Coverstory

Star ohne Grenzen

mit

Kate Winslet

Kate Winslet über die Filmbiografie „Lee“, die TV-Serie „The Regime“, Familie & Ruhm

KATE WINSLET ist kein gewöhnlicher Filmstar – wie kaum jemand anderem gelingt es ihr mit erfrischender Gelassenheit und Selbstbeherrschung sowohl die „globale Ikone“ als auch die „Everywoman“ zu verkörpern. Doch wie schafft sie das alles? Im Interview mit PANDORA SYKES blickt sie auf drei Jahrzehnte Hollywoodkarriere zurück und spricht über ein Leben ohne Reue, die Zusammenarbeit mit ihren Kindern und warum sie bei ihren künstlerischen Entscheidungen stets über ihre Grenzen hinauswachsen möchte

Foto Yulia GorbachenkoStyling Charlotte Blazeby
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Auf diesem Bild: Hemd von Valentino Garavani; Hose von Khaite; Ohrringe von Suzanne Kalan; Uhren aus Kates eigenem Besitz. Titelbild: Blazer von Khaite; Kleid von Wardrobe.NYC; Ohrringe von Isabel Marant

Hollywoods A-Promis und Spitzenklasse an Schauspielern als bodenständig zu bezeichnen, ist beinahe schon zur Norm geworden und geht nicht selten mit einem leicht genervten Augenrollen einher. Doch im Fall von Kate Winslet besteht hierbei kein Zweifel – denn trotz ihrer beeindruckenden Karriere mit 32 Filmen, fünf Golden Globes, einem Oscar sowie zahlreichen weiteren Auszeichnungen scheint sie die Bezeichnung „down to earth“ wahrhaftig und mit Leib und Seele zu verkörpern. Mit einem Angestellten in ihrem örtlichen Parkhaus in West Sussex witzelt sie gelassen über ihre Einparkkünste, nachdem sie mich höchstpersönlich (und ohne ihre Pressesprecherin im Schlepptau) vom Bahnhof abgeholt hat; mit der Kellnerin quatscht sie in fehlerfreiem, schottischen Dialekt über die Qualität des Tees („Ooh, a wee brew!“), während sie anschließend einen in Lederkluft gekleideten Motorradfahrer, der seine Ehegattin als größten Winslet-Fan überhaupt deklariert, mit Umarmung und heiß begehrtem Selfie-Foto ehrt. Kate Winslet strahlt diese Aufrichtigkeit und Wärme aus, die weit über Filmstar-Charme und Charisma hinaus gehen. Einfach nur faszinierend…

„Die #MeToo-Bewegung hat in uns allen etwas ausgelöst – hinsichtlich allem, [was wir] HINTER uns lassen und was wir selbst für uns Frauen AUSDRÜCKEN möchten“

Diese Gelassenheit spiegelt sich auch in einer ihrer jüngsten Filmrollen in Lee wider, in welcher Winslet das abenteuerliche, amerikanische Model und spätere Kriegsfotojournalistin Lee Miller portraitiert. „Was mich an Lee ganz besonders inspiriert hat, ist ihre Losgelöstheit von ihrem Körper und ihr damit verbundenes, persönliches Freiheitsgefühl. Meiner Meinung nach ist das sehr untypisch für bekannte, historische Frauenfiguren – und ebenso untypisch und selten für Frauen aus der heutigen Zeit.“

Blazer und Hemd von The Row; Ring (linke Hand) von Ileana Makri; Ring (Zweier-Set, an der rechten Hand) von Spinelli Kilcollin
Blazer, Hose, Hemd und Schuhe von The Row; Ring von Ileana Makri

Die Dreharbeiten zum Film dauerten ganze acht Jahre – und als die Projektförderung zeitweise auf der Kippe stand, finanzierte die Schauspielerin die gesamten Lohnkosten der Besetzung und Crew für zwei Wochen kurzerhand aus eigener Tasche. „Aufgeben war schlichtweg keine Option“, erklärt sie ganz nüchtern. „[Miller] hat sich stets für Gerechtigkeit und Wahrheit stark gemacht… sie hatte diese emotionale und charismatische Anziehungskraft, war sexy und zugleich unglaublich talentiert in ihrem Beruf und hatte diese einzigartige Verbindung zu Menschen – das inspiriert mich ungemein. Wir leben in einer Zeit, in der Frauen diese Inspiration von anderen Frauen brauchen. Die #MeToo-Bewegung hat in uns allen etwas ausgelöst,“ fährt Winslet fort, „hinsichtlich allem, [was wir] hinter uns lassen und was wir selbst für uns Frauen ausdrücken möchten.“

Der zutiefst berührende und unsagbar fesselnde Film zeichnet die Wahrnehmung von Miller vollkommen neu und basiert auf dem Buch The Lives Of Lee Miller von Millers Son Antony Penrose aus dem Jahr 1985. „Lee wurde bislang vor allem auf ihre Beziehungen zu Männern reduziert,“ so Winslet. „Doch wir wollten den Fokus ganz bewusst auf ihren weitaus interessanteren Lebensabschnitt lenken: eine Frau mittleren Alters mit all ihren Makeln, die in den Krieg gezogen ist, um das Geschehen zu fotografieren.“ Wie fühlte es sich an, Miller zu spielen? „Fucking powerful.“

„Ich habe eine Familie. Die ist mein ganzes LEBEN… [An einem idealen Morgen] stehe ich um sechs Uhr auf, gehe mit den HUNDEN Gassi und genieße dann eine Tasse Tee, während ich in einem meiner Kochbücher SCHMÖKERE“

Hemd von Stella McCartney; Ring von Ileana Makri

Zuletzt brilliert Winslet in der sechsteiligen HBO-Serie The Regime von Succession-Autor Will Tracy, mit Stephen Frears und Kate Winslet als ausführende Produzenten. Die Satire ist im Kontrast zu Lee geradezu leichte Kost und spielt in einem fiktiven Land in Zentraleuropa, das von der mit einer Keim-Phobie geplagten Diktatorin Elena (der Kanzlerin) regiert wird. Diese verliebt sich hoffnungslos in den gebeutelten Soldaten Korporal Zubak (gespielt von Matthias Schoenaerts), der als Elenas persönlicher ‚Feuchtigkeitskontrolleur‘ eingestellt und rasend schnell zu ihrem Liebhaber wird – und das alles vor den Augen ihres geistig verwirrten Ehegatten. „Wir sind einfach zwei kleine Wahnsinnige, die perfekt zueinander passen,“ säuselt Elena Zubak zu.

In weiteren Rollen glänzen Hugh Grant, Martha Plimpton und Andrea Riseborough, an deren Seite Winslet bereits für Lee vor der Kamera stand („Ich möchte nur noch mit Andrea arbeiten,“ schwärmt sie leidenschaftlich) und machen The Regime zu dieser verrückten, schockierenden und verruchten Serie, deren Dreharbeiten Winslet in vollen Zügen genoss: „Ich kann Ihnen gar nicht von all den witzigen Outtakes erzählen!“

Hemd von Stella McCartney; Ring von Spinelli Kilcollin
Mantel von Magda Butrym; Hose von Toteme; Loafers von Tod’s

„Ich wusste, dass ich meiner Kreativität freien Lauf lassen konnte,“ erklärt sie in Bezug auf Elenas amüsant übertriebenen Dialekt und die überlangen, künstlichen Fingernägel, „denn schließlich soll es auch absurd rüberkommen. Mir war es wichtig, alles Mögliche zu tun, um diesen Charakter dermaßen überzogen darzustellen, dass das Publikum die Kanzlerin gar nicht ernst nehmen kann. Elena „hat aufgrund einer sehr bizarren Kindheit sichtliche Schwierigkeiten im Umgang mit der Welt und auch mit sich selbst“. Sie spricht die Nation mit „meine Lieben“ an, beschallt die Öffentlichkeit regelmäßig mit ihren Gesangsdarbietungen (die Gesangstalent Winslet absichtlich schräg klingen lässt) und bahrt ihren verstorbenen Vater in einem gläsernen Sarg im Keller auf. „Es ist einfach sowas von grotesk,“ lacht die Schauspielerin.

Elena und Zubak geben ein wahrhaft schreckliches Paar ab – beide sind beängstigend empfindlich und gleichzeitig tyrannisch und begeben sich sogar in die Hände einer Ehetherapeutin, die mit Souveränität von Julia Davis aus Nighty Night verkörpert wird und zu deren größten Fans Kate Winslet gehört. „Es ist diese furchtbare Kombination zweier Menschen, die keinesfalls zusammen sein sollten, sich aber Hals über Kopf ineinander verlieben.“ Selbstverständlich nimmt die Geschichte eine dramatische Wende, sogar so dramatisch gut, dass Winslet noch im Bett darüber nachdenkt.

Fucking Mare… Ich habe es GELIEBT, sie zu spielen. [Aber] es war verdammt HART… [und] es hat ewig gedauert, sie aus meinem GANZEN SYSTEM herauszubekommen“

Seit 1992 gab es lediglich drei Jahre, in denen die britische Schauspielerin in keinem Film oder keiner Fernsehserie mitgewirkt hat. Obwohl sie gesteht, den Sinn von Freizeit nicht vollkommen zu verstehen, streitet sie ab, ein Arbeitstier zu sein. Stattdessen widme sie sich einem Projekt pro Jahr und gönne sich anschließend ausreichend Freiraum: „Ohne diese Auszeiten übernehme ich mich schnell zu sehr.“ Zudem brauche es eine gewisse Zeit, um die jeweiligen Charaktere wieder abzustreifen. In Mare of Easttown aus dem Jahr 2021 schlüpfte sie in die Rolle der sorgenschweren Detektivin Mare aus Pennsylvania und gibt murrend zu, immer noch von „Fucking Mare“ heimgesucht zu werden. Hoffnungsvoll frage ich sie, ob es eine zweite Staffel der Erfolgsserie geben wird. „Sag niemals nie,“ antwortet sie nachdenklich. „Ich habe es geliebt, Mare zu spielen. [Aber] es war verdammt hart… [und] es hat ewig gedauert, sie aus meinem ganzen System herauszubekommen.“

Momentan befindet sich die 48-Jährige in einer solchen Auszeitphase, um an ein paar Dingen zu tüfteln und sich vor allem ihrer Leidenschaft fürs Kochen zu widmen. „Ich habe eine Familie. Die ist mein ganzes Leben.“ An einem idealen Morgen „stehe ich um sechs Uhr auf, gehe mit den Hunden Gassi und genieße dann eine Tasse Tee, während ich in einem meiner Kochbücher schmökere.“ Das Familien- und Berufsleben überschneiden sich inzwischen, denn auch ihre beiden Kinder Joe (ihr 21-jähriger Sohn aus der Ehe mit Sam Mendes) und Mia (ihre 23-jährige Tochter aus der Ehe mit Jim Threapleton) sind in die Fußstapfen ihrer Mutter getreten und gehen einer Schauspielkarriere nach. Mit ihrem dritten Ehemann Edward Abel Smith hat sie außerdem den 10 Jahre alten Sohn Bear. Mia und Joe spielten beide an der Seite ihrer Mutter in dem TV-Drama I Am Ruth aus dem Jahr 2021. Winslet verkörpert eine Mutter, die verzweifelt gegen die toxische Social-Media-Sucht ihrer depressiven Teenager-Tochter kämpft. Mia ist herausragend in der Rolle, ihr schmerzerfüllter Zorn beim endlosen Starren auf den Smartphone-Bildschirm geht unter die Haut. „Glücklicherweise sind beide großartig,“ bestätigt Winslet. „Es hat sich ganz normal angefühlt“, mit beiden vor der Kamera zu stehen. „Meine Kinder haben mit mir Texte für Rollen auswendig gelernt, seitdem sie lesen können. Sie haben mich sehr oft verzweifelt beim Proben erlebt. Sie haben mich stets auf diesem Weg begleitet.“

Mantel von The Row
Mantel und Gürtel von The Row; Ohrringe von Suzanne Kalan

„Als ELTERNTEIL fühlt man sich automatisch SCHULDIG, sobald die Kinder im Teenager-Alter TRAUMATISCHE Erfahrungen erleiden“

Jacke und Hose von Khaite; Loafers von Tod’s

Im echten Leben verfügt keiner der drei Schauspieler über irgendeine Art von Social Media, und dennoch folgen ganze eine Millionen User dem „absoluten Fake-Account“ @kate.winslet.official auf Instagram. Was nicht bedeutet, dass die in dem TV-Drama gezeigten Probleme kein bekanntes Thema sind. „Ich habe das bei so vielen Mädchen mit ansehen müssen. Die Altersgenossinnen meiner Tochter haben mit mir darüber gesprochen.“ Es hätten sie noch nie zuvor so viele Menschen auf ein Filmprojekt angesprochen wie auf I Am Ruth. „Letztens ist eine Parkplatzwächterin in Tränen ausgebrochen, als sie mich sah und brachte nur ‚I Am Ruth‘ heraus. Als Elternteil fühlt man sich automatisch schuldig, sobald die Kinder im Teenager-Alter traumatische Erfahrungen erleiden. Was folgt, ist diese unangenehme Scham – und diese Scham lässt einen verstummen, man teilt diese Gefühle mit niemandem. Mir war es wichtig, eine Geschichte zu erzählen, die Menschen eine Plattform für genau solche Gespräche bietet. Und das Resultat war schlichtweg überwältigend.“

Mantel von The Row
Mantel von The Row; Ring von Spinelli Kilcollin

Beim Vergleich ihrer Karriereanfänge stellt Winslet fest: „Alles ist anders heutzutage. Mia ist eine sehr starke Persönlichkeit. [Junge Frauen] wissen heute, ihre Stimme für sich selbst einzusetzen.“ Sie erinnert sich an ihren Durchbruch mit dem Blockbuster Titanic, als sie gerade mal 22 Jahre jung war: „Ich hatte das Gefühl, ein ganz bestimmtes Aussehen haben zu müssen, oder ein ganz bestimmtes Etwas zu verkörpern, und der Druck der Medien war so extrem zu der Zeit, das hat mein damaliges Leben nicht gerade einfach gemacht.“ Sie hält einen Moment inne und fährt fort: „Die Journalisten haben ständig zu mir gesagt, ‚Nach Titanic hätten Sie doch alle Rollen der Welt bekommen, doch Sie haben stattdessen diese kleinen Sachen gewählt‘… und ich habe dann gekontert, ‚Yeah, genau das habe ich gemacht! Denn ob Sie es glauben oder nicht, derart berühmt zu sein war einfach schrecklich‘. Natürlich war ich unendlich dankbar. Ich war in meinen Zwanzigern und konnte mir meine eigene Bude leisten. Aber ich wollte nicht nonstop verfolgt werden, sogar beim Entenfüttern im Park.“

Mit welchen Gefühlen steht sie Ruhm heute gegenüber? „Ach dieses Wort ist sowas von lächerlich! Ich nehme es nicht allzu ernst. Nicht, dass ich es als eine Belastung oder so sehe. Der Film [Titanic] bringt so vielen Menschen nach wie vor so viel Freude. Nur wenn ich irgendwo auf einem Boot oder Schiff bin, denke ich automatisch ‚Oh Gott, schnell verstecken!‘.“ Auf meine Frage, ob sie das virale Meme kennt, das folgende Beschreibung trägt: ‚Find yourself someone who looks at you the way Leo looks at Kate‘ (Finden Sie jemanden, der sie so verliebt ansieht, wie Leo Kate anschaut), lacht sie lauthals auf. Nein. „Er sieht mich auf diese Weise an, weil er weiß, dass ich diese Fassade durchschaue.“ Sie pausiert kurz. „Ich glaube, wenn man etwas so Außergewöhnliches in diesem jungen Alter erlebt… wir sind gemeinsam durch diese Zeit gegangen.“

Es überrascht auch nicht im Geringsten, dass die Schauspielerin ohne Reue oder Konkurrenzdenken auf ihre Karriere zurückblickt – sie habe nichts getan, was sie später bereut hätte oder ungeschehen machen möchte. „Ich war stets so begeistert von dieser Person, die all das gemeistert hat. ‚Ja! Du allein hast das geschafft.‘ Kein Bedauern. Kein bisschen. Das ist schlichtweg nicht meine Art zu denken.“ Und mir wird schlagartig bewusst, wie aufrichtig diese Aussage ist, als ich Winslet betrachte, wie sie erneut eine junge Frau andächtig umarmt, die ihr gerade offenbarte, wie viel ihr I Am Ruth bedeutet habe.

The Regime wird ab dem 3. März auf HBO zu sehen sein, und alle sechs Episoden werden im Vereinigten Königreich exklusiv auf Sky Atlantic und Now TV ausgestrahlt. Lee kommt im Laufe dieses Jahres in die Kinos

Blazer von Stella McCartney

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