Die Geheimnisvolle
mit
Cate Blanchett

Im Vorfeld ihrer mit Spannung erwarteten Rückkehr auf die Londoner Theaterbühne in Tschechows The Seagull (‚Die Möwe‘) spricht die facettenreiche Schauspielikone CATE BLANCHETT mit KATIE BERRINGTON über ihren neuen Spionagethriller Black Bag, ihre beispiellose Karriere, das Leben abseits des Rampenlichts und die geheimnisvolle Kraft der Neuerfindung
Innerhalb der letzten Jahre konnten wir Cate Blanchett auf der Leinwand in ihren Rollen als Chefdirigentin eines Orchesters, berühmte Dokumentationsjournalistin, Talkshow-Moderatorin und nun als Top-Geheimagentin bewundern. „[Ich bin] eine Alleskönnerin, die gleichzeitig nichts so richtig kann!“, witzelt sie. „Man verbringt sein Leben damit, sich in andere Charaktereigenschaften und Lebensumstände hineinzuversetzen, und sobald der Job erledigt ist, ist das alles auch schon wieder vergessen.“
Eine ziemlich bescheidene Selbstbeschreibung einer zweifachen Oscarpreisträgerin (ganz zu schweigen von jeweils vier Golden Globes und BAFTA-Auszeichnungen sowie Nominierungen für Emmys und Tonys), Produzentin und Philanthropin, die weithin als eine der bedeutendsten Schauspielerinnen unserer Zeit auf Bühne und Leinwand gilt. Dennoch gibt sich Blanchett zurückhaltend: An ihrem freien Tag zwischen Theaterproben erscheint sie für unser Treffen ganze 20 Minuten zu früh, das Haar nach hinten gesteckt, in einer schwarzen Lederhose und einem weiten Rollkragenpullover – wenngleich ihre große rosafarbene Sonnenbrille den Hollywood-Star dahinter erahnen lässt. Sie versucht, ein Ladegerät für ihr Handy aufzutreiben, um ein Zugticket herunterzuladen.
„Mein Mann und ich hatten geplant, uns ganz altmodische und klobige Analog-Telefone zuzulegen. Bisher ist das aber noch nicht passiert“, erzählt sie mir bei einer Tasse doppeltem Espresso. „Ich muss mein Leben von drei E-Mail-Adressen und zwei Telefonnummern entkoppeln… Aber dann fällt so vieles durchs Raster. Ich wäre eine miserable Spionin. Ich kann mir nichts merken! Hier oben bleibt bei mir so gut wie nichts hängen“, meint sie, während sie sich demonstrativ mit dem Finger an die Schläfe tippt.
„Die Ansprüche meines LEBENS abseits der Arbeit sind intensiv und PRÄSENT und sehr erfüllend – doch wenn ich abschalte, bin ich in einer völlig anderen REALITÄT“
Ungeachtet dessen überzeugt die 55-Jährige mit erstaunlicher Leichtigkeit in Steven Soderberghs packendem neuen Spionagefilm Black Bag, in dem sie und ihr Ehemann (gespielt von Michael Fassbender) – beides renommierte Geheimdienstagenten – sich auf ein regelrechtes Katz-und-Maus-Spiel mit der nationalen Sicherheitsbehörde einlassen und dadurch ihre Ehe in Gefahr bringen. Auch die hochkarätige Besetzung der Nebenrollen kann sich sehen lassen: Pierce Brosnan, Marisa Abela, Naomie Harris, Tom Burke und Regé-Jean Page.
„Es ist ein Spionagethriller, bei dem allerdings die Ehe der beiden im Mittelpunkt steht“, erzählt sie. „In ihrem Beruf könnten sie die Sicherheit der Person, die sie am meisten lieben, aufs Spiel setzen, wenn sie einander die ganze Wahrheit sagen. Das ist eine wunderschöne Metapher für eine Ehe – wenn man sich darauf einigt, nicht zu erfahren, was jemand weiß. Man muss sich gegenseitig Vertrauen schenken. Und das fällt natürlich am schwersten.“
Blanchett und Fassbender ließen sich bei den Dreharbeiten von diesem Sinn für Geheimhaltung leiten. „In gewisser Weise hatten wir uns dazu entschieden, nicht zu wissen, was uns nicht gesagt wurde. Es war klar, dass beide Charaktere eine innige körperliche Bindung und eine sehr tiefe Verbundenheit spüren. Und sie würden buchstäblich füreinander sterben. Das ist eine ziemlich gute Basis für eine Ehe“, lächelt sie.
Im echten Leben versteht Blanchett nur zu gut, was es heißt, Seite an Seite mit ihrem Ehemann zu arbeiten. Im Laufe ihrer fast drei Jahrzehnte währenden Beziehung mit Regisseur und Autor Andrew Upton gab es bereits zahlreiche gemeinsame Projekte – unter anderem leiteten beide mehrere Jahre lang die Sydney Theatre Company. „Wir hatten vereinbart, dass er die künstlerische Leitung übernimmt, solange ich im Proberaum war, und ich wiederum die künstlerische Leiterin sein würde, wenn er im Proberaum war. So konnten wir mit einem ausgewogenen Maß an Unabhängigkeit und Disziplin im Raum präsent sein.“
Im Gegensatz zu den sich überlappenden Karrierelaufbahnen des Ehepaars findet Blanchett, dass ihr Berufsleben und ihr privater Alltag auf dem Land im britischen East Sussex gänzlich separat verlaufen. „Die Ansprüche meines Lebens abseits der Arbeit sind intensiv und präsent und sehr erfüllend, und manchmal überschneidet sich beides, aber wenn ich abschalte, bin ich in einer völlig anderen Realität.“
Es sei äußerst hilfreich, dass ihre Kinder – drei Söhne im Teenageralter und Anfang 20 sowie eine jüngere Tochter – „sich nicht im Geringsten darum scheren, was ich den ganzen Tag mache. Und das sollten sie auch nicht. Genauso wenig, wie ich meine Kinder per GPS orte und ihr Leben per Überwachungskamera auf Schritt und Tritt verfolge. Aber wir stehen uns sehr nahe“, fügt sie hinzu.
„Und dann habe ich angefangen, wieder Dinge anzuziehen, die ich schon SEHR LANGE nicht mehr getragen hatte, ERBSTÜCKE von meiner MUTTER und Großmutter“
Black Bag ist, wie sie es beschreibt, „so wunderbar stylish“. Bei der Garderobenauswahl für ihre Agentenrolle arbeitete Blanchett mit der Kostümbildnerin Ellen Mirojnick zusammen: Lederjacken, Trenchcoats und luxuriöse Strickmode. Im Alltag greift sie gerne auf altbewährte Favoriten aus ihrem Kleiderschrank zurück und schreitet oft im selben Look über den roten Teppich (wie zum Beispiel ihr Outfit bei den Golden Globes, welches sie bereits letztes Jahr in Cannes erstmalig präsentiert hatte). Schon vor Jahren bestand eine Freundin darauf, ihre gesamte Garderobe nach Farbcodes zu ordnen, um das „organisierte Chaos“ zu beseitigen.
„Und dann habe ich angefangen, wieder Dinge anzuziehen, die ich schon sehr lange nicht mehr getragen hatte, Erbstücke von meiner Mutter und Großmutter“, erzählt sie. Das farbcodierte Ordnungssystem hilft ihr bei der Auswahl ihrer Outfits, vor allem „an Tagen, an denen [man] sehr beschäftigt ist, nicht geschlafen hat oder den Traum oder Albtraum noch nicht abgeschüttelt hat. Dann [denkt] man sich: ‚Ich werde heute nackt gehen. Das wäre doch einfacher, viel aufrichtiger‘“, lacht sie.
Blanchett arbeitete bereits 2006 für das Neo-Noir-Krimidrama The Good German mit Soderbergh zusammen. An dem amerikanischen Regisseur bewundere sie insbesondere, dass dessen „Modus Operandi darin besteht, zu unterhalten und den Leuten ein zugängliches und gleichzeitig cleveres Zuschauererlebnis zu bieten“. Über ihren eigenen, sehr breit gefächerten Geschmack bei Projekten (der, wie sie betont, „einen Haufen dummes Zeug“ umfasst) sagt sie, dass sie grundsätzlich den Wunsch hege, „so viele verschiedene Zuschauergruppen wie möglich anzusprechen“.
Als Teil der Produktionsfirma Dirty Films, die Blanchett und Upton zusammen mit Coco Francini gründeten, rief sie jüngst das Programm Proof of Concept ins Leben, welches Frauen, transsexuellen und nicht-binären Filmschaffenden eine Plattform, finanzielle Unterstützung und Mentoring bietet. „Aber es geht um das Grundgerüst. [Es geht darum], dass diese Aspekte gesehen und gehört werden“, so Blanchett über den Gesamtzusammenhang, „denn es ist eine homogene Branche, es ist keine gesunde Branche. [Sie wird] von vielen skrupellosen und unheilvollen Einflüssen belagert.“
„Aber finden Sie nicht, dass es im Augenblick unabhängig von der Branche schwierig ist, zu wissen, wofür man seine Energie aufwenden soll…? Es gibt so vieles, was verwirrend und herzzerreißend ist und wütend macht angesichts der Lage, in der wir uns aktuell befinden.“
Trotz der allgemeinen Diskussionen über bedeutsame Veränderungen in ihrer eigenen Branche stellt sie fest, dass dieser Prozess nur schleppend vorankommt. „Jeder spricht über die #MeToo-Bewegung, als ob sie längst vorbei wäre, und um ehrlich zu sein bin ich der Meinung, dass sie niemals so richtig Fuß gefasst hat. Es wurde versucht, die Stimmen, die gerade erst zum Vorschein gekommen waren, zu zerschlagen und zu diskreditieren. Ich finde es ziemlich beunruhigend, [inwiefern] die Bewegung kaum Fuß gefasst hat.“
Sie fühle sich inspiriert von der aufstrebenden Generation an Schauspielern und von allem, was diese mit sich bringt – darunter ihr aktueller Co-Star Abela sowie Emma Corrin, mit der sie bei der anstehenden Produktion von The Seagull im Barbican Theatre in London zu sehen sein wird. „Deren Sichtweise auf eine Szene unterscheidet sich natürlich grundlegend von meiner oder der von jemandem aus meiner Generation. Ich bin nicht nur erstaunt über die Lebhaftigkeit ihres Denkens, sondern auch über ihre künstlerischen Reserven, die ich mir in ihrem Alter nicht einmal ansatzweise hätte erträumen können.“
Blanchett startete das Jahr 2025 am Polarkreis, wo sie mit ihrer Familie buchstäblich das Eis brach. Umso mehr war sie begeistert, dass ihre Kinder alle bereit waren, über den Jahreswechsel in das null Grad kalte Wasser einzutauchen. „Wir dachten, unsere Jungs würden nicht mitkommen wollen, aber sie waren alle dabei und haben mitgemacht. Es war ein wirklich toller Ausflug.“
Auch dem kalten Klima ihrer britischen Wahlheimat gibt sich die Australierin gänzlich hin und beginnt nahezu jeden Morgen mit einem Sprung ins kühle Nass. „Es schockt dich zurück in die Gegenwart“, erzählt sie – und wie sich herausstellte, teilt sie diese Faszination mit Fassbender. „Wir sind zwei der langweiligsten Menschen der Welt, wenn man uns zuhört, wie wir uns über Kaltwasserschwimmen unterhalten!“
Direkt nach ihrer Reise folgten die Proben für The Seagull unter der Regie von Thomas Ostermeier. Für Blanchett ist dies ihr erstes Theaterstück seit sechs Jahren, und obwohl sie noch nicht genau einschätzen kann, ob sich die Rückkehr auf die Bühne wie eine Heimkehr anfühlt („Das sage ich Ihnen, [wenn es losgeht]!“), ist es ein Ort, an dem sie große Erfüllung findet. „Ich fühle mich auf der Bühne sowas von lebendig. Irgendwie befreit.“
Neben Emma Corrin gehört auch Tom Burke zur Besetzung – somit arbeiten Blanchett und er bereits zum zweiten Mal innerhalb von etwas mehr als einem Jahr zusammen. Burke selbst beschreibt es als eine „elektrisierende“ Erfahrung: „Cate ist unglaublich wandelbar, sowohl auf der Bühne als auch abseits davon. Es steckt etwas völlig Wildes in ihrer einzigartigen Gelassenheit.“
„Ich glaube, dass man sich im Laufe der JAHRE automatisch ein DICKES FELL zulegt. Dennoch sollte man NIE vergessen, dass man es auch wieder ablegen kann“
Ich frage sie, ob es bei einer so erfolgreichen Karriere wie ihrer noch irgendwelche Aspekte in ihrem Job gäbe, für die sie Selbstvertrauen oder Mut aufbringen muss? „Oh, es fühlt sich immer an wie der erste Schultag. Das hat sich nicht geändert“, sagt sie über den Beginn von etwas Neuem. Und lange Berufserfahrung kann auch seine Schattenseiten haben.
„Das Wundervolle daran, wenn man mit etwas Neuem anfängt, ist, dass niemand irgendwelche Erwartungen an dich stellt. Man hat keinerlei Spuren von vergangenen Projekten hinterlassen, keiner hat eine voreingenommene Meinung über dich. So hat man viel mehr Freiheit, alles Mögliche zu werden oder zu sein. Je mehr du erreichst, desto härter musst du wohl oder übel daran arbeiten, alle Vorurteile abzubauen. Aber die Leute werden letztendlich denken, was auch immer sie denken, und ich glaube, dass man sich im Laufe der Jahre automatisch ein dickes Fell zulegt. Dennoch sollte man nie vergessen, dass man es auch wieder ablegen kann.“
Unsere gemeinsame Stunde neigt sich dem Ende zu und ich weiß, dass ihr ein vollgepackter Nachmittag bevorsteht, an dem sie ihren freien Tag vollständig auskosten wird. Ich schiebe noch eine letzte Frage ein. Wie setzt sie Grenzen, um all die Ansprüche an sie unter einen Hut zu bringen? „Begrenzte Gesprächszeit für Interviews“, antwortet sie lachend. „Nein, ich habe, glaube ich, ein ziemlich lockeres Verhältnis zum Leben. Und ich will auch nicht zu starrköpfig werden“, hält sie inne und lächelt selbstironisch, „aber so etwas sagen ja auch nur starrköpfige Menschen.“
„The Seagull“ wird ab dem 26. Februar im Barbican Theatre in London aufgeführt; „Black Bag“ läuft ab dem 14. März in den US-Kinos und ab dem 21. März im Vereinigten Königreich.