Coverstory

Im Aufbruch

mit

Keira Knightley

Seit klein auf im Rampenlicht stehend ist KEIRA KNIGHTLEY schwierige Fragen gewohnt, aber was sie wirklich frustriert und teils belustigt sind Kommentare und verstaubte Sichtweisen zu wichtigen Themen wie Gleichberechtigung und Geschlechterrollen. Mit KATIE BERRINGTON spricht sie über ein Leben im Fokus der Öffentlichkeit, über ihre Familie und über Märchen, die nicht mehr zeitgemäß sind

Foto Vanina SorrentiStyling Helen Broadfoot
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„Welche Ziele sollten Frauen haben?“, fragt Keira Knightley. Es ist eine rhetorische Frage, ja, aber sie beschreibt viel von dem, über das wir heute sprechen. Wir sitzen in einem Café im Londoner Osten. Die Beleuchtung ist ,stimmungsvoll‘ genug, um nicht sofort eine zweifach oscarnominierte Schauspielerin in der Ecke zu vermuten. Ob es um die feministische Handlung ihres neuen Films, die notwendige Förderung weiblicher Geschichtenerzählerinnen oder die Tatsache geht, dass sie Mutter zweier Töchter ist, Frauen stehen definitiv im Mittelpunkt unseres heutigen Gesprächs.

Als Tochter eines Schauspielers und einer Drehbuchautorin sowie als Schwester eines älteren Bruders war Gleichberechtigung früher bei ihr zu Hause im Londoner Südwesten immer die Norm. „Meine Mutter hat häufig mehr verdient als mein Vater und es war nie ein Problem”, sagt sie achselzuckend. „Manchmal hat er mehr verdient, manchmal sie. Mir ist nie der Gedanken gekommen, dass das nicht normal sein könnte.“

Die 34-jährige Schauspielerin, deren Karriere als Jugendliche richtig ins Rollen kam, war entsetzt, als sie „in eine Welt kam, in der in der Presse darüber berichtet wurde, was [mein Partner] verdient und was ich verdiene, weil es ja anscheinend ach so bemerkenswert ist, dass eine Frau mehr verdient.“

„Die großen ZEISCHRIFTEN vermitteln Frauen ein Gefühl von SCHULD, sobald sich ein MANN von ihrem Erfolg benachteiligt fühlt“

Blazer, Hemd und Hose von Totême. Uhr von Cartier.
Kleid von Dries Van Noten. Sandalen von Simone Rocha.

Im Jahr 2013 heiratete sie den Musiker James Righton, 2015 folgte die Geburt ihrer ersten Tochter Edie und im vergangenen September die ihrer zweiten Tochter Delilah. Theoretisch noch in Elternzeit merkt sie stolz an, dass ihr Pullover heute mal keine Spuren von Erbrochenem aufweist.

Sie scheint jedoch weniger erschüttert über das übergriffige Interesse der Medien an den Finanzen ihrer Familie als über die allgemeine Message. „Die großen Zeitschriften vermitteln Frauen und Mädchen ein Gefühl von Schuld, sobald sich ein Mann von ihrem Erfolg benachteiligt fühlt. Das ist weder bei meinem Mann der Fall, noch war es das bei meinem Vater. Trotzdem suggeriert uns die Gesellschaft genau das.“

Knightley spricht erfrischend ehrlich über die Höhen und Tiefen des Elternseins, stets untermalt von ihrem herzlichen, sich selbst nicht zu ernstnehmenden Humor. Aber da ist noch mehr als Erbrochenes auf dem Pullover. Im vorletzten Jahr verfasste sie im Rahmen der mit Feminists Don’t Wear Pink – and Other Lies betitelten Essay-Sammlung von Scarlett Curtis einen eigenen Essay mit dem Überschrift The Weaker Sex, worin sie detailliert über Geburts- und Stillerfahrungen sowie die Stärke des weiblichen Körpers schreibt. Glaubt sie, dass es nötig ist, das von Instagram geschönte und auch in den Medien meist so porträtierte Mutterbild öffentlich anzufechten? „Mit ist es wichtig, einseitigen Schilderungen etwas entgegenzusetzen“, sagt sie. „Ich finde nicht, dass man das perfekte [Mutterbild] gar nicht zeigen sollte, denn ab und zu gibt es diese perfekten Momente und man sollte sie entsprechend würdigen, aber den Rest gibt es eben auch. Bei meinem ersten Kind schien es nur dieses eine Bild zu geben und ich habe mich damit komplett alleingelassen gefühlt“, erinnert sie sich. „Später, in Gesprächen mit anderen Müttern, wurde mir klar, dass unsere Realität und unsere Erfahrungen einfach nicht vollständig dargestellt wurden. Damit hatte ich ein Problem.“

„Wir müssen ALLEN Geschichten Gehör schenken, nur so können wir etwas verändern und VERBESSERN. Sinn und Zweck von Kultur und Film ist es doch, sich in die Position ANDERER zu versetzen“

Bluse von Valentino.

In ihrem neuesten Film Die Misswahl - Der Beginn einer Revolution spielt sie die feministische Aktivistin Sally Alexander, eines der Mitglieder der Frauenbewegung „Women’s Liberation Movement“, die bei der Miss-World-Wahl 1970 auf die Bühne stürmten. Der Film von Regisseurin Phillipa Lowthorpe basiert auf wahren Begebenheiten und Protagonisten bei den Protesten rund um den Schönheitswettbewerb, dabei werden weibliche Perspektiven und soziopolitische Verhältnisse gegenübergestellt. Die Mitglieder der Women’s Liberation Movement bestreikten den Wettbewerb, der erstmals in der Geschichte von einer Woman of Color, Jennifer Hosten aus Grenada (gespielt von Gugu Mbatha-Raw), gewonnen wurde. Zweite wurde Pearl Jansen, die aufgrund der damals geltenden Apartheid-Gesetze als Miss Africa South bezeichnet werden musste, weil bereits eine weiße Miss South Africa am Wettbewerb teilnahm.

Die Geschichte scheint gerade jetzt relevant zu, weil sie „eine Debatte aufgreift, die in den letzten Jahren vermehrt in den Vordergrund gerückt ist“, so Knightley. „Ich las [das Drehbuch] und dachte mir, dass wir doch genau darüber immer noch sprechen, über unseren Platz in der Welt, mit Kindern, aber auch den intersektionalen Rassismus, der stattgefunden hat. Ich sah diese großartige Story, die nicht predigen, sondern den nötigen Dialog führen will.“

Kleid von Loewe. Sandalen von Alexander McQueen.

Die Thematik des Films zeigt auf, wie wichtig es ist, die Repräsentation im Filmgeschäft zu verbessern. „Wir müssen allen Geschichten Gehör schenken, nur so können wir entscheiden, wie wir etwas verändern und verbessern können. Sinn und Zweck von Kultur und Film ist es doch, sich in die Position anderer zu versetzen, um Gemeinsamkeiten und Unterschiede festzustellen. Wenn wir das als Branche nicht tun, dann kann die Wirklichkeitsflucht noch so schön sein, sie ist eben nur eine Seite der Medaille“, so Knightley. „Die Leute wollen gehört werden, ihre Erfahrungen müssen gezeigt und gehört werden.“

Patriarchische Strukturen und frauenfeindliche Haltungen ziehen sich wie ein roter Faden durch den Film, gleichzeitig werden die weiblichen Charaktere konstant gegeneinander ausgespielt. Knightley ist sich der Doppelmoral bewusst, die Frauen mitunter anwenden. Damit meint sie, dass wir bei anderen Frauen „vielleicht manchmal strengere Maßstäbe anlegen“ und uns an dieser Stelle auch selbst hinterfragen müssen. „Es ist eine unbequeme Frage, vor allem an sich selbst“, sagt sie. „Es kann auch dazu führen, dass man plötzlich denkt: ,Oh Gott, wo kam das denn her? Das hätte ich bei einem Mann nie gemacht‘.“

„Als meine Tochter und ich Dornröschen ansahen, sagte sie: ,Es ist nicht OK, dass der Mann sie ohne ihre Erlaubnis GEKÜSST hat!‘. Ich kann gar nicht sagen, wie sehr ich mich darüber GEFREUT habe“

Kleider von Jil Sander. Sandalen von Alexander McQueen.

Eine Szene im Film hat es ihr besonders angetan, sie zeigt eine Gruppe Väter, die sich bei einem Treffen der Frauenbewegung um die Kinder kümmern (auch heute noch kein normaler Anblick, sagt sie, die meisten ,Mutterkind‘-Gruppen seien genau das, mit einigen wenigen Vätern darunter). „Von Männern wird nicht erwartet, dass sie sich um die Kinder kümmern, es ist ein Bonus“, sagt sie augenrollend. „Selbst in meinem Arbeitsumfeld wird mein Mann nie nach der Kinderbetreuung gefragt. Ich aber werde gefragt: ,Und was machst du mit den Kindern?‘“

In einer anderen Szene stellt Knightleys Filmfigur Sally entsetzt fest, dass sich ihre Tochter für Schönheitswettbewerbe im Fernsehen interessiert. Knightley hat sich in der Vergangenheit gegen die ungesunde Einflussnahme der Medien ausgesprochen. Ihre Entscheidung, bestimmte Märchenfilme (darunter Cinderella und Die kleine Meerjungfrau) aus ihrem Haus zu verbannen, weil sie keine Vorbildfunktion für ihre ältere Tochter erfüllen, machte 2018 Schlagzeilen. „Inzwischen hat sie sie aber alle gesehen”, merkt die Schauspielerin mit gespieltem Seufzen an. Doch ihr Bemühen zeigt Wirkung. „Als wir letztens Dornröschen_sahen, sagte sie: ,Es ist nicht OK, dass der Mann sie ohne ihre Erlaubnis geküsst hat!‘. Ich kann gar nicht sagen, wie sehr ich mich darüber gefreut habe. Und wenn es sonst nichts ist, _das habe ich erreicht!“

„Der UNTERSCHIED zwischen dem, wie sich FRAUEN verhalten durften und wie sich MÄNNER verhalten durften, war riesig“

Im Laufe ihrer fast drei Jahrzehnte im Filmgeschäft (im zarten Alter von sechs Jahren war sie erstmals unter Vertrag), hat sie immer wieder Rollen gewählt, die Geschlechternormen in Frage stellen. Mit 17 Jahren hatte sie ihren großen Durchbruch in Kick it like Beckham, gefolgt von Anna Karenina, die sich in eine Affäre stürzt, und der tabubrechenden Schriftstellerin Colette. „Ich bin in der Welt der Medien großgeworden und die Differenz zwischen dem, wie sich Frauen verhalten durften und wie sich Männer verhalten durften, war riesig. In vielen meiner Filme habe ich darauf geachtet, Hürden aufzuzeigen, die sich uns stellen“, sagt sie.

Eine Rolle, die sie nie akzeptiert hat, ist die des Vorbilds. Es ist eine Rolle, die ihr zu Beginn ihrer Karriere geradezu aufgedrängt wurde. „Niemand ist perfekt, alle machen Fehler, Menschen machen nun mal Fehler. Deshalb fand ich die Vorstellung, eine Vorbildfunktion innezuhalten, eher gefährlich, gerade für Jugendliche“, sagt sie bestimmt. „Als Teenagerin hatte ich den Eindruck, dass diese Rolle von mir erwartet wurde, aber es hat sich für mich immer komplett falsch angefühlt.“

Egal, ob es um Betreuungskontinuität für Mütter oder geteilte elterliche Verpflichtungen geht, Knightley geht bei ihren Überlegungen, wie sich die Gleichberechtigung in der Gesellschaft verbessern ließe, informiert und mit Bedacht vor. Allerdings hält sie sich zurzeit nicht für ausreichend qualifiziert, um den aktuellen Stand der Gleichberechtigung im Filmgeschäft zu kommentieren, auch, weil sie „seit rund einem Jahr außen vor, in der Baby-Bubble“ ist. Aber sie freut sich, dass bei ihren nächsten drei Projekten, angefangen mit Lowthorpes Die Misswahl – Der Beginn einer Revolution, eine Frau Regie führt. „Nicht, weil ich beschlossen habe, nur noch mit Frauen zu arbeiten, sondern weil ich [beim Lesen der Drehbücher] dachte: ,Das klingt interessant‘“. Auch bei Lowthorpe war die Freude groß, als sie hörte, dass Knightley die Rolle übernehmen wollte. „Ich bin vor Freude in die Luft gesprungen. [Sie ist] eine wahrlich kreative und instinktiv intelligente Schauspielerin. Sie kommt oft mit guten Ideen und relevanten Fragen ans Set“, so die britische Regisseurin.

Bluse von Givenchy. Hose von Lanvin. Sandalen von Alexander McQueen.

Knightley weiß nur zu gut um den Druck, dem Frauen in der Filmbranche im Gegensatz zu ihren männlichen Kollegen ausgesetzt sind. „Wir müssen weiblichen Regisseurinnen die Chance geben, Fehler zu machen, denn Männer bekommen diese Chance auch. Sie kommen dann mit tollen Filmen zurück, bei Regisseurinnen ist das nicht so, von ihnen wird erwartet, dass sie von Anfang an alles richtig machen.“

„Frauen müssen ihre Erfahrungen teilen dürfen, und die machen nun mal nicht immer beim Happy End Halt. Aber was bitte kommt danach?“ Knightley mag nicht für alles eine Antwort haben, aber sie scheut nicht davor zurück, die richtigen Fragen zu stellen, um die Debatte fortzusetzen.

Die Misswahl - Der Beginn einer Revolution feiert am 13. März 2020 Premiere. Der Film kommt am 11. Juni 2020 in die deutschen Kinos

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