Unverblümt

In Los Angeles geht niemand zu Fuß, erst recht nicht die Prominenten. Doch Amanda Seyfried ist heute zu Cheebos, einem bescheidenen Café auf dem Sunset Boulevard, gelaufen; ganz natürlich und ohne Verkleidung, ungeschminkt in schwarzen Skinny-Jeans und einem roten T-Shirt. „Ich wohne gleich um die Ecke“, erklärt sie. „Und niemand stört mich. Ich bin nicht J.Lo. Hier, sieh mal!“ Sie zeigt mir ein Foto auf ihrem Handy von zwei ineinander verschlungenen Händen, die Ringe tragen, auf einer Cheebo-Speisekarte. „Das bin ich mit Tommy“, sagt sie und meint dabei ihren Mann, den Schauspieler Thomas Sadoski. „Wir sind hier nach unserer Hochzeit brunchen gegangen.“ Am selben Tag? Und was war mit dem Empfang? „Wir hatten keinen“, sagt sie freudig. „Wir haben letztes Jahr im März in Topanga geheiratet. Nur wir zwei. Danach fragte ich, ob wir zu Cheebo gehen könnten. Es war toll!“

Bedeutet das etwa, dass der Star aus Mamma Mia!, eine riesige Hochzeitsfantasie, selbst gar keine Hochzeit hatte? „Genau aus diesem Grund. Ich heirate ständig. Erst letzte Woche trug ich ein Hochzeitskleid.“ Seyfried drehte in Vancouver The Art of Racing in the Rain, ein Film, der auf dem Jahresbestseller 2008, Enzo. Die Kunst ein Mensch zu sein, basiert. „Außerdem werde ich bei Premieren immer fotografiert. Mir ist das alles nicht so wichtig.“ Warum dann heiraten? „Schau, hier.“ Ein weiteres Foto von Amanda in einem Hochzeitskleid als sie im neunten Monat schwanger war. „Der Bauch war nicht besonders schön, aber ich wollte im Krankenhaus unbedingt einen Ring am Finger haben. Was ist, wenn etwas schiefgeht und er ist nicht rechtmäßig mein Mann?“ Sie kaufte ein Kleid bei Free People und es konnte direkt losgehen. „Ich habe mir nicht einmal einen Blumenstrauß ausgesucht.“

Seyfried hat keine Star-Allüren. Dabei vergisst man schnell, dass sie große Rollen in Girls Club – Vorsicht bissig!, Les Misérables, Big Love und Ted 2 hatte. Ihr wohl einziges Zugeständnis an den Ruhm ist, dass ich den Namen ihres Babys nicht verraten darf. Ansonsten ist sie wie jeder andere auch. Die Art, wie sie über ihre Beziehung zu Geld spricht zum Beispiel. Sie gesteht, dass sie nichts gegen den Bau von Hochhäusern in ihrer Nachbarschaft hat, denn es bedeutet, dass der Wert ihres eigenen Hauses steigt. Um Steuern zu sparen, baut sie ihre Garage derzeit zu einem Gästehaus um. „Es ist für meine Mutter. Sie ist wie unser Kindermädchen“, erklärt sie. Und was ihre anderen Immobilien betrifft – eine Wohnung in New York und eine Farm auf dem Land mit drei Ziegen, zwei Pferden, zwei Ponys, sechs Hühnern, einer Katze und zwei Eseln – fühlt sie sich schuldig, weil sie diese nicht vermietet hat. „Ich könnte so viel damit verdienen. Es ist wirklich schade“, überlegt sie für einen Moment. „Ich glaube, dass ich immer eine seltsame Beziehung zu Geld haben werde, denn ich bin ohne aufgewachsen.“

Als die jüngere von zwei Töchtern ist die Schauspielerin in einem Vorort von Allentown, Pennsylvania aufgewachsen. Ihre Mutter arbeitete als Therapeutin in einer psychiatrischen Einrichtung und ihr Vater war Apotheker. Sie hatte eine glückliche Kindheit und obwohl sie kein einfaches Kind war, fiel sie in der Schule nicht auf. „Meine Mutter nannte mich „Demanda“. Ich war nicht besonders cool und wurde deshalb in Ruhe gelassen.“

Sie ist bescheiden, wenn es um ihre Coolness geht. Schon mit 11 Jahren modelte sie und als Teenager war sie regelmäßig in der ABC Serie All My Children zu sehen. Dafür musste sie sogar mit dem Bus nach New York pendeln. Ein rebellisches Verhalten während der Pubertät inklusive Alkohol und Marihuana erlebte Seyfried im Schnelldurchlauf. Bereits mit 17 ließ ihre Mutter sie nach New York ziehen, um dort alleine in einer Wohnung auf der 69th Street zu wohnen. In dem Alter konnte ich gerade mal ein Ei kochen, erzähle ich ihr. „Du bist ein Junge. Tut mir leid, aber das stimmt. Ich sagte meinem Mann: ‚Wenn du jünger gewesen wärest, hätte ich dich nicht geheiratet‘“. Sadoski ist 42.

Trotz alldem litt Seyfried unter Angst. Nach Girls Club – Vorsicht bissig! zog sie im Alter von 19 Jahren nach Los Angeles und bekam Rollen in den Fernsehsendungen Big Love und Veronica Mars. An einem Tag auf dem Weg zum Dreh hatte sie jedoch eine Panikattacke. „Mir wurde schwindelig und ich hatte unglaubliche Kopfschmerzen. Ich hielt auf dem Seitenstreifen der Autobahn an, rief meine Mutter an und keuchte: ‚Ich werde sterben.‘“ Ihre Mutter stieg umgehend ins nächste Flugzeug und fuhr sie zu einer Reihe von Spezialisten. Dann zeigte ihr ein Psychiater eine Checkliste für eine Zwangsneurose. Sie sagt: „Mein ganzes Leben hat sich verändert. Ich fühlte mich so bestärkt.“ Typischerweise ging sie damit direkt an die Öffentlichkeit. „Mein Pressesprecher meinte, ‚Sprich nicht über deine Angst‘, aber ich dachte‚ ‚F*** dich‘. Ich möchte, dass meine Kinder ihre Meinungen frei äußern können. Wenn das meinen Job beeinflusst, dann soll es so sein.“

Heute nimmt sie Medikamente und es geht ihr gut. Ihre Karriere scheint darunter keineswegs gelitten zu haben. Mit 21 drehte sie Mamma Mia!. „Es war unglaublich! Ich arbeitete mit Meryl Streep zusammen, verliebte mich in diesen Kerl (Co-Darsteller Dominic Cooper) und meine besten Freundinnen, die Co-Darstellerinnen Rachel McDowall und Ashley Lilley, waren dabei. Seyfried nennt ihren Freundeskreis „Team Minge“, ein Synonym, das sie sich auf ihren Fuß tätowieren ließ. Sie waren in Griechenland und feierten Partys am Strand. Der Film war ein derartiger Erfolg, dass er ihr zu internationalem Ruhm verhalf, was höhere Gagen und mehr Anerkennung von Filmstudios bedeutete.

Ihr Privatleben verlief weniger glatt. Seyfried und Cooper waren für einige Jahre ein Paar, bevor sie Desmond Harrington (Dexter) und anschließend Justin Long (Dodgeball, Er steht einfach nicht auf dich) datete. Sadoski lernte sie während ihrer Auftritte im Zwei-Personen-Theaterstück namens The Way We Get By kennen. Sie sagt: „Wir hatten beide schlechte Beziehungen.“ Zuerst waren sie Freunde und er war für sie da, als sie auf der Bühne Panikattacken hatte. Aber es passierte nichts. „Sadoski“, sagt sie, „hat nie geflirtet, nie seine Frau missachtet. Auch aus diesem Grund dachte ich später, dass ich ihn heiraten könnte.“ Als ihre Beziehungen endeten, schlug Seyfried Sadoski als ihren Liebhaber in Zu guter Letzt, ein Film mit Shirley MacLaine, vor und die gemeinsame Liebe wuchs. „Es war wundervoll. Es fühlte sich gut an und war befreiend und natürlich. Wir können unsere Geschichte ohne Reue erzählen.“

MacLaine ist nur eine von vielen Legenden mit denen die Schauspielerin zusammenarbeitete. In Mamma Mia 2 spielt Cher ihre Großmutter. „Man erwartet von ihr, dass sie super selbstbewusst ist, aber auch sie wird nervös.“ Außerdem ist sie nach 10 Jahren wieder mit Meryl Streep vereint. „Es ist verrückt, weil ich damals noch so jung war. Meryl kam mir so erwachsen vor. Heute habe ich selbst ein Kind und wir begegnen uns als Mütter auf einer Ebene.“

Dieses Mal gab es jedoch weniger Partys. Seyfried musste sich um ihr Baby kümmern und der Skandal um Harvey Weinstein entwickelte sich während der Dreharbeiten in Kroatien. Jeden Tag kamen neue Anschuldigungen ans Licht. „Man denkt an viele bedeutende Persönlichkeiten und fragt sich, wer als nächstes etwas sagt. Ich hatte Glück. Ich hatte nichts mit dem zu tun, was meine Kollegen und Kolleginnen erlebten. Manche Leute waren beschissen, aber ich kann mich gut ablenken.“ Hätte sie eine Enthüllungsgeschichte gehabt, wäre sie damit an die Öffentlichkeit gegangen. Dass Seyfried für ihre Meinung einsteht, bezeugt ihr Instagram-Account @mingey. Sie postete über Waffenkontrolle, chemische Waffen und Tierschutz, insbesondere was Hunde betrifft. Ihr eigener Hund, Finn, ist online regelmäßig auf ihren Fotos zu sehen.

Unsere Zeit ist fast um, aber es gibt noch so viel zu bereden. Wie ihre Hobbys: Häkeln, Stricken und Taxidermie. Wenn ich sie danach frage, was sie momentan vom Leben erwartet, muss Seyfried nachdenken. „Wie man unterschreibt. Mehr Alpakas für die Farm. Oh, und ich liebe es Pflanzen aus Papier zu basteln.“ Ich habe keine Ahnung, was sie meint. Sie erklärt es mir jedoch, bevor wir unser Gespräch beenden. Wir stehen auf dem Sunset Boulevard und sie sagt: „Es gibt digitale Schneidemaschinen mit denen man Muster entwerfen kann. Die finde ich klasse.“ Und dann geht sie wieder nach Hause, so wie jeder andere auch, und doch bleibt sie in Hollywood etwas Besonderes.

Mamma Mia 2 kommt am 20. Juli 2018 in die Kinos.