Die Kunst des Stils

Das Designer-Interview: Alber Elbaz

Switchwear-Oberteil, Switchwear-Rock, MyBody-Leggings und Sneakers von AZ Factory.

Er machte sich einen Namen durch seine glorreichen 14 Jahre als Kreativdirektor an der Spitze des französischen Couture-Hauses Lanvin, doch mit seinem neuen Konzept AZ Fashion richtet sich ALBER ELBAZ an ein ganz neues Publikum von Frauen. Mit KAY BARRON spricht er über seinen neuen Weg, das Kreieren von Kleidung, in der sich Frauen wohlfühlen, und die Chancen, die aus der Not entstehen

Styling Marina Gallo
Mode
Alber Elbaz.

Bitte erheben Sie sich, um den wunderbaren Alber Elbaz wieder willkommen zu heißen! Der angesehene Designer hatte sich fünf Jahre lang von der Modewelt zurückgezogen, doch nun hat er sich endlich dazu entschlossen, das Fashion-Parkett erneut zu betreten. Nach einer beeindruckenden Karriere, in der er für die renommiertesten Modehäusern gearbeitet hat, ist der Designer bei seinem neuen Projekt AZ Factory nun sein eigener Chef. AZ Factory ist kein gewöhnliches Label. Vielmehr ist es ein Konzept, das Body Positivity feiert, dem sich wandelnden Kleidungsstil der Frauen gerecht wird und – am allerwichtigsten – Elbaz Vision unterstützt, der Mode wieder Freude einzuhauchen.

Und diese Freude haben wir so sehr vermisst. Elbaz ist bekannt für seinen klugen Humor, seine Liebe zu kühnen und fröhlichen Farben, sein Talent dafür, Extravagantes elegant erscheinen zu lassen (klingt wie ein Widerspruch, doch Elbaz kann es wie kein anderer) und selbstverständlich das wunderbare Gefühl, das er Frauen in seinen Designs verleiht. All dies strahlt er aus, als er aus seinem Büro in Paris mit uns spricht. Mit seinem platinblonden Haar ist er wortwörtlich ein Sonnenschein.

Nach seinem Abschied von Lanvin im Jahr 2015, wo er 14 Jahre lang als Kreativdirektor tätig war, verschwand Elbaz fast völlig. Er stellt jedoch schnell richtig, dass er keinen Urlaub gemacht hat. „Ich habe getrauert“, sagt er über seinen bitteren Abgang vom französischen Modehaus. „Ich hatte nie das Verlangen gehabt, eine Familie zu gründen, da meine Arbeit und meine Kollegen meine Familie waren. Ich fühlte mich einsam und beschämt und ich begann, an mir selbst zu zweifeln. Doch als ich ging, entschloss ich mich, sehr sehr leise zu sein. Ich wollte nichts über irgendjemanden sagen. Ich war elegant.“ Mit der Zeit erholte sich Elbaz und dieser Moment des Innehaltens und Nachdenkens eröffnete eine neue Welt der Möglichkeiten. „Das war Phase 1. Dann begann ich zu träumen“, sagt er. „Ich traf jeden, der mich jemals treffen wollte. Ich besuchte Schulen, ich unterrichtete, ich reiste. Nachdem ich so viele Jahre lang mit strengen Deadlines gearbeitet hatte, hatte ich den Luxus, mich selbst wiederzuentdecken, und war frei, meine eigenen Träume wahr werden zu lassen.“

Bei AZ Factory geht nicht nur um mich, es geht um uns. A und Z sind der erste und der letzte Buchstabe in meinem Namen und es ist die Geburt einer Ideenfabrik
Alber Elbaz

Aus diesen Träumen entwickelte sich AZ Factory, was der Designer als „Neustart“ beschreibt. Doch er fügt schnell hinzu, dass es sich dabei nicht nur um ein Comeback von Alber Elbaz handelt. „Es geht nicht nur um mich, es geht um uns. A und Z sind der erste und der letzte Buchstabe in meinem Namen und es ist die Geburt einer Ideenfabrik.“ Elbaz kann sich nicht an den Moment erinnern, in dem ihm klar wurde, dass er sein eigenes Ding machen wollte – es geschah schrittweise. Er nutzte seine Abwesenheit von der Branche, um zu beobachten, zu studieren und Fragen zu stellen „Ich fragte mich selbst dumme Fragen wie: ‚Warum ist bei Herrenkleidung alles auf der Vorderseite – Knöpfe und Reißverschlüsse – aber bei Damenkleidung ist alles auf der Rückseite?‘ Eine Frau muss sich verdrehen, um sich auszuziehen, oder braucht Hilfe.“

Nach Recherchen über Neoprenanzüge und die Schieber, mit denen Reißverschlüsse zugemacht werden, wurde eine Idee geboren, die zu vielen anderen führte. Ursprünglich ging es nur um das schwarze Kleid – eine ganze Kollektion von schwarzen Kleidern. „Ich wollte, dass die Kleider einen umarmen, an bestimmten Stellen enganliegend sind und an anderen wieder locker sitzen. Ich kam mir vor, wie ein Ingenieur, der ein ‚atomares‘-Kleid entwirft. Es war sehr aufregend, aber oh Gott, auch sehr, sehr kompliziert“, erzählt der Designer. Ich arbeitete mit Produktionsstätten in drei verschiedenen Ländern zusammen, um das gewünschte Ergebnis zu erzielen. Ich bin relativ geduldig, doch wenn du eine Idee hast und man dir sagt, man hätte das noch nie zuvor gemacht und ist sich nicht sicher, dass man es könne, ist das schwierig.“ Einmal kam es sogar vor, dass eine von Elbaz Designerinnen, unterwegs war, um den Produktionsfortschritt in einem anderen Land zu begutachten, ins Flughafengefängnis geworfen wurde, weil ihr Pass sechs Monate zuvor abgelaufen war. Elbaz muss laut lachen, als er die Geschichte erzählt, und gibt zu, dass er als erstes rief: „Aber wo sind die Kleider?!“ Es ist klar, dass ihnen damals nicht zum Lachen zumute war.

MyBody-Kleid von AZ Factory.

Hier ging es jedoch nicht um kompliziertes Design um des Designs willen, es ging darum, Lösungen zu finden. Frauen stehen stets im Mittelpunkt von Elbaz Kreationen und er ist bekannt dafür, Kleidung zu kreieren, in der sich Frauen schön und selbstbewusst fühlen. Der Ausgangspunkt von AZ Factory waren Frauen und Gespräche, die Elbaz mit ihnen darüber führte, was sie suchten. Sein Ziel war es, Mode und Funktionalität zu verbinden. „Während der Coronavirus-Pandemie 2020 fragte ich mich: ‚Ist Mode überhaupt wichtig?‘ Ich meine, wen interessiert’s?“ sagt er. „Doch nachdem ich mit einigen Frauen gesprochen hatte, wurde mir klar, dass sie sich nicht im Spiegel ansehen wollten, wenn sie einen alten Pullover trugen. Dann ziehen sie irgendwann eines ihrer Lieblingsstücke an und schon fühlen sie sich besser. Deshalb glaube ich, dass Mode nun wichtiger ist als je zuvor.“ Diese Erkenntnis lieferte noch mehr Inspiration und die Idee wurde geboren, die ganze Kollektion rund um den Gedanken „Ich weiß nicht, was ich anziehen soll“ zu entwerfen, indem alles einfach gemacht wurde. „Ich wollte die alte Art, wie wir uns gekleidet haben, mit der neuen vermischen“, erklärt Elbaz. „Damit begann für mich der Optimismus und die Hoffnung, dass das Leben [außerhalb unserer vier Wände] zurückkehrt.

Das Ergebnis besteht aus verschiedenen modischen Modulen, die zusammen kombiniert werden können. Es hat zwar mit figurformenden Kleidern begonnen, die Kollektion umfasst nun aber Leggings, asymmetrische Oberteile mit abnehmbaren Schleifen, Bodys und „Pointysneaks“, ein farbenfroher Mix aus Sneakers und Pumps („ein Sportschuh, mit dem Sie laufen gehen können und über die Tanzfläche fegen möchten“). Besonders zu erwähnen ist, dass jedes Piece des Labels in den Größen XXS bis XXXXL erhältlich ist, was leider noch fast einzigartig in der Modebranche ist, und dass an der Passform bis zur Perfektion getüftelt wurde. Vergessen wir nicht, dass Elbaz sich schon lange vor anderen großen Modehäusern um Diversität bei seinen Laufsteg-Castings von Lanvin bemühte.

Wir schaffen das erste digitale Luxuslabel, das auf Design, Innovation und Spaß basiert… Wir kreieren und kuratieren Geschichten
Alber Elbaz
MyBody-Body, MyBody-Leggings und Sneakers von AZ Factory.

Die erste Kollektion von AZ Factory heißt MYBODY. Die Idee dahinter ist, die Minikleider über die Leggins zu tragen oder die Bodys unter den Röcken, wenn Sie sich so wohler fühlen. Alles wurde aus technisch gewebtem Stoff gefertigt, entwickelt von Elbaz, um zu formen und zu stützen. Die Pieces sind frei kombinierbar – und alles passt wunderbar zusammen. Die Kollektion wird zuerst in einer neutralen Farbpalette aus Schwarz, Weiß und Beigetönen erhältlich sein. Später in diesem Monat wird sie um Pieces in Rot und Pink erweitert. Die Reißverschlüsse fungieren als besondere Details der Designs und wurden von Elbaz ursprünglicher Recherche von Neoprenanzügen inspiriert. Dazu ist jeder Verschluss mit einer Goldkette verziert, damit die Trägerin sich ganz leicht alleine an- und auskleiden kann. Darauf folgt SWITCHWEAR im März, welche die Idee von Haute Couture mit Loungewear vereint. Mit dabei sind Röcke und Oberteile aus Duchesse-Satin in Edelsteinfarben. Sie sollen die Pieces der MYBODY-Kollektion ergänzen. Im Laufe des Jahres wird es dann noch weitere „Ergänzungen“ im Sortiment von AZ Factory geben. „Wir schaffen das erste digitale Luxuslabel, das auf Design, Innovation und Spaß basiert. Eine Geschichte nach der anderen, ein Produkttyp nach dem anderen. Keine Kollektion mit vielen verschiedenen Produkten, nur ein Produkt mit vielen verschiedenen Versionen. Wir kreieren und kuratieren Geschichten“, sagt er.

Nach seiner fünfjährigen Abwesenheit von der Modewelt richten sich natürlich alle Augen neugierig auf seine Rückkehr und Elbaz ist nervös. Bei unserem Gespräch ein paar Wochen vor dem Launch beschreibt er sich als jemanden, der vor einer Geburt steht und nicht weiß, was die Leute davon halten werden. „Ich fragte mich: ‚Ist es genug?‘, aber ich habe beschlossen, dass ich mich nun nach Komfort und Einfachheit sehne“, sagt er. „Und ich hoffe, man wird das verstehen. Ich habe Angst, dass jeder denken wird: ‚Oh mein Gott, du bist zurück, zeig mir deine drapierten Satin-Kleider.‘ Ich war aber gerade nicht in der Stimmung für drapierte Satin-Kleider.“

MyBody-Oberteil, MyBody-Leggings und Sneakers von AZ Factory.
Viele der Frauen, mit denen ich gesprochen habe, ziehen vielleicht eines ihrer Lieblingsstücke an und das heitert sie auf. Deshalb glaube ich, dass Mode nun wichtiger ist als je zuvor
Alber Elbaz
Sneakers von AZ Factory.

Glücklicherweise ist Elbaz sehr beliebt und hat viele loyale Fans in der Modebranche, die zwar die drapierten Satin-Kleider vermissen, jedoch auch wissen, dass er in allem gut ist. Schließlich hat er seine Vielseitigkeit bereits mit Anstellungen bei Geoffrey Beene in New York, dem französischen Maison Guy Laroche, Yves Saint Laurent und Lanvin bewiesen. Elbaz hätte es sich leicht machen und einfach als Kreativdirektor eines anderen Traditionshauses wieder auftauchen können, wie viele es erwarteten, doch er entschloss sich klein anzufangen – er bezeichnet AZ Factory gerne als Start-up. Aber dann kam die Pandemie dazwischen und das kleine Team hatte erst gute sechseinhalb Monate zusammengearbeitet. Während des ersten Lockdowns verließ Elbaz sein Pariser Apartment nicht und fühlte sich in diesen zweieinhalb Monaten klaustrophobisch. Er gibt zu, dass diese Zeit herausfordernd und furchteinflößend war, doch jetzt ist er voller Hoffnung.

„Historiker sagen, dass es nach Kriegen und Pandemien immer einen Aufschwung von Kunst und Wirtschaft gibt, der auf den Schmerz folgt. Nach dem Ersten Weltkrieg und der Spanischen Grippe gab es diese wunderbare Zeit in Paris – les Années Folles – oder auf Englisch the Crazy Years [Anm. die Goldenen Zwanziger Jahre]“, sagt Elbaz. „Montparnasse in Paris war das Herzstück dieser Jahre. Zufälligerweise befindet sich heute dort auch unsere Fabrik. Paris wurde zur Hauptstadt von la liberté – der Freiheit, zu schaffen und einfach nur zu sein, für Kunst, Musik, Literatur und natürlich Mode. Alles war im Aufschwung. Es war der Beginn der Jazzmusik. Die Amerikaner haben sie nach Paris gebracht. Es ging nicht darum, nach Noten zu spielen, sondern ums gemeinsame Musizieren und Improvisieren. Das Zusammensein in diesen Jahren brachte die Hoffnung zurück. Trotzdem, wenn ich die Zeit nach der Pandemie definieren oder ihr einen Namen geben müsste, würde ich nicht zurückkehren zu les Années Folles. Ich würde sie die ‚Smart Years‘ nennen. Immer wieder wird mir klar, dass jede verrückte Idee später als kluge Idee gesehen wird. Wir leben im Zeitalter von Smartphones, Smart Homes und smartem Design. Ich hoffe jetzt auf die smarten Jahre.“

Wenn man das Lächeln auf seinem Gesicht sieht und die Leidenschaft in seiner Stimme hört, wenn er den beschwerlichen Weg beschreibt, der AZ Factory überhaupt an diesen Punkt gebracht hat, wird klar, dass es sich als das Klügste erweisen könnte, was Alber Elbaz je getan hat, seinen eigenen Weg zu gehen.

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