Coverstory

Eine Klasse für sich

mit

Tracee Ellis Ross

Als preisgekrönte Schauspielerin, vielgepriesene Stilikone und selbstbewusste Frauenrechtsaktivistin hat sich TRACEE ELLIS ROSS ihren Erfolg verdient. Gerade hat sie sich einen weiteren Lebenstraum verwirklicht – nämlich singen in ihrer ersten Kinofilm-Hauptrolle in L.A. Love Songs – Der Sound meines Lebens. MARTHA HAYES hat mit dem Hollywood-Star über Angst, die Erfüllung ihrer Träume und das Finden ihrer Stimme gesprochen

Foto Olivia MaloneStyling Solange Franklin
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Oben: Kleid von Alexander McQueen. Ohrring von Panconesi. Hauptbild: Kleid von Christopher Kane. Ring von (linke Hand) von Katkim. Ring von (rechte Hand) von Saskia Diez.

In einer ihrer ersten Erinnerungen wandert Tracee Ellis Ross als Zweijährige in einem Paar Designerschuhe durch den Schrank ihrer Mutter. Damit war eine lebenslange Angewohnheit geboren. Noch heute „stiehlt“ sie Stücke aus demselben Schrank. Würden Sie es nicht gleich machen, wenn Ihre Mutter Diana Ross und der besagte Schrank voll mit Vintage-Schönheiten wäre?

„Meine Mutter sagte oft, dass ich ein Kleidungsstück nicht nehmen soll oder etwa, dass ich nicht reinpassen würde und ich erwiderte nur: ‚Warte einfach ab!‘“ kichert Ross. Wir sitzen im Büro ihres Managements in einem Hochhaus in Beverly Hills, nur einige Wochen bevor in L.A. der Lockdown wegen der weltweiten Pandemie ausgerufen wurde. „Meine Mutter war eine Bohnenstange, ungefähr gleich dünn wie eines meiner Beine, aber ich finde immer einen Weg, in ihre Kleider zu passen – umnähen lassen!“

Ross spricht mit Leichtigkeit über ihre Mutter und es wird klar, dass sie nicht im Schatten der legendären Soulsängerin lebt, sondern sich in den letzten 20 Jahren selbst stolz eine Karriere aufgebaut hat. Sie begann als Teenager zu modeln und war dann Moderredakteurin. Heute ist die 47-Jährige, die zu unserem Treffen in einem schicken schwarzen Trench und hochgeschnittenen Jeans mit ein bisschen pinkfarbenem Lippenstift erschienen ist, Schauspielerin, Regisseurin und Produktionsleiterin sowie CEO ihres eigenen Beauty-Unternehmens „Pattern“.

Um uns herum hängen gerahmte Bilder von Black-ish (Ross hat für ihre Rolle in der Sitcom aus den USA 2017 einen Golden Globe gewonnen) und Mixed-ish, der Fortsetzung aus 2019 (die Sie mitkreiert hat und bei der sie auch als Produktionsleitern tätig ist) und erinnern uns an die bisherigen Erfolge ihrer Karriere. Aber sie hatte immer das Gefühl, dass etwas fehlt, gibt sie zu. Mit L.A. Love Songs – Der Sound meines Lebens hat sie diese Lücke nun gefüllt.

„Meine Mutter sagte oft, dass ich ein Kleidungsstück nicht nehmen soll oder etwa, dass ich nicht reinpassen würde und ich erwiderte nur: ‚Warte einfach ab!‘“

Kleid von Balenciaga. Ring von Anne Manns.

„Zu singen war mein größter Traum und gleichzeitig eine furchteinflößende Herausforderung“, verrät Ross, die in ihrer ersten großen Filmrolle die fiktionale legendäre Pop-Diva Grace David spielt. „Doch wenn man eine Mutter mit einer überlebensgroßen Karriere in dem Metier hat, denkt man sich heimlich, dass man doch besser was anderes machen sollte.“

Ross bereut ihren bisherigen Karriereweg nicht. „Ich habe ihn recht erfolgreich verfolgt“, lacht sie. „Es hat alles gut geklappt!“ Sie war jedoch schon länger auf der Suche nach einem Projekt, in dem Sie ihr geheimes Talent unter Beweis stellen konnte. Und dieses fröhliche Portrait über die Musikindustrie Hollywoods im Stil von Der Teufel trägt Prada mit Dakota Johnson und Ice Cube als Co-Stars lieferte die perfekte Möglichkeit. „Niemand wusste, ob ich überhaupt singen konnte“, erklärt Ross. „Meine PR-Beraterin rief die andere PR-Beraterin an und fragte sie, wer denn singen würde? Und sie sagte: ‚Tracee – sie hat bereits Monate im Studio verbracht‘… Das hat mein Leben verändert. Dass ich mich einer meiner größten Ängste gestellt habe und dass ich es so öffentlich gemacht habe.“

Doch Ross hat Übung darin, sich ihrer Furcht zu stellen. Neben dem Singen war ihr Ted Talk „A woman’s fury holds lifetimes of wisdom“, den Sie 2018 hielt, einer der furchteinflößendsten Momente ihres Lebens. „Eine Frau sagte zu mir, ich wäre doch bestimmt nicht nervös, da ich das ja die ganze Zeit machen würde und ich sagte: ‚Nein, verstehen Sie, ich bekomme immer Angst‘. Der Unterschied ist, dass ich meine Angst schon oft herausgefordert habe. Angst ist in meinem Leben stets präsent.“

„Ich habe meine Angst schon oft herausgefordert. Angst ist in meinem Leben stets präsent“

Kleid von Emilia Wickstead. Ohrringe von Laura Lombardi.

Auch als sie 2017 beim Women of the Year Summit der amerikanischen Glamour eine Rede hielt, die sich im Internet rasant verbreitete, war sie total nervös. In dieser Rede sprach sie darüber, wie Menschen auf die Tatsache reagierten, dass sie über 45, nicht verheiratet und kinderlos sei. Sie kam zu der Erkenntnis, dass „mein Leben mir gehört“. „Ich machte mir Sorgen, dass es im Vergleich zu allem, was in der Welt passiert, belanglos wirken könnte“, gibt sie zu. „Doch dann wurde mir klar, dass sich mit dieser Erkenntnis viele identifizieren konnten. Uns wird gesagt, dass unser Leben nicht uns gehört. So werden wir erzogen und beeinflusst.“

Ross ist es sehr wichtig, wie unverheiratete Frauen ohne Kinder in der Pop-Kultur dargestellt werden. „Es ist einer der Gründe, warum ich diese Geschichten erzähle und unbedingt erzählen möchte. Ich wünschte, ich hätte gewusst, dass es andere Möglichkeiten gibt. Nicht nur, wie ich leben kann, sondern auch, wie ich darüber denke. Die Gesellschaft hat mir vorgeschrieben, dass ich von meiner Hochzeit zu träumen habe, aber ich wünschte, ich hätte von meinem Leben geträumt. Es gibt so viele Wege, um Glück zu kreieren, Liebe zu finden und eine Familie zu gründen, aber wir sprechen nicht darüber. Daher entstehen sehr viel Scham und Verurteilung.“

Der Beweis: „Ein bekannter männlicher Star sagte zu mir [sie schüttelt den Kopf und tippt auf die Uhr an ihrem Handgelenk], ich solle mich besser ein bisschen beeilen. Und da war ich in meinen Dreißigern!“ erinnert sie sich. „Leute denken oft, nur weil jemand glücklicher Single ist, will er nicht in einer Beziehung sein. Natürlich hätte ich gerne eine Beziehung, aber was soll ich tun? Soll ich jeden Moment, den ich nicht in einer bin, Trübsal blasen? Nein, ich genieße mein Leben und bin glücklich, genau hier und jetzt.“

„Die Gesellschaft hat mir vorgeschrieben, dass ich von meiner Hochzeit zu träumen habe, aber ich wünschte, ich hätte von meinem Leben geträumt. Es gibt so viele Wege, um Glück oder Liebe zu finden und eine Familie zu gründen…“

Kleid von Christopher Kane.
Kleid von Richard Quinn. Sandalen von Balenciaga.

Was L.A. Love Songs – Der Sound meines Lebens besonders interessant für sie machte, war das Arbeiten mit einem ausnahmslos weiblichen Team. Regie führte Nisha Ganatra (Late Night), Alexandra Loewy ist die Produzentin und das Skript ist von Flora Greeson. Warum ist es so wichtig, dass Frauen auch hinter den Kulissen eine Hauptrolle spielen? „Wir wollen, dass viele verschiedene Stimmen bei uns am Tisch sitzen und wir wollen unsere Geschichten von vielen Perspektiven, Kulturen und Erfahrungen aus erzählen – denn so zeigt sich ein volleres Bild, wie die Menschheit wirklich aussieht“, sagt Ross.

„Wir alle sind sehr starke Frauen, die hart arbeiten, eine Meinung und einen klaren Verstand haben und die viel in das investieren, was wir machen, weil es uns so wichtig ist“, erzählt sie über die Atmosphäre am Set. „Ich achte darauf, dass ich nicht beschreibe, wie es ist, mit Frauen zu arbeiten. Denn es wäre das gleiche zu sagen, wie es ist mit Männern zu arbeiten, oder warum man nicht mit Frauen arbeiten will. Was ich weiß, ist, dass es eine großartige Erfahrung war, und ich bin sehr dankbar dafür.“

„Wir wollen, dass viele verschiedene Stimmen bei uns am Tisch sitzen und wollen unsere Geschichten von vielen Perspektiven, Kulturen und Erfahrungen aus erzählen – denn so zeigt sich ein volleres Bild, wie die Menschheit wirklich aussieht“

Top von Christopher John Rogers. Rock von Loewe. Schuhe von A.W.A.K.E Mode. Ohrring von Katkim.

Als nächstes auf dem Plan für 2020 steht eine Rolle als leitende Produzentin und Synchronsprecherin bei einem Spin-off der animierten MTV Kult-Serie Daria, nämlich über deren Freundin Jodie („eine Metapher für die Bemühungen, das schwarze Mädchen, das immer die beste Freundin spielte, in den Vordergrund zu bringen“). Zudem sind neue Produkte ihres Haarpflege-Unternehmens „Pattern“ geplant. Im September verwirklichte Ross ihren langgehegten Traum, ein Label für Haarprodukte zu gründen. „Das Ziel war, auf die vernachlässigten Bedürfnisse von Menschen mit lockigem, super voluminösem und sehr trockenem sowie stark strukturiertem Haar einzugehen.“

„Frauen sind in die Ecke gedrängt worden, doch kulturell ist die Beauty-Welt einer der Orte, wo wir uns voll entfalten und eine Verbindung miteinander aufbauen konnten“, erklärt sie. „Der Platz, den dunkelhäutige Frauen einnehmen konnten, ist sogar noch kleiner. Daher ist es für mich mehr als nur Kosmetik, es ist ein Ort der Gemeinschaft. Ich dachte, ich wäre die einzige, die nach Selbstbewusstsein suchte und nicht verstand, dass ihr Äußeres nicht mit der allgemein gängigen Definition von Schönheit zusammenpasste.“

Mode nimmt einen ähnlich wichtigen Stellenwert in Ross‘ Leben ein. Erst jetzt kann sie richtig ausdrücken, welch starken Einfluss es auf sie hatte, ihre Mutter dabei zu beobachten, wie sie sich in „verschiedene Versionen ihrer selbst“ verwandelte. „Kleidung, Haare und Make-up waren für meine Mutter nicht für männliche Blicke da“, sagt Ross. „Sie drückte ihre Sinnlichkeit und ihre Sexualität auf eine kraftvolle Art und Weise aus, die ich sehr bestärkend fand. Denn sie sagte nicht ‚schau mich an‘, sondern vielmehr ‚das bin ich.‘“

„Ich dachte, ich wäre die einzige, die nach Selbstbewusstsein suchte und nicht verstand, dass ihr Äußeres nicht mit der allgemein gängigen Definition von Schönheit zusammenpasste“

Kleid von Alexander McQueen. Armband von Balenciaga.

Ross wuchs zusammen mit ihren zwei Schwestern sowie ihren zwei Brüdern aus der Ehe ihrer Mutter mit dem verstorbenen Großreeder Arne Næss Jr., den sie nach der Scheidung von Musikmanager Robert Ellis Silberstein heiratete, in Los Angeles auf. Wusste sie damals wie berühmt ihre Mutter war? „Es war unmöglich es nicht zu wissen. Es führte kein Weg daran vorbei“, sagt sie.

„Es gab gewisse Aspekte meines Lebens, an denen sie nicht teilhaben konnte. Sie konnte mich zum Beispiel nicht in die Schule bringen, weil es zu viel Wirbel verursachte. Und ja, ich durfte als Kind mehrmals das Weiße Haus besuchen, Andy Warhol malte mich und Michael Jackson war ein Familienfreund. Mir war aber bewusst, wie außergewöhnlich das war. Es war nicht selbstverständlich für mich.“

Bei einem Telefongespräch ein paar Monate später, das während der Coronavirus-Pandemie stattfindet, reflektiert Ross. Sie befindet sich gerade in ihrem Haus in LA, in dem sie sonst nicht viel Zeit verbringen kann, und ist sehr dankbar. „Es ist furchtbar, dass es soviel Schmerz und Verlust und Angst gebraucht hat, um mich und uns alle wieder menschlicher zu machen“, sagt sie. „Sosehr mich diese Situation bedrückt, versuche ich mich jedoch auf den Silberstreif am Horizont zu konzentrieren.“

„Ich durfte als Kind mehrmals das Weiße Haus besuchen, Andy Warhol malte mich und Michael Jackson war ein Familienfreund. Mir war aber bewusst, wie außergewöhnlich das war. Es war nicht selbstverständlich für mich“

Wie viele von uns auch, hat sie die Liebe zum Kochen wiederentdeckt („meine engsten New Yorker Freundinnen und ich haben einen Chat, der voll von Rezepten ist“), hält Zoom-Meetings ab („Ich wusste gar nicht, wie langsam das Internet ist, weil ich nie zu Hause bin, ich musste einen neuen Router besorgen!“) und schwitzt in virtuellen Workouts mit Tracy Anderson, dem Fitness-Guru der Stars.

Auch entdeckt sie wundervolles Neues in ihrem Heim. „In meiner Nachbarschaft gibt es eine Eule, die ich bisher erst einmal gesehen habe, und meistens bin ich nicht wach, um sie zu hören“, erklärt Ross. „Wenn ich sie jetzt nachts höre, öffne ich die Fenster und nehme ein Bad. Es ist magisch.“

Vor der Pandemie war mein Motto ‚arbeite hart, arbeite smart‘. Jetzt jedoch ist mein Vorsatz, ‚sei entspannt, sei sanft, sei fröhlich.“

L.A. Love Songs – Der Sound meines Lebens erscheint am 4. Juni.

MEHR DAZU

Hemdkleid, Hose und Rock von Christopher John Rogers. Ohrring von Katkim.