Jung und wild
mit
Chloë Grace Moretz

CHLOË GRACE MORETZ ist gerade einmal 21 Jahre jung, aber ihre Intelligenz und Offenheit geht über ihr Alter hinaus. Mit ihrem neuen Film trägt sie dazu bei, mehr Bewusstsein für Camps zu schaffen, in denen Homosexuelle konvertiert werden sollen. Die Schauspielerin spricht über Sexualität, das Ablehnen großer Rollen und weshalb man sie nicht in der Öffentlichkeit küssen sieht. Von MARK JACOBS
Es ist Morgen in einem Café in North Hollywood und Chloë Grace Moretz erzählt mir von ihrem bevorstehenden Urlaub in Provincetown, Massachusetts. Gemeinsam mit ihren vier älteren Brüdern feiert sie den 60. Geburtstag ihrer Mutter Teri. Sie beschreibt die spezielle Bindung ihrer Familie als „symbiotisch“. Moretz reist zum zweiten Mal in einem Monat in das bei Homosexuellen beliebte Urlaubsresort. Vor zwei Wochen kam sie während des Provincetown Film Festivals für die Vorstellung ihres neuen Films The Miseducation of Cameron Post das erste Mal in die Stadt. „Ich bin absolut begeistert“, gesteht sie. „Ich habe zwei schwule Brüder und wir lieben es, von schwulen Menschen umgeben zu sein. Wir überlegten, wohin wir mit unserer Mutter reisen könnten und waren uns sicher, dass es ihr gefallen würde. Sie liebt das Radfahren, sie liebt Massachusetts und die Stadt ist so schwul, dass sie überwältigt sein wird.“
Mit 21 Jahren ist Moretz, die seit ihrem fünften Lebensjahr arbeitet, selbstsicher, klug und bewusst authentisch. „Ich werde schon seit 15 Jahren interviewt und habe mich daran gewöhnt“, sagt sie. Auf den ersten Blick scheint das auch zu stimmen: Sie trägt einen schwarzen Blazer mit Fellmanschetten, ein kurzes Wickelkleid mit Rüschen und Polkadots in Rot und Blau zu weißen Sneakers von Reebok. „Und meine Prada“, fügt sie hinzu und verweist damit auf ihre „Cahier“ Schultertasche, die auf dem Tisch steht – ein Geschenk des Modehauses. „Sie ist so schön!“
Nach eigener Aussage hasst Moretz es, Pausen zu machen (die berühmt-berüchtigte Schauspielerin hat seit ihrem Durchbruch in Kick-Ass (2010) zwei Dutzend Filme gedreht). „Ich bin so schlecht darin, Urlaub zu nehmen“, gesteht sie. „Ich arbeite die ganze Zeit. Ich versuche, es nicht zu tun, aber das ist nicht so leicht. Ich schlafe vier Tage lang aus und dann sehne ich mich wieder danach, etwas zu tun.“
„Ich bin so schlecht darin, URLAUB zu nehmen. Ich arbeite die ganze Zeit. Ich schlafe vier Tage lang aus und dann SEHNE ich mich wieder danach, ETWAS zu tun“
Vor kurzem hat sie jedoch in den sauren Apfel gebissen und sich eineinhalb Jahre lang frei genommen, um – wie sie sagt – ihre Karriere neu auszurichten. „Ich wollte eine neue Verbindung zu meinem Job und meiner Liebe für die Schauspielerei herstellen. Dafür habe ich einige große Rollen abgelehnt“, gibt Moretz zu und verweist damit auf die reale Neuverfilmung von Arielle, die Meerjungfrau. Überraschenderweise sagt sie: „Ich habe es geliebt, einfach nur zu lesen, zu schreiben und zu arbeiten, zuzuhören und zuzuschauen. Ich habe mich von allem inspirieren lassen.“ Sie verbrachte zwei Wochen in Tulum – einfach so. Sie wohnte für einen Monat in einer Hütte am Strand von Santa Barbara und machte es zum Ritual, sonntags in ihrem Zuhause in Laurel Canyon zu Abend zu essen. Hier lebt sie zusammen mit ihrem Bruder Trevor und deren Mutter, die im Gästehaus wohnt. Trevor ist der Grund, weshalb Moretz Schauspielerin wurde. Er half dabei, sie großzuziehen und arbeitet heute mit Teri als ihr Manager. Moretz fragte ihre Mutter, wie es war, als Frau in den Südstaaten groß zu werden und sprach mit Trevor und ihrem anderen Bruder Colin über das Aufwachsen als Schwuler. Ich hatte ihn nie gefragt, wie es war, sich in einem sehr religiösen Umfeld zu outen. Unsere Familie war sehr christlich. Ich fragte ihn: ‚Hattest du Angst? Wie hast du darauf geantwortet?‘“
„Ich wollte eine neue VERBINDUNG zu meinem Job und meiner Liebe für die Schauspielerei herstellen. Dafür habe ich einige große Rollen abgelehnt. Ich habe es GELIEBT, einfach nur zu lesen, zu schreiben, zuzuhören und zuzuschauen. Ich habe mich von allem INSPIRIEREN lassen“
Inmitten von alldem fand Moretz, wonach sie suchte. „Ich habe mich zu Filmen im Studio verleiten lassen und mir wurde klar, dass ich das einfach nicht bin“, sagt sie. „Ich habe mit Kick-Ass und Let Me In angefangen. Beide waren unpopulär, als sie besetzt wurden. So etwas wollte ich wiederfinden und der erste Film, der diesen Wunsch erfüllte, war Cameron Post.“
Basierend auf dem gleichnamigen Roman von Emily M. Danforth aus dem Jahr 2012, spielt Moretz in The Miseducation of Cameron Post eine Teenagerin, die in den 90er-Jahren in ein Camp geschickt wird, in dem Homosexuelle konvertiert werden. Unter der Regie der homosexuellen Filmemacherin Desiree Akhavan gewann das Drama den Grand Jury Prize beim diesjährigen Sundance Film Festival. Die Darbietung von Moretz gilt als ihre bisher beste. Die Schauspielerin arbeitete mit Akhavan daran, etwas völlig Neues auf die Leinwand zu bringen, geprägt von erwachsener Zurückhaltung und einer Leichtigkeit, die den realistischen, oftmals komödiantischen Ansatz der tragischen Erzählung abrundet. „Wir wollten die schönen Momente zeigen, die Momente, in denen es wirklich toll ist, homosexuell zu sein und man sich darüber freut, Gleichgesinnte kennenzulernen“, erklärt Moretz.
Ihre Brüder stimmten zu. „Sie waren super aufgeregt“, sagt sie. „Wir wuchsen in einer Gegend in Georgia auf, wo die Leute versuchen Homosexualität wegzubeten. Es gibt Leute in unserer Stadt, die es scheinbar geschafft haben und jetzt in glücklichen Beziehungen mit Frauen leben. Der Film erinnerte mich deshalb sehr an zuhause.“ Sie fährt fort: „Beim Lesen des Drehbuchs dachte ich immer, dass Reparativtherapien ein veraltetes Problem seien. Dann fingen wir an, uns näher mit dem Thema auseinanderzusetzen und es kamen immer mehr Informationen ans Licht. In 37 US-Bundesstaaten ist es legal und in den übrigen Staaten ist es nur bei Minderjährigen illegal. Im Grunde genommen ist es in fast ganz Amerika erlaubt. Das ist ein großes Problem.“
„Ich habe mich zu Filmen im STUDIO verleiten lassen und mir wurde klar, dass ich das einfach nicht bin. Ich habe mit Filmen angefangen, die UNPOPULÄR waren, als sie besetzt wurden. So etwas wollte ich WIEDERFINDEN“
Als Moretz den Vertrag für den Film unterschrieb, war Obama Präsident. Nach der Hälfte der Dreharbeiten wurde Trump gewählt. Moretz erinnert sich, wie sie am Tag nach der Wahl um 4:30 Uhr morgens im stillgelegten Sommerlager in Upstate New York, wo der Film gedreht wurde, aufwachte. „Wir sollten für den Drehtag fertiggemacht werden und weinten nur. Wir betrauerten, dass sich die Rechte meiner Brüder sowie die der Leute im Film einfach in Luft auflösen können“, sagt sie. „Desi war die Erste, die aufstand und uns aufmunterte, indem sie sagte, dass es richtig sei, zu weinen und zu trauern. Das Wichtigste sei jedoch, dass wir die Möglichkeit haben, diesen Film zu drehen. Wir können den Menschen die Realität vor Augen führen und uns dafür einsetzen.“
Ihre Entschlossenheit setzte sich fort, als es um den Verkauf des Films ging, der überraschenderweise zwei Monate dauerte. „Das ist der erste Film in den letzten 20 Jahren, der den Grand Jury Prize beim Sundance Film Festival gewann und nicht über Nacht verkauft wurde“, sagt Moretz. „Die Leute hatten Angst, einen Film wie diesen zu veröffentlichen. Vor allem, weil er von einer lesbischen Frau handelte, die nicht die wilden Sexfantasien mancher Männer erfüllte.“
Als nächstes hat die Schauspielerin eine Rolle in der Neuverfilmung von Dario Argentos Horrorklassiker Suspiria – In den Krallen des Bösen (1977) von Call Me by Your Name Regisseur Luca Guadagnino. Ihre Rolle darin ähnelt der von Drew Barrymore in Scream – Schrei!. „Ich bin in den ersten 15 Minuten des Films zu sehen. Es wird die Zuschauer verwirren, weil ich in verschiedenen Sprachen spreche. Es ist etwas verrückt und ich sehe auch ganz anders aus. Es ist ein Hexenzirkel, der sich als Tanzgruppe ausgibt – das Beste überhaupt.“
„Die Leute hatten Angst, einen Film wie Cameron Post zu veröffentlichen. Vor allem, weil er von einer jungen LESBISCHEN Frau handelt, die nicht die WILDEN Sexfantasien mancher Männer erfüllt“
Jetzt, da Moretz durch ihre Beziehung zu Brooklyn Beckham wieder im Rampenlicht steht, ist sie sehr daran interessiert, die Lektionen umzusetzen, die sie als Teenager gelernt hat. „Das Problem ist, dass ich eine Rebellin bin. Wenn mir jemand etwas sagt, tue ich gerne genau das Gegenteil. Ich springe kopfüber ins kalte Wasser und mache dabei noch eine Drehung“, sagt sie über ihren Umgang mit Ruhm. „Ich fragte mich, ob ich nicht einfach auf der Straße jemanden küssen und das Gleiche wie meine Freunde tun kann. Und man kann. Man kann tun, was immer man will, aber dann käme ich nach Hause und wäre sauer, weil es ein Kuss-Foto von mir auf der Straße gibt. Mein Bruder würde sagen: ‚Chloë, du kannst nicht sauer sein, weil du dafür selbst verantwortlich bist. Und ja, deine Freunde tun das, aber du bist anders als deine Freunde.‘ Ich verstand, dass ich mich damit nur selbst verletzen würde.“
Heute trifft sie ihre Entscheidungen anders. „Das ist schade, aber am Ende des Tages gibt es immer zwei Seiten der Medaille. Wenn sie dich nicht fotografieren, werden auch deine Filme nicht geschaut oder Artikel über dich geschrieben“, sagt sie sachlich. „Man denkt sich: ‚Okay, mir ist es lieber, wenn der Film geschaut wird und ich mein Leben etwas anpasse.‘“ Sie kommt damit klar. Sie lernt schnell.
Der Kinostart von The Miseducation of Cameron Post in Deutschland wird noch angekündigt.
HINTER DER KAMERA
Auf der Leinwand macht sie eine gute Figur, aber wussten Sie, dass Chloë Grace Moretz auch gerne hinter der Kamera steht? Unser Coverstar spricht über ihre Leidenschaft für die Fotografie und welche Motive sie gerne vor ihrer Linse hat…
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