes Ohr und Zuhause, und nahmen sogar Teenager auf, die von ihren Eltern weggerannt waren. „Ich kam oft nach Hause und fand Sachen vor, die nicht so toll waren“, sagt Woodley. „Meine Familie ist einfach zu viel, aber sie ist auch mein ein und alles.“ Ihre Hand verweilt kurz auf ihrem Herz als sie sagt: „Sie würden alles für mich und ich alles für sie tun. Das ist schon viel mehr, als viele Teenager über ihre Familien sagen können. Ich bin für alles dankbar.“
Interessanterweise fällt es Woodley schwer, beim Schauspielern wütend zu werden. „Ich bin so wütend auf alle korrupten Systeme in der Welt, aber selbst aus der Haut fahren? Den letzten größeren Streit hatte ich mit meinem Ex. Damals war ich 17 Jahre alt. Ich sagte böse Dinge und wurde wütend. Die Beziehung tat uns beiden nicht gut. Ich erinnere mich, gesagt zu haben, dass ich nie so enden will.“
„Würden die Schulen über das Masturbieren aufklären, hätten wir weniger 14-jährige Schwangere“
Im Gegensatz zu ihrer Anekdoteist Woodley eine ausgesprochen ausgeglichene Person; wohl das Ergebnis ihrer Erziehung. Wenn sie mit ihrem Bruder stritt, mussten sie sich draußen stundenlang auf dem Rasen vor den Nachbarn umarmen. „Die ganze Zeit kochst du innerlich dabei und kannst dein Gegenüber nicht ausstehen, aber wenn du loslässt, dann musst du nochmals für eine Stunde so verharren. Das war die Art von manipulativer Psychologie, die meine Eltern verfolgten“, lacht sie. „Und in der Schule gab es Zeiten, wo jemand etwas Verletzendes zu mir sagte und meine Eltern waren dann einfach nicht auf meiner Seite. Sie sagten Dinge wie: ‚Es tut uns leid, dass du dich so fühlst, aber überleg dir, was die andere Person dabei gefühlt hat.‘ Ich habe es gehasst! Jetzt verstehe ich es natürlich und es hat mich gelehrt, dass niemand von Natur aus böse ist. Sich in andere Person versetzen zu können hat meine Perspektive sicherlich auf Dauer erweitert.“
„Die Leute in Hollywood sind so privilegiert, dass sie die anderen 99% der Amerikaner gar nicht sehen“
Woodley bevorzugt starke Rollen – am liebsten würde sie Helena Bonham Carter in Fight Club spielen. Sie ist ständig auf Trab. Wenn sie einmal nicht arbeitet, bietet sie ihren Freunden an, ihnen bei ihren diversen Projekten unter die Arme zu greifen. Woodley versucht stets, das Beste aus sich herauszuholen, sei es beim Schauspielern oder im täglichen Leben. Sie ist ehrgeizig und voller Energie und verkörpert das amerikanische Arbeitsethos. Erfolg bedeutet ihr viel, doch sie will das Ziel auf fairem Weg erreichen. Sie liebt Kritik und feilt stets an ihrem Können. Außerdem hasst sie es, wenn ihr eine Rolle zugeschoben wird. „Ich schaue mir oft Filme mit großartig gespielten Rollen an, die aber meiner Meinung nach falsch besetzt wurden. Deshalb bevorzuge ich das Vorsprechen,weil ich dann weiß, dass ich das erfülle, was gesucht wurde. „Als ich das erste Mal eine Rolle spielte, die mir direkt angeboten wurde, war ich durchgehend nervös. Der Regisseur sagte zwar nichts, aber er hatte ja auch keinen Vergleich.“
Wie würde die Schauspielerin sich selbst beschreiben? „Ich möchte mich stets weiterentwickeln, Neues dazulernen und jeden Tag etwas anders sein.“ Ohne Zweifel wird sie das auch schaffen; Woodley ist nämlich ein wahres Energiebündel. Man muss einfach nur mit ihr mithalten können…
Die in diesem Artikel dargestellten Personen stehen nicht in Verbindung mit NET-A-PORTER und unterstützen weder die Inhalte noch die gezeigten Produkte.