Hoffnungsvoll romantisch

Dass Abrams’ Musik bei ihren Fans so gut ankommt, überrascht kaum. Ihre Songtexte sind durchdacht und gewandt, untermalt von einem lebendigen Sound, der Nostalgie aufkommen lässt. „Damals war ich schwer verknallt“, erinnert sie sich, als wir über den Entstehungsprozess von Risk sprechen. „Ich hatte Covid, war krank zu Hause und bin fast wahnsinnig geworden. Jeder Tag schien wie ein Fiebertraum, nicht nur, weil ich krank war, sondern weil ich mich hoffnungslos in diese Person verliebt hatte. Ich befand mich in diesem wirren Gefühlschaos und war mir völlig bewusst, wie absurd meine intensiven Gefühle in diesem Moment waren. Ich wusste ganz genau, dass nichts davon der Realität entsprach, sondern sich alles lediglich in meinem Kopf abgespielt hat.“

Abrams schrieb den Song gemeinsam mit ihrer Jugendfreundin und Mitbewohnerin Audrey Hobert. Als erster fertiggestellter Titel des Albums diente die Single zudem als eine Art Wegweiser für das gesamte Musikprojekt. Ein Song, der sich anfühlt, als würde man seinen Freundinnen nach einer turbulenten Nacht das Herz ausschütten, über unerwiderte Liebe, diese chaotischen und hoffnungsvollen Schmetterlinge im Bauch und die Höhen und Tiefen des Zwanzigerdaseins. „Audrey und ich haben zu dem Zeitpunkt zusammengewohnt, also haben wir uns oft gleich nach dem Aufstehen mit der Gitarre nach draußen gesetzt und mitten im Gespräch Songs geschrieben“, erzählt Abrams. „Es ist ein wehmütiger Song, der gleichzeitig peinlich und universell ist. Beim Songwriting bin ich oft peinlich berührt, aber ich liebe es über alles. Dieses Mal war ich dankbar, dass ich jemanden bei mir hatte, dem ich praktisch alles erzählen kann. Es ist leicht, über einen schlechten Text zu lachen, wenn deine beste Freundin neben dir sitzt.“

Zwei mit Spannung erwartete Highlights des Albums sind Track fünf, ein Duett mit Swift namens Us, sowie der von ihren Fans lang ersehnte Song Close To You, von dem Abrams bereits 2017 einen Clip gepostet hatte. „Die Single hat sofort großen Anklang gefunden, der immer noch anhält. Es ist der Song, zu dem ich die meisten Nachrichten erhalten habe. Er ging überhaupt nicht in die Richtung, die ich damals einschlagen wollte, und bis zu diesem Album hatte ich nie das Gefühl, dass er seinen Platz gefunden hat.“

Abrams wuchs in Los Angeles auf und begann bereits im Alter von acht Jahren, eigene Texte zu schreiben. Dass sie in einem Elternhaus umgeben von Instrumenten und einer Menge Kreativität groß wurde, überrascht keineswegs. Schließlich ist sie die Tochter von niemand Geringerem als J.J. Abrams – dem renommierten Filmemacher und Regisseur von Erfolgsserien wie Lost und Alias sowie einiger „Star Wars“-Filme – und der ehemaligen politischen Beraterin Katie McGrath, die inzwischen als gesellschaftliche Aktivistin tätig ist und gemeinsam mit ihrem Ehemann die Produktionsfirma Bad Robot leitet.

Das Schreiben entwickelte sich für die Sängerin zur Routine, seit sie in der dritten Klasse von ihrer Lehrerin dazu ermutigt wurde, Tagebucheinträge zu verfassen. Ihre Texte vertonte sie später am Klavier, nahm die daraus entstandenen Songs eigenhändig in ihrem Schlafzimmer auf und musizierte ebenfalls gemeinsam mit Freunden auf dem Dachboden ihrer Eltern. „Ich hatte das große Glück, mein ganzes Leben lang Zugang zu Therapie gehabt zu haben“, so Abrams. „Das Schreiben von Tagebüchern fühlt sich so an, als hätte ich gerade eine Weile nicht mit einem Therapeuten gesprochen, wo ich mich hinsetze und all [die] neuesten Geschehnisse in meinem Leben niederschreibe. Es ist ein unfassbar wichtiges Hilfsmittel für mein Songwriting, denn im Schreibprozess entstehen eine Menge Zeilen, die zunächst belanglos erscheinen, aber am Ende doch zum Kernstück eines Songs werden.“

Im Jahr 2018 begann Abrams ein Studium im Bereich Internationale Beziehungen am Barnard College in New York, welches sie jedoch nach dem ersten Studienjahr abbrach, um sich ganz der Musik zu widmen. Nachdem sie 2019 einen Plattendeal bei Interscope Records unterschrieben hatte, startete sie als vielversprechende und talentierte Sängerin und Songwriterin durch, womit sie schon bald die Aufmerksamkeit von Swift und Olivia Rodrigo auf sich zog, für die sie später auf deren ausverkauften Konzerttouren als Opening Act auftrat. Bei der US-Terminen von Swifts grandioser Eras Tour dabei zu sein, sei eine wahrhaftige, musikalische Meisterklasse gewesen, erzählt sie mir. „Die Show unterscheidet sich wirklich komplett von allem, was man bisher gesehen hat. Ich habe jeden einzelnen ihrer Auftritte, bei denen ich als Opening Act performen durfte, von allen möglichen Plätzen im Stadion aus verfolgt.“

„[Taylor] ist einfach so eine unglaubliche Künstlerin, Freundin und Mentorin. Sie hat massiv dazu beigetragen, dass ich täglich am Ball bleibe, was das Schreiben angeht“, fährt Abrams fort. „Sie arbeitet an all ihren Alben, während sie in der Welt umhertourt – sie hört nie auf. Mittlerweile fühle ich mich beschissen, wenn ich das nicht auch mache. Mit dem Schreiben ist es wie mit dem Essen, Schlafen und Trinken. Es hilft mir dabei, mein inneres Gleichgewicht zu finden, sodass mein Gehirn auch in allen anderen Lebensbereichen immer Höchstleistungen abliefern kann.“

Im vergangenen Januar erhielt Abrams ihre erste Grammy-Nominierung für ihr Debütalbum Good Riddance. „Damit hätte ich niemals gerechnet. Ich genieße das Ganze immer noch mit Vorsicht. Aber an diesem Abend herrschte im Saal einfach so eine aufrichtige, authentische und herzliche Atmosphäre“, beschreibt sie die Zeremonie, an der sie in Begleitung ihrer Mutter teilnahm. „Ich glaube, was mir während des gesamten Prozesses [und] am Tisch mit den anderen Nominierten am meisten bedeutet hat, war, dass ich sie alle hautnah erleben und kennenlernen konnte – völlig abseits ihrer Musik, die ich sowieso schon total bewundere. Ich habe sie alle als Menschen lieben gelernt. Jeder von ihnen hat es wirklich verdient, und ich war einfach nur glücklich, dazusitzen und für sie zu jubeln, als ihre Namen aufgerufen wurden.“

Der Abend war gespickt mit Musikgrößen von Tracy Chapman bis hin zu Joni Mitchell, welche Abrams als ihre größte Inspiration bezeichnet. „Meine Vorgängerinnen in der Musikindustrie haben so viel geleistet und uns den Weg geebnet, damit wir heute einfach wir selbst sein können und uns dafür nicht schämen müssen“, erklärt sie. „Dieses Gefühl von Freiheit und Sicherheit verdanke ich einzig und allein den Frauen in dieser Branche, die es erst möglich gemacht haben, unserer Stimme nicht nur im Musikgeschäft Gehör zu verschaffen, sondern auch beim Songwriting.“

Das PORTER-Covershooting mit Abrams fand im berühmten Chelsea Hotel in New York statt, das in der Vergangenheit bereits Musiklegenden wie Patti Smith, Janis Joplin, Jimi Hendrix und Leonard Cohen zu seinen Gästen zählte. Die Sängerin habe sich bei der Fotosession so wohl in ihrer Haut gefühlt wie noch nie, verrät sie mir. „Die Outfits hatten einen richtigen 1990er-Vibe [und] die Umsetzung des Shootings hat meine Persönlichkeit perfekt zum Ausdruck gebracht. Der ganze Prozess war vergleichbar mit der Art, wie ich am liebsten Musik mache – wenn ich dem Gesang und der Story im Song die Führung überlasse, während der Rest nur eine begleitende Rolle einnimmt. Ich habe dieses Shooting geliebt, weil ich das Gefühl hatte, völlig ich selbst zu sein.“

Abrams ist gerade dabei, die Outfits für ihre bevorstehende Tour auszuwählen, die laut eigener Aussage eine weit farbenfrohere Ära einläuten wird. Mode diente schon immer als Inspirationsquelle für die Künstlerin – und sie hat großen Spaß daran, ihren eigenen Style zu finden. „Die meisten Songs auf dem Album wurden in Jogginghosen geschrieben“, witzelt sie. „Ich möchte mich mit meinen Looks in meiner Haut wohlfühlen. Ich bin 24 und schon seit drei Jahren auf Tour. Es ist seltsam, auf der Bühne zu stehen, wenn man sich als Person und damit auch seinen Style ständig verändert, aber ich habe eine Menge Spaß dabei, herauszufinden, was am besten zu meiner Persönlichkeit passt.“

Und was steht für Abrams nach all dem, was sie vor ihrem 25. Lebensjahr bereits erreicht hat, als Nächstes auf dem Plan? Ihre anstehende Tour sei ein richtiger „Bucket-List-Moment“, wie sie mir erzählt. „Alles, was ich durch meinen Job erlebe, kommt mir fast schon wie eine Art Simulation vor.“

„Auf meiner ‚Bucket List‘ steht auch, dass ich regelmäßiger meditieren möchte, damit ich in jedem Augenblick so präsent wie möglich sein kann. Jeder Mensch hat eine Aufmerksamkeitsspanne von bloß zwei Sekunden, und manche Dinge können sich blitzschnell und über Nacht ändern. Ich weiß nicht, wie lange ich die Möglichkeit erhalten werde, Teil dieses Geschäfts zu sein und diese Shows zu spielen. Ich will einfach versuchen, das alles so lange wie möglich in vollen Zügen zu genießen.“

Das neue Album von Gracie Abrams, The Secret of Us, erscheint am 21. Juni 2024

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