In Bestform
mit
Naomie Harris

NAOMIE HARRIS hat ihre körperliche und geistige Stärke eindrucksvoll unter Beweis gestellt. Hier zeigt sich die Schauspielerin in coolen Logo-Looks und kühnem Goldschmuck und erzählt LAURA CRAIK, wie sie an dieser Stärke arbeitet und sich einer brisanten Situation in Hollywood entziehen konnte.
Ich möchte unbedingt wissen, was auf Naomie Harris T-Shirt steht, kann aber nur die Buchstaben „AN – IS – RD“ entziffern, da sie darüber noch eine Jacke trägt. Es ist wahrscheinlich eine kraftvolle feministische Aussage, denn Harris ist sicherlich eine der engagiertesten Schauspielerinnen Hollywoods. Bekanntermaßen legte sie Wert darauf, von der Presse mit der Bezeichnung „Bond Woman“ anstelle von „Bond Girl“ bedacht zu werden, als sie die Rolle der Eve Moneypenny in der berühmten Bond-Reihe besetzte und sie war eine von mehr als 300 Schauspielerinnen, die die „Time’s Up“-Petition im Januar zur Bekämpfung sexueller Belästigung am Arbeitsplatz unterzeichnete. „Es geht nur um Gleichberechtigung“, sagt sie. „Das ist ein grundlegendes Menschenrecht. Es ist verrückt, dass wir das im Jahr 2018 immer noch diskutieren.“
Auf die Frage, ob sie als Schauspielerin je irgendeine Art von rassistischer oder sexueller Diskriminierung erlebt hat, sagt sie: „Das habe ich nicht wirklich. Oder vielleicht habe ich es auch einfach nicht als solche wahrgenommen! Als das alles in Hollywood explodierte, erinnerte mich meine Managerin auch an jemanden, der mich nach einem Filmscreening aufforderte, noch mit in sein Zimmer zu kommen, um etwas zu trinken. Aber meine Managerin ist toll und sprang sofort ein und sagte: „Das kommt unter gar keinen Umständen in Frage“. Das war vor etwa vier oder fünf Jahren. Aber es ist wirklich traurig. Wenn ich die ganzen Geschichten höre, habe ich das Gefühl, dass man in der Branche nicht genug beschützt wird – besonders, wenn du deinen Beruf mit Anfang zwanzig startest. Das kann unglaublich einschüchternd sein und all diese enorm mächtigen Leute können dein Leben und deine Karriere buchstäblich mit einem Telefonanruf über Nacht verändern. Du brauchst Menschen um dich herum, die dich führen und sicherstellen können, dass du beschützt bist. Und es scheint so, als hätten so viele Frauen das nicht gehabt. Ich bin sehr dankbar, weil ich das wirklich immer hatte – vielleicht liegt es daran, dass ich immer mit Frauen zusammengearbeitet habe. Vielleicht macht das einen Unterschied. Ich habe auch einige Männer in meinem Team, aber größtenteils sind es wirklich Frauen.“
Wir sitzen in einem Café im Norden von London, in der Nähe ihres Hauses und nippen an einem Kamillentee und in natura sieht Harris viel jünger aus als auf der Leinwand, ihr Gesicht ist frei von Make-up und ihr Haar trägt sie in frisch geflochtenen Cornrows; ihrem in Kürze bevorstehenden Urlaub in Indien steht somit nichts mehr im Weg. „Ich möchte mich in Indien nicht um mein Haar kümmern müssen,“ lacht sie. Sie sagt, dass sie in letzter Zeit gerne Dreadlocks getragen hat – am einprägsamsten war ihr Look bei den BAFTAs. Der Haarstyle wurde von ihrer Freundin Louise Pierre kreiert, die eine Firma namens Boho Locs besitzt. „Sie versendet sie auf der ganzen Welt. Sie sind superleicht in der Anwendung. Man flicht das eigene Haar und dann funktioniert es genau wie Häkeln – du fädelst sie in eine Nadel ein und webst sie dann in das Haar.“ Sie sei keine Verfechterin der Meinung, dass es sich bei Cornrows und Dreadlocks um kulturelle Aneignungen handele, wenn sie von bestimmten Rassen getragen werden. „Ich denke, es ist ein Kompliment, wenn die Ideen anderer Kulturen und Rassen und deren Ansichten von Schönheit übernommen werden. Ich betrachte das keineswegs als negativ.“
„Wenn ich die ganzen Geschichten über Belästigungen höre, habe ich das Gefühl, dass man in der Branche nicht genug beschützt wird – besonders, wenn du diesen Beruf mit Anfang zwanzig startest“
Wir sprechen noch weiter über ihr Haar und Harris erklärt mir, dass der häufigste Irrglaube bei Afro-Haar sei, dass jeder damit umgehen könne. „Afro-Haar ist sehr, sehr spezifisch: Man muss den Haartyp verstehen und wissen, wie das Haar strukturiert ist. Auf Filmsets denken Haarstylisten sehr oft: ‚Oh ja, ich kann das‘ – können es dann aber in Wirklichkeit nicht. Du sprichst mit so vielen Haarstylisten, die jahrelang ihre Ausbildung gemacht und abgeschlossen haben, aber noch nie in Kontakt mit Afro-Haar gekommen sind. Ich finde das erstaunlich. Ich hätte gedacht, dass das obligatorisch wäre – wenn du als Haarstylist einen Abschluss machst, dass du automatisch alle Arten von Haar behandeln kannst. Ihre mangelnde Erfahrung lässt es einfach nur scheiße aussehen. Niemand will Scheißhaar haben. Wenn dein Haar Scheiße ist, ist alles Scheiße.“
In ihrem neuesten Film, Rampage – Big Meets Bigger ist Harris Haar ganz glatt und sieht nie scheiße aus – selbst nicht im Dschungel. In diesem mit großem Budget ausgestatteten Actionfilm spielt sie an der Seite von Dwayne Johnson, alias The Rock, eine Genforscherin. „Der Grund, warum ich das machen wollte, war vor allem, dass ich nach Moonlight ausgezeichnet als „Bester Film“ bei den Oscars 2017 eine Menge Angebote bekam, aber sie waren alle ganz im Sinne von ihrer drogenabhängigen Figur Paula“, sagt sie. „Also, ‚willst du die ausgezehrte Mutter spielen‘ oder ‚willst du die Cracksüchtige spielen?‘ Und als ich dann das Drehbuch für _Rampage – Big Meets Bigger_ las, dachte ich mir ‚Das ist überhaupt nicht wie Paula! Ganz im Gegenteil!‘“
Es war die Rolle ihres Lebens, aber es muss aufreibend für eine Schauspielerin wie Harris gewesen sein, die es in der Vergangenheit so bewusst vermieden hatte, schwarze Stereotypen zu verkörpern und in diese Schublade gesteckt zu werden. Doch obwohl Harris viel Lob für ihre Rolle als Eve Moneypenny in den Filmen James Bond 007: Spectre und James Bond 007: Skyfall erntete und ihre Rolle als Winnie Mandela in Der lange Weg zur Freiheit gefeiert wurde, war es doch diese Rolle als Cracksüchtige Paula in Moonlight im Jahr 2016, die ihr zu ihrer ersten Oscar-Nominierung verhalf. „Ich hatte wirklich Vorbehalte, sie zu spielen“, sagt sie. „Ich hatte eine so feste Meinung von Paula. Ich dachte, sie wäre eine schlechte Mutter.“
„Auf Filmsets denken Haarstylisten sehr oft: ‚Oh ja, ich kann mit Afro-Haar arbeiten‘ – können es dann aber in Wirklichkeit nicht. Du sprichst mit so vielen Haarstylisten, die noch nie in Kontakt mit Afro-Haar gekommen sind. Ich hätte gedacht, dass das obligatorisch wäre“
Es war eine Therapie, die letztes Jahr in ihr den Wunsch entfachte, sich wieder mit ihrem Vater in Verbindung zu setzen. Er hatte sich bereits vor ihrer Geburt von ihrer Mutter getrennt und sie hatte während ihrer Kindheit nur zwei Mal kurzen Kontakt zu ihm. „Es war wirklich heilend“, lächelt sie. „Ich wusste immer, wo er war und ich hatte immer seine Nummer, also lag es in meiner Hand, ihn zu kontaktieren. Er war sehr aufgeschlossen und es war wunderschön. Er sagte: ‚Ich wollte dich immer in meinem Leben haben, ich habe dich immer geliebt und ich bin so glücklich, wieder mit dir in Verbindung zu sein.‘ Es beinhaltete alles, was du gerne hören möchtest.“
Es stellt sich die Frage, was sie nach 41 Jahren dazu veranlasst hatte, diesen Anruf zu tätigen. „Ich arbeite viel an mir selbst. Ich lese immer und will mich verbessern. Im Moment gehe ich der Landmark-Methode nach eine Form von Selbsthilfegruppen-Therapie und ich habe mich auch mit dem Hoffman-Prozess befasst, der wirklich heilsam für die Beziehung zur eigenen Mutter oder Vater ist. Es ist unglaublich. Egal, wie wunderbar unsere Kindheit sein mag, wir alle haben Probleme mit unseren Eltern. Es gibt keine Eltern, die alles perfekt machen. Und das hat etwas für mich in Relation gesetzt. Anstatt alles aus meiner Perspektive zu betrachten, konnte ich Dinge aus Sicht meines Vaters sehen und viel mehr Mitgefühl für ihn zeigen. Es ist nun schon mehrere Jahre her, dass ich die Hoffman-Methode ausprobiert habe, aber das war der Anfang, um ihm vergeben zu können.“
„Drehbuchautoren sagen einem immer: ‚Auf Papier ist es noch ein bisschen oberflächlich, aber wir schmücken die weibliche Rolle noch aus.‘ Die Erfahrung hat mir jedoch gelehrt, dass das nicht passiert“
Zunächst erzählte sie es ihrer Mutter nicht – aus Sorge, es könne sie bestürzen. „Aber sie freute sich wirklich sehr für mich. Das ist schön, weil ich jetzt zu Hause über meinen Vater sprechen kann. Vorher hatte ich nie das Gefühl, dass ich das machen konnte. Hier hat also wirklich ein großer Heilungsprozess stattgefunden.“ Ihre Mutter Carmen kam in Jamaica zur Welt und zog ihre Tochter allein in Finsbury Park im Norden Londons groß und heiratete, als Harris 20 Jahre alt war. Sie arbeitete einst als Drehbuchautorin und arbeitet nun hauptsächlich als Heilpraktikerin, das erklärt auch, woher Harris eigenes Interesse stammt. „Wenn ich daran denke, dass sie mich mit 18 Jahren bekommen hat, ziehe ich den Hut vor ihr und verspüre großen Respekt und Stolz für sie und die Art, wie sie es geschafft hat, mich ohne Geld großzuziehen. Trotz all dieser Dinge hat sie mir beigebracht, dass alles möglich ist. Sie hat mich unterstützt, als alle anderen sagten: ‚Du kannst keine Schauspielerin sein – du wirst niemals deinen Lebensunterhalt bestreiten können.‘ Meine Mutter sagte: ‚Doch, das kannst du.‘ Selbst bei Leuten, die aus der Mittelschicht stammen, die finanzielle Sicherheit haben und eine Mutter und einen Vater, und all diese Dinge, die ich nicht hatte … wie viele Eltern davon geben ihren Kindern dieses Geschenk mit auf den Weg? Ich bin so glücklich, dass ich so eine Fürsprecherin hatte.“
Harris starkes Interesse für Drehbücher hat sie wahrscheinlich ebenfalls dem Drehbuchschreiben ihrer Mutter zu verdanken. Auch wenn sie behauptet, nicht danach zu streben, ihr eigenes zu verfassen. Wenn sie selbst Drehbücher liest, denkt sie dann, dass weibliche Charaktere weniger ausgearbeitet werden als männliche? „Ja, absolut“, bestätigt sie. „Sie sagen einem immer ‚auf Papier ist es noch ein bisschen oberflächlich, aber wir schmücken die Rolle noch aus.‘ Die Erfahrung hat mir jedoch gelehrt, dass das nicht passiert. Du stehst ganz unten auf der Prioritätenliste. Alles andere – die Action-Szenen, die Haupthandlung oder was auch immer – das wird alles ausgearbeitet, bevor sie sich dir zuwenden können. Es sei denn – und deswegen ist das Team so wichtig, sowie selbst stark zu sein – du nimmst die Dinge selbst in die Hand und schlägst Sachen vor, änderst den Text und schreibst Dialoge neu. Vielleicht liegt es daran, dass so wenige Drehbücher von Frauen geschrieben werden und Männer sich so fühlen, als ob sie die weibliche Rolle nicht in ihrer Tiefe verstehen. Vielleicht ist das auch der Grund, dass sie Anmerkungen offen gegenüberstehen, wenn du zum Beispiel sagst: ‚Ich denke, der Charakter würde dies und das machen oder sagen‘, zeigen sie sich durchaus empfänglich dafür, weil sie nach dieser Art von Information lechzen – sie haben sie einfach nur nicht selbst.“
Ich frage sie endlich nach dem Aufdruck ihres T-Shirts. „Dancing Is My Cardio“, verrät sie mir und fügt hinzu: „Ich wünschte, Tanzen wäre mein Cardio. Na ja, aber man muss schließlich kein feministisches T-Shirt tragen, um eine Feministin zu sein.
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