Ins Blaue hinein
mit
Brooke Shields

Ob es an ihren ersten Filmen liegt, den ikonischen Werbekampagnen für Calvin Klein oder ihren markanten Augenbrauen, BROOKE SHIELDS ist so unverkennbar wie kaum eine andere Schauspielerin. Mit JANE MULKERRINS spricht sie über ihre umstrittene Karriere, das Brechen von Regeln und ihre Rückkehr zum Modeln mit 53 Jahren.
Es ist ein heißer Frühlingsmorgen in Manhattans West Village. Brooke Shields erscheint zum Frühstück elegant gekleidet in Skinny Jeans, flachen Schuhen, einem weißen Hemd und einer XXL-Sonnenbrille, ihre braune Haarpracht ist noch leicht feucht von der morgendlichen Dusche. Doch etwas stört das Bild – ihre Bewegungen wirken langsam und behäbig. „Schieben Sie es auf meine Broadway-Karriere“, meint sie lächelnd, untermauert ihre Äußerung mit theatralischen Gesten und zieht an einer imaginären Zigarette. „Ich kann das tatsächlich behaupten, denn es stimmt. Jede Verletzung, die ich je hatte, habe ich mir bei Auftritten zugezogen.“
Dem ehemaligen Kinderstar gelang etwas Außergewöhnliches: mit 14 Jahren war sie das jüngste Model, das jemals das Cover der amerikanischen Vogue zierte. In ihren Teenagerjahren spielte sie in einer Reihe von freizügigen Filmen, mit darunter Pretty Baby und Die blaue Lagune. Shields ist ein Workaholic, als Erwachsene arbeitete sie weiter an ihrer Karriere und erschien in TV-Komödien wie Susan oder aktuell in Jane the Virgin und trat am Broadway in Musicals wie Grease und Chicago auf.
Letzteres hatte nun Konsequenzen, sagt sie. Nach immer wieder auftretenden Problemen, unterzog sie sich im April schließlich einer Knie-OP. Um vor der Operation so fit wie möglich zu werden, engagierte sie einen Personal Trainer. „Ich hasse Fitnesstrainer und ich hasse Fitnessstudios“, erklärt sie mit Nachdruck. „Doch durch meine harte, konstante Arbeit habe ich mir mit 53 Jahren Kampagnen gesichert, die ich sonst vielleicht nicht hätte.“
Diese Aufträge beinhalten eine Werbekampagne für ein Bademodenlabel. „Ich modelte schon mit 15 Jahren Bademode und selbst damals hatte ich in meinen Augen keine Bikinifigur“, gesteht sie. „Ich war ein Covergirl, kein Supermodel. Ich hatte ein Beauty-Face mit markanten Augenbrauen und ich wurde immer als ,sportlich‘ beschrieben, nicht als ,gertenschlank‘ oder ,Laufstegmodel‘. Solche Botschaften bleiben im Kopf.“ Und diese Botschaften wurden zu Hause bestärkt. „Meine Mutter Teri, eine kontrollsüchtige Alkoholikerin und wohl die Erste, die den Begriff Momager prägte – eine Kombination aus Mom und Manager – starb im Jahr 2012 sagte im betrunkenen Zustand häufig zu mir: ,Warum bewegst du deinen fetten Arsch nicht?‘ Somit habe ich immer geglaubt, ich hätte einen dicken Arsch.“
„Ich hatte ein Beauty-Face mit markanten AUGENBRAUEN und ich wurde nie als ,LAUFSTEGMODEL‘ gesehen. Solche Botschaften bleiben im KOPF“
„Ich hatte mein ganzes Leben damit verbracht, mich zu SORGEN, dass meine Mutter STERBEN könnte. Doch das hat mich möglicherweise GERETTET und auf dem rechten Weg gehalten“
Für Millionen von Frauen, die Shields aufgrund ihrer berüchtigten von Richard Avedon fotografierten Jeans-Werbekampagne für Calvin Klein zum Idol stilisierten und sie auch heute noch verehren, mag dieses Bekenntnis schockierend sein. Doch zugleich ist es eine Erinnerung daran, wie häufig ein auf Hochglanz poliertes, scheinbar perfektes Bild etwas weitaus weniger Glückliches verschleiern kann.
Genauso wie ihre erste turbulente Ehe mit Tennisstar Andre Agassi, die nur zwei Jahre hielt und während der er heimlich von Crystal Meth abhängig war, wie er mittlerweile zugab. „Ich habe Andre gebraucht, um mich von meiner Mutter zu lösen“, erklärt die Schauspielerin und klingt geläutert. Ich hatte mein ganzes Leben ununterbrochen damit verbracht, mich zu sorgen, dass meine Mutter sterben könnte und habe alles dafür getan, dass sie am Leben bleibt. Doch das hat mich möglicherweise gerettet und auf dem rechten Weg gehalten. Ich musste das hinter mir lassen, um neu zu beginnen und ein sorgenfreies Leben zu führen“, ergänzt sie in Bezug auf ihre Ehe mit Agassi. „Doch ich musste noch so viel lernen.“
Neben einer Portion Humor („Das Comedy-Genre ermöglichte es mir, den Fokus der Leute vom Körperlichen zu nehmen“, sagt sie), war es die Begegnung mit ihrem Mann, die ihr schließlich dazu verhalf, ein positiveres Selbstbild zu entwickeln. Mit dem Drehbuchautor Chris Henchy, der an Serien wie Chaos City und Entourage mitwirkte, ist sie mittlerweile seit 17 Jahren verheiratet. „Ich ging teilweise rückwärts aus einem Raum und er sagte: ,Stopp, ich will dich festhalten.‘ Er zelebrierte meine Weiblichkeit und meinen Körper. Und ich brauchte einen Mann, der mich feiert.“
Zurück zu ihrem aktuellen Bademoden-Shooting. „Ich habe mich wirklich darauf vorbereitet“, gibt sie ohne Umschweife zu. „Ich wusste, dass ich beschämt und enttäuscht von mir wäre, wenn ich nicht so gut wie möglich aussehen würde. Ich hörte also auf, Bier und Wein zu trinken und machte dreimal die Woche Sport. Ich war die beste Version meines Selbst“, erzählt sie, bevor sie lächelnd hinzufügt: „Ich war aber auch hungrig.“
„Es gibt UNGLAUBLICH viele vermögende Frauen, die nicht PRÄPUBERTÄR, aber auch nicht wie eine ALTE Dame aussehen möchten“
Letztes Jahr modelte Shields Unterwäsche von Calvin Klein für eine Ausgabe des US-Magazins Social Life und sagte dazu: „Wir sollten nicht nur 15-jährige Körper sehen. Ich will nicht den Körper einer 15-Jährigen haben, ich möchte nicht aussehen wie ein kleiner Junge.“ Sie ist der Ansicht, dass auch Modelabels so langsam zu dieser Überzeugung gelangen. „Es gibt unglaublich viele vermögende Frauen, die nicht präpubertär, aber auch nicht wie eine alte Dame aussehen möchten.“ Auch sie selbst bedient diesen Markt und verkauft ihre Modekollektion über den Home-Shopping-Sender QVC. „Ich bin seit Jahren in der Branche und habe viel Erfahrung und die Idee war es, meine eigene Ästhetik einzubringen.“ Wie würde sie diese Ästhetik beschreiben? Nachdenklich löffelt sie eine Portion Spinat auf ihre Scheibe Toast. „Nun, wenn ich könnte, würde ich gerne eines Morgens als Französin aufwachen.“
Bis dahin verbringt Shields erst einmal den Sommer mit Henchy und ihren beiden Teenager-Töchtern in ihrem Strandhaus in den Hamptons. „Ich fühle mich am meisten wie ich selbst, wenn ich am Strand und am Wasser bin und dem Rauschen des Meeres lausche“, sagt sie. „Doch auf der anderen Seite habe ich auch großen Respekt vor dem Wasser. Ich habe Angst vor Haien und vor dunklem Gewässer. Ich begann zu surfen, um diese Angst zu bewältigen.“
Der Schutz der Meere ist eine Herzensangelegenheit für Shields. „Ich schicke meine Kinder an den Strand, um Müll aufzusammeln und wir benutzen in unserem Haus keine Plastikstrohhalme“, erzählt sie. „Ich finde es großartig, dass man für Plastiktüten in New York künftig bezahlen muss. Die Leute müssen den Worten endlich Taten folgen lassen.“
Sie bricht ab und blickt auf ihre Apple Watch, die ihr einen eingehenden Anruf anzeigt. Da sie diesen nicht als Notfall einstuft, lässt sie den Anruf unbeantwortet. Es klingelt erneut. Dieses Mal entschuldigt sie sich und geht ans Telefon. Kurz darauf bricht sie in Gelächter aus. Es ist Henchy, der anruft, um ihr zu erzählen, dass sich ein Vogel soeben auf seinem Kopf erleichtert hat, und um sich bei ihr rückzuversichern, dass das in der Tat Glück bringen soll. „Heute ist der erste Drehtag seines ersten Spielfilms, bei dem er Regie führt“, erklärt sie noch immer lachend. „Ich finde es toll, dass er sich die Zeit nimmt, um mich anzurufen und mir das zu erzählen.“
„Ich denke, dass Pretty Baby und Die blaue Lagune heutzutage nicht PRODUZIERT werden würden. Doch eigentlich waren sie HARMLOS im Vergleich zu den Pornos, zu denen man jetzt so einfach ZUGANG hat“
Wenn man bedenkt, wie vorsichtig und bedacht das Thema Sexualität derzeit behandelt wird, denkt sie da, dass die freizügigen Filme, die ihre Karriere in Gang brachten, heute noch gedreht werden würden? „Ich denke Pretty Baby nicht“, sagt sie. „Und Endless Love und Die blaue Lagune wahrscheinlich auch nicht. Doch eigentlich waren die Filme harmlos im Vergleich zu den Pornos, zu denen man heutzutage so einfach Zugang hat.“
Sie hat diese neue, puristische Doppelmoral bereits am eigenen Leib erfahren. Im Jahr 2009 wurde ein Nacktbild von ihr aus der Tate Modern in London entfernt – aus der Sorge heraus, es könnte unzüchtig sein. Das Bild entstand, als sie 10 Jahre alt war und wurde vom Künstler Richard Prince umgestaltet. „Ich wurde aus der Tate entfernt – wie viele Leute können das schon von sich behaupten?“, meint sie strahlend. „Doch durch so etwas verliert man den Glauben an Institutionen wie diese, denn der Hintergrund dieses Bilds war es, ein Statement zum Thema Re-Interpretation und dem Konzept des Kinderstars zu setzen. Die Aktion ließ sie schwach wirken.“
„Man sollte nach den STERNEN greifen, denn so wächst man automatisch über sich HINAUS. Jedes Mal, wenn ich etwas NEUES tue, bin ich überrascht, wie weit ich komme“
Ihre Töchter Rowan und Grier sind heute 15 und 12 Jahre alt. „Sie sind viel reifer als ich es in ihrem Alter war“, berichtet sie. „Sie fühlen sich wohl in ihrem Körper und sind zufrieden mit sich. Sie sind genauso stur und stark wie ich, aber sie sind auch ausgeglichener. Ich beneide sie sehr darum, doch ich habe natürlich meinen Anteil daran.“ Rowan arbeitet auch eherenamtlich für Women in Need, eine Hilfsorganisation für Obdachlose, für die Shield eine Botschafterin ist.
Sie ist sich unsicher, ob ihre Töchter ihr einmal ins Modell- oder Schauspielbusiness folgen werden. Im Vergleich zu Cindy Crawfords „außergewöhnlich schöner“ Tochter bezeichnet sie deren Aussehen als „schön im konventionellen Sinn“. „Sie machen ständig Selfies, leihen sich meine Klamotten und drehen kleine Videos. Ich glaube sie fragen sich, warum sie es jemand anderem überlassen sollten, wenn sie selbst darüber bestimmen können“, überlegt sie. Rowan ist eine talentierte Sängerin. „Aber ich habe ihr gesagt, sie braucht eine Ausbildung. Und egal, wer deine Eltern sind, entweder man hat es oder nicht und man muss bereit sein, alles dafür zu geben, es ist kein Hobby.“
In jedem Fall haben ihre Töchter ein starkes Vorbild. In einer Branche, die berüchtigt dafür ist, stets nach Neuem zu streben, ist Shields’ Langlebigkeit eine Seltenheit. „Ich bin sehr ehrgeizig“, gesteht sie. „Und ich bin eine Perfektionistin und verabscheue es, wenn mir gesagt wird, dass ich etwas nicht tun kann. Ich kenne meine Grenzen, dennoch finde ich, sollte man nach den Sternen greifen, denn so wächst man automatisch über sich hinaus. Jedes Mal, wenn ich etwas Neues tue, bin ich überrascht, wie weit ich komme.“
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