Das Designer-Interview: Paul Andrew von Salvatore Ferragamo
Nachdem er sich einen Namen als Footwear-Designer etabliert hat, schwimmt PAUL ANDREW auf der Erfolgswelle in eine ganz neue Richtung: Als Kreativdirektor von Salvatore Ferragamo haucht der dem italienischen Traditionshaus frischen Wind ein. Im Gespräch mit Gillian Brett verrät er sein Verständnis von Mode für Frauen jeder Altersklasse und wie seine Kindheit inmitten des royalen Prunks seine berufliche Laufbahn geprägt hat.
„Man braucht kein Logo, um erkannt zu werden“, sagt Paul Andrew, der jüngst zum neuen Kreativdirektor des italienischen Modehauses Salvatore Ferragamo ernannt worden ist. Für die H/W19 übernimmt der Designer erstmals die kreative Leitung der Lederwarenkollektion, nachdem er ein Jahr lang für die Damenmode verantwortlich war. Andrew hat den Stil des Labels auf subtile Art und Weise neu interpretiert: Luxuriöse Utility-Styles aus buntem Leder und klassisches Tailoring in minimalistischen 90er-Silhouetten geben den Ton an. In der Front Row beschrieb man seinen Look als „bourgeois“ – ein Begriff, der den Esprit der H/W19-Saison perfekt zusammenfasst. Andrew ist nicht der Einzige, der sich aktuell von bedruckten Logo-Styles und dem Athleisure-Trend verabschiedet. Designer verliehen dem Laufsteg ein Gefühl von Nostalgie und ließen sich für ihre raffinierten Tweed-Looks und schicken Twinsets von dem unverkennbaren Stil der 70er inspirieren.
„Wir sprechen eine ganze Bandbreite von Individuen an. Der Fokus liegt nicht nur auf 25-Jährigen
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Der in Großbritannien geborene Schuhdesigner hatte gerade drei Jahre lang die Führung seines eigenen gleichnamigen Labels inne, als Ferragamo ihm 2016 die neu geschaffene Rolle des leitenden Designers für Schuhe anbot. Der Erfolg ließ nicht lange auf sich warten. Ein Jahr später wurde er zum Kreativdirektor der Damenkollektion ernannt. Seine Aufgabe war es, die Vision der unter Fulvio Rigoni stagnierenden Marke neu zu definieren. Andrew hatte bis zu diesem Zeitpunkt keine Erfahrung, was das Entwerfen von Kleidung betraf, somit hatten er und Salvatore Ferragamo etwas gemeinsam. Beide sammelten ihr Fachwissen zunächst in der Schuhbranche, bevor sie zur Mode wechselten.
Das umfangreiche Archiv des Labels reicht bis ins Jahr 1927 zurück. Kunden aus der Goldenen Ära, darunter Joan Crawford und Loretta Young, sind darin zu finden. Die perfekte Inspiration für Andrew, der sich für seine Kollektion vom Retro-Flair der Saison hinreißen ließ. Getreu dem italienischen Stil zeugen luxuriöse Mäntel, klassische Capes und A-Linien-Röcke in kräftigen Farben von moderner Eleganz. Beige ist zum Inbegriff anspruchsvoller Mode avanciert, doch die Ferragamo-Frau greift selbstbewusst zu farblichen Highlights in „Paprika, Merlot und Sand“. Während der Unterhaltung mit Andrew in der opulenten Atmosphäre des florentinischen Hauptsitzes der Marke wird schnell deutlich, dass weder eine sportliche noch düstere Ästhetik in den Zukunftsplänen des Designers vorgesehen sind. „Meine Reaktion auf den Athleisure-Trend sind praktische Kleidungsstücke wie Latzhosen, Overalls und Shorts aus exquisiten Materialien wie weichem Nappa, Wildleder und hochwertigen Baumwollstoffen“, sagt der Designer in einem Akzent, der seiner Zeit in New York Ausdruck verleiht. „Ich spüre den gegenwärtigen Wunsch nach Leichtigkeit in der Mode.“
„Sogar beim Fitting sind immer ein männliches und ein weibliches Model gleichzeitig im Raum. Ich möchte sehen, wie sie miteinander interagieren und dass die Looks zusammenpassen
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Komfort wird bei Ferragamo großgeschrieben, denke man nur an den elfenbeinfarbenen Teddy-Mantel: Was aussieht wie Shearling, ist eigentlich ein innovativer Kaschmirstoff. Ebenso lässig wirkt der bernsteinfarbene Overall aus Leder, der sich perfekt für Büro und Freizeit eignet. „Mein Favorit ist der Jumpsuit aus Vicuña-Leder, den wir an Georgina fotografiert haben“, sagt Andrew und bezieht sich auf das Fotoshooting für Porter Edit im Mai mit dem südafrikanischen Model Georgina Grenville auf den Straßen von Florenz. „Georgina zeigt, wie vielseitig der Overall ist, mit 44 sieht sie darin einfach klasse aus. Die Passform ist großartig, ohne dazu überwältigend zu wirken. Der Look steht ihr unglaublich gut.“
Möglichst viele Menschen mit seinen Ideen anzusprechen, bedeutet dem Designer viel. Wie viele andere Designer konzentriert sich auch Andrews auf die Generation der Millennials, dennoch ist er fest entschlossen, Frauen in jeder Lebensphase von dem Label zu begeistern. „Wir sprechen eine ganze Bandbreite von Individuen an. Der Fokus liegt nicht nur auf 25-Jährigen. Wir kreieren Mode sowohl für Frauen im hohen Alter als auch für Teenager. Kunde sind alle, die bei Ferragamo einkaufen. Deshalb macht es für mich Sinn, bei unseren Shows und in unseren Kampagnen Gesichter zu zeigen, die Vielfalt repräsentieren. Das gilt gleichermaßen für verschiedene Kulturen als auch für unterschiedliche Hautfarben.“ Auf dem Laufsteg zeigte Andrew 59 Looks, darunter auch Menswear. Entworfen wurde diese von seinem „Partner in Crime“ Giullaume Meilland, dem Designdirektor von Ferragamo. Das Casting umfasste je zur Hälfte 25 hell- und dunkelhäutige Models verschiedener Altersklassen. Zudem bemüht sich der Designer Geschlechtergrenzen aufzuheben, weshalb er sowohl die Kollektion für Frauen als auch die für Herren auf dem Laufsteg zeigt. „Sogar beim Fitting sind immer ein männliches und ein weibliches Model gleichzeitig im Raum. Ich möchte sehen, wie sie miteinander interagieren und dass die Looks zusammenpassen. Nicht selten führt es dazu, dass sie seine Hose und er ihre Jacke trägt. Wir machen keine Unisex-Mode, aber mir gefällt die Idee fließender Übergänge.“
Andrew feierte dieses Jahr seinen 40. Geburtstag. Blond und ziemlich gutaussehend, wuchs er in Berskshire in unmittelbarer Nähe zu Windsor Castle auf. Dort arbeitete sein Vater als Polsterer für die britische Königin. „Ich bin buchstäblich auf dem Gelände von Windsor Castle inmitten des royalen Prunks aufgewachsen und entdeckte die Handwerkskunst in Verbindung mit wunderschönen Materialien und Stoffen aus erster Hand.“ Dies, gepaart mit dem Stil seiner Mutter, die sich im typischen Office-Look der 80er kleidete, legte den Grundstein für seine Liebe zu hochwertigem Design. Seine größte Passion war jedoch die Musik. „Als Kind verbrachte ich viel Zeit mit Klavierspielen. Es gibt eine witzige Geschichte über die Mutter eines Freundes, die im Musikraum eine Notiz anbrachte, als ich 11 oder 12 Jahre alt war. Sie wollten das Piano loswerden und verschenken. Ich sagte ihr, dass ich es haben wolle. Meine Eltern wussten davon nichts. Eines Nachmittags kamen sie nach Hause und das Instrument stand plötzlich mitten in unserem Wohnzimmer. Ihre Begeisterung hielt sich in Grenzen.“
„Ich bin buchstäblich auf dem Gelände von Windsor Castle inmitten des royalen Prunks aufgewachsen und entdeckte die Handwerkskunst in Verbindung mit wunderschönen Materialien und Stoffen aus erster Hand
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Für Andrew bedeutet Musik „Leben und Emotionen“, entsprechend wichtig sind ihm die Soundtracks zu seinen Shows, die er mit dem legendären Musikexperten Michel Gaubert zusammenstellt. Beim Fotoshooting mit Georgina für PORTER Edit trägt der Designer ein schwarzes Baumwoll-T-Shirt und Jeans und spielt seine Musikauswahl über einen eigens mitgebrachten Lautsprecher von Bose. Die Songs sorgen für gute Stimmung und positive Energie am Set. „Es sieht ziemlich komisch aus, wenn ich in den Büros und Ateliers mit einem Lautsprecher und iPhone durch die Gegend laufe. Wahrscheinlich liegt dessen Ursprung in meiner Jugend. Ich höre gerne Songs aus den 80er- und 90er-Jahren, aktuell viel von Bryan Ferry und Roxy Music., daraus hat sich mein ganz eigener Show-Soundtrack entwickelt. Eine weitere Inspiration ist natürlich die Kollektion selbst. Viele meiner Silhouetten erinnern an den Look der 80er und 90er. Eine gute Atmosphäre ist essentiell für den Arbeitsalltag im Atelier von Ferragamo, niemals wird hier eine melancholische oder traurige Playlist ertönen. Unsere Mitarbeiter haben Spaß und klopfen mit ihren Füßen im Takt der Musik. Ich finde, das trägt zur Freude beim Designen der Kollektion bei.“
„In dieser Branche muss man mental flexibel sein. Meist sind es die unbequemen Dinge, die dich inspirieren und weiterbringen
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„Andrews minimalistisch-maximale Ästhetik lässt sich auf seine Zeit bei Alexander McQueen, unter der Leitung von Lee McQueen selbst und Calvin Klein zurückführen. „Als ich bei McQueen arbeitete, war keine Idee zu außergewöhnlich, es gab keine Grenzen und er hat sein Team dazu ermutigt, über den Tellerrand hinauszuschauen. Anschließend zog ich in die USA, um dort für Calvin Klein zu arbeiten. Dort ging es weitaus minimalistischer, strukturierter und organisierter zu. Es ging immer um eine originelle Designidee, die der Charakteristik des Labels entsprechen musste. Vom Anfang bis zum Ende der Saison gab es kaum Veränderungen.“ Andrew arbeitete auch über ein Jahrzehnt lang für Donna Karan. Sein Verständnis von Komfort, Tragbarkeit und dem, was Frauen wirklich wollen, führt er darauf zurück.
Die typische Ferragamo-Frau ist „eine moderne Persönlichkeit, die berufstätig ist und Wert auf hochwertige Schuhe legt, die sie auf ihrem Lebensweg begleiten. Sie trifft sich nicht nur zum Tee oder Mittagessen mit Freunden, sondern eilt zu Meetings und schätzt Kleidung, die ihren Alltagsansprüchen gerecht wird. Qualität ist das A und O.“ Was sein eigenes Label betrifft, so legt der Designer vorerst eine Pause ein und widmet sich stattdessen der Zukunft von Ferragamo, seitdem hat Andrew sowohl Kritik als auch Anerkennung innerhalb der Modebranche geerntet. Der Umsatz der Marke stieg zum zweiten Quartal in Folge zwischen April und Juni 2019 und seine weiteren Ziele für Ferragamo sind ehrgeizig: Auf dem Plan steht eine verstärkte Zusammenarbeit mit italienischen Kunsthandwerken, das Experimentieren mit innovativen Stoffen und eine umweltbewusstere Produktion. „Ich möchte innerhalb der nächsten fünf Jahre mindestens die Hälfte „nachhaltig produzieren lassen“, und stellt sich damit einer großen Herausforderung. „In dieser Branche muss man mental flexibel sein. Ich bin ein Gewohnheitsmensch und tue mich mit Veränderungen schwer. Ich halte gerne am bereits Bekannten fest. Allerdings sind es oft die unbequemen Dinge, die am Ende am meisten inspirieren und einen letztlich weiterbringen.“