Wie wichtig es ist, sich für sich selbst schick zu machen
Durch Home-Office und Selbstisolierung verbringen viele von uns momentan den Tag in schlabbrigen Trainingshosen, alten Kapuzenpullovern und Pyjamas, die schon bessere Tage gesehen haben (und nein, das fällt leider nicht unter „Shabby-Chic“). PORTERs Fashion Features Director KAY BARRON weiß, warum es wichtig ist, sich während dieser Zeit nicht modisch gehen zu lassen – und dass sich ein bisschen schick machen gut für psychische Gesundheit und auch Ihre Würde ist. Also, los geht’s, entdecken Sie Ihre Garderobe neu…
Während ich diese Zeilen schreibe, trage ich schwarze Culottes aus Leder von Current Eliott, ein weißes T-Shirt von Ninety Percent (frisch gebügelt) und Kitten-Heels von Gianvito Rossi im Leoparden-Print. Heute Morgen habe ich meine Accessoires zweimal gewechselt, bevor ich mich für zwei Ketten von Catbird und einen Ohrring von Charlotte Chesnais entschieden habe. Am Abend zuvor habe ich alles bereitgelegt (ja, ich mache das wirklich), nachdem ich einige Zeit vor meinem Schrank verbrachte, um zu überlegen, was ich diesen Donnerstag tragen soll. Oder welcher Tag es auch immer ist. Ich schreibe dies an meinem Küchentisch während des Lockdowns und nein, niemand hat mich heute, oder überhaupt in dieser Woche, schon gesehen. Und es ist unwahrscheinlich, dass mich bald jemand sehen wird.
Hauptsächlich führen wir unsere Telefonkonferenzen mit ausgeschalteter Videofunktion. Ich lebe alleine und mache mich sicher auch nicht für die Lieferanten schick, die manchmal vor der Tür stehen – doch wer weiß, wie die Situation in einem Monat aussieht. Ich mache das nur für mich selbst – und definitiv für meine mentale Gesundheit.
In dieser Zeit, in der ich nichts von den Dingen machen darf, die ich so liebe – Restaurants, Bars besuchen, Pilates und Zeit mit richtigen Menschen verbringen – muss ich Kontrolle behalten, wo ich es noch kann. Und das ist, mich schick zu machen. Verstehen Sie mich nicht falsch, ich verbringe meinen Alltag nicht in Abendroben mit Schichten von Make-up, aber ich gebe mir bei meinem Outfit gleich viel Mühe, als würde ich ins Büro gehen. Ich habe einen persönlichen „Look“ und Covid-19 wird mir den sicher nicht nehmen.
„„Das Konzept von Bürokleidung nur von der Hüfte aufwärts (für Videogespräche) verstehe ich überhaupt nicht. Ziehen Sie sich doch einfach ganz an. Halb Büro, halb Schlabberlook ist eine inkonsequente Variante, die mich einfach nur verwirren würde“
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Meine Garderobe besteht aus hautengen Jeans, viel Leder, innovativen Hemd-Designs, Stöckelschuhen und schwarzen Silhouetten, geformt wie meine Frisur, und hat sich in den Jahren wenig verändert. Ich bezeichne sie als meine Luxus-Rüstung, die ich seit ich ein Teenager war, entwickelt und perfektioniert habe. Und im Moment ist meine Rüstung für mich wichtiger denn je.
Manche nutzen das Home-Office, um ihre liebste Loungewear zu tragen oder 24 Stunden am Tag im Pyjama zu verbringen. Jedoch verstehe ich das Konzept von Bürokleidung nur von der Hüfte aufwärts (für Videogespräche) überhaupt nicht. Ziehen Sie sich doch einfach ganz an. Halb Büro, halb Schlabberlook ist eine inkonsequente Variante, die mich einfach nur verwirren würde.
Der @wfhfits-Account auf Instagram zeigt uns einen Blick hinter die Kulissen verschiedener Heimbüros und deren Office-Looks. Selbstverständlich hat die italienische Stylistin Anna Dello Russo ihre geliebten betonten Schultern und Leopardenmuster nicht aufgegeben. Die britische PR-Expertin Daisy Hoppen findet auch ohne Anlass noch immer die Zeit, in ein goldenes Kleid von Vampire’s Wife zu schlüpfen. Es macht Mut zu sehen, wie viele Leute an ihren persönlichen Standards festhalten. Doch jedes gebügelte Hemd steht einer Armee von Bademänteln gegenüber. Auch wenn ich verstehe, dass Komfort wichtig ist in unserer neuen Arbeitsumgebung – vor allem wenn es zu Ablenkungen, zum Beispiel durch Kinder, kommen kann – war das nie mein Ausgangspunkt. Ich besitze keine Trainingshose. Ich besitze einen Kapuzenpulli – und unter „normalen“ Umständen ziehe ich den nur ins Fitnessstudio an. Ich ziehe auch keine „bequeme“ Kleidung an, wenn ich vom Büro nach Hause komme. Ich ziehe nicht einmal meine Schuhe aus. Obwohl, manchmal lockere ich meinen Gürtel ein bisschen.
Während meines Tagesablaufes – und glauben Sie mir, diese neue Situation verlangt nach einem fixen Ablauf – beginne ich meinen Tag in Lycra bei einem Workout. Dann springe ich unter die Dusche und ziehe mich an. Ich kann mich bei einer Telefonkonferenz um 9.30 Uhr nicht konzentrieren, wenn ich noch immer in meinem Trainingsoutfit dasitze. Und interessanterweise brauche ich auch meine Schuhe, um voll leistungsfähig zu sein. Ich fühle mich ohne einfach „underdressed“. Im Moment trage ich am liebsten meine neuen Prada-Schuhe mit Blockabsatz, die ich kurz vor der Quarantäne gekauft und noch nicht ausgeführt habe. Letzte Woche verbrachte ich einen Tag in ausgebeulten Jeans und dem bereits erwähnten Kapuzenpulli. An diesem Tag war ich weniger produktiv als normalerweise und habe den ganzen Tag lang genascht. Nun, ich gebe meinem Outfit hier nicht die ganze Schuld, aber es hat bestimmt nicht geholfen. Wenn ich mich nicht wie „ich“ für die Arbeit anziehe, fühle ich mich auch nicht wie ich selbst – und der Tag ging vorüber, ich las fast keine E-Mails und habe stattdessen eine riesige Tüte M&Ms verschlungen. Diesen Fehler mache ich nicht noch einmal.
Neben dem Aussuchen meines Looks für den nächsten Tag – an einem Tag, an dem nicht viel zu tun ist, bringt es mir außergewöhnlich viel Freude – ist Lesen meine andere Beschäftigung. Im Moment flüchte ich mich in „Ma’am Darling“, eine Biographie über Prinzessin Margaret, was mich an ihren Tagesablauf erinnert, über den ich kürzlich gelesen habe:
9 Uhr Früh: Frühstück im Bett, gefolgt von zwei Stunden Radiohören im Bett, Zeitunglesen und Kettenrauchen.
11 Uhr Früh: Bad.
Mittag: Einer Stunde im Bad folgen Haare und Make-up an ihrem Schminktisch, dann zieht sie frische Kleidung an – wie man sich bei einer Prinzessin vorstellen kann, trug sie ihre Kleider nie mehr als einmal, ohne dass sie gereinigt wurden.“
12 Uhr 30: Sie erscheint unten für einen erfrischenden Wodka.
Natürlich musste Prinzessin Margaret nicht E-Mails und Anrufe bewältigen und ich schlage auch nicht vor, bis 11 Uhr kettenrauchend im Bett zu liegen und den ganzen Tag zu trinken. Doch in unserer aktuellen Situation haben manche mehr Zeit für sich selbst und das lädt ein, sich ein bisschen mehr Mühe zu geben. Waschen Sie Ihre Haare, oder schlüpfen Sie in Ihr Lieblingspaar Schuhe, die sie sonst nie tragen. Ich glaube, dass es uns gegenwärtig guttun würde, ein bisschen mehr Margaret zu sein. Sie sind es sich schuldig. Nehmen Sie die Wodka-Erfrischung einfach erst nach 7 Uhr abends zu sich.