Coverstory

Der Rosie-Effekt

mit

Rosie Huntington-Whiteley

Supermodel, Unternehmensgründerin und Fashion-Mogul zugleich: ROSIE HUNTINGTON-WHITELEY gilt zweifelsohne als eine Naturgewalt, die kaum zu bremsen ist. Hier spricht sie mit OSMAN AHMED über ihre Kollaboration mit Wardrobe.NYC, ihr Familienleben, wie sie eigene Wege geht und das befreiende Gefühl, sich nicht mehr beweisen zu müssen

Foto Max HoellStyling Marquessa Whyte
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Auf diesem Bild: Oberteil, Rock und Stiefel von The Row. Titelbild: Mantel von Jil Sander; Schuhe von Saint Laurent

„Normalerweise bin ich nicht so aufgebrezelt“, schwört Rosie Huntington-Whiteley mit diesem typisch britischen, leicht selbstironischen Charme, während sich die Tür zu ihrer Zweitwohnung in Chelsea öffnet. Goldene Kettenanhänger schwingen über ihrem Tank-Top von Hermès, dazu trägt sie einen Rock von Wardrobe.NYC und selbstverständlich High-Heels (auf dem weißen Bouclé-Sofa im Obergeschoss ruht die passende „Kelly“-Minitasche in zeitlosem Taupe). Jedes einzelne Haar ihrer Frisur sitzt perfekt und mit ihrem anmutigen Erscheinungsbild könnte Rosie ebenso eine Besichtigungstour des „Wedding-Cake“-Hauses (das von der Innenausstatterin Rose Uniacke entworfen wurde) für das Architectural Digest Magazin präsentieren.

Ohne Umschweife erzählt sie uns von ihrem voll ausgefüllten Pressetag, an dem sie sämtliche Redakteure und Journalisten über ihre neueste High-Street-Unterwäschekollektion informiert. Ihre Kinder bereiten sich derweil auf den Schulbeginn vor. Nach einem zweiwöchigen Urlaub stehen für die 37-Jährige in den kommenden Wochen eine Geschäftsreise in den Mittleren Osten an, gefolgt von diversen Fashion Week Shows, einem neuen Berufszweig als „Angel“-Investorin sowie dem Launch einer Kollektion, die sie für Wardrobe.NYC designt hat – einem Label, das sie selbst täglich trägt, und von welchem sie uns in unserem Interview noch weitaus mehr berichten wird. Eine typisch ereignisreiche Zeit also für das energetische Supermodel, das sich als Unternehmerin etabliert hat und in ihrem Tatendrang kaum zu stoppen ist.

Es ist unglaublich spannend, Rosie Huntington-Whiteley näher kennenzulernen und einen Blick hinter diese makellos schöne Fassade des erfolgreichen Supermodels zu erhaschen. Hinter dem perfekten Image steckt die faszinierende Geschichte einer Frau, die sich ihre Autonomie hart erarbeitet hat und so den Ruf des ewigen Pin-Ups abstreifen konnte. Maßlos unterschätzt zu werden, das scheint ihrem eindrucksvollen Werdegang zu Grunde zu liegen.

„Erfolg fällt ziemlich leicht, solange er schnell und problemlos geschieht. Ja, das ist FANTASTISCH! Doch wenn man HERAUSFORDERUNGEN durchlebt und es sich anfühlt, als würde dir jemand den Boden unter den Füßen wegreißen, sei es beruflich oder PRIVAT, dann bist du gezwungen, dich mit den Tiefen deiner Selbst auseinanderzusetzen“

Jacke und Hose von Wardrobe.NYC
Jacke, Hose und Stiefel von Wardrobe.NYC

„Je älter ich werde, desto weniger fühle ich die Notwendigkeit, mich anderen beweisen zu müssen“, verrät sie, während sie mit mir einen Eiskaffee trinkt. „Es fühlt sich richtig gut an, zu wissen, wer ich wirklich bin. Noch vor ein paar Jahren ging es mir da anders. Ich denke, wir alle durchleben Zeiten, in denen es uns nicht gut geht, doch dadurch lernen wir auch, die besseren Momente umso mehr wertzuschätzen.“ Heute sei die 37-Jährige in ihrer absoluten Bestform und fühle sich zufriedener als je zuvor.

Oberflächlich betrachtet scheint sie die perfekte Frau zu sein, die einfach alles hat, was man sich wünschen kann: Fantastische Häuser, eine blühende Karriere, den Actionfilm-Helden als Ehemann, zwei wundervolle Kinder und eine beneidenswerte Garderobe, ausgestattet mit Mode von The Row, Saint Laurent und Alaïa – ganz zu schweigen von den 20 Millionen Instagram-Followern, die ihr Leben auf den sozialen Medien mitverfolgen. Diese erfrischende Offenheit, mit der sie über Herausforderungen und Hindernisse spricht, macht sie umso sympathischer: Da wären zum Beispiel ihr kurzer Zwischenstopp in der Schauspielwelt, ihre eigene Beauty-Brand, von der sie sich in diesem Jahr zurückgezogen hat, das Umsiedeln ihrer Familie nach London während der Pandemie, postpartale Beschwerden sowie die Jahre nach dem Mutterwerden, in denen ihr Berufsleben kürzer treten musste.

„Erfolg fällt ziemlich leicht, solange er schnell und problemlos geschieht“, betont sie. „Ja, das ist fantastisch! Doch wenn man herausfordernde Zeiten durchmacht, oder wirklich schwierige Momente und es fühlt sich an, als würde dir jemand den Boden unter den Füßen wegreißen, sei es beruflich oder im Privatleben, dann bist du gezwungen, dich mit den Tiefen deiner Selbst auseinanderzusetzen. Das macht erst einmal unheimliche Angst, es fühlt sich schrecklich an. Doch nach und nach siehst du die Dinge aus einer anderen Perspektive und dir wird bewusst, wie widerstandsfähig du eigentlich sein kannst.“

Ihre Lebensweisheit beruht auf zwei Jahrzehnten an beruflichen Erfahrungen, und die Geschichte ihres Karrierestarts klingt dabei geradezu legendenhaft. Aufgewachsen ist Rosie auf dem Familienbauernhof in Devon, wo sie stets aushalf und sich im Alter von 15 Jahren schließlich für ein Praktikum bei einer Modelagentur bewarb. Obwohl sich ihre Hauptaufgaben hierbei auf Teekochen und das Sortieren von Modelakten beschränkte, dauerte es nicht lange, bis man auf das Modelpotential der hübschen Praktikantin aufmerksam wurde. Nachdem die Teenagerin vorerst nach Devon zurückkehrte, verschlug es sie im folgenden Jahr nach London, wo sie mitsamt Schulabschluss und ihrem unermüdlichen Ehrgeiz im Gepäck von einem Casting zum nächsten pilgerte, und zwecks Aufträgen für Jugendmagazine und Kataloge herumreiste – nicht selten ganz auf sich allein gestellt.

„Ich habe CASTINGS mit 200 weiteren Mädchen absolviert… war mitten im NIRGENDWO und mitten in der Nacht unterwegs… wurde von FOTOSHOOTINGS heimgeschickt, da ich ‚zu gesund‘ und ‚zu wohlgenährt‘ aussah“

Kleid von Proenza Schouler; Strumpfhose von Wolford
Blazer von Dries Van Noten; Hose von Jil Sander; BH von Dolce&Gabbana

Entgegen der landläufigen Meinung geschah Rosie Huntington-Whiteleys Erfolg nicht einfach über Nacht. „Ich schätze mich als vom Glück begünstigt, da ich die gesamte Breite der Industrie kennengelernt und in meiner Anfangszeit alles mitgemacht habe. Ich war mit der Tube [der U-Bahn in London] unterwegs, mein Portfolio und High-Heels in meiner Tasche, habe Castings mit 200 weiteren Mädchen absolviert, war mitten im Nirgendwo und mitten in der Nacht unterwegs, fand mich in Autos mit dubiosen Fahrern, wurde von Fotoshootings heimgeschickt, da ich ‚zu gesund‘ und ‚zu wohlgenährt‘ aussah“, erinnert sie sich. Eines Tages wurde ihr sogar versichert, dass sie im Alter von 25 Jahren keinerlei Aufträge mehr erhalten würde.

Fünf Jahre später gelang ihr endlich der große Durchbruch als das Gesicht für Burberry. Es folgten Magazin-Cover, Aufträge für Luxuslabels und schließlich ein mehr als lukrativer Vertrag mit Victoria’s Secret. Dennoch unternahm sie auf dem Gipfel ihrer Modelkarriere einen riskanten Schritt, indem sie der Lingerie-Brand den Rücken zuwandte und stattdessen mit dem britischen High-Street-Retailer Marks & Spencer kollaborierte. „Mir wurde schlagartig bewusst, dass es jeden Moment heißen könnte: ‚Rosie ist weg vom Fenster‘. Ich habe es oft genug bei anderen Frauen miterlebt: Nach 15 Jahren Zusammenarbeit wird man plötzlich abserviert mit der Begründung: ‚Sie ist zu alt and hat an Gewicht zugenommen‘. So läuft es in dieser Industrie ab. Doch ich habe mir selbst geschworen, das würde mir nicht passieren.“

Ursprünglich wollte das Model eine eigene Lingerie-Kollektion für Victoria’s Secret entwerfen, doch die Brand lehnte ab. Kurzerhand bot sie ihre Idee dem britischen High-Street-Giganten an und etabliere sich vom Gesicht der Kampagne zur kreativen Kollaborateurin. „Ich erntete jede Menge Kopfschütteln, immerhin war es ein High-Street-Geschäft und niemand hat daran geglaubt, dass das Ganze mehr als ein oder zwei Saisons bestehen würde“, erinnert sie sich und fügt dann lächelnd hinzu: „Nun schau uns an, ganze 13 Jahre später.“ Sie ist viel zu vornehm, um zu erwähnen, dass ihre Kollektion die Reichweite des britischen Retailers um ein Mehrfaches erhöht hat. Einer von drei im Vereinigten Königreich verkauften BHs stammt von Marks & Spencer und tatsächlich soll demnach eine von 50 Britinnen im Besitz eines BHs von Rosies Kollektion sein. Der „Rosie-Effekt“ ist unwiderlegbar.

Body von Wolford; Hose von Loewe

„Ich passe SEHR GENAU auf, was ich von uns preisgebe. Meine Kinder sollen selbst ENTSCHEIDEN, inwieweit sie sich in der Öffentlichkeit präsentieren wollen, deshalb tue ich alles, um sie zu BESCHÜTZEN“

Mantel von Jil Sander; Schuhe von Saint Laurent

Das Muttersein habe seine Auswirkungen auf ihre Karriere gehabt, und sie gibt zu, dass es zwei Jahre dauerte, bis sie sich wieder wohl in ihrer Haut gefühlt habe. Sie und ihr Ehemann Jason Statham haben sich privat sehr zurückgezogen: „Ich passe sehr genau auf, was ich von uns preisgebe. Meine Kinder sollen selbst entscheiden, inwieweit sie sich in der Öffentlichkeit präsentieren wollen, deshalb tue ich alles, um sie zu beschützen“, erklärt sie. Dies sei einer der Gründe, weshalb sie wieder nach London gezogen seien, denn „[in Los Angeles] folgten uns jedes Mal vier Autos, sobald wir das Haus verließen.“

In London ist es einfacher, unterzutauchen und in der Masse zu verschwinden. „Letztens hat mich jemand nach einem Selfie gefragt und mein Sohn hat sich ganz entsetzt zu mir umgedreht: ‚Wieso wollen die ein Foto mit dir? Daddy ist doch der Berühmte in unserer Familie!‘“ Sie lacht herzhaft darüber und freut sich insgeheim, dass sie für ihre Kinder einfach die ‚Mama‘ ist. Sie wissen zwar, dass Rosie in der Modewelt arbeitet, doch das hält die Kids nicht davon ab, sich über die Outfits ihrer Mutter lustig zu machen, wie ihr Sohn vor einigen Tagen: „Cargo-Hosen in einem Skater-Park – das ist ja sowas von einfallslos!“

Der Großteil von uns würde da sehr wahrscheinlich widersprechen. Vielmehr war es Huntington-Whiteley, die während der Pandemie den sogenannten „Quiet Luxury“-Trend verkörperte, indem sie neutrale Nuancen mit butterweichen Leder-Styles ohne Markenkennzeichnung und dreifachen Schichten an edlem Kaschmir kombinierte. Zudem hat sie unzählige Fashionistas zum Kauf der Kult-Taschen von Bottega Veneta inspiriert, sodass ihre Freunde bereits Witze reißen, Rosie würde irgendwann einmal in einer riesigen „Intrecciato“-Tasche [des Designers] beerdigt werden.

Kleid von Christopher Esber
Kleid von Christopher Esber

„Oh ja, es wurde bereits Bolognese-Sauce über die TEUERSTEN Kunstwerke verschüttet… Ich bin der festen Überzeugung, dass sich alles REINIGEN lässt. Man muss das Leben leben; es ist wie für uns Frauen – mit zunehmendem Alter gewinnt jeder vermeintliche MAKEL an gewissem Charme“

Sie durchlebte eine regelrechte Kehrtwendung von ihrem typischen L.A.-Look, „es war sehr Isabel Marant Boho-Chic, sehr Chloé“, beschreibt sie. „Zu diesem Zeitpunkt verfolgten die Paparazzi mich auf Schritt und Tritt – also war mir dieser Wandel von Nutzen. Denn dann wurde ich Mutter und trug ein Baby mit mir rum, musste die Kinder ins Auto setzen und wieder rausholen, ich brauchte also praktische Lösungen, da sich mein Lebensstil derart verändert hatte.“ In dieser Zeit entdeckte sie ebenfalls ihre Leidenschaft für Architektur und Innenausstattungen, wozu sie von ihrem Ehemann inspiriert wurde (den sie übrigens als „den lustigsten Menschen in meinem Leben“ bezeichnet). Demnach soll Statham seit jeher ein leidenschaftlicher Designkenner und -sammler gewesen sein. Sie erinnert sich, wie sie bei einem ihrer ersten Dates Stathams Couch nicht als eine „Poul Kjærholm PK-31/2“ erkannt und sich stattdessen gewundert habe, weshalb er „Flughafenmöbel“ in seinem Apartment aufstellte.

Aber Moment mal. Ich schaue mich um, starre auf diesen teuren, hochwertigen Holzfußboden, skandinavische Elemente und Teppichböden in empfindlichen Ecru-Nuancen und frage mich, ob diese Art der Einrichtung wirklich so kinderresistent ist. „Oh ja, es wurde bereits Bolognese-Sauce über die teuersten Kunstwerke verschüttet und ich lasse gerade ein Sofa restaurieren, da es komplett zerstört wurde. Aber das sind doch nur Gegenstände, nicht wahr?“ Sie lächelt. „Ich bin der festen Überzeugung, dass sich alles reinigen lässt. Man muss das Leben leben; es ist wie für uns Frauen – mit zunehmendem Alter gewinnt jeder vermeintliche Makel an gewissem Charme.“ Mit ihrem trockenen Humor witzelt sie: „Der erste Fleck hinterlässt die tiefsten Spuren.“

Jacke von Dolce&Gabbana; Strumpfhose von Saint Laurent

Es ist bemerkenswert, dass eine Frau, die den Großteil ihrer Karriere in verführerischer Lingerie abgelichtet wurde, inzwischen zum Inbegriff für ultra-eleganten Stil avanciert ist und hauptsächlich verhüllende Oversized-Designs anstelle von hautengen „Bombshell“-Kleidern trägt. Auf dem Zenit ihres Stilwandels stieß Huntington-Whiteley auf die von Stylistin Christine Centenera und Designer Josh Goot gegründete Brand Wardrobe.NYC, die sich auf minimalistische Capsule-Essentials mit klarer Linie und pragmatischen Silhouetten spezialisiert hat. Schließlich trug sie deren Mode tagtäglich und kombinierte die Pieces mit den Styles ihrer Lieblingslabels: Saint Laurent, Alaïa, Tom Ford, Hermès und The Row.

Es war also nur eine Frage der Zeit, wann diese Kollaboration mit Wardrobe.NYC zustande kommen würde. Mit Rosie als Co-Designerin begeistert die Kollektion mit exklusiven Mänteln in Beige und Schwarz mit Kordelzug sowie skulpturalen Röcken und einer Leggings-Hose, die von der 37-Jährigen als das ultimative Kleidungsstück für jede Frau angepriesen wird. „Diese Stretch-Hose schmeichelt der Figur und ist bequem genug für einen Langstreckenflug oder für Tage, an denen man sich nicht blendend fühlt, aber dennoch schick aussehen möchte.“

Die erste Kollektion (eine zweite Edition steht für das nächste Jahr bereits in den Startlöchern) richtet den Fokus auf mühelos schicke Tailoring-Bodys, die auf die Schnelle jedes Outfit veredeln. Die Co-Designerin stellte sich selbst immer wieder dieselbe Frage: „Welche Kleidungsstücke brauche ich wirklich in meiner Garderobe, um problemlos und stylish durch den Tag zu kommen, sei es auf dem Schulweg oder zu anderen Anlässen und Ereignissen, die das Leben so mit sich bringt?“ Und es gibt zahlreiche Ereignisse und Anlässe, wie wir alle wissen. Wer jetzt noch Rosie Huntington-Whiteley unterschätzt, tut dies auf eigene Gefahr.