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Camila Cabello

Camila Cabello über Erfolg, Mut und ihre Erlebnisse als US-Immigrantin

Als CAMILA CABELLO die Girlband Fifth Harmony verließ, um als Solokünstlerin weiterzumachen, runzelten Kritiker die Stirn und hielten den Atem an. Nach einem globalen Superhit kennt die ganze Welt nun ihren Namen – und ihre Lyrics. LYNETTE NYLANDER hat mit ihr über Erfolg, Mut und ihre Erlebnisse als US-Immigrantin gesprochen.

Foto An LeStyling Tracy Taylor
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Wenn es einen Song gibt, der im Jahr 2017 unumgänglich war, der von der Frau in der U-Bahn gesummt wurde, in Resorts in der Hitze und im Auto gespielt wurde, dann war es Havana – ein Pophit mit lateinamerikanischem Flair, der von einem charmanten, kubanischen Lover handelt, der der Sängerin das Herz gestohlen hat. Wer steckt hinter dem Lied? Camila Cabello. Nach dem sie drei Jahre in der von X-Factor produzierten Band Fifth Harmony Mitglied war, ist die Sängerin seit Ende 2016 solo unterwegs und erklimmt seitdem den Pop-Olymp.

Geboren als Karla Camila Cabello Estrabao in Cojímar in Kuba, wuchs Cabello zwischen Kuba und Mexiko-Stadt auf, bevor sich ihre Familie in Miami niederließ, als sie fünf Jahre alt war. „Ich erinnere mich gar nicht mehr, wie das alles genau war, aber ich fühle schon, dass es mich sehr als Person geprägt hat“, sagt sie über ihre Kindheit, während sie am Gasofen in einem rustikalen Haus auf Staten Island, NY an einem klirrend kalten Tag herumspielt. „Es gibt Eigenschaften an mir, die sehr südamerikanisch sind“, sagt sie. „Meine Eltern sind sehr ruhige Personen, weil sie schon so viel erlebt haben, und immer, wenn ich sage, ‚Oh, ich bin so nervös, ich trete gleich auf!‘, dann meinen sie nur, ‚Komm mal runter, alles wird gut!‘.“

Cabello beschreibt sich selbst in ihren jungen Jahren als „unsichtbar in der Schule, sehr schüchtern. Wenn ich jemals gesungen habe, dann war das nur vor meiner Familie. Ich habe nie Musikunterricht gehabt und als ich dann für X-Factor vorgesprochen und es geschafft hatte und mein Casting im Fernsehen zu sehen war, hat jeder in meiner Schule gesagt, ‚Was ist denn jetzt los?‘, weil sie keine Ahnung hatten, dass ich gerne gesungen habe.

Kleid von Cushnie et Ochs. Ohrringe von Jennifer Fisher.

„Meine Eltern sind sehr ruhige Personen, weil sie schon so viel erlebt haben, und immer, wenn ich sage, ‚Oh, ich bin so nervös, ich trete gleich auf!‘, dann meinen sie nur, ‚Komm mal runter, alles wird gut!‘“

Top von Jonathan Simkhai. Ohrringe von Jennifer Fisher.
Top von Dolce & Gabbana. Rock von Prada. Ohrringe von Jennifer Fisher.

Mit 15 reisten die zielstrebige Cabello und ihre Familie nach North Carolina, um dort an den _X-Factor-_Castings teilzunehmen. Dort wurde sie jedoch nur als Alternativbesetzung weitergelassen und anschließend von den Show-Produzenten zurückgewiesen. Aber dann besiegelte eine zufällige Begegnung mit dem Impresario Simon Cowell ihr Schicksal. Cabello durfte am Casting teilnehmen und gemeinsam mit ihren Mitstreiterinnen Ally Brooke, Normani Kordei, Dinah Jane und Lauren Jauregui gründete sie Fifth Harmony.

Die Band belegte den dritten Platz in der TV-Castingshow, was im Endeffekt keinen Einfluss auf den Erfolg in den Charts hatte. Ein American Music Award, ein Auftritt im Weißen Haus und über 1.6 Millionen on-demand Streams sind nur einige Highlights. Es gab Gerüchte über Unstimmigkeiten in der Band, aber Cabello sagt, dass ihr Ausstieg eher damit zu tun hatte, dass sie ihr eigenes Ding machen wollte, und keinen böswilligen Hintergrund hatte. „Aufgrund der Erlebnisse im Studio, war ich sehr neugierig was das Schreiben von Songs anging und als wir im zweiten Jahr als Band waren, wollte ich beginnen, auch für andere Leute Songs zu schreiben. Als ich alt genug war für meinen ersten Kuss und mein erstes Date, habe ich darüber Songs geschrieben, die ich aber natürlich nicht an andere Leute abtreten wollte. Sie handelten ja von mir. Ich habe meine Stimme gefunden und mit ihr auch die Leidenschaft, die einem mehr Bedeutung verleiht.“

Die Zeit in der Band, das glaubt sie, war ein essentielles, positives Erlebnis. „Oh man, das hat mich sehr geprägt. Ich wäre nicht die Person, die ich jetzt bin. Ich wäre nicht bereit für all das. Ich finde, dass so ein Banderlebnis einem ironischerweise sehr viel über sich selbst beibringt. Und außerdem ist da immer eine gesunde Konkurrenz, man will schließlich nie die sein, die versagt.“

„Ich kann mir gar nicht vorstellen, wie es ist, wenn jemand sagt: ‚Du kannst hier nicht mehr leben; du musst zurück nach Mexiko und Kuba ziehen‘“

Top von Zimmermann. Ohrringe von Jennifer Fisher.
Top von Zimmermann. Rock von Roland Mouret. Ohrringe von Jennifer Fisher.

Nachdem sie im Dezember 2016 aus der Band ausstieg, brachte Cabello ihre erste Solo-Single heraus, Crying in the Club, die im Vergleich zu dem sofortigen Durchbruch von Havana eher bescheiden anlief. Eigentlich wäre es zu Havana fast nicht gekommen: „Ich war letzten Januar mit meinem Produzenten Frank Dukes im Studio und wir hatten alle schon die Hoffnung für diesen Song aufgegeben, weil wir die Strophen einfach nicht fertigstellen konnten“, erzählt Cabello.

Sie gab aber nicht auf und dank eines Meetings mit dem Hitmaker Pharrell Williams war der Song endlich fertig, mit einer Strophe des Rappers Young Thug für den letzten Feinschliff. Cabello hat das Video zu Havana den Dreamers gewidmet, dem umgangssprachlichen Begriff für die hunderttausenden, nicht dokumentierten Immigranten, die unter Trumps Regierung nach seiner Beendigung des Programms Deferred Action for Childhood Arrivals (DACA; Deutsch etwa: „Aufgeschobene Handlung bei Ankünften im Kindesalter“) womöglich deportiert werden. „Ich finde, ich muss etwas sagen, weil es sich für mich unfair anfühlt, dass sie nun in dieser Situation sind – ich unterscheide mich ja auch eigentlich nicht von ihnen: es ist die gleiche Geschichte“, erinnert sich Cabello. „Wir kamen in die Vereinigten Staaten als ich sehr jung war, meine Eltern zogen hierher, um… Ich kann mir gar nicht vorstellen, wie es ist, wenn jemand sagt: ‚Du kannst hier nicht mehr leben; du musst zurück nach Mexiko und Kuba ziehen‘. Ich habe dort aber kein Zuhause mehr; ich wüsste wirklich nicht, was ich machen würde. Alles gerät aus den Fugen, weil diese Kinder eigentlich ihr ganzes Leben in den USA verbracht haben. Wissen Sie, meine Musik, die mache ich eigentlich für mich selbst, sie macht mich glücklich, aber ich möchte anderen Menschen helfen…andere Leben grundlegend positiv beeinflussen.

Top von Ellery. Rock von Dolce & Gabbana. Pumps von Paul Andrew. Ohrringe von Jennifer Fisher.

Wenn man sich mit Cabello unterhält, dann muss man an eine junge Frau denken, die zu sich findet, aber auch im Rampenlicht der Entertainment-Industrie steht. Das wird einem umso mehr durch ihr gleichnamiges Debütalbum bewusst, das diesen Monat erscheint. Zuerst benannte sie es The Hurting. The Healing. The Loving, dann veränderte sie es, um ihre aktuelle Situation zu reflektieren; sie hat den Schmerz hinter sich gelassen und befindet sich auf einem Weg der Zufriedenheit. „Der Titel bezog sich auf eine Situation, in der ich mich schrecklich gefühlt habe und vor sieben Monaten dachte ich, mein Album wäre traurig, aber das ist es nicht. Es ist mein erstes Album, es ist ein Abbild von mir. Ich würde nie jemandem die Macht überlassen, der mir weh tut. Niemals!“

Facettenreicher als ein durchschnittliches Pop-Album, sind die elf Songs ein Mix aus mittelschnellen Liedern und Balladen mit Lyrics, die sich anhören, als wären sie direkt aus ihrem Tagebuch entnommen und die von den Schwergewichten der Produzenten-Branche zu mitreißenden und großartigen Melodien geformt wurden – so vergisst man auch nie Cabellos südamerikanische Wurzeln. „Ich wollte nicht, dass sich jeder Song wie Havana anhört, ich wollte die Leute auch überraschen“, lächelt sie. Das Album schaffte es direkt auf Platz eins der Charts und die Tour steht schon an und wird bis Ende 2018 stattfinden, so sagt sie. Aber wenn sie dann doch einmal zu Hause in Miami ist, schaut Cabello Harry Potter oder auch ein paar Folgen von Sex and the City (ihre neueste Entdeckung, sie ist 1997 geboren, also eine gute Ausrede). „Ich denke, ich möchte nach New York ziehen – das liegt wohl an Sex and the City.“ Aber nicht wie Carrie Bradshaw in Manolo Blahniks, sondern für Cabello lieber in Birkenstocks. „Ich liebe Birkenstocks wirklich, ich habe sie auch an Weihnachten getragen. Ich liebe auch maskuline Anzüge“, sagt sie, so wie Michael Jackson, Prince oder Madonna. „Ich mag Dinge, die mir Macht verleihen - auch wenn ich es manchmal toll finde, einfach nur Jogginghosen zu tragen; keine aufwendige Frisur, kein Make-up.“

„Vor sieben Monaten dachte ich, mein Album wäre traurig, aber das ist es nicht. Es ist mein erstes Album, es ist ein Abbild von mir. Ich würde nie jemandem die Macht überlassen, der mir weh tut. Niemals!“

Kleid von Versace.

Die Entscheidung zwischen Miamis angesagtesten Clubs oder einer Party mit ihrer liebsten Clique an Freundinnen, ist für sie glasklar: Cabello ist immer noch das schüchterne, junge Mädchen mit riesigem Talent, aber sie ist bereit, auch mutiger zu werden.

„Das ist mein Vorsatz fürs neue Jahr, mehr zu erleben“, sagt sie. „Ich arbeite so viel, dass ich oftmals Leute für lange Zeit nicht sehe, und dann weiß ich gar nicht mehr, wie man miteinander umgeht. Das macht mich so nervös, also zwinge ich mich dazu, und mir wird wieder klar, dass es ja eigentlich nichts Komisches ist, aus sich herauszugehen. Früher habe ich immer gesagt, ‚das ist Teil meiner Persönlichkeit‘, aber jetzt weiß ich, dass ich immer gegen meine Introvertiertheit kämpfen muss. Eigentlich gehe ich nicht gerne aus und treffe neue Leute; auch wenn es sich um einen Jungen handelt, den ich mag, versuche ich Ausreden zu finden. Es gibt immer etwas, zu dem ich mich zwingen muss. Aber auch, wenn es manchmal schwierig ist, ist es den Versuch immer wert.

Camila’ ist jetzt erhältlich; camilacabello.com

Jetzt anschauen…

Obwohl New York City die kälteste Woche seit Jahrzehnten hinter sich hatte, hielt das Camila Cabello nicht davon ab, allen mit ihrem von Havanna geprägtem Temperament bei einem sinnlichen Shooting im verschneiten Staten Island einzuheizen…

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