Lebensweisheiten
mit
Emma Mackey

Trotz ihrer bahnbrechenden Rolle in der Netflix-Serie Sex Education und ihrer Besetzung in Kenneth Branaghs herausragenden Adaption von Tod auf dem Nil, hat EMMA MACKEY bereits beschlossen, dass es im Leben mehr gibt als Schauspielerei. Hier erzählt die französisch-britische Schauspielerin HANNA FLINT, warum glitzernde Partys nicht ihr Ding sind und dass ihr Hauptanliegen – abgesehen von nachhaltiger Landwirtschaft – darin besteht, starke Frauen zu spielen, die uns allen eine oder zwei Lektionen lehren können…
Emma Mackey befindet sich gerade mal in den Anfängen ihrer Schauspielkarriere, doch bereits jetzt denkt sie über eine einschneidende, berufliche Veränderung nach. Bei einem Glas Gin & Tonic an einem herbstlichen Nachmittag in West London verrät sie mir mehr über ihre Pläne: „Ich habe nicht vor, für den Rest meines Lebens als Schauspielerin zu arbeiten“, sagt sie ganz gelassen. „Mein Traum ist es, irgendwann eine Permakultur-Farm zu besitzen, also alles nachhaltig und so.“
Ihr Einsatz für Nachhaltigkeit ist mehr als nachvollziehbar und ehrenwert, dennoch es verwundert, dass die 24-Jährige angesichts ihrer steilen Karriere einen frühzeitigen Ruhestand in Betracht zieht. Ihren Durchbruch erlangte sie mit ihrer atemberaubenden Darstellung der verschlossenen Außenseiterin Maeve im Netflix-Serienhit Sex Education, dessen dritte Staffel gerade in Wales gedreht wird. Auch wenn Ihr Herz für die Serie schlägt, sei sie auf den extremen Erfolg und den damit einhergehenden Ruhm nicht vorbereitet gewesen.
Sie selbst bezeichnet sich eher als eine „Stubenhockerin“, die es bevorzugt, „Zeit mit ein oder zwei engen Freunden zu verbringen, anstelle in Cliquen oder Gruppen, was einen schnell überwältigen kann“. Der Schauspielerin wurde schnell bewusst, dass sie diesen Lebensstil im ständigen Rampenlicht und mit all der auf ihre Person gerichteten Aufmerksamkeit nicht auf ewig fortführen wolle. „Das alles ist nicht wirklich normal“, erklärt sie. „Ich war am Anfang auf vielen Partys, aber ich bin einfach nicht der Typ für Fashion-Shows und Celebrity-Events.“
„Natürlich hat dieser Lifestyle seinen Reiz, und man fühlt sich cool, auf all diese tollen Partys mit all diesen Berühmtheiten und richtig coolen Leuten zu gehen, aber was bringt mir das tatsächlich?“, fährt sie fort. „Die Menschen auf diesen Partys blicken einem beim Gespräch nicht mal richtig in die Augen. Es ist wirklich nicht einfach, eine aufrichtige Verbindung zu Menschen aufzubauen und ich bin in Gesellschaften sowieso etwas unbeholfen und merkwürdig.“
Die bevorstehende Verfilmung von Agatha Christies Tod auf dem Nil unter der Regie von Kenneth Branagh ist Mackeys erste Kinorolle und verspricht, den internationalen Bekanntheitsgrad der jungen Schauspielerin noch weiter zu steigern. Wenn man ihre drei kommenden Indie-Filme mit einbezieht – einer davon ist eine Emily-Brontë-Filmbiografie, in der sie die gleichnamige Autorin des Weltklassikers Sturmhöhe verkörpern wird –, dann hat man eine Karriere, von der die meisten jungen Schauspieler nur träumen können.
Während wir über ihr Leben, ihre Karriere und die aktuellen Weltgeschehnisse diskutieren, verstehe ich mehr und mehr ihre Beweggründe, sich nach einem Leben fernab der Öffentlichkeit und Blitzlichtgewitter zu sehnen. Trotz ihrer fünf Millionen Instagram-Follower hält sie sich ganz bewusst von den sozialen Medien zurück. „Es ist einfach nicht mein Job und es ist nie mein Job gewesen, auf Instagram zu sein“, erklärt sie, während sie mir demonstrativ ihr Handy zeigt, von dem sie kürzlich die App gelöscht hat. „Ich habe keinen Bock durch Tausende Nachrichten und Kommentare zu scrollen, es bringt mir einfach nichts. Die sozialen Medien können sicherlich auch einen positiven Nutzen haben, doch ich bezweifle, dass die ständige Nutzung dieser Apps gut oder gesund für uns ist. Es ist schrecklich, wieviel Zeit meines realen Lebens dafür drauf geht.“
„Ein TEIL von mir sehnte sich einfach nach dieser Identität… doch NAIV wie ich damals war, hatte ich das Gefühl, ich müsse mein Britisch-Sein unbedingt nachholen und mehr AUSLEBEN“
Der Teil der Arbeit, den sie am meisten liebt, ist die Kunst der Performance, für die sie sich von klein auf interessiert hat. Ihr Vater ist Franzose, ihre Mutter stammt aus dem englischen Sutton Coldfield, weshalb Mackey und ihr Bruder „am Ende der Welt“ im Nordwesten Frankreichs aufgewachsen sind. Dort hörte sie sich sämtliche BBC-Dramen im Radio an, las englische Romane und besuchte auf Ihren Reisen ins Vereinigte Königreich so viele Theateraufführungen wie möglich. Da sie auf der anderen Seite des Ärmelkanals aufwuchs, fühlte sie sich so wieder etwas mehr als Teil einer Kultur, von der sie sich „ein wenig ausgeschlossen fühlte“.
Um die Lücken in ihrer Identität als Engländerin weiter füllen zu können, entschloss sich Mackey, an der Leeds University Englische Literatur und Sprachwissenschaften zu studieren. „Ein Teil von mir sehnte sich einfach nach dieser Identität“, verrät sie. „Eigentlich hätte mich Internationale Politikgeschichte oder sowas mehr interessiert, doch naiv wie ich damals war, hatte ich das Gefühl, ich müsse mein Britisch-Sein unbedingt nachholen und mehr ausleben. Mittlerweile habe ich mich damit abgefunden, dass ich auch ohne das eine vollständige Identität habe.“
Der Lockdown entpuppte sich für die Schauspielerin als willkommene Auszeit von all dem Trubel. Sechs Monate verbrachte sie in Frankreich und beendete die Dreharbeiten zu ihrem ersten französischsprachigen Film Eiffel, ein zeitgenössisches romantisches Drama über den Bauingenieur Gustave Eiffel und die Inspiration für sein weltberühmtes Monument. Während der Drehpausen lebte sie bei ihrer Familie in der Nähe von Le Mans und vertrieb sich die Zeit mit Kochen, François-Truffaut-Filmen und „Studio Ghibli“-Animes. Innerhalb der letzten zehn Tage vor ihrer Rückkehr nach Großbritannien las sie drei Bücher auf Französisch: 21 Lektionen für das 21. Jahrhundert von Yuval Noah Harari, Shibumi oder der leise Tod von Trevanian und Legenden der Leidenschaft von Jim Harrison. „Es machte Klick und ich wusste, um vollständig in die Geschichten eintauchen zu können, muss ich sie auf Französisch lesen“, sagt sie. „Wenn ich auf Englisch lese, neige ich dazu, den Text nur so zu überfliegen.“
„Sie ERZÄHLTEN uns, wie es FRÜHER in den 70ern und 80ern war. Für mich war es ein PRIVILEG, mit diesen faszinierenden Frauen zusammenarbeiten zu dürfen“
Ein wenig kleinlaut und verlegen gesteht sie, dass sie sich so auf die Rolle in Tod auf dem Nil vorbereitet habe. Mackey sprach ursprünglich für die Rolle der Louise Bourget vor, dem französischen Dienstmädchen, das im Film aus dem Jahr 1978 von Jane Birkin gespielt wurde. Stattdessen wurde sie für die größere Rolle der Jacqueline de Bellefort ausgewählt – die arme beste Freundin, die zur Nemesis der reichen Erbin Linnet Ridgeway Doyle (Gal Gadot) wurde. Als Linnet mit Jacquelines Verlobtem, Simon Doyle (Armie Hammer), durchbrennt, folgt der verachtete Liebhaber ihnen auf einem Flussdampfer, der zufällig auch Hercule Poirot (Branagh) an Bord hat, in ihre ägyptischen Flitterwochen. Die mörderischen Folgen erfordern natürlich schon bald wieder die detektivischen Fähigkeiten Poirots. Der Film ist eine klassische Krimigeschichte voller Leidenschaft, Eifersucht und einem Mord, sowie Kenneth Branagh in der Rolle des kultigen Detektivs Hercule Poirot.
Als das „Nesthäkchen“ der Besetzung genoss Mackey die Gesellschaft „erfahrener Schauspielkolleginnen“ wie Jennifer Saunders, Dawn French, Annette Bening und Sophie Okonedo. „Sie erzählten uns, wie es früher in den 70ern und 80ern war. Für mich war es ein Privileg, mit diesen faszinierenden Frauen zusammenarbeiten zu dürfen“, sagt sie. „Ich saugte deren Wissen regelrecht auf und schaute mir ihre Arbeitsweise ganz genau an, um mehr lernen zu können.“
Ebenso schätzte sie die die Chance, unter Branaghs Regieführung arbeiten zu können, der „maßgeblich“ dazu beitrug, Schauspieler „zu einer anderen Arbeitsweise“ anzuleiten. „Zu Beginn der Dreharbeiten wurde mein Charakter regelrecht ausgeschlossen vom Rest des Teams und ich fühlte mich irgendwie wie ein Außenseiter“, erinnert sich Mackey. „Alle anderen waren in der ersten Woche zusammen auf dem Schiff und ich saß da nur in der Ecke rum und war ein bisschen eifersüchtig. Doch das gehörte alles zu Kens Strategie, um mich mit den unangenehmen Gefühlen meiner Rolle besser identifizieren zu können.“
Diese umfassendere Erfahrung und Arbeitsweise waren ziemlich neu für die junge Schauspielerin. Bei Fernsehproduktionen hingegen gebe es „eine ganz bestimmte Anzahl an Szenen sowie eine vorgegebene Zeitspanne für alle Drehs“. Doch sie gäbe immer alles, um die Charaktere so überzeugend und die Emotionen so real wie nur möglich zu spielen. „Das erfüllt mich, und gleichzeitig erfülle ich so die Rolle.“
Sie gibt zu, dass es eine merkwürdige Zeit gewesen sein, zur Produktion von Sex Education zurückzukehren. Das Set ist aufgrund der Pandemie „sehr reglementiert“ geworden, und Tests werden zweimal wöchentlich als Teil der geltenden Protokolle durchgeführt, um die Sicherheit der Schauspieler und Crew zu gewährleisten. Aber Sex sei nach wie vor Bestandteil der Show: „Wir machen nach wie vor alle ständig miteinander rum, knutschen wild und drehen intime Szenen.“
Die Rückkehr zu den Dreharbeiten fand inmitten einer Umbruchszeit geprägt von sozialen und politischen Unruhen statt. Eine Zeit, in der die ganze Welt und Branchen sich der Dringlichkeit eines Wandels im Kampf gegen Rassismus und soziale Ungerechtigkeiten nicht mehr entziehen können.
„Keine Ahnung, ob es mir zusteht, dies zu sagen, aber ich empfinde großes Mitgefühl und finde es erschreckend und beschämend, dass solche Zustände in unserer heutigen Zeit überhaupt noch existieren“, empört sie sich. „Meine anarchistische Seite sagt, dass die einzige Lösung hierfür darin besteht, das gesamte System, auf dem diese Regierungen und diese Welt aufgebaut sind, im Grunde aufzulösen. Am Ende ist doch alles verknüpft mit den Privilegien der Weißen.“
„Die Menschen auf diesen PARTYS blicken einem beim Gespräch nicht mal richtig in die Augen. Es ist wirklich nicht einfach, eine AUFRICHTIGE Verbindung zu Menschen aufzubauen und ich bin in Gesellschaften sowieso etwas unbeholfen und MERKWÜRDIG“
Auch wenn sie sich als ehemalige Literaturstudentin im englischen Yorkshire mit den Stilelementen und dem Charakter der Schriftstellerin Emily Brontë verbunden fühlte, stellte sie den Grund für die Brontë-Filmbiographie in Frage. „Brauchen wir wirklich ein weiteres Kostümdrama, in dem ausschließlich Weiße zu sehen sind?“, fragte sie ihr Management. Mackey legt besonders großen Wert darauf, dass all ihre Rollen eine sinnvolle Bedeutung tragen.
„Wenn ich eine interessante Frauenrolle spiele, deren Geschichte anderen etwas lehren kann und das Publikum zum Nachdenken anregt und ihnen etwas über, in diesem Fall, eine Person aus dem wirklichen Leben beibringt, ich glaube, dann ist das das Gute an diesem Beruf“, sagt sie. „Nach dieser schweren und merkwürdigen Umbruchszeit habe ich es mir zum Ziel gesetzt, nur noch Dinge mit einer tieferen Bedeutung zu verfolgen… denn das ist es, worauf es ankommt, es muss einen Sinn haben.“
Tod auf dem Nil ist ab dem 17. Dezember in den deutschen Kinos zu sehen.