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Haim

Coverstory Haim

Alana, Este und Danielle sind die Schwestern aus Kalifornien, die die Pop-Rock-Band HAIM bilden – einst eine Familienband, die im Valley Coversongs spielte, sind sie heute weltweit bekannte, Grammy-nominierte Künstlerinnen. Hier spricht das multitalentierte Trio mit HANNA HANRA über gefühlsechtes Songwriting, das Loslassen während des Lockdowns und darüber, wie sie in der männerdominierten Welt der Musik die Dinge zu ihren eigenen Bedingungen gestalten

Foto Olivia Malone at Home AgencyStyling Sean Knight
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Dieses Bild: Este (links) trägt geripptes Oberteil mit Reisverschluss von Paco Rabanne. Danielle (Mitte) trägt ein Oberteil mit Polka-Dots von Maison Margiela. Alana (rechts) trägt ein Oberteil von Carolina Herrera. Bild oben: Alana (links) trägt einen Mantel von Dries Van Noten; ein Bustier von Stella McCartney; und Shorts von Khaite. Este (Mitte) trägt ein Oberteil von Acne Studios; und einen Rock von Gabriela Hearst. Danielle (rechts) trägt ein Oberteil von Gabriela Hearst.

Während unseres Interviews über Zoom versucht gerade jemand, Este, die älteste Haim-Schwester, anzurufen, weswegen die Internetverbindung verrückt spielt. „Einen Moment bitte, entschuldigen Sie“, sagt sie mitten im Satz, um den Anruf abzubrechen. „Es ist unser Vater.“ Sie setzt an der Stelle fort, an der sie zuvor unterbrochen wurde, und erklärt, wie wichtig es ist, sich seinen Dämonen zu stellen. Doch plötzlich sagt sie: „Oh okay, er klopft jetzt tatsächlich an der Tür.“ Nach einem kurzen Blick über den Bildschirm ruft sie durch den Raum: „DAD, ICH GEBE GERADE EIN INTERVIEW!“, während ihre jüngeren Schwestern Alana und Danielle, die sich jeweils in ihren Häusern in L.A. befinden, das Geschehen amüsiert beobachten.

„Nachdem wir von unserer ersten Tour zurückgekommen waren, zog ich aus dem Haus unserer Eltern aus. Doch ich zog nur die Straße hinunter und sie platzten immer wieder unangemeldet herein“, sagt Alana. „Da habe ich entschieden, dass mehr Abstand zwischen uns sein muss. Doch Este ist zurück ins Valley gezogen…“

Eingefasst von Bergketten, ist das San Fernando Valley meteorologisch gesehen der heißeste Ort in L.A. Tief in den Vororten, nur einen Steinwurf vom glamourösen Hollywood entfernt, verbrachten die drei Schwestern, die die Pop-Rock-Band Haim bilden, ihre Jugend damit, durch Sprinkleranlagen zu rennen und Freunde zu finden, die Pools zum Abkühlen hatten, während sie zudem mehrere Instrumente lernten. „Ich finde, wir sind jetzt mehr Valley-Folklore als spezifisch L.A.-Folklore“, meint Alana, die jüngste und um 8 Uhr morgens auch die lebhafteste der drei Schwestern. „Wenn man im Valley aufwächst, ist man irgendwie bei jedem Scherz der Dumme – alle dachten, du bist super uncool und hättest keine Ahnung, was abgeht. Doch es gab uns auch ein Gefühl von Zusammengehörigkeit. Unser Produzent Ariel [Rechtshaid, er ist Danielles Freund] stammt auch von dort – wenn man erfährt, dass jemand auch aus dem Valley kommt, dann denkt man sich gleich, ‚alles klar, ich versteh’ dich.‘“

Este trägt ein Kleid von Paco Rabanne; und Ohrringe von Eliou.

„Ich erinnere mich, das erste Mal im Alter von 11 Jahren nach Hollywood gefahren zu sein“, erzählt Danielle, die Gitarre und manchmal auch Schlagzeug spielt. „Wir sind dort eigentlich nur zu Canter’s Deli gegangen“, sagt sie lachend. „Unsere Eltern haben es gehasst, das Valley zu verlassen.“ Alana spielt Gitarre und Keyboard und Este spielt Bass. Alle drei singen zusammen. Die dreistimmigen Harmonien ziehen sich durch ihre Alben, wobei Danielle die meisten Lead-Vocals übernimmt. Sie spielen alle auch noch andere Instrumente.

„Wir gaben allen verrückten IDEEN, die wir hatten, eine Chance. Es gab keine REGELN. Wir mussten herausfinden, wie wir dieses Album VERÖFFENTLICHEN konnten“

Alana

Obwohl sie Haim offiziell erst 2012 als Vollzeitband gegründet haben, machten die Schwestern schon zusammen Musik, als sie ganz klein waren. Sie starteten als Familienband und sangen Coversongs. Danielle und Este waren später in einer Gruppe namens Valli Girls. Este schloss ein fünfjähriges Programm an der UCLA in Ethnomusikologie in nur zwei Jahren ab und Danielle tourte erst mit Jenny Lewis und begleitete danach Julian Casablancas, den Frontmann von The Strokes, auf seiner Solo-Tournee, bevor sich die Schwestern wieder zusammentaten, um ihre eigene Musik zu schreiben und zu spielen. Fast zehn Jahre nach dem Erscheinen ihrer Debutsingle Forever klingt der Song mit seinem schnappenden Schlagzeug, den coolen Gitarrenriffs und der einprägsamen Melodie noch immer frisch und raffiniert. Es ist der Klang von warmen Sonnenstrahlen in L.A. und dient als Soundtrack der ersten Hälfte des vergangenen Jahrzehnts. Haims Debutalbum, das weitestgehend das Prädikat „perfekt“ verpasst bekam, stieg auf dem sechsten Platz in die Billboard 200 und auf Platz eins der UK-Charts ein. Die Band hatte ein Jahr daran gearbeitet und manche Teile bis zu 15 Mal aufgenommen und das an den verschiedensten Orten, von Aufnahmestudios bis hin zu Badezimmern.

„Ich verbrachte den Lockdown damit zu lesen“, erzählt Este über das vergangene Jahr. „Eines der besten Bücher, das ich gelesen habe, war Zen in der Kunst des Bogenschießens. Es geht darin um die Kunst des Loslassens. Man kann sich so sehr bemühen, den Pfeil in die richtige Richtung zu schießen, doch letztendlich hat man keine Kontrolle über sein Ziel.“ Haims neuestes Album Women In Music Pt III ist ein perfektes Beispiel dafür. Es wurde vor der Pandemie angekündigt und hätte Mitte April 2020 veröffentlicht werden sollen. „Wir hatten all diese Pläne“, meldet sich auch Alana zu Wort. „Wir wollten eine Tour durch Amerika machen und nur in Delis spielen und dann weiter nach England und Australien reisen. Wir schafften es, in einem New Yorker Deli zu spielen und dann weiter nach Washington, D.C. zu fahren, doch dann wurde der Lockdown zur Realität. Am 12. März flogen wir nach Hause und sind seitdem hier.“

Danielle trägt Bottega Veneta.
Alana (links) trägt Paco Rabanne. Danielle (Mitte) trägt ein Lederhemd von Gabriela Hearst; und ein Bustier von Stella McCartney.

Das Musikerleben besteht aus Zyklen: ein Album schreiben, es zwei Jahre lang auf Tournee bewerben und wieder zurückkommen, um dann das nächste zu schreiben. Ein solcher Einschnitt kann da auch den besten Plan zunichte machen. „Sogar mein Körper war schon im Tour-Modus“, sagt Alana. „Er hatte sich schon darauf eingestellt, zwei Jahre lang Pizza Hut und Chicken Wings zu essen.“ Der Lockdown zwang die Schwestern zurück an den Anfang. „Wir gaben allen verrückten Ideen, die wir hatten, eine Chance. Es gab keine Regeln. Wir mussten herausfinden, wie wir dieses Album veröffentlichen konnten, wir begannen wirklich wieder von vorne.“

„Irgendwann muss man sich dem stellen, wovor man DAVONLÄUFT. Depressionen, gesundheitliche ÄNGSTE und der VERLUST eines geliebten Menschen – es kam alles zusammen“

Este
Este (links) trägt ein Kleid von Proenza Schouler; und ein Bustier von Stella McCartney. Danielle (rechts) trägt ein Oberteil von Gabriela Hearst; und eine Hose von Proenza Schouler.

Die Band beschloss, das Album selbst über Zoom im Rahmen von Musik-Tutorials und Tanzstunden zu diversen instrumentalen Teilen des Albums zu bewerben. Dass Tanz eine Leidenschaft des Trios ist, beweist auch ihr Instagram-Account, auf dem viele Choreographien zu sehen sind, oft angeführt von Este, die auch schon Tanzaufführungen für die Familie organisierte, als sie noch Kinder waren. „Es fühlt sich so an, als wären wir ein supercooler und exklusiver Club, in dem niemand sein möchte – jeder, der während der Quarantäne-Zeit versucht hat, ein Album zu veröffentlichen, sollte zumindest ein T-Shirt bekommen. Doch ich muss zugeben, dass es ziemlich herzerwärmend war, Tausende Menschen rund um die Welt zu sehen, die zu einer Choreographie tanzten, die wir uns ausgedacht haben.“

Sobald man den sprichwörtlichen Pfeil loslässt, hat man keine Kontrolle mehr darüber, wo er landet. Die Schwestern haben losgelassen so gut es ging – und das hat sich gelohnt. Ihr Album bekam von Fans wie Kritikern Bestnoten und bescherte der Band ihre erste Nominierung als Album of the Year bei den Grammys sowie eine weitere Nominierung in der Kategorie Best Rock Performance.

„Als wir das Album schrieben, waren wir in so einer verrückten Situation und reflektierten viel“, sagt Este. „Wir sind so lange auf Tour gewesen. Wir haben großes Glück, dass wir machen, was wir machen, doch wir befinden uns auch in einem Hamsterrad und ich glaube, dass wir dachten, auch unsere Probleme zurückzulassen, als wir auf Tour gingen. Doch wir wissen, das stimmt nicht. Irgendwann muss man sich dem stellen, wovor man davonläuft. Und es hat sich einfach so ergeben, dass wir das nach der Tour für unser zweites Album gemeinsam machten. Depressionen, gesundheitliche Ängste und der Verlust eines geliebten Menschen – es kam alles zusammen.“

Alana trägt ein Oberteil und einen Rock von Christopher Esber; und eine Kette von Jia Jia.

Sie hielten definitiv nichts zurück. Auch wenn ihr drittes Album so fröhlich und funky wie das erste klingt, drehen sich die Songs jedoch um Alanas Depressionen und der Angst vor einer möglichen Krebsdiagnose von Danielles Freund Ariel Rechtshaid, dem Produzenten der Band. In Hallelujah singt Este darüber, wie ihre Schwestern sie mit ihrer Typ-1-Diabetes unterstützen (sie wurde gewarnt, das Touren vielleicht aufgeben zu müssen, da ihr Körper zu sehr belastet wurde). Alana singt über die Trauer über den Tod einer Freundin, die plötzlich im Alter von 20 Jahren gestorben war, und Danielle singt darüber, zwischen zwei Engeln geboren worden zu sein, die ihre Anker sind. „Es war an der Zeit, darüber zu sprechen, und so haben wir es gemacht“, sagt Este. „Und ich glaube nicht, dass dies mit dem Album abgeschlossen ist. Wir haben gelernt, dass es ein lebenslanger Prozess ist, Dinge aufzuarbeiten.“

„Unsere vierte Haim-Schwester [Taylor Swift] hat diesen Song [Gasoline] schon immer GELIEBT – also dachten wir, es wäre COOL, wenn sie ihn neu interpretieren würde. Wir schrieben ihr eine SMS und sie antwortete sofort“

Danielle

Der Schreibprozess ging ihnen diesmal leichter und fließender von der Hand als bei ihren ersten zwei Alben. „Das Schreiben von Songs ist wie ein Tornado“, fährt Este fort. „Und wir hoffen, dass er durchbläst. Ich musste darüber lachen, dass es an der UCLA Songwriting-Kurse gab. Es gibt jedoch nicht eine bestimmte Art und Weise, einen Song zu schreiben. Ich weiß, dass unser Prozess ganz anders ist…“ Alana unterbricht sie: „Mein Songwriting-Stil ist, warum schreiben wir nicht einen Song über einen Booty Call? Und so war 3AM geboren! Das war ein toller Tag für meine ganze Familie. Wir haben keine Geheimnisse, aber ich glaube, meinen Schwestern wäre es lieber, wenn es manchmal welche gäbe!“

Sie haben kürzlich einen Remix von 3AM von Bassist Thundercat veröffentlicht, sowie Gasoline, ein langsamer und dunstiger Song, mit einer neuen Strophe, die von der selbsternannten „vierten Haim-Schwester“ und langjährigen Kollegin Taylor Swift hinzugefügt wurde. „Sie hat diesen Song schon immer geliebt“, sagt Danielle, „also dachten wir, es wäre cool, wenn sie ihn neu interpretieren würde. Wir schrieben ihr eine SMS und sie antwortete sofort. Am nächsten Morgen war es in unserem Postfach.“

Este (links) trägt ein geripptes Oberteil mit Reisverschluss von Paco Rabanne. Danielle (Mitte) trägt ein Oberteil mit Polka-Dots von Maison Margiela. Alana (rechts) trägt ein Oberteil von Carolina Herrera.
Este (links) trägt Michael Kors Collection. Alana (Mitte) trägt Jonathan Simkhai. Danielle (rechts) trägt Proenza Schouler.

Es ist nicht einfach, eine Frau in der Musikindustrie zu sein – ganz besonders in der männlich dominierten Welt des Rocks. Haim ist die erste Frauenband, die jemals für einen Grammy für Best Rock Performance nominiert wurde. Auch sind in der Kategorie für das Album of the Year in diesem Jahr zum ersten Mal nur Frauen nominiert. Frauen hätten schon vor langer Zeit größere Anerkennung in der Musikindustrie erlangen sollen, doch die Dinge kommen erst jetzt in Bewegung. Als sie von ihren zwei Grammy-Nominierungen hörten, fragten sich die Schwestern, wie drei Mädchen aus dem Valley das wohl geschafft hatten.

„Die vielen Male, in denen uns ‚Nein‘ gesagt wurde, oder dass etwas nicht funktionieren würde, oder uns gesagt wurde, wie wir uns kleiden oder spielen sollen, oder dass wir anders aussehen sollten… Es fühlte sich so an, als müssten wir für jeden Schritt nach vorne fünf Schritte zurück machen. Wir hätten so oft aufgeben können, aber wir haben immer weitergemacht. Und wir haben es zu unseren eigenen Bedingungen gemacht“, sagt Alana. „Niemand hat uns gezeigt, wie wir es hierherschaffen“, sie macht eine kurze Pause, um heißes Wasser durch einen Kaffeefilter zu gießen. „Nichtsdestotrotz sind wir hier.“

Die Ratgeberinnen, mit Haim

Begleiten Sie Alana, Este und Danielle bei einer unbeschwerten Therapiesitzung, in der sie Hilfe und Ratschläge geben, wie man den Lockdown übersteht, die Kleidung seiner Schwester stibitzt und an sich selbst glaubt, egal was passiert.