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mit

Kristen Stewart

Kristen Stewart spricht über ihren neuen Film Love Lies Bleeding & die Herausforderungen Hollywoods

Bereits im Kindesalter stand sie im Rampenlicht, ehe sie mit gerade einmal 18 Jahren durch ihre Rolle in der Twilight Saga – eine der kommerziell erfolgreichsten Filmreihen aller Zeiten – ihren weltweiten Durchbruch erlangte. Die heute 34-jährige Schauspielerin KRISTEN STEWART spricht mit BILLIE JD PORTER über ihren fesselnden neuen Film Love Lies Bleeding, ihr anstehendes Regiedebüt, die Herausforderungen Hollywoods und erzählt, warum sie jetzt glücklicher denn je ist

Foto Zoey GrossmanStyling Bojana Kozarevic
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Dieses Bild: BH von Stylisten; Shorts von Dries Van Noten; Halskette von Carolina Bucci. Obiges Bild: Blazer von JW Anderson; Höschen von Eres; Schuhe von Saint Laurent

Es ist ein sonniger Nachmittag in Los Angeles. Kristen Stewart hat gerade ihre letzte Pressetour beendet. Wir befinden uns im Büro ihres Anwesens auf den Hügeln des Stadtteils Los Feliz, das einen eindrucksvollen Panoramablick auf die Stadt offenbart. Für Stewart geht hiermit das erste, durchaus turbulente Quartal des Jahres zu Ende, bevor in Kürze das nächste aufregende Kapitel beginnt.

Seit der Premiere auf dem Sundance Film Festival Anfang des Jahres begeistert Love Lies Bleeding Publikum und Filmkritiker zugleich, was nicht zuletzt an Stewarts ergreifender Darbietung von Lou liegt – einer vermeintlich nihilistischen Fitnessstudio-Managerin, deren Welt komplett aus den Fugen gerät, als sie sich Hals über Kopf in eine Bodybuilderin verliebt.

„Ich glaube, wir waren alle ein wenig geschockt, dass wir den Film überhaupt verwirklichen konnten“, erzählt sie mir auf dem Weg zu ihrer Veranda. „Weil er einfach so eigenartig ist. Er ist brutal und manchmal auch regelrecht unerträglich, aber er zwingt trotzdem zum Hinsehen. Angsteinflößend und konfrontierend zugleich.“

„Mir gefällt zwar die Art, wie wir hier [in den USA] FILME machen, aber ich brauchte eine RADIKALE Distanz. Noch bin ich keine Regisseurin. Ich muss quasi einen STUDENTENFILM drehen. Das geht hier nicht.“

Body und Handschuhe von Saint Laurent

Action, Thriller, Romanze, Mystery, Neo-Noir… Obwohl der zweite Spielfilm von Drehbuchautorin und Regisseurin Rose Glass bereits zahlreichen Genres zugeschrieben wurde, erscheint es fast zu kurz gegriffen, ihm bloß einen dieser Stempel aufdrücken zu wollen. Laut Glass dienten Kultstreifen wie Showgirls und Saturday Night Fever als Inspirationsquelle für ihren Film, während ein Letterboxd-User ihn gar als „True Romance der Queer Community“ bezeichnet. Wenngleich Love Lies Bleeding in gewisser Weise das Wesen all dieser legendären Produktionen verkörpert, spielt dieser mutige und genreübergreifende Wahnsinn, der von Sex, Verletzlichkeit und Surrealismus trieft, dennoch in seiner ganz eigenen Liga.

Inmitten dieses Gefühlschaos beweist Stewart ein außerordentliches Feingespür für ihre Rolle, womit sie das Publikum in einem Moment zu Tränen rührt und im nächsten zum Lachen bringt. „Ich glaube, dass die tragischsten Momente im Leben gleichzeitig auch urkomisch sein können… es ist ein seltsames Zusammenspiel von Emotionen“, so Stewart. „Deshalb ist Rose so verdammt gut. Man könnte meinen, das wäre zu grob.“

„Wenn wir uns GEGENSEITIG dazu beglückwünschen, den HORIZONT zu erweitern, obwohl wir nicht wirklich genug getan haben, dann treten wir LETZTENDLICH auf der Stelle.“

Mit einem beinahe kindlichen Übereifer berichtet die 34-Jährige über die Zusammenarbeit mit Glass. Manchmal ist sie sogar derart euphorisch, dass sie sich von ihrem Sitz erhebt und von der Furchtlosigkeit der Filmemacherin, der cleveren Gestaltung ihrer Charaktere und ihrer klaren Ablehnung des „vorgeschriebenen Schwachsinns“ schwärmt, den viele Entscheidungsträger in der Branche von weiblichen Kunstschaffenden erwarten. „Ich bewundere sie so sehr… und die Arbeit mit ihr war wirklich inspirierend. Aber gleichzeitig stelle ich fest: Puh, ich habe noch einen langen Weg vor mir.“

Wie lange dieser Weg ist, wird die Zukunft zeigen. Zum Zeitpunkt unseres Treffens genießt Stewart gerade ihre letzten beiden Wochen der Ruhe, bevor sie das vermutlich größte Projekt ihrer Karriere in Angriff nimmt: ihr Debüt als Regisseurin. Die Handlung ihres ersten Spielfilms basiert auf dem im Jahr 2011 veröffentlichten Buch The Chronology of Water (zu dt. „In Wasser geschrieben“) der amerikanischen Schriftstellerin Lidia Yuknavitch, welche von ihren traumatischen Erfahrungen mit Sucht und sexuellem Missbrauch in der Kindheit erzählt und schließlich im Schreiben und im Schwimmsport ihre erlösende Katharsis findet.

„Ich befinde mich in der sogenannten ‚soft prep‘ oder ‚leichten Vorbereitungsphase‘, was irgendwie seltsam klingt“, verrät Stewart. „Es ist dieser träumerische Schwebezustand, die Ruhe vor dem Sturm, bevor die Filmcrew tatsächlich bereitsteht.“ Diese Phase dauert im Grunde bereits seit über sieben Jahren an. Nach dem Erwerb der Rechte an der Geschichte kündigte sie das Projekt erstmals 2018 bei den Filmfestspielen in Cannes an und verpflichtete umgehend die britische Schauspielerin Imogen Poots als Hauptdarstellerin. Doch der Weg zur Realisierung des Projekts erwies sich mehr als beschwerlich. Anfang des Jahres äußerte sich Stewart öffentlich zu den Schwierigkeiten bei der Finanzierung des Films und erklärte sogar, die Schauspielerei solange auf Eis zu legen, bis der Film fertiggestellt sei.

Kleid von Acne Studios; Strümpfe von CDLP

„Als SCHAUSPIELERIN ist es meine Aufgabe, die VISIONEN anderer Menschen zu verwirklichen. Man wird schnell GIERIG. Es fühlt sich gut an, wenn man angefragt wird…“

Handschuhe von Bottega Veneta; Hose von Tom Ford; Ring von Yvonne Léon
Oberteil und Höschen von Balenciaga

„Es macht einen regelrecht verlegen, darüber zu sprechen, denn es ist schwer, überhaupt etwas auf die Beine zu stellen. [Einen Film], der nicht einfach etwas Stinknormales wiederkäut, wissen Sie?“, erklärt Stewart nachdenklich. „In meinem Film geht es um Inzest und Perioden und eine Frau, die gewaltsam ihre Stimme und ihren Körper zurückgewinnt, und das ist zeitweise ziemlich hart anzusehen… aber es wird eine verdammt aufregende Achterbahnfahrt. Ich denke, die Story hat kommerziellen Charakter, aber ich glaube nicht, dass ich eine Vorstellung davon habe, was das bedeutet“, lacht sie. „Ich glaube, dass die Leute so etwas sehen wollen, aber… dann wiederum glaube ich, dass sie vielleicht Filme über Jesus und Hunde sehen wollen.“

Die Produktion des Films findet in Lettland statt – fernab ihrer Heimatstadt Los Angeles, wo sie mit ihrer Verlobten, der Drehbuchautorin Dylan Meyer, lebt. Mit dieser Entscheidung verschaffe sie sich die nötige Freiheit für einen tiefgehenden künstlerischen Prozess, um ihre Vision zum Leben zu erwecken, wie sie mir erzählt. Der nordeuropäische Kleinstaat soll als Kulisse für Szenen in New York, San Diego, Florida und den Pazifischen Nordwesten dienen, die drei Jahrzehnte der Handlung umfassen. „Die Filmkultur dort steckt noch in den Kinderschuhen. Mir gefällt zwar die Art, wie wir hier [in den USA] Filme machen, aber ich brauchte eine Art radikale Distanz. Ich bin noch keine Regisseurin. Ich muss quasi einen Studentenfilm drehen. Das geht hier nicht.“

Die mehrfach preisgekrönte und für den Oscar nominierte Schauspielerin, die seit ihrer Kindheit in der Branche tätig ist und die Hauptrolle in einer der kommerziell erfolgreichsten Filmreihen aller Zeiten spielte, strahlt eine geradezu unverblümte und bescheidene Offenheit aus. Trotz ihrer Position in Hollywood – als Schauspielerin, Produzentin und nun auch als Regisseurin – spricht sie mit einer gewissen Distanz und einem ausgesprochen charmanten Zynismus über die Maschinerie, der sie zweifellos angehört. Stewarts Leidenschaft für die Kunst überrascht nicht im Geringsten, wenn man bedenkt, wie lange sie bereits in der Industrie arbeitet. Dennoch wirkt jede ihrer kreativen Entscheidungen gleichzeitig auch wie eine Auflehnung gegen eine Branche, in der Kunstschaffende – vor allem Frauen – oftmals ihre eigenen Prinzipien zurückstellen müssen, um erfolgreich zu sein.

„Wäre [Fashion] nicht TEIL des Jobs, würde ich jeden Tag dasselbe Outfit tragen… und ich hätte diese FACETTE von mir gar nicht kennengelernt. Das macht tatsächlich SPASS.“

Body und Hose von Alaïa

[Es herrscht] der Gedanke, dass wir nur diese kleinen Häkchen setzen müssen und dann das Patriarchat abschaffen können, und dass wir alle Teil davon sind“, meint sie. „Es fällt ihnen leicht, zu sagen: ‚Schaut mal her. Wir machen den Film von Maggie Gyllenhaal! Wir machen Margot Robbies Film!‘ Und du denkst dir: ‚Okay, cool. Ihr habt vier ausgewählt…‘ Und ich bewundere diese Frauen, ich liebe diese Frauen, [aber] es fühlt sich nicht authentisch an. Wenn wir uns gegenseitig dazu beglückwünschen, dass wir den Horizont erweitern, obwohl wir nicht wirklich genug getan haben, dann treten wir letztendlich auf der Stelle.“

Zwei Tage vor unserem Treffen feierte Stewart ihren 34. Geburtstag, was sie laut eigener Aussage nicht getan hätte, wenn sie nicht von Familie und Freunden dazu ermutigt worden wäre. Meyer, bereits seit fünf Jahren die Frau an ihrer Seite, teilte zusätzlich einen Polaroid-Schnapschuss von Stewart auf Instagram, der sie im Schneidersitz mitsamt Katze im Schoß auf einem Bett zeigt, gefolgt von einem herzerwärmenden Geburtstagsgruß: „Ich liebe dich so unglaublich sehr und wünsche dir einen Meteoritenschauer voller guter Dinge für das kommende Jahr.“ Nichtsdestotrotz empfindet Stewart eine tiefe Dankbarkeit für diese besondere Zeit in ihrem Leben.

„Ich bin sehr, sehr glücklich darüber, in meinem jetzigen Alter zu sein“, sagt sie und stellt fest, dass auch ihre künstlerischen Prioritäten im Laufe der Zeit einen Wandel durchlebt haben. „Als Schauspielerin ist es meine Aufgabe, die Visionen anderer Menschen zu verwirklichen. Man wird schnell gierig. Es fühlt sich gut an, wenn man angefragt wird… selbst wenn man nicht hinter der Sache steht. Ich finde es schön, dass ich mit dem Alter wesentlich mehr Wert auf ergebnisbezogene Ziele lege, anstatt bloß zu sagen: ‚Das fühlt sich in diesem Moment gut für mich an.‘“

Jumpsuit und Gürtel von Saint Laurent; Ring von Yvonne Léon

Der Grund für diese Genugtuung dürfte auch in der Erkenntnis liegen, dass ihre eigenen Erfahrungen als Frau in der Öffentlichkeit zwar alles andere als einfach waren, sich aber mit der Zeit lediglich als Vorstufe einer weit erbarmungsloseren Ära entpuppten. „Auch wenn es heute immer noch emotionale Gewalt gegenüber Frauen gibt, so ist sie doch viel stärker von passiver Aggressivität geprägt… [Früher] lief das alles einfach nur verdammt offen und direkt ab.“

Stewart weiß nur allzu gut, was es bedeutet, berühmt zu sein und hat für sich selbst Wege gefunden, mit der ständigen Aufmerksamkeit umzugehen. Besonders beim Thema Social Media zeigt sie sich zwiegespalten, hält es zum einen für aufgesetzt, unecht und selbstinszenierend. „Doch dann denke ich mir, dass diese Beurteilung überheblich und total reduktiv ist, denn alles, was man sieht, hat auch einen wahren Kern.“ Sie besitzt nur einen privaten Instagram-Account, auf dem sie ausschließlich „Selfies mit Freunden“ teilt.

Dennoch hat sie einige öffentlichkeitswirksame Aspekte ihres Jobs mittlerweile auch lieben gelernt. Insbesondere bei ihrem persönlichen Style hat sie ein Faible für legeren Luxus entwickelt, der ihren Looks auf dem roten Teppich ein verspieltes und mühelos schickes Finish verleiht. „Wäre das nicht Teil des Jobs, würde ich jeden Tag dasselbe Outfit tragen… und ich hätte diese Facette von mir gar nicht kennengelernt. Das macht tatsächlich Spaß.“

„Ich schäme mich FÜR alles, was NICHT AUTHENTISCH ist…aber dann frage ich mich, WAS ist überhaupt ‚authentisch‘?“

BH von Stylisten; Halskette von Carolina Bucci

Das PORTER-Covershooting fand ein paar Tage vor unserem Treffen statt (für Twilight-Fans übrigens am Tag der ‚Eclipse‘ – der Sonnenfinsternis im vergangenen April). Stewart schwärmt noch immer von der Zusammenarbeit mit dem Team und der Fotografin Zoey Grossman, mit denen sie gemeinsam eine Fotostory kreiert hat, die sich nicht auf herkömmliche Konzepte stützen sollte. „Ich habe das Glück, schon viele Fotoshootings gemacht zu haben… aber typischerweise immer in einem total schicken 50er-Jahre-Haus, in dem man dann graziös in heimischer Atmosphäre herumliegt. Die Idee [bei diesen Fotos] war, dass wir uns nicht darauf beschränken wollten. Vor kurzem habe ich diese Geschichte über eine Hausfrau gelesen, die feststellt, dass sie ein Geist ist, und ich dachte mir: ‚Wie wäre es, wenn [wir so tun], als würde ich schon seit hundert Jahren dieses Fotoshooting machen?‘ Ich liebe die Arbeit mit Zoey. Man kann wirklich alles Mögliche ausprobieren und wilden Scheiß mit ihr machen.“

Als wir uns verabschieden, staune ich immer noch über die Ungezwungenheit, die Stewart während unseres Gesprächs an den Tag gelegt hat – ganz ohne Presseprecher und mit einer spürbaren Abneigung gegen die Schleimereien, die man bei so vielen innerhalb der Branche beobachten kann. „Ich schäme mich für alles, was nicht authentisch ist“, lacht sie, „aber dann frage ich mich, was ist überhaupt ‚authentisch‘?“ Wenn sie mich fragt, reicht für die Antwort darauf ein bloßer Blick ihrerseits in den Spiegel.

Love Lies Bleeding läuft derzeit in den Kinos.

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