Porträt einer Künstlerin
mit
Nicole Kidman

Ob Roter-Teppich-Look oder einnehmende Filmrolle, Schauspielerin NICOLE KIDMAN widmet sich allem mit unerschütterlicher Leidenschaft. Mit JENNIFER DICKINSON spricht sie über die Macht der Frauen und warum Big Little Lies sie traumatisiert hat.
Nicole Kidman ist noch auf der Suche nach einem Kleid für die Oscarverleihung. Für ihre vierte Nominierung sucht sie etwas ganz Besonderes (2003 gewann sie mit The Hours die Kategorie „Beste Hauptdarstellerin“, nominiert war sie ebenfalls 2002 für Moulin Rouge und Rabbit Hole im Jahr 2011). Dieses Jahr tritt die australische Schauspielerin mit Lion: Der lange Weg nach Hause an. Die Geschichte basiert auf einer wahren Begebenheit: Ein indischer Junge wird von seiner Familie getrennt (80.000 Kinder verschwinden jedes Jahr spurlos) und von einem australischen Paar adoptiert. Kidman möchte ein Kleid, das dem Film gerecht wird. „Es soll die Stimmung des Filmes widerspiegeln“, sagt sie unbeirrt. Aber dann ist sie auch die Frau, die gerne zugibt, vor kurzem barfuß zu einer Preisverleihung erschienen zu sein. „Meine Füße schmerzten. Ich trug ein langes Kleid und fragte Keith [Urban, der berühmte Country-Musiker und seit über 10 Jahren ihr Ehemann], ob es jemand merken würde? Es war einfach viel bequemer. Ich liebe Heels, aber sie zu tragen ist dann doch etwas anderes.“
„Ich bin gerne ein Chamäleon, weil ich es liebe, mich für eine Rolle zu verändern“
Bei der Oscarnacht wird Kidman sicherlich nicht auf Nummer sicher gehen. „Ich habe kein Problem damit, zu spalten“, lächelt sie. Wie etwa mit ihrem spektakulären grünen Paillettenkleid von Gucci, welches sie zu den Screen Actors Guild Awards trug – auf jeder Schulter mit einem Papagei verziert. Selbst ihre beiden jüngsten Töchter kommentierten es. „Meine achtjährige [Sunday Rose] sagte: ,Das trägst Du?‘ Und meine sechsjährige [Faith Margaret] meinte: ,Was hast Du da auf Deiner Schulter?‘
Glücklicherweise – obwohl Glück zweifellos das falsche Wort ist – zeichnet sich die Karriere der 49-Jährigen durch Lob und Belohnung statt Kritik aus. Nach anfänglichen Blockbustern gilt sie heute als eine der großen Charakter-Schauspielerinnen.„Ich bezeichne mich gerne als Chamäleon“, erklärt sie. „Von klein auf lernte ich, wie man die Art zu schauen, sprechen und sich bewegen ändert, um einen Charakter ins Leben zu rufen. Das ist es, was ich liebe, egal ob kleine oder große Rolle.“
Die Mädchen haben zweifellos ihr Gespür für Stil von Kidman geerbt, die Mode dank ihrer Kindheit als ausdrucksvolle Kunst ansieht – ihre Mutter und Großmutter liebten es, Kleider zu entwerfen. Janelle Kidman ist eine Stilverfechterin und kommentiert gerne die Looks ihrer Tochter auf dem roten Teppich: „Meine Mutter rief mich den Tag nach den Golden Globes an und sagte: ,Was hast Du da getragen? Du musst mehr verdecken.’“
„Das Mindeste, was ich tunkann, ist die Rolle wahrheitsgetreu zu verkörpern“
Sie lacht, aber trotz ihrer mehr als drei Jahrzehnte andauernden Karriere ist Kidman nicht immun gegen Kritik. „Menschen sollten nicht wegen ihres individuellen Geschmacks verurteilt werden wie mit Auszeichnungen für die „schlechteste Kleidung“. Das ist gehässig, frauenfeindlich und muss aufhören. Ich habe mit Regisseuren gearbeitet, die mit Kritik nicht hinter dem Berg halten, ich bin es gewohnt. Mein Mann sagt jedoch: ,Eine dicke Haut haben, ist kein Kompliment!‘“ Achselzuckend signalisiert sie, dass sie dieses aussichtslose Unterfangen irgendwie akzeptiert.
Dieses vollständige Eintauchen in einen Charakter kann auch Nachteile haben. In HBOs sehnsüchtig erwarteter Serie Big Little Lies – Filmstart ist der 06. April – spielt Kidman (gemeinsam produziert mit Reese Witherspoon) Celeste, eine Ex-Juristin, die sich in der Rolle der vorstädtischen Ehefrau und Mutter wiederfindet und deren perfekt aussehende Ehe mit Alexander Skarsgård unberechenbare Züge annimmt. „Nachdem wir [die gewalttätigen Szenen] filmten, war ich traumatisiert“, sagt die Schauspielerin. „Emotional und körperlich. Keith musste mich in seinen Armen halten, um mich zu beruhigen.“
„Ich war [nach dem Filmen] emotional und körperlich echt traumatisiert"
Die über fünf Monate gedrehte siebenteilige Serie nahm Kidman sehr ein, was sie nicht erwartet hatte. „Es griff meine Psyche in einer Art an, die ich gar nicht greifen konnte. Als Schauspielerin kann ich nie ganz abschalten, es frisst an mir und lässt sich nicht immer leicht verarbeiten. Das Verrückteste passierte nachdem wir eine Anzahl brutaler Szenen gedreht hatten. In der Serie sind es lediglich Momentaufnahmen, aber wir mussten sie für [Regisseur] Jean-Marc Vallées Filmmaterial wieder und wieder filmen. Um Celestes Energie loszuwerden ging ich am nächsten Morgen laufen. Ich hatte meinen Schlüssel vergessen und da ich die Tür nicht öffnen konnte, nahm ich einen Stein und warf ihn durch die Glastür. So etwas habe ich noch nie gemacht. So viel Wut und Schmerzen hatten sich angestaut."
Es muss schwer für Urban sein, seine Frau leiden zu sehen. „Er mag es nicht, aber er ist auch Künstler und versteht es. Andere Menschen erfahren solche Dinge am eigenen Leib, dann muss ich fähig sein, diese Rolle zu spielen. Viele Menschen erleben den Verlust eines Kindes. Das Mindeste,was ich tun kann, ist diese Rolle wahrheitsgetreu zu verkörpern. So kann ich mich ihr annähern, Mitgefühl zeigen und mich auf diese Weise mit dem Charakter verbinden.“
„Ich nahm ich einen Stein und warf ihn durch die Glastür. So viel Wut und Schmerzen hatten sich angestaut."
Celeste ist eine der fünf Hauptfiguren in Big Little Lies und erfreulicherweise sind alle weiblich. Das war einer der Gründe, der den Roman der australischen Schriftstellerin Liane Moriarty so attraktiv für die Nashville-Nachbarn Kidman und Witherspoon machte. „Reeses Co-Produzentin, Bruna Papandrea, las das Buch, rief mich an und sagte: „Nic, ich glaube, ich habe das perfekte Drehbuch für uns gefunden,“ erklärt Kidman, die prompt nach Australien flog, um Moriarty zu treffen und überzeugen, ihnen die Rechte zu verkaufen.
Networks haben sich darum gerissen, die Serie zu produzieren. Eine Tatsache, die Kidman der Handlung zuschreibt, aber auch ihrer Zusammenarbeit mit Witherspoon, die sie als ihre „Schwester“ bezeichnet. „Als auf sich alleingestellte Frau [ist Hollywood] viel härter, zusammen sind wir so viel mächtiger,“ sagt Kidman. „Wir stellten die Serie drei oder vier Studios vor und alle wollten sie, das war ein unglaubliches Gefühl, weil ich auch die andere Seite kenne, wenn man um jeden Cent betteln muss.
„Als auf sich allein gestellte Frau [ist Hollywood] viel härter, zusammen sind wir so viel mächtiger“
Die Serie hat jetzt schon glänzende Aussichten, von den ersten Kritiken bis hin zur Besetzung, welche ungewöhnlich eng miteinander verbunden erscheint – vielleicht, weil sich die meisten schon vorher so gut kannten. Laura Dern spielte mit Witherspoon in Wild, Zoë Kravitz und Shailene Woodley drehten gemeinsam für die Trilogie Die Bestimmung. Und, wie Kidman hervorhebt, teilt sie ihre Vergangenheit mit Kravitz: „Ich kannte Zoë bereits gut, weil ich mit ihrem Vater verlobt war, sie ist Familie! Ich mag Lenny, er ist ein toller Kerl.“
Trotz ihrer Verbindung sagt Zoë, dass sie ihre Arbeit mit Kidman einschüchternd fand. „[Nicole] kann ruhig und schüchtern sein, als Schauspielerin ist sie dann hingegen laut und bestimmt“, sagt Kravitz. „Sie ist so gut, dass sie mich manchmal aus dem Konzept gebracht hat. Ich wollte einfach nur innehalten und ,Wow‘ sagen.
Selbst die erfahrene Branchen-veteranin Laura Dern war überrascht über Kidmans Perfektionismus und ihren anscheinend schockierend brutalen Humor. „[Nicoles Schauspiel ist] brillant, die Arbeit mit ihr war ein Geschenk“, so Dern.
Eine von Frauen produzierte Serie mit fünf zentralen weiblichen Rollen herauszubringen, trifft den Puls der Zeit. Frauenrechte stehen wieder ganz oben auf der Tagesordnung. Kidman ist stolz auf das Erreichte und möchte sich vermehrt in dieser Art engagieren. „Ich habe dieses Jahr mit [Regisseurinnen] Sofia Coppola und Jane Campion zusammengearbeitet und gerade [Schriftstellerin und Regisseurin Rebecca Miller bezüglich eines Projektes getroffen.“
„In der Schule wurde ich wegen meiner feministischen Mutter _geärgert _aber ich stand dazu“
Es ist für sie eine Herzensangelegenheit, die sie seit ihrer Kindheit unterstützt. „Meine Mutter war Teil der Women’s Electoral Lobby und lies mich Broschüren im Namen des Feminismus verteilen. So bin ich aufgewachsen. Ich erinnere mich, wie ich den Diskussionen zuhörte und zwar nicht alles verstand, aber merkte, dass dort eine Bewegung entsprang. In der Schule wurde ich geärgert, weil meine Mutter Feministin war. Ich dachte nur: ,Das spielt keine Rolle. Ich trete für etwas ein, an das ich glaube.‘ Und das macht sie seitdem.
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