Coverstory

Die Il­lu­si­o­nis­tin

mit

Felicity Jones

Superhelden-Blockbuster, romantische Komödien, Filmbiografien, Stars Wars – gibt es eine Rolle, der FELICITY JONES nicht gewachsen ist? Rechtzeitig zur Premiere ihres neuen Films Die Berufung - Ihr Kampf für Gerechtigkeit, in dem sie Ruth Bader Ginsburg spielt, spricht die oscarnominierte Schauspielerin über starke Frauen und die Ausführung ihrer eigenen Stunts. Von JANE MULKERRINS

Foto Matthew SproutStyling Tracy Taylor
Coverstorys
Obiges Foto: Top von Petar Petrov. Dieses Foto: Kleid von 16Arlington. Schuhe von Isabel Marant.

Ein junges Mädchen sitzt in der Nähe unseres Tisches und versucht, unsere Aufmerksamkeit zu erregen. Gleichzeit ist sie darum bemüht, nicht aufzufallen. Als ich das Felicity Jones gegenüber erwähne, die mit dem Rücken zum Raum sitzt, zögert sie keine Sekunde. Sie steht von ihrem Platz auf, begrüßt die Teenagerin herzlich und bietet an, für ein Bild mit ihr zu posieren. „Star Wars hat so einiges verändert“, sagt Jones über ihr Leben in der Öffentlichkeit. Ihr junger Fan ist derweil noch wie benebelt und setzt sich wieder hin. Die 35-jährige Britin spielte die Heldin Jyn Erso in Rouge One, dem jüngsten Film der erfolgreichen Filmreihe. „Ich hatte nie geplant, berühmt zu werden. Ich hatte einfach nur das Glück, meiner Leidenschaft folgen zu dürfen“, fährt sie fröhlich fort. „Ich möchte der Welt relevante und unterhaltsame Geschichten nahebringen und das Leben im Rampenlicht gehört eben dazu. Ich denke, man muss es einfach genießen. Man kann der Sache nicht den Rücken kehren und jammern.“

Vermutlich hat sie recht, doch nicht jede oscarnominierte Schauspielerin (sie erhielt eine Auszeichnung für ihre Rolle als Jane Hawking in Die Entdeckung der Unendlichkeit) steht dem Ganzen so herzlich und authentisch gegenüber – vor allem nicht so früh am Morgen, ohne Make-up und aufwendiges Styling. An diesem Morgen fühlt sich der Verzicht auf gewisse weibliche Schönheitsideale jedoch durchaus passend an. Wir trinken Kaffee im New Yorker Crosby Street Hotel und Jones, die eine Denim-Latzhose und einen Trenchcoat von Burberry trägt (sie war eine Zeit lang das Gesicht der Marke), spricht über ihre letzte Rolle. In der bevorstehenden Filmbiografie Die Berufung – Ihr Kampf für Gerechtigkeit spielt sie Ruth Bader Ginsburg, die renommierte Richterin des US-amerikanischen Supreme Courts, die den Spitznamen „Notorious RBG“ trägt. Einen Großteil ihres Lebens und ihrer juristischen Laufbahn hat die 85-Jährige damit verbracht, sich für die Gleichstellung der Geschlechter und die Rechte von Frauen in den Vereinigten Staaten einzusetzen. In den USA bleibt sie nach wie vor die Stimme des Fortschritts am Obersten Gerichtshof, der immer konservativer wird.

„Wir filmten Die Berufung - Ihr Kampf für Gerechtigkeit zu Beginn der #METOO-Bewegung. Bei ALLEM, was seitdem im Supreme Court passiert ist, fühlt sich die Geschichte NOCH relevanter an“

Kleid von Alexandre Vauthier. Ohrringe von Melissa Kaye. Strumpfhose von Wolford. Ring von Stone & Strand.
Top von Petar Patrov. Hose von Haider Ackermann. Schuhe von Christian Louboutin. Armband von Anita Ko. Gürtel: Eigentum der Stylistin.

Obwohl es sich um einen Historienfilm handelt, der Ginsburgs Herausforderungen und Erfolge von den 50er bis in die frühen 70er-Jahre beleuchtet, könnte das Thema nicht zeitgemäßer sein, bemerkt Jones. „Wir haben zu Beginn der #MeToo-Bewegung angefangen zu drehen. Und bei allem, was seitdem im Supreme Court passiert ist, fühlt sich die Geschichte noch relevanter an.“ Jones verbrachte Zeit mit Ginsburg in ihrem Haus in Washington D.C., wo sie 56 Jahre mit ihrem Ehemann Martin („Marty“) lebte – er starb 2010. „Wenn man bedenkt, was sie alles erreicht hat… es ist wirklich bewegend“, bemerkt Jones. „Sie musste sich diesen Weg selber bahnen und das zu einer Zeit, in der Frauen es wirklich nicht leicht hatten.“ Als sie nach Abschluss ihres Grundstudiums die Harvard Law School besuchte, war Ginsburg eine von nur neun Frauen in einer Klasse von rund 500 Männern. „Sie war ständig der Außenseiter und musste nicht nur gut sein, sondern noch besser [als die Männer]“, erklärt Jones. „Sie war so karriereorientiert und wurde regelmäßig für Jobs aber aufgrund ihrer [jüdischen] Religion und ihres Geschlechts abgelehnt.“

Der Film dokumentiert den von Sexismus und Frauenfeindlichkeit geprägten Karriereweg Ginsburgs bis zur höchsten juristischen Instanz des Landes. Auch ist er ein Portrait einer modernen Ehe mit ihrem Mann Marty (gespielt von Armie Hammer), auch Anwalt, der die Karriere seiner Frau stets uneingeschränkt unterstützte. Marty habe immer zuhause gekocht, bemerkt Jones. „Das Paar war der Ansicht, dass stereotypische Geschlechterrollen sowohl Frauen als auch Männer einschränken und dass das Patriarchat den Fortschritt lähmt.“ Sie sagt, die Wohnung sei ein Tribut an „die Überreste ihres gemeinsamen Lebens – einschließlich der Regale mit Martys Kochtöpfen.“ Jones sieht ihre eigenen Freiheiten nicht als selbstverständlich an. „Es wird von Frauen inzwischen nicht mehr erwartet, dass sie ihre Karriere pausieren, um Kinder großzuziehen“, bemerkt sie. „Wenn du das tun willst, dann ist das natürlich deine Entscheidung. Aber wenn du eine Menge Ehrgeiz besitzt, warum diesem dann nicht folgen?“

Kleid von Givenchy.

Jones wurde in Bournville, in Großbritanniens West Midlands, geboren und wuchs dort auch auf. Mit zehn Jahren schloss sie sich einer Theatergruppe an. Zu Beginn hatte sie jedoch keine großen Ambitionen. „Ich war sehr schüchtern und meine Eltern dachten, es wäre eine gute Möglichkeit, um Kontakte zu knüpfen und ein wenig aus mir herauszukommen“, erklärt sie. „Aber es war größtenteils ein Hobby. Ich war nicht Judy Garland.“ Ihr Vater arbeitete als Journalist und war eine Zeit lang für die britische Fernsehsendung The Cook Report zuständig. Heute ist er Unternehmensberater, während ihre Mutter in der Werbung arbeitete. „Zur Schule zu gehen und Hausaufgaben zu machen war bei uns zuhause sehr wichtig.“ Ihre Eltern haben sich scheiden lassen, als Jones drei Jahre alt war. „Meine Mutter legte großen Wert auf finanzielle Unabhängigkeit. Sie wusste, dass man nur so wirklich frei ist. Für mich war es deshalb schon immer wichtig, auf eigenen Beinen stehen zu können“, sagt sie. „Ich habe das Gefühl, dass es bei der Erziehung von Jungen ganz normal ist, ihnen das auf dem Weg mitzugeben. Hoffentlich wird es auch für die nächste Generation von Töchtern von Bedeutung sein.“

„Es wird nicht mehr erwartet, dass wir alles PAUSIEREN, um Kinder großzuziehen. Wenn du das tun willst, dann ist das DEINE Entscheidung, doch wenn du Ehrgeiz hast, warum dem nicht FOLGEN?“

Jones bekam schon früh einen Vorgeschmack auf ihre eigene finanzielle Unabhängigkeit. Damals wurde ihr im zarten Alter von 15 die Rolle der Emma Carter in der Soap The Archers angeboten. Ausgestrahlt wurde die in Großbritannien bekannte Serie von BBC Radio 4. „Ich erinnere mich, mir Alanis Morissettes Album Jagged Little Pill von meinem ersten Gehalt gekauft zu haben. Ich dachte: ‚So fühlt sich Freiheit an, wow!‘“ In der Serie stand sie sogar während ihres dreijährigen Studiums an der Oxford University vor der Kamera. Ihre Erfahrungen waren gänzlich anders als Ginsburgs Werdegang an der Harvard University. „Ich hatte das Gefühl, es bestünde ein Gleichgewicht – es herrschte überhaupt keine Macho-Atmosphäre“, so Jones. Sie gesteht, dass sie als Studentin viele Nächte damit verbrachte, für Drum’n’Bass-Partys nach London zu reisen. „Wir waren die ganze nach im [Club] Fabric unterwegs. Um 5 Uhr morgens nahmen wir dann den Bus zurück nach Oxford“, erinnert sie sich.

Top von Versace. Hose von 16Arlington. Ohrringe von Anita Ko.
Kleid von Veronica Beard. Schuhe von Jimmy Choo. Ohrring und Armband von Anita Ko. Strumpfhose von Wolford.

„Ich [machte meine eigenen Stunts] und alle FRAGTEN, ob es mir gut geht. Ich sagte: ‚Das ist ein TRAUM für mich! Das wollte ich schon IMMER mal machen – ein bisschen kämpfen und toben‘“

Blazer und Hose von Saint Laurent. Halskette von Anita Ko. Ring von Stone and Strand.

Eine geistige Verbindung zu Ginsburgs Ehe, wie sie im Film dargestellt wird, ist jedoch deutlich zu erkennen: Im Juni diesen Jahres heiratete sie den 46-jährigen Regisseur Charles Guard. Sie trafen sich zum ersten Mal „in einem Aufzug in Los Angeles. Eine richtige Hollywood-Liebesgeschichte für zwei Briten“, lacht sie. Guard arbeitete zu der Zeit an einer Reihe von Werbeanzeigen, während Jones für ihre Pressetour für Die Entdeckung der Unendlichkeit unterwegs war. „Ich traf ihn immer wieder im Sunset Tower Hotel“, erinnert sie sich. „Wenn ich nach zwei Wochen wiederkam, war er immer noch da. Irgendwann kamen wir ins Gespräch.“ Bei ihrer Hochzeit in diesem Sommer im Sudeley Castle in den britischen Cotswolds hebte sich Jones erneut von den typischen Hollywood-Allüren ab, indem sie sich selbst schminkte und frisierte. Bei den Feierlichkeiten waren unter anderem auch ihre ehemaligen Co-Stars Eddie Redmayne und Tom Hanks anwesend, die sie am Set von Dan Browns Inferno kennenlernte. „Tief im Inneren bin ich ein echter Hippie“, lacht sie. „Und ich schätze, ich bin einfach nicht sehr mädchenhaft.“

„Ich war INSPIRIERT von Reese Witherspoon, die die Branche mit Big Little Lies revolutionierte. Ich GLAUBE, dass es der #MeToo-Bewegung IMPETUS verliehen hat“

Seit kurzem stehen sie und Redmayne für The Aeronauts wieder gemeinsam vor der Kamera. Für den im 19. Jahrhundert spielenden Film schlüpft sie in die Rolle der Ballonfliegerin Amelia Wren. „Ich dachte, es würde ein klassisches Historiendrama werden, aber dann wurde daraus eine viktorianische Version von The Revenant“, lacht sie. Die Stuntszenen, die Jones und Redmayne selbst ausführten, umfassten Heißluftballons und alle Arten von Luftakrobatik. „Ich habe es geliebt“, schwärmt sie. „Ich hing am Korb und alle fragten, ob es mir gut geht. Ich sagte immer: ‚Das ist ein Traum für mich! Das wollte ich schon immer mal machen – ein bisschen kämpfen und toben.‘“

Ginsburg sagte bekanntlich einmal: „Man sollte sich nie vom Wetter des Tages tangieren lassen, aber es wird unvermeidlich sein, sich vom Klima der Zeit beeinflussen zu lassen.“ Ist sich Jones heute bewusst, dass sie mit ihren Rollen zum „Klima der Zeit“ beiträgt? „Am Anfang versucht man nur seine Miete zu bezahlen, weshalb man jedes Angebot annimmt“, sagt sie bedacht. „Aber in den letzten Jahren war ich besonders inspiriert von Leuten wie Reese Witherspoon, die die Branche mit ihrer Produktion von Big Little Lies revolutionierte. In vielerlei Hinsicht glaube ich, dass es der #MeToo-Bewegung Impetus verliehen hat.“ Die vielgepriesene Miniserie beleuchtete Themen wie Vergewaltigung, häusliche Gewalt und die kollektive Macht von Frauen. „Wir Schauspielerin(innen) sind Zirkusakteure, wir sind Karnevalisten“, sagt sie mit einem Lächeln. „Aber wir können etwas von Bedeutung schaffen. Das Erzählen von Geschichten kann das kollektive Bewusstsein verändern.“

Die Berufung - Ihr Kampf für Gerechtigkeit erscheint am 28. Februar 2019 im Kino

Kleid von Deitas. Ohrring von Melissa Kaye. Ohrring und Armband von Anita Ko.

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