Wechsel der Gezeiten
mit
Amber Heard

Schauspielerin AMBER HEARD ist im neuen Blockbuster-Film Aquaman als Superheldin Mera zu sehen. Mit uns spricht sie über schwierige Zeiten, wie sie mit ihrem Leben weitermachte und weshalb sie der Königin von Atlantis beinahe eine Absage erteilt hätte. Von AJESH PATALAY
Amber Heard und ich betreten ein Restaurant in Downtown Los Angeles. Wir gehen nicht Arm in Arm, aber könnten es durchaus tun. Sie hat eine sehr freundschaftliche Art an sich. Wir haben uns gerade erst kennengelernt und sie erzählt mir bereits freudig von ihrem Vater David, der einen äußerst schillernden Charakter hat und heute einfach bei unserem Fotoshooting für PorterEdit vorbeigekommen ist – er kam dafür extra von außerhalb der Stadt. Sie sieht aus wie das coole Mädchen aus L.A. – strahlende Haut, blonde offene Haare, leger gekleidet in einem grauen T-Shirt und einer Schlaghose zu einer süßen kleinen Tasche von Chloé; wie eine typische Schauspielerin eben. Am Abend zuvor waren wir beide bei dem gleichen Gala-Dinner zu Gast, also ist meine erste Frage, nachdem wir uns hingesetzt haben, ob sie sich amüsiert hat. Ich bin nicht ganz auf ihre Antwort vorbereitet. Sie grübelt eine Zeit lang über die Homogenität Hollywoods und warum es „einen dazu zwingt, sich der Masse anzupassen“ und wie schwierig es deshalb ist, eine „tiefere geistige Verbindung“ mit jemand anderem in der Stadt zu finden. Ich fühle mich etwas aus der Bahn geworfen werden. Und das ist nicht das einzige Mal.
In gewisser Weise führt Heard ein Leben, das einem klassischen Hollywood-Märchen gleicht. Als älteste Tochter einer Arbeiterfamilie aus Texas brach sie mit 17 Jahren die Schule ab, um nach Los Angeles zu ziehen. Dort arbeitete sie als Schauspielerin und Model und zog kleine Fernseh- und Filmaufträge an Land. Ihr Talent und die umwerfende Schönheit einer Femme Fatale machten sie mit Rollen in Magic Mike XXL und The Danish Girl innerhalb von zehn Jahren zum Star. Amber Heard (32) hat sich jedoch noch nie an die Regeln Hollywoods gehalten. Sie beschönigt die Dinge nicht. Sie erzählt mir eine Geschichte von ihrer katholischen Schule in Texas, an der die Schüler eine bestimmte Anzahl von Stunden gemeinnützige Arbeit leisten mussten. Allerdings „und das lag an der Art der Schule, konnte man für einige dieser Stunden stattdessen auch außerhalb von Abtreibungskliniken protestieren. Ich erinnere mich, dass ich einmal während der ersten Stunde ins Klassenzimmer gegangen bin“, sagt sie, „und meine Klassenkameraden haben diese Poster mit schrecklichen Bildern gebastelt. Ich dachte damals, dass ich lieber unbeliebt wäre, als das einem anderen Menschen anzutun. Stellen Sie sich vor, Sie müssten diese schwierige Entscheidung selbst treffen und sähen vor der Klinik einen Haufen Kinder, die protestieren und möglicherweise im selben Alter sind. Das könnte ich nie tun.“
„ALLE sagten, es gab noch nie eine berufstätige Schauspielerin, die [sich als bisexuell geoutet hat] – du wirst alles VERLIEREN. Ich hatte Todesangst, [aber] die WAHRHEIT ist das einzige, das sich dauerhaft bewährt“
Angesichts der Tatsache, dass Heard zu diesem Zeitpunkt erst 13 Jahre alt war, würde jeder von ihrer Überzeugungskraft und Empathie in einem so jungen Alter beeindruckt sein. Ich kann nicht anders, als mich beschützend ihr gegenüber zu fühlen. Schließlich war sie noch ein Kind, als sie ihren Standpunkt vertreten musste. Aber Heard hat kein Selbstmitleid. Später sagte sie zu mir: „Ich komme aus der echten Welt, Liebes.“ Dennoch muss sie sich isoliert von der Gemeinschaft gefühlt haben. „Ja, aber wie langweilig wäre das gewesen? Haben Sie jemals in einem Raum mit Menschen gesessen, die genau das Gleiche wie Sie dachten?“
Diesen Dezember ist Heard in dem wahrscheinlich größten Streifen ihrer Karriere zu sehen, dem Superhelden-Blockbuster Aquaman mit Nicole Kidman und Jason Momoa. Interessanterweise zögerte sie zunächst, die Rolle von Aquamans Frau Mera anzunehmen. Sie befürchtete, dass es sich um eine hypersexualisierte Comicfigur handelte, die „von einem 14-Jährigen erfunden wurde und so komplex sei, wie er es sich dem Alter entsprechend vorstellen konnte.“ Kurzum, „ein Gegensatz zu meiner Überzeugung, Motivation und dem, was mich kreativ erfüllt.“ Aber nachdem sie mit Produktionsleiter Zack Snyder telefoniert und sich die ursprünglichen Comics angesehen hatte, war sie beruhigt. Mera ist nicht nur Aquawoman, sondern auch eine Superheldin und Königin, die über eine Armee verfügt. „Ein Schwert und eine Krone“, sagt Heard und macht eine Faust.
Die Rolle zu bekommen, war eine große Bestätigung für sie. Es lohnt, sich an die Folgen von Heards öffentlichem Outing als bisexuell im Jahr 2010 zu erinnern. Eine Entscheidung, die in Hollywood für Aufsehen sorgte. „Alle sagten, es gab noch nie eine berufstätige Schauspielerin, eine weibliche Hauptfigur, die das getan hat. Du wirst alles verlieren“, erinnert sie sich. Hat ihr das Angst gemacht? „Natürlich. Es geht um meinen Lebensunterhalt. Ich habe meine Familie unterstützt. Was sollte ich meiner Schwester sagen? ‚Tut mir leid, ich habe es vermasselt, weil ich eine große Klappe habe?‘ Ich hatte Todesangst.“ Und warum hat sie es doch getan? „Es wäre falsch gewesen, es nicht zu tun“, sagt sie. „Eine Lüge kommt immer ans Licht. Die Wahrheit ist das einzige, das sich dauerhaft bewährt.“ Heute setzt sie sich für LGBTQ-Rechte ein.
„Ich habe ziemlich SCHWIERIGE Zeiten erlebt. Ich wache jeden Tag auf und treffe die Entscheidung, das alles in etwas GUTES zu verwandeln. Selbst wenn es an mich direkt gerichtet ist und man mit STEINEN nach mir wirft“
Doch das ist noch nicht alles. Sie erzählt mir, dass sie sich vom ersten Tag an in Los Angeles für ehrenamtliche Tätigkeiten „in Kinderkrankenhäusern, Sonderschulen und mit benachteiligten Kindern“ engagiert hat. Allein in diesem Jahr besuchte sie ein syrisches Flüchtlingslager mit der Syrian American Medical Society, ermutigte Menschen beim New Yorker Global Citizen Festival zur Wahl und schloss sich den Protesten der Missbrauchsopfer bei den Anhörungen von Brett Kavanaugh im US-Senat an.
Was lässt sich aus ihrem vielseitigen Aktivismus schließen? Die meiste Zeit, die wir zusammen am Ecktisch des Restaurants verbringen, lehnt sie sich weit über den Tisch und schaut mich mit einer Intensität an, die ihre Augen fast schon wässrig werden lässt. Von unseren Gesprächen über Syrien bis hin zum Obersten Gerichtshof der Vereinigten Staaten, ihre Entschlossenheit und Ernsthaftigkeit wirken irreführend. Ich stelle ihre Authentizität nicht in Frage – niemand, der mit ihr spricht, würde das tun – aber sie scheint bemüht darum, ein anderes Bild von sich vermitteln zu wollen; weg von den Erzählungen um ihre frühere Ehe mit Johnny Depp und die darauffolgende Beziehung mit Elon Musk. Wer könnte es ihr übel nehmen?
Angesichts Heards scharfen Kritik an Hollywood – das Äquivalent einer Kultur, in der Frauen machtlos und austauschbar sind und „sehr bemüht, ihren geringen Anteil nicht zu verlieren“ – frage ich mich, was sie davon abhält, die Schauspielerei zugunsten des Aktivismus aufzugeben. „Ich bin eine Aktivistin“, sagt sie. „Und eine bessere, weil ich schon immer eine Schauspielerin war.“ Ruhm öffnet viele Türen. „Ich habe ziemlich schwierige Zeiten erlebt“, fügt sie hinzu. „Ich wache jeden Tag auf und treffe die Entscheidung, das alles in etwas Gutes zu verwandeln. Man muss daraus doch etwas machen. Selbst wenn es an mich direkt gerichtet ist und man mit Steinen nach mir wirft.“
„Alle Frauen sind sich BEWUSST, [dass man ihnen nicht glaubt]. Aber wir haben keine ZEIT, um uns damit zu beschäftigen. Wir können nicht ständig darauf hinweisen. Wir müssen uns um unsere Familien kümmern und haben einen JOB, der unsere Aufmerksamkeit verlangt“
Wenn sie heute mit Kritik konfrontiert wird, bezieht sich diese zum Großteil auf Depp, den Heard während der gemeinsamen Ehe der häuslichen Gewalt beschuldigte, was der Schauspieler weiterhin bestreitet. Was auch immer ihre Gefühle zu dem Ganzen jetzt sind, sie kann heute nicht viel dazu sagen, denn durch ihre Scheidung im Jahr 2017 (ein Vergleich in Höhe von 7 Millionen Dollar, die Heard für wohltätige Zwecke gespendet hat, einschließlich für eine Wohltätigkeitsorganisation, die sich darauf konzentriert Gewalt gegen Frauen zu beenden) ist sie an eine Geheimhaltungsvereinbarung gebunden. Ich frage sie, ob sie aus irgendeinem Grund dagegen verstoßen und öffentlich auf die Vorwürfe reagieren würde. „Mein Leben geht weiter. Es hat sich zum Besseren entwickelt. Ich muss nicht auf ein sinkendes Schiff springen“, sagt sie. Einige der seltsamen Geschichten, die immer wieder aufkommen, müssen doch schädigend sein, schätze ich. „Das ist ja genau mein Punkt. Wenn es schädigend sein soll, dann nicht für mich, sondern für jemand anderen. Die Dinge kann man doch nicht glauben.“
Es scheint klar, dass sie das alles hinter sich lassen möchte, aber sie hat verständlicherweise auch das Bedürfnis sich zu verteidigen. Ich glaube ihr und frage mich, warum das nicht mehr Menschen tun. Vor allem, wenn unsere Kultur darauf bedacht ist, die Geschichten misshandelter Frauen für wahr zu halten, da man ihnen in der Vergangenheit keinen Glauben schenkte.
„Ich hatte nichts zu gewinnen, aber konnte alles VERLIEREN. Ich stand verdammt nah am Abgrund… Ich bin STOLZ auf die Dinge, die ich getan habe. Ich habe mich für das eingesetzt, was ich für RICHTIG halte – ungeachtet von dem, was es mich kostet“
Heard findet, dass die Sache ziemlich eindeutig ist. Sie sagt, dass es in unserer Kultur verwurzelt ist, jemandem nicht zu glauben. „Ich wusste das schon, als ich 13 Jahre alt war. Alle Frauen sind sich bewusst, dass man ihnen von Natur aus nicht glaubt. Aber wir haben keine Zeit, um uns damit zu beschäftigen. Wir können nicht ständig darauf hinweisen und uns erheben, wenn etwas nicht stimmt. Wir müssen uns um unsere Familien kümmern und haben einen Job, der unsere Aufmerksamkeit verlangt.“ Wir sprechen über die Kavanaugh-Anklägerin Dr. Christine Blasey Ford und andere Opfer von Missbrauch. Heard fährt fort: „Die Leute kommen zu mir und fragen: ‚Was soll ich tun?‘ Ich kann sie nicht ansehen und sagen: ‚Das musst du machen.‘ Ich würde niemandem raten, ein Risiko einzugehen. Ich hatte nichts zu gewinnen, aber konnte alles verlieren. Ich stand verdammt nah am Abgrund. Wenn du dich als Frau zu Wort meldest und nichts verlangst – selbst, wenn man sagt, dass man nichts will – fragen die Leute, was will sie? Du sagst beispielsweise, hier ist der Beweis, dass ich nichts haben möchte – du könntest alles an eine Wohltätigkeitsorganisation spenden. Und Leute würden trotzdem fragen, wo ist der Beweis? Da ist der Beweis. Und sie sagen, wo ist der Beweis für den Beweis?“
Und so geht es weiter. Vielleicht sei es besser, das Interview anders zu beenden, also erzählt mir Heard: „Ich bin stolz auf die Dinge, die ich getan habe. Ich habe mich für das eingesetzt, was ich für richtig halte.“ Sie betont: „Ungeachtet von dem, was es mich kostet.“
Aquaman erscheint am 20. Dezember im Kino
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