Natürlich ungewöhnlich
mit
Cindy Crawford

Seit 30 Jahren dominiert CINDY CRAWFORD die Modelbranche. Mit CHRISTINE LENNON spricht sie über ihre Entscheidung, neue Wege einzuschlagen, und warum sie es nicht bereut, nackt posiert zu haben
Die Sonne geht unter im kalifornischen Thousand Oaks und die Temperatur liegt bei knapp 5 Grad Celsius, aber Cindy Crawford (53), die den ganzen Tag beim Fotoshooting auf dem kalten, weitläufigen Gelände einer Pferderanch verbrachte, scheint unbeeindruckt. „Es war nicht so schlimm, bis der Wind aufkam“, sagt sie eingekuschelt in einen schwarzen Kunstpelz-Parka von Mr & Mrs Italy, neben einer Standheizung in einer zugigen Scheune zusammengekauert. Sie greift nach meinem Handy, das unser Gespräch aufzeichnet. „Hier, halten Sie das. Dann hört man es besser. Es ist laut hier drin.“
Es ist leicht nachzuvollziehen, warum man Crawford den fast mythischen Ruf als das professionellste und freundlichste Supermodel der Welt zuschreibt. Sie war die erste in ihrer Riege, die den Status einer Megamarke erreichte, und eine von ganz wenigen, die drei Jahrzehnte lang ununterbrochen und ohne Skandale arbeitete. Sie hat es auch geschafft, dem permanenten Wandel der Branche standzuhalten und relevant zu bleiben. Die Frage ist: wie? „Ich mache nur Sachen, die mich interessieren. Ich mache Dinge, die Spaß machen, und das macht mich meiner Meinung nach für mein Publikum relevant“, sagt sie.
Das Imperium von Crawford umfasst ihre eigene Anti-Aging-Hautpflegelinie Meaningful Beauty, eine „Cindy Crawford Home“-Möbelkollektion und eine 20-jährige Partnerschaft als Markenbotschafterin für Uhren von Omega. Was das Modeln betrifft, „würde man hoffen, dass deine Arbeit über 30 Jahre eine gewisse Langlebigkeit hat. Ich möchte aber trotzdem immer wieder neue Sachen machen, damit mir nicht langweilig wird. Bilder aus der Vergangenheit neuaufzulegen finde ich nicht inspirierend. Ich möchte mich ausschließlich mit interessanten Menschen umgeben. Das ist es mir wert.“ Sie gibt zu, dass sie sich nie vorgestellt hat, in ihren Fünfzigern vor der Kamera zu stehen. „Ich erinnere mich, dass ich mit 20 glaubte, ich würde fünf Jahre lang modeln und dann wieder zur Schule gehen und einen richtigen Job anfangen. Mit 25 dachte ich dann, dass ich noch fünf Jahre dranhängen würde. Mit 30 war es das Gleiche.“
„Mit 20 dachte ich, dass ich noch fünf Jahre MODELN würde, um danach einen RICHTIGEN Job anzufangen. Mit 25 wollte ich noch weitere FÜNF Jahre dranhängen. Mit 30 was es das Gleiche“
Sie verdankt ihre langjährige Karriere einer gesunden Selbstwahrnehmung, weniger einem klugen Geschäftssinn. „Man dachte, glaube ich, dass ich das Modeln für einige Zeit aufgegeben hatte. Ich habe aber gearbeitet, jedoch eben nicht für Victoria’s Secret. Ich denke, mir gelang es gut, mich als Marke zu sehen oder zu verstehen, was Cindy Crawford als Marke ausmacht. Ich bin amerikanisch, sexy, aber zugänglich und meine Jobs dementsprechend zu wählen, war etwas, das mir nicht schwer fiel“, erklärt sie.
Crawford zeichnet auch aus, wie sie sich um sich selbst kümmert. Weder beeinflusst, noch definiert ihr Alter das, was sie tut. Ein Beweis dafür sind die Fotografien in Russell James’ neuem Bildband Angels, in dem Crawford nackt zu sehen ist. „Er fragte mich, wie ich fotografiert werden möchte. Ich konnte so frei oder nicht frei sein, wie ich wollte“, sagt sie. „Ich wollte es zum Teil auch machen, weil ich mich fragte, in welchem Alter das Nacktsein nicht mehr schön ist. Gibt es ein Verfallsdatum für uns? Ich sehe nicht mehr so aus wie mit 20, 30 oder 40. Wenn wir auf uns achten, warum nicht? Zeige ich mich am Strand in einem superknappen Bikini? Nein. Aber in meinem Privatleben an der Seite meines Mannes möchte ich mich nackt schön fühlen. Russell knüpfte daran an. Es gab keine Heels, nicht viel Make-up, keine Schüchternheit, nur eine Frau ohne Kleidung.“ Crawford bereut ihre zwei Fotostrecken im Playboy (von 1988 und 1998) nicht. Aufgenommen wurden sie damals von dem legendären Fotografen Herb Ritts. Sie fragt sich auch, warum sie überhaupt Kleidung trug. „Ich schaue mir einige meiner Fotos für den Playboy an und frage mich: ‚Warum war ich nicht die ganze Zeit nackt?‘“, lacht sie. Ich werde nicht jünger. Also will ich die Frau zelebrieren, die ich heute bin.“
„Ich schaue mir meine alten Fotos für PLAYBOY an und frage mich: ,Warum war ich nicht die ganze Zeit NACKT?‘ Ich werde nicht jünger. Ich will die Frau ZELEBRIEREN, die ich heute bin“
Man weiß, dass sie seit 21 Jahren glücklich mit dem ehemaligen Gastronomen und Tequila-Mogul Rande Gerber verheiratet ist. Gerber (56), sagt Crawford, muss nicht im Mittelpunkt stehen. Er überlässt das Rampenlicht gerne seiner Frau und seinem Casamigos-Tequila-Geschäftspartner George Clooney. Seit Kurzem ist Crawford auch das weibliche Familienoberhaupt der kleinen (aber produktiven) Crawford-Gerber-Modeldynastie. Zu verdanken hat sie dies ihren beiden Kindern Presley (19), der für Calvin Klein und Dolce & Gabbana gearbeitet hat, und Kaia (17), die Markenbotschaftern für YSL Beauty ist und unter anderem mit Prada und Chanel kollaboriert. In der Tat arbeitete Kaia bereits gelegentlich seit ihrem 13. Lebensjahr, als [Modelagentur] IMG ihren Eltern vorschlug, sie unter Vertrag zu nehmen. „Es war gut, dass sie erst mit 16 Jahren auf den Laufsteg durfte. Dafür gibt es Gesetze. Danach konnte ich sie nicht mehr wirklich aufhalten“, sagt Crawford. „Man hofft, dass sich Kinder an den Tipps, Ratschlägen und Vorbildern orientieren, die man ihnen mit auf den Weg gibt. Es ist eine Phase in der Erziehung, in der man denkt: ‚Ok, ich hoffe, deine Flügel werden dich tragen.‘“
Letztes Jahr, als Kaia 16 Jahre alt wurde und offiziell auf den Laufsteg durfte, reiste Crawford mit ihr und hielt sich backstage in bekannten Gefilden auf. „Kaia hatte einige Vorteile“, gibt sie zu. „Sie ist meine Tochter und die Leute wissen das. Aber wenn gesagt wird, ich hätte ihr ein Magazincover erkauft, denke ich: Wenn ich das für jemanden tun würde, dann für mich selbst. Wenn ich jemanden in eine Fashion-Show bekommen will, dann wäre ich es.“
Im Großen und Ganzen dachte Crawford, dass die Shows so wie immer waren. Viele der gleichen Personen – Visagisten, Stylisten, Fotografen und Designer – waren backstage vertreten. „Selbst die Designer waren die gleichen, wie Ralph Lauren und bis vor kurzem Karl Lagerfeld“, sagt sie. Mutter und Tochter betrachten Lagerfeld, der wenige Tage vor diesem Interview starb, als Freund. „Man kann nie sagen: ‚Oh, das war ein gutes Leben‘, und nicht traurig über den Tod von jemandem sein, egal wie alt. Aber Karl hatte so ein unglaublich erfolgreiches Leben. Er tat das, was er liebte, fast bis zum Schluss“, fährt sie fort. „Er nahm sich selbst nicht zu ernst. Zum Beispiel, als er sagte, dass man in Jogginghosen die Kontrolle über sein Leben verloren habe. Die Leute sollten sich daran nicht hochziehen. Er war exzentrisch.“
Alte Freunde zu besuchen und die Modelwelt aus der Perspektive ihrer Tochter zu betrachten, weckte zu Beginn Erinnerungen. Aber die Welt bringt auch neue Herausforderungen mit sich, die Crawford nicht mag. „Der Unterschied besteht darin, dass Social Media inzwischen Teil des Jobs ist. Früher wurden wir nicht ständig in der Kleidung fotografiert, die wir zur Show trugen. Der Druck, täglich Inhalte zu produzieren, steigt. Es ist wie ein hungriges Tier, das nie genug bekommt und immer mehr will. Man hat nie das Gefühl, gut genug zu sein“, sagt sie.
„Karl Lagerfeld hatte ein ERFOLGREICHES Leben. Er tat das, was er liebte, fast bis zum SCHLUSS. Er nahm sich selbst nicht zu ernst. Er war EXZENTRISCH“
Während die meisten Eltern von Teenagern die Präsenz ihrer Kinder in den sozialen Medien überwachen (was Crawford zugebenermaßen gelegentlich tut, obwohl sie behauptet, dass sie sich „auf das Wesentliche beschränken muss“), findet Crawford die aggressiven Kommentare von Fremden weitaus entmutigender, als den Druck, der auf Presley und Kaia aufgrund ihres Berufs lastet. „Ich kann nicht glauben, wie hasserfüllt manche Menschen sein können“, sagt sie. „Egal, wie viel Müll Leute auf meinem Instagram abladen, es stört mich nicht. Aber wenn sie es bei meinen Kindern tun, denke ich, Grrr! Man darf aber auch nicht hinter den Hassern her sein. Es ist schockierend. Man wird immun dagegen, weil die Leute einfach wild um sich werfen. Wir müssen politisch korrekt sein. Wer nicht berühmt ist, kann die hasserfülltesten Dinge sagen. Als Prominenter muss man jedoch darauf achten, dass man nicht die falsche Person verärgert.“
„Die Modebranche wird INTEGRATIVER. Frauen jeden Alters, mit jeder Größe, Hautfarbe, unterschiedlichen Hintergründen und Jobs kaufen KLEIDUNG. Wir müssen ihnen vermitteln: ,Ja, das KANNST du auch tragen‘“
In vielerlei Hinsicht ist die Mode auf die gleiche Art und Weise gereift, wie Crawford: würdevoll, aber langsam und mit der Zeit wurde sie immer weiser und scharfsinniger. Designer erkennen, dass sich Kunden, die sich ihre Kleidung leisten können, mehr Repräsentation wünschen. Auch das ist ein Grund, warum sich Models wie Crawford und ihre Zeitgenossen Christy, Naomi, Linda und Co einer beispiellosen langjährigen Karriere erfreuen.
„Frauen in meinem Alter wollen das Gefühl haben, dass Designer die Kleidung für uns entwerfen“, sagt sie. „Ich war schon in Geschäften, in denen ich Größe L hatte. Ich brauchte die größte Größe im Laden. Gerade hier in L.A. gibt es vieles maximal in Größe 42 oder 44. Die Labels, die dieses Publikum bedienen und ihnen richtige Mode bereitstellen, setzen Statements und leisten gute Arbeit. Rihannas Marke Fenty hat diese Idee wirklich verinnerlicht. Es gibt viel zu tun in dem Bereich“, betont sie, „und das erreicht man nicht, indem man sporadisch eine größere oder ältere Frau einsetzt. Wir brauchen mehr Integration.“
Es gibt also noch viel zu tun, aber auch Fortschritte, sagt Crawford. Sie hat ihren Teil zu den jüngsten Entwicklungen der Modebranche beigetragen. „Ich merke, dass Mode integrativer wird und das macht Sinn. Ich frage mich, warum wir so lange gebraucht haben. Frauen jeden Alters, mit jeder Größe, Hautfarbe, unterschiedlichen Hintergründen und Jobs kaufen die Kleidung. Wir müssen ihnen vermitteln: ‚Ja, das kannst du auch tragen. Und so geht’s.‘“ Und so geht es in der Tat.
Rückblick
Haben Sie sich jemals gefragt, was Cindy Crawfords erster Modelauftrag war? Und wie ihr erstes Rendezvous mit ihrem Ehemann Rande Gerber aussah? In unserem exklusiven Video gewährt unser Coverstar private Einblicke in ihr Leben…
Die in diesem Artikel dargestellten Personen stehen nicht in Verbindung mit NET-A-PORTER und unterstützen weder die Inhalte noch die gezeigten Produkte.