Neue Horizonte
mit
Elizabeth Debicki

Ihre Karriere begann rasant im Jahr 2013, als Baz Luhrmann sie in The Great Gatsby besetzte – kurz nach Abschluss der Schauspielschule – und ELIZABETH DEBICKI hat seitdem nicht aufgehört zu arbeiten. MEGAN LOGUE sprach mit der australischen Schauspielerin über ihr neues Filmprojekt Tenet, authentische Repräsentation auf der Leinwand und ihre Arbeit als weltweite Botschafterin für weibliche Überlebende in Kriegsgebieten
„Ich bin immer noch im Pyjama, von der Taille abwärts“, verrät Elizabeth Debicki, als wir das Interview für die PORTER Coverstory über Video-Chat abhalten. Die australische Schauspielerin hat sich seit März in Los Angeles in Quarantäne begeben, nachdem sie den „anfänglichen Schock“ überwunden und sich dem Leben im Lockdown „ergeben“ hatte. „Nein, ich habe kein Brot gebacken oder einen Tolstoy gelesen… dafür habe ich Normal People geschaut und ‚Wie bereite ich Spicy Margarita zu?‘ gegoogelt“, sagt sie.
Auch wenn sich Debicki über den ermüdenden Effekt der zahlreichen Zoom-Calls beschwert, so ärgert sie sich noch immer über jede einzelne Einladung, die sie vor dem Lockdown abgelehnt hatte. „Ich kann doch nicht die einzige sein, die sich fragt ‚Wieso um Himmels Willen bin ich nicht zu diesem Dinner vor zwei Wochen gegangen?‘.“
Nachdem sie sieben Jahre lang mehr oder weniger ohne Unterbrechung durchgearbeitet hat, fühlte sich diese „erzwungene Pause wie eine riesige Herausforderung“ an. London sei ihr eigentliches Zuhause, verrät Debicki, denn im Gegensatz zu LA und Hollywood könne sie hier ganz entspannt mit Freunden abhängen, ins Kino gehen und einfach „ein Stückchen Normalität erleben“. Doch angesichts ihres enormen Karrieresprungs in den vergangenen Jahren, pendelt die Schauspielerin zwischen den beiden Metropolen.
„Jeden Morgen wache ich auf und DENKE mir ‚Es geht mir und meiner FAMILIE gut, wir sind gesund und in Sicherheit. Das ist das größte GLÜCK überhaupt!‘“
Als die globale Pandemie im März dafür sorgte, dass Städte auf der ganzen Welt zu machten und Reisen eingestellt werden mussten, entschied Debicki, in den Vereinigten Staaten zu bleiben und ihrem geliebten London schweren Herzens vorerst den Rücken zu kehren. Auch wenn es abgedroschen klingen mag, empfinde sie eine große „Dankbarkeit“, dass uns dieses Jahr regelrecht gezwungen hat, zu reflektieren und „Bilanz zu ziehen“. Letztendlich ist ihre Einstellung positiv: „Jeden Morgen wache ich auf und denke mir ‚Es geht mir und meiner Familie gut, wir sind gesund und in Sicherheit. Das ist das größte Glück überhaupt!‘“
Eigentlich sollte die Schauspielerin gerade unterwegs sein, um Tenet, den neuen Film des britischen Regisseurs Christopher Nolan, zu promoten. Die Geheimniskrämerei rund um Projekte wie Interstellar, Inception und Dunkirk des gefeierten Filmemachers hat längst etwas Kultiges gewonnen und selbstverständlich unterliegt auch Debicki der absoluten Schweigepflicht. Ihre Antwort auf meine Frage, ob diese Art der rätselumwobenen Geheimhaltung die Atmosphäre am Film-Set beeinflusse, ist nicht minder mysteriös: „Ich habe noch nie in meinem Leben so viel Hingabe, Engagement und Konzentration für ein Projekt erlebt.“ Die 29-Jährige beschreibt ihre Filmerfahrung sowohl auf persönlicher als auch auf beruflicher Ebene als prägend. „Mit jemandem wie Chris zusammenzuarbeiten, das ist wie ein Sechser im Lotto!“, fügt sie gefühlsbetont hinzu. „Man ist sich der Herausforderung und zukünftiger Lehren bewusst. Lehren, die sich dir entweder auf sanfte Art offenbaren oder dich schonungslos beißen und schütteln – in meinem Fall war es eine Mischung aus beiden.“
„Die Projekte, die man in seiner KARRIERE ablehnt, haben im Grunde mehr Tragweite als die, denen man ZUSAGT. Ja, man kann als Schauspieler/in den eigenen WEG selbst ebnen“
Nicht nur für ihr wunderbar selbstironisches, humoristisches Talent ist Debicki bekannt, sondern vor allem auch für ihre schier endlose Vielseitigkeit. In nur fünf Jahren spielte sie alles, von einer Hostess in Steve McQueens Widows – Tödliche Witwen (2018) und einer Alien-Priesterin in Guardians of the Galaxy: Vol. 2 (2017), bis hin zur Geliebten eines Kriegsfürsten in The Night Manager (2016) und einer unkonventionellen Femme Fatale in Guy Richies Codename U.N.C.L.E. (2015). Auch wenn der jeweilige Regisseur das letzte Wort bei der Besetzung von Rollen hat, so konnte sich Debicki in ihrer Karriere durchaus selbst behaupten. „Die Projekte, die man in seiner Karriere ablehnt, haben im Grunde mehr Tragweite als die, denen man zusagt. Ja, man kann als Schauspieler/in den eigenen Weg selbst ebnen.“
Unbestritten erlebte sie ihren Durchbruch jedoch mit der Rolle der knabenhaften Jordan Baker in Baz Luhrmanns extravaganten Verfilmung von The Great Gatsby aus dem Jahr 2013 – und selbst die Story hinter ihrem schicksalsträchtigen Casting für diese Rolle weist verblüffende Ähnlichkeiten zur eigentlichen Geschichte rund um den American Dream auf. Debicki kam gerade frisch von der Schauspielschule, und während hochkarätige Stars wie Leonardo DiCaprio, Carey Mulligan, Tobey Maguire und Joel Edgerton bereits dabei waren, suchte Luhrmann nach einem noch unbekannten Gesicht, um die Besetzung zu komplettieren. Nachdem er ihr Casting-Tape gesehen hatte, ließ Luhrmann sie kurzerhand nach LA einfliegen und der Rest ist, wie man so schön sagt, Geschichte.
„Zurückblickend frage ich mich immer noch ‚Wie groß war meine Chance?‘ und ich führe alles auch auf eine gute Portion Glück und eine Prise Magie zurück.“ Längst hat sie ihren Unmut über nicht realisierte Projekte in der Vergangenheit abgelegt: „So oft habe ich mich geärgert, weil etwas, das hätte funktionieren sollen, letztlich doch nicht funktioniert hat. Schaue ich jetzt zurück, weiß ich, dass es aus einem bestimmten Grund schlichtweg nicht sein sollte und ich zu viel Druck ausgeübt hatte.“
Die Rolle der „Naiven“ würde Debicki allerdings um keinen Preis annehmen wollen. „Selbst auf der Schauspielschule habe ich schon die Mütter anderer gespielt“, lacht sie, „aber ich denke, deren Facettenreichtum basiert auf dieser Reife.“ Etwas, mit dem sich die 29-Jährige, die im nächsten Monat ihren 30. Geburtstag feiert, immer mehr identifizieren kann. „Es macht mir nichts aus, die 20er zu verlassen“, sagt sie. „Ich glaube, wir müssen uns von dem Gedanken lösen, dass wir jemals einen Punkt erreichen werden, an dem wir „alles geschafft“ haben. Oder einfach nur verstehen, was wir in unserem Leben eigentlich machen.“
„Mir ist BEWUSST geworden, wie WICHTIG es ist, mit dem eigenen KÖRPER ständig in Verbindung zu bleiben“
Mit ihrem umwerfenden Aussehen, ihrer anmutigen Porzellanhaut, den betonten Wangenknochen und vor allem ihrer Körpergröße zieht Debicki alle, und ganz besonders die Medien, in ihren Bann. „Ich bin mir gar nicht sicher, ob ich wirklich 1,83 Meter groß bin, aber die Presse scheint es zu wissen und dann bleibt es wohl dabei.“ Die Schauspielerin muss zwar lachen, als sie berichtet, dass der Teenager-Sohn ihrer besten Freundin ihr regelmäßig Tweets bezüglich ihrer Körpergröße schickt, doch inzwischen hält sie sich ganz bewusst von Social Media fern.
„Mein Beruf setzt mich unweigerlich den Medien und den daraus resultierenden Kritiken aus“, erklärt sie. „Dennoch kann ich für mich selbst entscheiden, inwieweit ich daran teilhaben und mir die Meinungen über meine Arbeit anhören möchte. Ich bin zu sensibel für sowas.“ Aus demselben Grund liest sie auch keine Filmkritiken.
Geboren wurde sie in Paris, ihr polnischer Vater und ihre australische Mutter waren beide professionelle Balletttänzer und zogen nach Melbourne, als Debicki fünf Jahre alt war. Tatsächlich war es das Tanztraining, das ihr bewusst gemacht hat, dass sie Schauspielerin werden wollte. „Es war in gewisser Hinsicht unvermeidlich“, sagt sie. „Mir wurde klar, dass ich vor allem wegen der Geschichten das Ballett so liebte.“ Die Grazie und Anmut des Balletts täuschen schnell über die enorme Disziplin und harte Arbeit hinweg, die dahintersteckt, doch dies habe sie auf die Strapazen des Schauspielberufs sowie des Lebens generell vorbereitet.
Das Tanzen habe ihr gerade im Lockdown viel Trost gespendet. „Während dieser langen Zeit, die ich mit mir selbst verbracht habe, wurde mir bewusst, wie wichtig es ist, sich selbst zu spüren und mit dem eigenen Körper ständig in Verbindung zu bleiben. Es hilft sehr, besonders Grüblern wie mir.“ Sie sei durch das ganze Haus getanzt und habe mit großer Freude regelmäßig an „Sweatfest“-Tanzstunden des Choreografen Ryan Heffington teilgenommen. Beide jüngeren Geschwister sowie ihre Eltern waren mehr als besorgt, dass sie der juristischen Fakultät für das Schauspiel an der University of Melbournes Victorian College of the Arts den Rücken kehrte. „Meine Familie wünschte sich verständlicherweise, dass ich meine Miete und meinen Lebensunterhalt zahlen kann, und das ist zu Beginn nicht unbedingt selbstverständlich.“
Die engagierte 29-Jährige hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Rechte der Frauen auf „authentische Weise zu repräsentieren und zu verteidigen“ – auch auf der Leinwand. Ich frage, ob sie einen Wandel zum Positiven innerhalb der Filmindustrie erkennen könne. „Ich glaube, die Menschen müssen noch herausfinden, wie dieser Wandel aufrichtig und konkret umgesetzt werden kann. Es liegt noch ein weiter Weg vor uns und es wird harte Arbeit sein, die bisherigen Normen aufzubrechen und nachhaltig zu ändern.“
Obwohl Sie angesichts der Kritiken, die Filmprojekte von weiblichen Regisseurinnen in den vergangenen Jahren erhalten haben, guten Mutes ist, scheinen Projekte wie diese trotzdem immer noch als Ausnahme zu gelten. „Haben Sie I May Destroy You gesehen?“, fragt sie mich. „Die Serie ist so radikal und gleichzeitig eine Erleichterung für uns Frauen. Wir befinden uns immer noch in einer Phase, in der Serien wie Killing Eve und Fleabag irgendwie regelwidrig wirken. Dabei ist es unsere Aufgabe, Platz für diese anderen Perspektiven zu schaffen.“
„Um in den Köpfen der GESELLSCHAFT etwas zu VERÄNDERN, müssen Frauen GESTÄRKT werden“
Als Botschafterin der Wohltätigkeitsorganisation Women for Women International, die mit Frauen in Kriegsgebieten arbeitet, setzt sich Debicki leidenschaftlich für die Rechte der Frauen ein. Sie reiste gemeinsam mit der Organisation in den Kosovo, wo sie miterlebte, wie sehr die tatkräftige Hilfe gebraucht und genutzt wird – ein einschneidendes Erlebnis für die Schauspielerin. „Die Art und Weise, wie der Wandel zu einer nachhaltigen Zukunft angepeilt und verwirklicht wird, ist außergewöhnlich clever und effizient. Um in den Köpfen der Gesellschaft etwas zu verändern, müssen Frauen und deren Rechte endlich vollständig respektiert und gestärkt werden.“ Debicki hat sich dieser Aufgabe vollends verschrieben und ist bereit, sowohl in der Filmindustrie als auch darüber hinaus, neue Wege zu gehen.
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