Coverstory

Model der Zukunft

mit

Saskia de Brauw

Als einzigartige Stilikone glänzte das niederländische Model SASKIA DE BRAUW bereits auf sämtlichen Laufstegen der Welt, und während sie das Gesicht zahlreicher namhafter Modehäuser war, schlägt ihr Herz für gemeinsame Foto- und Kunstobjekte mit ihrem Lebensgefährten. JANE MULKERRINS hat die engagierte Umweltaktivistin getroffen, die alle Highlights der Cruise-Kollektionen 2020 gekonnt in Szene setzt…

Foto Quentin De BrieyStyling Elissa Santisi
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Es ist ein regnerischer, trüber Tag als mir eine imposante Saskia de Brauw die Haustür des vierstöckigen Hauses öffnet, in dem sie in Bedford-Stuyvesant, einem Viertel in Brooklyn, wohnt. Mit ihrem Freund, dem Fotografen Vincent van de Wijngaard und ihrer dreijährigen Tochter Luna ist sie vor drei Jahren von Paris nach New York gezogen. Anfangs hatte gebürtige Niederländerin Bedenken, in diese hektische Stadt zu ziehen, doch schnell verliebte sie sich in das einzigartige Viertel: „Es ist wunderschön hier, man hat die Möglichkeit, einen Garten zu haben, der Nachteil ist der lange Fahrtweg, um Einkäufe zu erledigen. Supermärkte gibt es in dieser Gegend nicht.“ Für die meisten Familien würde dies eine Autofahrt bedeuten, nicht für die de Bauws: Sie besitzen noch nicht mal ein Auto. „Wir haben ein umweltschonendes Cargo-Bike für Lebensmittel“, erzählt sie mir. Das Zweirad mit der großen Ladevorrichtung befindet sich draußen vor der Haustür.

Durchaus ist sie sich dessen bewusst, dass ihr Beruf häufiges Fliegen erfordert. „Ich muss das ständige Reisen leider in Kauf nehmen,“ bestätigt sie. „Ich verwende das Konzept Cool Effect, aber es gibt da verschiedene. Man gibt die Flugzeit an und investiert etwas in Umweltprojekte wie Wiederaufforstung und die Versorgung von Dörfern in Entwicklungsländern mit LED-Lichtern.” Auch in ihrem Eigenheim bemüht sie sich um den Erhalt der Umwelt. Ich habe mein flüssiges Shampoo gegen einen Shampoo-Stein ausgetauscht. Wenn ich zum Set gehe, bringe ich meine eigene Kaffeetasse, meine Trinkflasche und mein Besteck mit.“ Das ist sehr vorbildlich, merke ich an. „Ich denke, das sollte jeder tun“, sagt de Brauw achselzuckend.

Sie führt mich durch den luftigen Flur mit hoher Decke in ihre höhlenartige Wohnküche, in der van de Wijngaard an seinem Laptop arbeitet. Vor einem Jahrzehnt haben sie sich kennengelernt, als er sie für ein niederländisches Magazin fotografierte. Erst nach ein paar Jahren fingen sie an, miteinander auszugehen. „Es war ein bisschen kompliziert“, meint sie, aber letztendlich zogen sie zusammen nach Paris, wo sie sieben Jahre lebten.

„Ich hatte das Gefühl, dass mich die Leute für STARK und belastbar hielten, in Wirklichkeit war ich ZERBRECHLICH und brauchte ein bisschen HILFE “

Obiges Bild: Mantel von Givenchy. Stiefel von Gianvito Rossi. Tasche von Loewe. Schal von Bottega Veneta. Ohrringe von Melissa Kaye. Dieses Bild: Oberteil von Stella McCartney. Rock von Proenza. Ring von Repossi.
Blazer von WE11Done. Shorts von Proenza. Oberteil von Peter Do. Schuhe von Aeyde. Ohrringe von Sophie Buhai.
Pullover von Petar Petrov. Hose von Victoria, Victoria Beckham. Tasche und Schuhe von Bottega Veneta.

Das Paar hat es im Allgemeinen vermieden, zusammenzuarbeiten, aber letztes Jahr kam ein gemeinsames Projekt ganz natürlich zustande. „Es hat mir nicht wirklich Spaß gemacht, hierher zu kommen“, gesteht De Brauw über ihre Anfangszeit in New York City. „Diese Hektik und soziale Isolierung, die ich hier spüre, machen mir zu schaffen. Also habe ich angefangen diese ausgedehnten Spaziergänge durch die Stadt zu machen.“ Die Spaziergänge hatten kein Ziel, sagt sie, aber einfach ziellos durch die Straßen der Stadt zu schlendern, hatte eine beruhigende Wirkung.

Eines Tages verarbeiteten sie und van de Wijngaard ihre meditativen Ausflüge in einen Film und eine Fotoserie mit dem Titel Ghosts Don’t Walk In Straight Lines. Er fotografierte sie, während sie die gesamte Strecke von der 225th Street in Manhattan auf der nördlichen Seite der Insel bis zum Battery Park an der Südspitze entlang schlenderte. Sie trug dabei einen von ihrem Freund und Designer Haider Ackermann maßangefertigten Mantel.

Blazer von Gabriela Hearst. Ohrringe von Melissa Kaye.
Mantel von Ganni. Hemd von Emma Willis. Tasche von Bottega Veneta. Sandalen Gianvito Rossi. Ohrringe von Monica Vinader.

„KLEINE Dinge, die oft übersehen werden BERÜHREN mich meist am EINDRINGLICHSTEN“

Die Bilder wurden in London, Amsterdam und New York ausgestellt, zudem erschien ein dazugehöriges Kunstbuch. Zweifellos ist das 38-jährige Modell eindeutig mehr als nur ein hübsches Gesicht, auch wenn ihr kantiges, wie aus Stein gemeißeltes Gesicht die Titelseiten von Magazinen wie der französischen und italienischen Vogue ziert und sie bereits in Kampagnen für Chanel, Prada, Yves Saint Laurent und Armani mitgewirkt hat. Im Laufe ihrer Karriere ist de Brauw für fast alle großen Modehäuser auf dem Laufsteg gelaufen, darunter Lanvin, Celine und Stella McCartney - und obwohl sie allgemein nicht mehr auf den Catwalks der Fashion Weeks zu sehen ist, konnte man sie kürzlich wieder für Haider Ackermann und Givenchy laufen sehen sowie in Couture-Shows für Fendi und Valentino Haute Couture.

Umso beeindruckender, wenn man bedenkt, dass sie mit 28 Jahren relativ spät in die Branche eingestiegen ist. Ihr Alter habe ihr den Einstieg in die Branche auch nicht einfacher gemacht, merkt sie an. „Ich hatte das Gefühl, dass mich die Leute aufgrund meines Alters für besonders stark und belastbar hielten, aber eigentlich war ich sehr zerbrechlich und ich brauchte ein bisschen Hilfe und Anleitung und war nicht in der Lage, danach zu fragen“, reflektiert sie. „Man wird mit vielen Enttäuschungen und Ablehnungen sowie merkwürdigen Verhaltensweisen anderer Menschen konfrontiert, mit denen man nicht immer umzugehen weiß.“ Ein früherer Model-Agent habe ihr jedoch einige wertvolle Ratschläge gegeben: „‘Les chiens aboient, la caravane passé[die Hunde bellen, aber die Karawane zieht weiter]“. Die Hunde können die Menschen sein, die sagen: „Wow, du bist großartig“, aber sie können auch die Menschen sein, die sagen, du bist nicht großartig - sie können da draußen alles Mögliche von sich geben“, sagt sie. „Aber du musst weitermachen und dich nicht von den Hunden stören lassen.“

Wir lehnen uns in der eleganten Lounge zurück - de Brauw mit gekreuzten Beinen auf dem Boden -, möbliert mit geschmackvollen, spärlichen, aber unkonventionellen Möbeln gemischt mit winzigen roten Adirondack-Stühlen von Luna und wo sich ihre kindlichen Zeichnungen neben Porträts von Künstlern wie dem russisch-amerikanischen Maler Moses Soyer befinden. „Mein Freund hat ein sehr gutes Auge, auf den Pariser Märkten fand er immer etwas“, sagt de Brauw. In Bezug auf ihre eigene Kunst ist sie jedoch weitaus zurückhaltender. „Ich habe keine Karriere als Künstlerin“, sagt sie kopfschüttelnd. „Ich mache Projekte, wenn ich Lust dazu habe.” Sie hat jahrelang Material für ihre erste Ausstellung und ihr Buch The Accidental Fold zusammengestellt, eine Bildersammlung von Objekten, die sie auf der Straße gefunden und mit ihrem tragbaren Scanner gescannt hat. „Kleine Dinge, die oft übersehen werden - das sind die Dinge, die mich tief berühren.“ Sie hat immer ein Notizbuch bei sich.

Hemdblusenkleid von Deveaux. Gürtel von Black & Brown.

Das ist alles andere als die sich selbst anpreisende, sich in den Mittelpunkt stellende Social-Media-Persönlichkeit, die heutzutage häufig von Models gefordert wird. „Das ist ein echter Kampf für mich“, sagt sie nickend und erwähnt ihre besondere Verachtung für „Instagram-Models, die Yoga machen, das kein Yoga ist. Yoga ist für mich eine ernste Sache - es ist die Vereinigung von Körper und Geist“, sagt sie. Sie zog sich vor ein paar Jahren auf einem Meditationsretreat im Zentrum von Plum Village in der Dordogne zurück, wo sie mit dem vietnamesischen Mönch und Schriftsteller Thích Nhất Hạnh meditierte. „Seine Anwesenheit zu erleben war etwas ganz Besonderes“, sagt sie ein wenig träumerisch.

De Brauw wuchs in dem Dorf Baambrugge auf, 20 km außerhalb von Amsterdam, wo sowohl ihr holländischer Vater als auch ihre Glasgower Mutter Anwälte waren. Sie hatte kein Interesse an Mode als sie aufwuchs; „Ich habe immer noch keins“, lacht sie. „Aber ich mag schöne, gut gemachte Dinge“, gibt sie zu, als ich ihr ein Kompliment zu ihrem eleganten dunkelblauen Pullover und Rock mache. Sie war sehr an Pferden interessiert - „Ich habe jedes Pferd im Dorf gepflegt, aber keine edlen Pferde - das waren alles Shetlandponys. Ich striegelte ihr ungepflegtes Fell und ließ sie über Hindernisse springen. Ich war immer draußen.“

Blazer und Hose von Gabriela Hearst. Ohrringe von Melissa Kaye.

„Wenn du einen JOB hast, der so sehr auf das Aussehen deines KÖRPERS fixiert ist, wird es umso wichtiger GLÜCKLICH mit dir selbst zu sein“

Blazer von Vetements. Jeans von SLVRLAKE. Hemd von Nili Lotan. Schuhe von Aeyde.
Oberteil und Rock von Joseph. Ringe von Repossi.

Sie wurde im Alter von 16 Jahren in einer Straßenbahn in Amsterdam entdeckt und arbeitete für verschiedene holländische Marken und trat in lokalen Runway-Shows auf. „Aber ich hatte auch eine Essstörung und das war wahrscheinlich nicht sehr hilfreich. Wenn du einen Job machst, der mit deinem Körper zusammenhängt, ist es besser, glücklich damit zu sein, wo du bist oder wer du bist.“ Zu diesem Zeitpunkt sagt sie: „Ich hatte diesen Drang, wirklich gute Leistungen zu erbringen, also hatte ich sehr gute Noten, aber ich habe meine Abschlussprüfungen gemacht, ganz ohne zu Essen. Ich hatte keine Menstruation mehr. Ich war innerlich unglücklich.“ Ihre Eltern ermutigten sie: „Wir werden eine Lösung finden.” Durch Therapie und Heilung gelang es ihnen letztendlich auch. „Es hat wirklich ein paar Jahre gedauert, bis ich wieder eine gesunde Beziehung zum Essen aufbauen konnte. Aber jetzt bin ich seit vielen Jahren von Magersucht befreit. Es lauert nicht um die Ecke, es ist einfach nicht mehr in meinem Leben. Für Leute, die dasselbe durchmachen, ist es hoffentlich gut zu wissen, dass es wirklich nicht etwas ist, das sie Ihr ganzes Leben lang verfolgen wird.”

In der Zwischenzeit schrieb sie sich an der Universität für ein Jurastudium ein und glaubte zunächst, dass sie in den Fußstapfen ihrer Eltern treten würde. „Aber das Thema, das ich am meisten liebte, war Rechtsphilosophie, also habe ich nur ein Jahr absolviert.” Sie wechselte zu Kunstgeschichte, fand das aber auch zu trocken. „Es war sehr akademisch und ich saß nur da und dachte: ’Dafür habe ich mich nicht angemeldet’. Natürlich war ich einfach nicht dazu bereit.“ Am Ende studierte sie Fotografie und Textildesign an der Gerrit Rietveld Akademie. Das Modeln kam nur auf Anregung eines Freundes wieder ins Gespräch, um über die Runden zu kommen. „Die meisten Agenturen sagten: „Nein, das ist nicht deine Zeit. Das war in der Vergangenheit. Mach etwas anderes”, erinnert sie sich. Eine Agentur [wer? Viva?] war jedoch bereit, ihr eine Chance zu geben. Ihre erste Buchung war eine Balenciaga Show. „Ich hatte damals keine Ahnung, dass es eine große Sache war”, lacht sie.

„Ich hatte mein ganzes LEBEN lang KURZE Haare und wurde auf der Highschool immer für einen JUNGEN gehalten“

Blazer von Maison Margiela. Hose von Isabel Marant. Hemd von The Row. Ohrringe von Sophie Buhai.

Während eines langen Zeitraumes ihrer frühen Karriere spielten Designer und Casting-Agenten stark mit de Brauws androgyner Erscheinung. „Ich hatte mein ganzes Leben lang kurze Haare und als ich auf die Highschool ging, wurde ich immer für einen Jungen gehalten.” Während ihres Aufenthalts in Paris wurde sie in der Boulangerie häufig als „Monsieur” angesprochen. „Einmal dachte mein Onkel sogar, ich wäre mein Bruder”. Sehen sie sich so ähnlich, frage ich? „Mein Bruder ist ungefähr einen Meter größer als ich und hat einen Bart“, antwortet sie trocken. Auch ich habe einen Pixie-Cut, ähnlich dem von de Brauw, und ich sage ihr, er wird in den USA viel häufiger kommentiert als in Europa. „Ja, ich denke, Haare sind hier sehr wichtig“, sinniert sie. „Du bekommst deine Haare für das Wochenende gemacht, und deine Nägel. Wer hat schon Zeit, sich die Nägel machen zu lassen?“ Sie streckt ihre langen Beine aus, als sie darüber nachdenkt. „In Holland ist das Leben praktisch. Du bist auf deinem Fahrrad, also sind nicht alle Frisuren geeignet und du kannst keinen Hut tragen - es wird dir vom Kopf geweht. Du wirst nicht die ganze Zeit Absätze tragen, weil das auch auf deinem Fahrrad nicht praktikabel ist.” Sie kichert leise. „Es ist vielleicht nicht sehr romantisch, aber ich denke, die Holländerin ist vielleicht einfach nur sehr praktisch.”

Blazer und Hose von Gabriela Hearst. Ohrringe von Melissa Kaye.

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